Wie wir leben, so sterben wir (eBook)
224 Seiten
Arkana (Verlag)
978-3-641-30293-1 (ISBN)
Aus dem reichen Erfahrungsschatz ihres langen Lebens schöpfend, teilt die große Meditationslehrerin mit uns das Geheimnis eines erfüllten Daseins: sich den vielen Anfängen und Abschieden nicht verschließen, sich dem Unbestimmten, Nicht-Vertrautem und Unwillkommenem öffnen. Lassen wir diese radikale Einsicht zu, werden wir belohnt und fähig sein, in jedem Augenblick Frieden zu empfinden, Staunen und Mitgefühl gegenüber uns selbst wie anderen und sogar dem eigenen Sterben gelassen entgegenzublicken. Besonnen und geradlinig zeigt Pema Chödrön in fünfundzwanzig meisterhaft erhellenden Lektionen, wie jeder diesen Weg selbst gehen kann. Und wie man unterwegs mit schwierigen Emotionen wie Traurigkeit, Wut und Hoffnungslosigkeit umzugehen lernt. Sie macht uns mit der eigenen Sterblichkeit vertraut und eröffnet uns zugleich die Möglichkeit, uns selbst zu begegnen, uns berühren zu lassen von all dem, was uns widerfährt im Leben - an jedem einzelnen Tag.
Pema Chödrön ist US-Amerikanerin und buddhistische Nonne in der Tradition des tibetischen Meditationsmeisters Chögyam Trungpa. Sie ist Leiterin des tibetischen Klosters Gampo Abbey auf der kanadischen Insel Cape Breton. Neben Ayya Khema zählt Pema Chödrön heute zu den bekanntesten buddhistischen Lehrerinnen der Welt. Wie diese wurde sie Mutter, bevor sie ihre Gelübde als Nonne ablegte und ist somit bestens sowohl mit dem weltlichen als auch dem geistlichen Leben vertraut.
2
Kontinuierliche Veränderung
Manche glauben, dass das Bewusstsein im Moment des Todes endet. Andere glauben, dass es fortbesteht. Einig sind sich jedoch alle darin, dass die Dinge während unserer jetzigen Lebenszeit auf jeden Fall weitergehen. Und dabei verändern sie sich unablässig. Ständig endet etwas, und ständig entsteht etwas neu. Es ist ein kontinuierlicher Prozess von Tod und Erneuerung, Tod und Erneuerung. Diese Erfahrung, die alle Lebewesen machen, wird bekanntlich als »Vergänglichkeit« oder »Unbeständigkeit« bezeichnet. Wie der Buddha betonte, ist das Betrachten der Vergänglichkeit eine der wichtigsten Kontemplationen auf dem spirituellen Weg. »Von allen Spuren sind die des Elefanten besonders herausragend«, sagte er. »Genauso ist von allen Themen der Meditation ... die Vorstellung der Vergänglichkeit unübertroffen.«
Die Vergänglichkeit zu betrachten ist der perfekte Weg in die Bardo-Lehren und in die Lehren über den Tod insgesamt. Denn dass sich alles kontinuierlich verändert, ist im Vergleich zu diesen schwierigeren Themen leicht zu erkennen und zu verstehen. Die Jahreszeiten, die Tage, die Stunden des Tages ändern sich. Wir selbst wandeln uns die ganze Zeit und erleben von einem Augenblick zum nächsten viele Veränderungen. Das geschieht überall um uns herum und in uns, rund um die Uhr, ohne auch nur einen Augenblick aufzuhören.
Doch aus irgendeinem Grund verstehen wir das nicht ganz. Wir verhalten uns tendenziell so, als wären die Dinge fester gefügt, als sie es tatsächlich sind. Wir haben die Illusion, dass das Leben so bleibt, wie es jetzt ist. Ein anschauliches Beispiel aus jüngster Zeit ist die Coronapandemie. Wir hielten es für selbstverständlich, dass der Lauf der Welt sich auf eine bestimmte Weise fortsetzen würde, doch dann wurde plötzlich alles solcherart auf den Kopf gestellt, wie wir es uns nie hätten vorstellen können.
Trotz unserer lebenslangen Erfahrung mit Veränderungen hört etwas in uns niemals auf, auf Stabilität zu beharren. Jede Veränderung, selbst eine zum Besseren, kann uns aus der Fassung bringen, weil sie unsere grundlegende Unsicherheit in Bezug auf das Leben offenlegt. Wir glauben lieber, dass wir festen Boden unter den Füßen haben, als zu erkennen, dass alles immer im Wandel begriffen ist. Eher leugnen wir die Realität des ständigen Wandels, als zu akzeptieren, wie die Dinge sind.
Auch bei unseren emotionalen Zuständen halten wir an dem Gefühl fest, sie seien dauerhaft. Ob wir uns gut oder schlecht fühlen, ob wir glücklich oder traurig, optimistisch oder pessimistisch sind – wir neigen dazu zu vergessen, dass Gefühle flüchtig sind. Es ist, als hielte uns ein Mechanismus davon ab, daran zu denken, dass alles immer im Fluss ist. Der derzeitige Zustand der Angst oder der Hochstimmung scheint dann einfach dem zu entsprechen, wie unser Leben ist. Sind wir glücklich, stellt sich Enttäuschung ein, sobald dieses gute Gefühl schwindet; und wenn wir unglücklich sind, fühlen wir uns in unangenehmen Emotionen gefangen. Ob wir uns also gut oder schlecht fühlen, unsere Illusion der Beständigkeit führt zu Problemen.
Der Buddha sprach über unsere Schwierigkeiten, die Vergänglichkeit zu akzeptieren, als er die drei Arten des Leidens lehrte. Er nannte die erste Art »das Leiden des Leidens«. Das sind die offenkundigen Qualen des Krieges, des Hungers, der furchteinflößenden Umgebung, des Missbrauchs, der Vernachlässigung, des tragischen Verlustes oder einer Reihe schwerer Krankheiten. An so etwas denken wir normalerweise, wenn wir von »Schmerz« oder »Leiden« sprechen. Menschen und Tiere, die in einer solchen Situation sind, geraten nahezu pausenlos von einem Leiden ins nächste.
Manche Menschen haben das Glück, das offenkundige Leiden des Leidens nicht zu erleben. Verglichen mit dem, was andere durchmachen, geht es ihnen in ihrem gegenwärtigen Leben recht gut. Aber es bleibt trotzdem noch das Leiden, das aus der Tatsache resultiert, dass nichts von Dauer ist. Wir freuen uns, doch die Freude wechselt sich mit Enttäuschung ab. Wir erleben Erfüllung, aber sie wechselt sich mit Langeweile ab. Wir erleben Genuss, aber er wechselt sich mit Unbehagen ab. Diese Wechsel und all die damit einhergehenden Hoffnungen und Ängste sind selbst eine große Quelle des Schmerzes.
Diese zweite Art des Leidens, die der Buddha einfach »das Leiden der Veränderung« nannte, lauert in unserem Inneren als das schmerzliche Wissen, dass wir niemals wirklich alles haben können, was wir wollen. Wir können nie ein für alle Mal erreichen, dass unser Leben so ist, wie wir es haben wollen. Nie können wir an einen Punkt gelangen, an dem wir uns immer gut fühlen. Vielleicht sind wir manchmal zufrieden und fühlen uns wohl, aber wie meine Tochter einmal sagte: »Das ist das Problem.« Weil es bei uns oft genug gut läuft, kehren wir immer wieder zu der falschen Hoffnung zurück, wir könnten es bewahren, damit es so weitergeht. Wir denken: »Wenn ich nur alles richtig mache, kann ich mich immer großartig fühlen!« Ich glaube, das ist unter anderem ein Grund für Drogenmissbrauch und all unsere anderen Abhängigkeiten. Die zugrunde liegende Sucht ist der Traum von dauerhafter Freude und Annehmlichkeit.
Alle Religionen und Weisheitstraditionen der Welt sprechen davon, dass es vergeblich ist, nach Glück zu streben und dabei auf Dinge zu setzen, die nicht von Dauer sind. Wenn wir solche Lehren hören, überraschen sie uns nicht, und eine Zeit lang haben wir vielleicht sogar das Gefühl, von ihnen überzeugt zu sein. Möglicherweise finden wir es sogar lächerlich, auf so fruchtlose Weise nach Glück zu streben. Doch sobald wir wieder an etwas Neues denken, das wir haben wollen, werfen wir all diese Weisheiten über Bord. Und dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Vergänglichkeit die brandneue Anschaffung oder Errungenschaft wieder verdirbt. Selbst wenn wir am nächsten Morgen keinen Kaffee darauf verschütten, vergeht unsere Freude nach einiger Zeit in nicht allzu ferner Zukunft.
Das klassische Beispiel ist das Verliebtsein. Anfangs ist es das größte Hochgefühl, das man sich nur vorstellen kann. Von da an kann es leicht in größte Enttäuschung umschlagen. Wenn das Hochgefühl nachlässt, müssen die Liebenden – falls sie zusammenbleiben wollen – ihre Enttäuschung überwinden und ihre Beziehung vertiefen. Viele Paare meistern diesen Übergang wunderbar, aber selbst dann ist das absolut großartige Gefühl vorbei, das zwei Menschen, die sich ineinander verlieben, anfangs haben.
Die dritte Art des Leidens, das sogenannte »alles durchdringende Leiden«, spielt sich auf einer tieferen, subtileren Ebene ab als die ersten beiden. Es handelt sich um das ständige Unbehagen, das von unserem grundlegenden Widerstand gegen das Leben, wie es wirklich ist, herrührt. Wir wünschen uns zwar festen Boden unter den Füßen, der uns Halt gibt, doch das ist einfach nicht vorgesehen. Denn in Wirklichkeit verhält es sich so: Nichts kommt jemals zum Stillstand, nicht einmal einen Augenblick. Bei genauem Hinsehen erkennen wir, dass selbst die scheinbar beständigsten Dinge sich fortwährend verändern. Alles ist in Bewegung, und wir wissen nie, in welche Richtung es geht. Wenn sich selbst Berge und Felsen auf unvorhersehbare Weise bewegen und verändern, wie könnten wir dann in irgendetwas Sicherheit finden? Dieses ständige Gefühl der Bodenlosigkeit und Unsicherheit durchdringt unauffällig jeden Augenblick unseres Lebens. Es ist das subtile Unbehagen, das sowohl dem Leiden des Leidens als auch dem Leiden der Veränderung zugrunde liegt.
Auch hier können wir wieder das Sichverlieben betrachten. Ein großer Teil des Nervenkitzels liegt darin, dass diese neue Liebe etwas Frisches in unser Leben bringt. Die ganze Welt fühlt sich frisch an. Doch die Zeit vergeht, und wir wollen, dass alles ganz genau so bleibt, wie es uns gefällt. Das ist der Zeitpunkt, an dem das alles durchdringende Leiden sein Haupt erhebt und die Flitterwochenphase zu Ende geht. Wenn das Neue und Frische nachlässt, fallen den Liebenden allmählich bestimmte Dinge auf, wie zum Beispiel, dass der oder die andere geizig oder überkritisch ist. In irgendeiner Weise wird der Schleier gelüftet, und sie ärgern sich zunehmend übereinander, einfach weil sie so sind, wie sie sind. Als Nächstes versuchen sie oft, sich gegenseitig zu verbessern und den Partner, die Partnerin zum Vorteilhaften hin zu verändern. Doch dieser Ansatz macht es nur noch schlimmer. Eine Beziehung kann nur dann wirklich funktionieren, wenn beide fähig sind, die Gegebenheiten anzunehmen und so, wie sie sind, miteinander zu arbeiten. Das bedeutet, einen Teil ihres allgemeinen Widerstands gegen das Leben, wie es ist, zu überwinden, statt auf einem Leben, wie sie es gerne hätten, zu beharren.
Oft hören wir Äußerungen wie »Keine Sorge, es wird schon alles klappen«. Ich habe so etwas immer als einen Versuch verstanden, uns zu versichern, dass die Situation schließlich entsprechend unseren Wünschen »klappen« wird. Aber sehr oft kommt es nicht so, wie wir es gerne hätten, und selbst wenn es so kommt, ist unsere Freude nur von kurzer Dauer. Und sehr häufig bekommen wir das, was wir nicht wollen. Ach, die Wechselfälle des Lebens!
Trungpa Rinpoche hatte dazu einen Spruch: »Vertraue nicht auf den Erfolg. Vertraue auf die Realität.« Zu glauben, dass es so kommen wird, wie wir wollen, heißt »auf den Erfolg vertrauen« – Erfolg zu unseren Bedingungen. Aus eigener Erfahrung wissen wir jedoch sehr genau, dass Erfolg nichts Verlässliches ist. Manchmal kommt es tatsächlich so, wie wir es uns wünschen, manchmal...
Erscheint lt. Verlag | 21.6.2023 |
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Übersetzer | Claudia Seele-Nyima |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | How we live is how we die |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Esoterik / Spiritualität |
Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Östliche Weisheit / Alte Kulturen | |
Schlagworte | 2023 • Abschied • Angst vorm Sterben • Buddha • Buddhismus • eBooks • Eckhart Tolle • Erfülltes Leben • Meditation • Neuerscheinung • Resilienz • Sinn • spirituelle Bücher • Sterblichkeit • Tod • Transzendenz • Trauer • Vergänglichkeit • Verwundbarkeit |
ISBN-10 | 3-641-30293-5 / 3641302935 |
ISBN-13 | 978-3-641-30293-1 / 9783641302931 |
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