Kopfsache Fußball. Wie das Spiel mental entschieden wird (eBook)
272 Seiten
Edel Sports - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
978-3-98588-041-6 (ISBN)
Dr. Christian Spreckels, Jahrgang 1964, ist Sportwissenschaftler, Psychologe und Mentaltrainer. Er betreute u.a. die Bundesliga-Teams des HSV und des FC St. Pauli sowie verschiedene Tennisprofis. Spreckels ist Dozent an der Universität Hamburg im Institut für Bewegungswissenschaft und betreibt selbst verschiedenste Sportarten von Kitesurfen bis Tennis.
Dr. Christian Spreckels, Jahrgang 1964, ist Sportwissenschaftler, Psychologe und Mentaltrainer. Er betreute u.a. die Bundesliga-Teams des HSV und des FC St. Pauli sowie verschiedene Tennisprofis. Spreckels ist Dozent an der Universität Hamburg im Institut für Bewegungswissenschaft und betreibt selbst verschiedenste Sportarten von Kitesurfen bis Tennis.
4 Motivation:
„Because it’s there“
„Weil er da ist.“ Dies war die Antwort von George Mallory im Sommer 1924 auf die Frage, warum er und Andrew Irvine den Mount Everest besteigen wollten, was bis dahin noch kein Mensch jemals in Erwägung gezogen hatte. Ob sie die Erstbesteigung schafften oder ob Edmund Hillary und Tenzing Norgay 1953 die Ersten waren, ist bis heute ungeklärt, denn sie kamen nie zurück. Manche Menschen wie Mallory und Irvine tun Dinge, um sie zu tun, nicht, um etwas dafür zu bekommen, sei es Anerkennung, Aufmerksamkeit (der Leute, der Medien) oder Geld, das ist ihnen erst einmal egal.
Gemäß der Selbstbestimmungstheorie nach Deci und Ryan haben alle Menschen drei wesentliche Bedürfnisse, deren Erfüllung zu Motivation und Wohlbefinden führt: Autonomie, Kompetenz und soziale Eingebundenheit. Entscheiden zu können, ob, mit wem und auf welchen Berg man steigt, sind nach dieser Theorie die maßgeblichen Faktoren für Motivation. Das gilt im Prinzip für unser Handeln allgemein, nicht nur in Bezug auf Bergsteigen oder andere Sportarten, sondern auch außerhalb des Sports.
Die Hoffnung, etwas für sein Tun zu bekommen, ist eine Motivation, die von außen kommt, die „extrinsisch“ ist. Sie setzt weniger Energien frei als die Motivation, die von einem selbst kommt, die „intrinsische“, und die an die Erfüllung der genannten Grundbedürfnisse geknüpft ist. Letztendlich ist Motivation der Ausdruck aller Motive, die ein Mensch hat. Dass Diego Armando Maradona trotz zahlreicher Angebote zunächst beschloss, bei seinem ersten Klub zu bleiben, zeigt, wie sehr er anfänglich seinen Grundbedürfnissen gerecht geworden ist: Seine Leistung zu zeigen und selbst zu entscheiden, was er wann und wie macht, waren die entscheidenden Faktoren. „Ruhm interessiert mich mehr als Geld; deswegen bleibe ich bei den Boca Juniors, weil sie mich brauchen“, gab er in einem Interview zu verstehen. Das hat auch seinem Wunsch, von allen geliebt zu werden und nach Achtung entsprochen. Letztere wird in zwei Subkategorien eingeteilt: Selbstachtung und Achtung durch andere. Um die Selbstachtung zu bekommen, entsteht der Wunsch nach Stärke, Leistung und Kompetenz; in seiner Bedürfnispyramide geht der Psychologe Abraham Maslow davon aus, dass die Achtung seitens anderer das Verlangen nach einem guten Ruf oder Prestige beinhaltet, die bei Maradona ein immer stärkerer Antreiber wurde. Dass er aus ärmlichen Verhältnissen kam – „das Wasser, das bei Regen durch die Decke tropfte, sammelte die Familie in Eimern und Töpfen, weil es im Haus kein fließendes Wasser gab“ –, scheint dennoch nicht sein Hauptmotivator gewesen zu sein. Denn ihm war zunächst nicht daran gelegen, diesen Verhältnissen zu entfliehen, sondern vor allem daran, gut Fußball zu spielen und eben dafür bewundert zu werden. Das änderte sich, als „Diego mit 18 zum Hauptversorger der Familie wurde und seinen Vater bat, nicht mehr arbeiten zu gehen“. Ähnlich beim wohl legendärsten Fußballspieler aller Zeiten, bei Pelé. Auch er kam aus sehr einfachen Verhältnissen und hat, als sein Vater, der ebenfalls Fußball spielte, sich verletzte und kein Geld mehr bekam, als Schuhputzer Geld für die Familie dazuverdient, ohne dass dies jemand von ihm forderte. Er sagte schon damals, er müsse seine Familie unterstützen. Zlatan Ibrahimović wiederum lernte in Rosengård, einem Vorort von Malmö, der als sozialer Brennpunkt gilt, die harte Seite des Lebens früh kennen. Und Cristiano Ronaldo wuchs auf Madeira in ärmlichen Verhältnissen auf (die Familie konnte sich nur das Nötigste leisten). Kaum anders waren die Verhältnisse, aus denen Lionel Messi kam. Er wuchs in dem Arbeiterviertel La Bajada in Rosario auf und lernte in seiner Familie schon früh das, was später eine besondere Bedeutung bekommen sollte: Zusammenhalt. Trotz einer seltenen Wachstumsstörung war er so auffällig gut, dass der Spielervermittler Horacio Gaggioli ihn, als seiner Familie in der Wirtschaftskrise die Kostenübernahme für die Hormonbehandlung gestrichen wurde und kein Klub in Argentinien einspringen wollte, an die Akademie La Masia des FC Barcelona vermittelte. Dort absolvierte er im Alter von 13 Jahren ein Probetraining, bei dem er die Verantwortlichen so sehr begeisterte, dass sie die ganze Familie nach Barcelona holten, die Hormontherapie bezahlten und Vater Jorge eine Arbeitsstelle verschafften. Von einem auf den anderen Tag hing die gesamte Existenz von Lionels Familie von seiner Leistung ab. Auch Neymar wuchs in ärmlichen Verhältnissen in Praia Grande auf. Da seine Eltern nicht über das Geld verfügten, ihn zum Fußball zu schicken, spielte er mit Gleichaltrigen in der Favela auf der Straße. Kylian Mbappé wuchs in Bondy, einem Vorort von Paris, in einem Sozialbau auf, der berüchtigt war für seine Kriminalität. Im gleichnamigen Fußballklub fing Mbappé an, weil er einfach immer nur spielen wollte. Die widrigen Lebensumstände für die Familie verbessern zu können, ist für viele Fußballspieler vielleicht früher oder später, ob sie diese so wollen oder nicht, eine starke extrinsische Motivation. Motivierend ist sie bis zu einem gewissen Punkt trotzdem, aber sie beinhaltet viel Druck und drängt das ursprüngliche Motiv, einfach Fußball zu spielen, das Pelé, Ibrahimović, Ronaldo, Messi, Neymar, Mbappé und vermutlich die meisten Fußballspieler – Maradona spielte mehr oder weniger den ganzen Tag auf einer holperigen Wiese – antrieb, in den Hintergrund. Das eigentliche „sportimmanente Motiv“, wie es in der Psychologie genannt wird, verliert somit an Bedeutung. Interessanterweise ist genau dieses später oft wieder ein Thema: „Ich möchte einfach mal wieder nur Fußball spielen dürfen“, sagte in diesem Kontext neulich ein Fußballspieler zu mir und bat mich, mit ihm einen Weg zu finden, diesen Wunsch verwirklichen zu helfen. Rausgekommen aus nicht ganz so guten Verhältnissen war er schon längst, wie Maradona auch aus sehr armen Verhältnissen. Aber ist das Motiv genug? Offensichtlich dann doch: „Diego, der Junge aus Fiorito“, so heißt es in der Biografie Maradona – Fußball ist mein Glück, „der sich die Nase an der gläsernen Wand plattgedrückt hatte, die seine Welt von der restlichen trennte, und stets von einem anderen Leben geträumt hatte, verliebte sich in den erwachsenen Maradona, weil der all das besaß, was er einst haben wollte: Autos, Frauen, Schmuck. Und ständige Bewunderung.“ Das Grundbedürfnis, gut Fußball zu spielen, rückte, obwohl er es weiterhin tat, immer mehr in den Hintergrund (ob er es wollte oder nicht).
An der Spitze der Bedürfnishierarchie, die das Wachstumsbedürfnis beinhaltet, steht die Selbstverwirklichung, die, wie nicht nur im Falle Maradona, als fast abgeschlossen gilt, wenn mehr Ruhm gar nicht mehr möglich ist. Das war bei Maradona 1984 der Fall, als nach seinem Wechsel vom FC Barcelona zum SSC Neapel 70 000 Zuschauer ins Stadion kamen: „Neapel war bereit, Diego als seinen neuen Stadtheiligen anzubeten, und Diego sehnte sich nach dieser Art Verehrung. Und er fühlte sich wohl, weil er vordergründig zu seinen Wurzeln zurückgekehrt war. Hier war er wieder der Junge aus dem Viertel, geprägt von den engen Gassen mit ihren schäbigen, von der salzigen Meeresluft verwitterten Häusern.“ Er passte mehr zu Neapel als „ins bürgerliche Barcelona“. Ein Umstand, der sich für ihn gut anfühlte und der ihn motivierte. „Er impfte der Mannschaft eine Siegermentalität ein“, heißt es über seine Zeit bei Neapel, „und führte sie zu zwei Meisterschaften, einem italienischen Pokalsieg, einem Super Cup und einem UEFA-Pokal.“ Schon zu dem Zeitpunkt, spätestens aber im Zusammenhang mit den beiden Weltmeisterschaften 1986 und 1990, erlangte sein „Kultstatus“ seinen Höhepunkt: „Der dunkelhäutige kleine Emporkömmling aus Villa Fiorito schrieb Geschichte“, er „hatte auf der größten Bühne der Welt ein Meisterstück inszeniert, und jetzt wurde von der Welt ein Mythos geschaffen, der dieser Arbeit würdig war.“ Am Ende blieb er aber nicht aufgrund der anfänglichen großen Zuneigung volle sieben Jahre beim SSC Neapel und bestritt dort die meisten Ligaspiele, nämlich 188, mehr noch als bei den Argentinos Juniors (166), sondern weil man ihn trotz oder gerade wegen verschiedener lukrativer Angebote nicht gehen ließ, obwohl er wegwollte. „Der lukrative Sechs-Jahres-Vertrag, den Diego 1987 unterzeichnet hatte, wurde zum goldenen Käfig.“ Auch das trug dazu bei, dass man in der Zeit, so Fernando Signorini in der TV-Sendung Malditos, „auf seinem Gesicht eine Art Traurigkeit und Desillusionierung erkennen“ konnte. Der so auf Verehrung angewiesene Maradona wurde nach dem gewonnenen Halbfinale der Argentinier 1990 gegen Italien, das ausgerechnet in Neapel ausgetragen wurde, nicht mehr verehrt, sondern, ganz im Gegenteil, gehasst. Das machte sehr viel mit ihm und führte dazu, dass er sich immer weniger auf den Fußball fokussierte.
Die Frage war, wie es weitergehen kann, wenn jemand in der Bedürfnispyramide ganz oben angekommen ist. Wie ihm ausbleibende Achtung zusetzen würde, ahnte Pelé wohl, als er Maradona in einem persönlichen Gespräch warnte: „Nehmen Sie den Applaus an, aber leben Sie nicht für den Applaus.“ Denn Maradonas stark ausgeprägtes Beziehungsmotiv – „er wollte nichts für sich selbst herausschlagen, sondern es ging ihm um das Team“ –, prägte ihn weiterhin. Die Befriedigung dieses Beziehungsmotives aber blieb immer mehr aus, zumal als ihn die Menschen in Italien zu verachten begannen. Bei so viel Aufmerksamkeit, die er auf sich zog – er konnte kaum einen Schritt machen, ohne dass Menschen sich um ihn drängten –, war es ihm auch nicht möglich, sein Bedürfnis nach Autonomie...
Erscheint lt. Verlag | 5.11.2022 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sport ► Ballsport ► Fußball |
Schlagworte | Analyse • Bundesliga • Coaching • FC St. Pauli • Fußball • Fußball Analyse • Fußball-Buch • fußball taktik • Fußball Training • Fußball-Training • Fußball Weltmeisterschaft • Fußball WM • Hansi Flick • Julian Nagelsmann • Jürgen Klopp • Leistungs-sport • Leistungssport • Marco Rose • Mentalcoach • Mental-coach-ing • Mental Coaching • Mentaltrainer • Mentaltraining • Mental-Training • Nagelsmann • Nationalmannschaft • RB Leipzig • Sport-Buch • Sportpsychologie • Sport-Psychologie • Taktik • Weltmeister-schaft • WM • WM Katar |
ISBN-10 | 3-98588-041-7 / 3985880417 |
ISBN-13 | 978-3-98588-041-6 / 9783985880416 |
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