Zucker, Vagus, Bulimie -  Inke Jochims

Zucker, Vagus, Bulimie (eBook)

Belohnung statt Heißhunger. Eine Zusammenfassung

(Autor)

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2022 | 5. Auflage
132 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7568-0418-4 (ISBN)
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Dies ist eine Zusammenfassung der vierbändigen Reihe 'Zucker, Vagus, Bulimie', deren erster Band im Frühjahr 2021 erschien. Das Buch enthält alle wesentlichen Überlegungen zur Heilung sogenannter "Essstörungen", die in den folgenden Bänden ausführlich entwickelt und dargelegt werden. In diesem Buch wird eine grundsätzlich neue, auf neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Betrachtung der "Essstörungen" Bulimie und Binge Eating aufgezeigt. Die Ursache der gefürchteten "Attacken", die das Leben der Betroffenen so unerträglich machen, ist nicht, wie lange Zeit angenommen, Heißhunger, sondern eine Entgleisung des "Belohnungssystems". Es wird dargestellt, warum Essen belohnend wirkt, auch wenn es nicht verstoffwechselt und wieder abgegeben wird, warum also besonders Bulimie eine Form von Sucht ist und keine "Essstörung". Ebenso wird erklärt, wie und warum die gefürchteten Attacken auftreten und warum es eben nicht möglich ist, sich aus Attacken "herauszuessen". "Attacken" beruhen nicht auf mangelndem Wissen oder narzisstischen Idealen. Sie beruhen darauf, dass Essen, und zwar hochkalorisches, hochbelohnendes Essen, während der unkontrolliert auftretenden emotionalen Flashbacks als Mittel der Stressreduktion und somit der Emotionsregulierung eingesetzt wird. Diese Erkenntnis eröffnet neue Möglichkeiten der Interpretation und folglich der Heilung.

Inke Jochims, Jahrgang 1963, lebt und arbeitet seit vielen Jahren in Berlin. Sie hat viele Jahre als Coach und Therapeutin gearbeitet und gibt nun ihr Wissen in Form von Online-Kursen, Trancen und Meditationen sowie Büchern weiter. Zudem ist sie auf YouTube mit ihrem Kanal "Jochims-Methode" aktiv. www.frei-von-essattacken.de/, www.jochims-entspannung.de, www.jochims-buecher.de

KAPITEL 2

Die eigene Betroffenheit

Ich selbst war nie bulimisch, komme aber aus einer extrem dysfunktionalen und in hohem Maße essgestörten Familie.

Meine Mutter wurde nie als essgestört diagnostiziert. Das war nicht möglich, denn als sie jung und ich ein Kind war, gab es diesen Begriff noch gar nicht. Aber sie hatte definitiv Essattacken.

Ihre Mutter, meine Großmutter, war das Paradebeispiel einer Mutter, die ihre Kinder in eine Essstörung hineintreibt. Sie verwechselte konstant Essen mit Liebe.

Es dauerte Jahre, Jahre der Eigentherapie und der therapeutischen Ausbildung, bis ich endlich so weit war, mich zu fragen, warum und in welchen Situationen diese Großmutter zu sprechen begann wie ein dreijähriges Kind? Eine dieser Situationen waren Mahlzeiten.

Meine Großmutter liebte es zu „füddan”, wie sie sagte. Wenn ich nach dem dritten Stück Kuchen oder nach dem vierten Brötchen die weitere Nahrungsaufnahme verweigerte, wurde sie zu einem quengeligen, kleinen, weinenden Kind.

„Hach“, sagte sie. „Hach. Im Kriech durfte ich doch nie füddan. Nie füddan.”

Sie pflegte dann ein wenig zu weinen.

„Nie füddan. Nie füddan. Lasst mich doch endlich mal füddan.

„Ich hab euch doch so lieb“, sagte sie, „und wen man lieb hat, den muss man doch füddan.”

Sie quengelte, bis ich das vierte Stück Kuchen oder das fünfte Brötchen hinuntergewürgt hatte.

„Füddan“ – dieses Wort wird mir ewig in Erinnerung bleiben.

Meine Tante Wiebke, die Schwester meines Vaters, suizidierte sich im Alter von 27 Jahren, weil sie unheilbar unter Binge Eating litt.

Sie war so übergewichtig, dass sie nicht wie sie es sich wünschte heiraten und Kinder bekommen konnte. Sie war, als sie starb, so allein, dass man sie erst fand, als es schon nicht mehr möglich war, mithilfe einer Obduktion den genauen Todestag festzustellen.

Ein Feuerwehrmann trat im September 1964 die Tür zu ihrer Wohnung ein und fand ihre monströs schwere und schon verweste Leiche in der Badewanne.

Auch in ihrem Fall gilt: Die Kondition „Essstörung“ gab es in den fünfziger/sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts schon, den Begriff, geschweige denn einen Heilungsansatz dafür, gab es nicht.

Meine Großmutter väterlicherseits, die Mutter dieser Tante, litt unter nächtlichen Essanfällen. Es dauerte bis zu meinem 59. Lebensjahr, bis eines ihrer Kinder endlich bereit war, darüber zu sprechen.

Sie war so übergewichtig, dass sie kaum noch gehen konnte. Sie starb lange vor ihrer Zeit an einem schweren Schlaganfall.

Mein Großvater, ihr Ehemann, war einer der ersten Ärzte – er promovierte im Jahre 1925 –, die dazu forschten, wie man Kinder mit Hilfe von Ernährung dicker macht. Das war in dieser Zeit eine medizinisch wichtige Frage, denn die meisten Kinder waren zu Beginn des letzten Jahrhunderts auf der Basis faktischen Nahrungsmangels viel zu dünn und litten aufgrund der Unterernährung an einem typischen Appetitmangel.

Die Frage, wie man Kindern hilft zuzunehmen, wenn sie gelernt haben, eben nicht mehr zu essen und faktisch anorektisch waren, kommt uns heute absurd vor, damals war sie es gewiss nicht.

Mein Großvater hatte die „richtige” Eingebung, denn Nahrungsmittel und ihre Wirkung auf den Körper waren noch nicht erforscht. Er empfahl eine Mischung aus Sahne und Zucker. Er empfahl auch, Kinder möglichst frühzeitig abzustillen und mit Sahne und Zucker zu füttern, eben damit sie gar nicht erst so abmagerten. Das waren seinerzeit – 1925 – die neuesten Erkenntnisse.

Wir wissen heute, dass das frühe Abstillen das Immunsystem des Kindes entscheidend schwächt, damals wusste man das nicht.

Die Ernährungslehre meines Großvaters wurde umgehend auf seine älteste Tochter angewandt. Das Kind starb, mit dieser Ernährung „gesegnet”, im Alter von zwei Jahren an Leukämie. Die Medizin, besonders die Onkologie, steckte in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts noch in den Kinderschuhen. Wir können nicht wissen, ob das Kind auch mit einer gesünderen Ernährung erkrankt und gestorben wäre. Aber der Zusammenhang zu einer sehr krank machenden Ernährung ist zumindest auffällig.

Doch nicht nur sie, alle Mädchen dieser Familie reagierten auf die falsche Ernährung. Die jüngste Schwester des verstorbenen Mädchens beispielsweise, meine inzwischen verstorbene Tante Silke, litt lebenslänglich unter einer schweren und entstellenden Form von Akne, die ebenfalls durch einen zu hohen Konsum von Sahne und Zucker ausgelöst werden kann.

Meine Großmutter kam nie über den Tod ihrer ältesten Tochter hinweg. Sie ließ die Wut über diesen Verlust an ihren weiteren Kindern aus. Sie malträtierte ihre Kinder, auch meinen Vater, die allesamt an ihrer Form der Erziehung, wir würden sie heute als schwere Kindesmisshandlung bezeichnen, seelisch zerbrachen.

Sie misshandelte alle ihre Kinder, bis auf einen Sohn, meinen letzten noch lebenden Verwandten aus dieser Familie, einen Onkel.

Dieser Onkel ist auch das einzige Kind von fünf überlebenden Kindern, das nie essgestört reagierte, bis heute, im Alter von 86 Jahren gertenschlank ist und eine gesunde und angemessene Ernährung mit viel Salat und Gemüse bevorzugt. Er wurde gesund alt, älter als alle seine Geschwister je wurden.

Vielleicht war die Eingebung meines Großvaters, als er promovierte, auch nicht wirklich eine Eingebung, sondern eine konkrete Beobachtung. Sein Vater nämlich, mein Urgroßvater, war Kolonialwarenhändler und sein Sohn hatte von Kindheit an all die Nahrungsmittel zur Verfügung, die heute selbstverständlich für uns sind, zu Beginn des 20. Jahrhunderts aber ein unglaublicher Luxus waren: Schokolade, Bonbons, Kekse, Kuchen, Weißbrot, Kakao, Kaffee, Büchsensahne und Fleisch.

Mein Großvater konnte schon als Kind beobachten, dass die Kinder, die an den Händen der reichen Frauen der Hamburger Oberschicht in den Läden seines Vaters erschienen, rotwangig waren – eine euphemistische Beschreibung für „adipös“.

Bevor sich die Kalorientheorie etablierte, muss er aus den Beobachtungen seiner Kindheit geschlossen haben, dass „Rotwangigkeit” etwas mit Reichtum und dem Kauf von Büchsensahne zu tun hatte – anders als Blässe, die mit Armut und dem Mangel an Essen assoziiert wurde. Und das gab er in seiner Promotion auch weiter.

Mein Großvater väterlicherseits war, nach allem, was mein Vater über ihn erzählte, zuckersüchtig. Er aß chronisch Schokolade, sobald sie nach dem Krieg wieder verfügbar war. Auch er war übergewichtig, wenn auch nicht so sehr wie meine Großmutter.

Wenige Monate nach dem Suizid seiner Tochter, setzte er sich im Alter von 65 Jahren, am Tag seiner Berentung, direkt aus der Klinik kommend, in der er bis zuletzt als Chefarzt gearbeitet hatte, neben seine Frau ins Auto, fiel vornüber und war tot.

Meine Großeltern hatten sich zu diesem Zeitpunkt schon so „auseinandergelebt“, so dass nicht klar war, ob mein Großvater Selbstmord beging oder sein Herz bei dem Gedanken, das jetzt endgültig einsetzende Alter mit seiner Frau verbringen zu müssen, aussetzte.

Da es in der autoritären westdeutschen Gesellschaft von 1965 noch keine suizidalen Chefärzte gab, wurde er sofort in sein „eigenes“ Krankenhaus gebracht, wo sein ehemaliger Oberarzt „Herzinfarkt” auf den Totenschein schrieb. Was seinerzeit in diesem Auto wirklich geschah, ist heute nicht mehr nachvollziehbar.

Ich kann also mit Fug und Recht behaupten, in der Mitte eines heraufziehenden Sturms geboren worden zu sein.

Und ich habe in der Mitte dieses heraufziehenden Sturmes das „große Sterben“ gesehen, in den Jahren, von denen Douglas Lisle später sagte:

„Es ist eine der großen Tragödien der Menschheit, dass die
Menschheit zuerst genügend zu essen hatte und dann erst erkannte,
wie Gehirn und Essen zusammenwirken.” (Lisle, 2017)
(Übersetzung von Inke Jochims)

Und weil ich das Essen und das Sterben sah, Jahre, bevor die niemals ausgerufene Pandemie „Übergewicht” ausbrach, hatte ich genügend Gelegenheit, die Gegebenheiten, das Verhalten von Menschen zu beobachten, bevor mir die kollektiv geglaubte Theorie namens „Restraint Eating” vermittelt wurde.

Und ich hatte genügend Zeit und Gelegenheit, mir das von dieser Theorie angerichtete Elend genauer anzusehen und schließlich selbst zu erfahren.

Ich selbst war trotz einer Ernährung mit billigen Fetten, billigem Fleisch, Mehlschwitze, Nudeln und Zuckersauce über dem Salat bis zum Alter von 15 Jahren schlank. Das muss daran gelegen haben, dass ich sehr viel Rollschuh lief. Es gab, wohl zu meinem Glück, noch keine Computerspiele. Aber dann erkrankte ich an einer juvenilen Form der Polyarthritis (Gelenkrheuma) und bekam deshalb diverse Medikamente, unter anderem Cortison.

Cortison...

Erscheint lt. Verlag 14.9.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Psychologie
Geisteswissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie
Geisteswissenschaften Psychologie Persönlichkeitsstörungen
ISBN-10 3-7568-0418-6 / 3756804186
ISBN-13 978-3-7568-0418-4 / 9783756804184
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