Damals - Zwei Eifeler auf dem Jakobsweg (eBook)

Als die Pilgerreise noch ein echtes Abenteuer war

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
Kraterleuchten GmbH (Verlag)
978-3-98508-026-7 (ISBN)

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Damals - Zwei Eifeler auf dem Jakobsweg - Hans Nieder
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Damals: Als der Jakobsweg noch ein echtes Abenteuer war! Als sich die Brüder Hans und Rudolf Nieder ein Jahr nach der Jahrtausendwende auf den Jakobsweg begaben, war noch nichts zu spüren von dem Hype, der heute jedes Jahr tausende Menschen bewegt, das Apostelgrab in Santiago de Compostela als Pilger zu besuchen. In Saint-Jean-Pied-de-Port, dem klassischen Startpunkt des Weges am Fuße der Pyrenäen, trugen sie sich am 1. März 2001 als die Pilger Nummer 12 und 13 des Jahres im Pilgerbüro ein und erlebten auf ihrer dreißigägigen Wanderung durch die neun Provinzen im Norden Spaniens den Mythos Jakobsweg in einer Stille, die heute der Vergangenheit angehört. An vielen Tagen trafen sie auf keine Pilger, schliefen alleine in kargen Refugios und standen in historisch wertvollen Kirchen und Orten, an denen sich die Legenden des Jakobsweges abgespielt haben. Nach ihrer Ankunft in Santiago de Compostela fanden sie am frühen Morgen des nächsten Tages die Kathedrale ohne Besucher vor und hatten eine faszinierende Zeit in der Krypta am Jakobsgrab für sich alleine. Es war vielleicht das letzte Jahr der Stille am Jakobsweg, denn schon drei Jahre später, als sie sich gemeinsam mit Sven Nieder noch einmal auf den Weg begaben, wurden sie überrascht von der Anzahl der Pilger und den damit verbundenen Veränderungen.

Hans Nieder, Jahrgang 1951, betrachtet die Zeit auf dem Jakobsweg in Deutschland, Frankreich und Spanien, auf dem er insgesamt 3200 Kilometer gewandert ist, als ein Geschenk, für das er tiefe Dankbarkeit empfindet. Dies gilt auch für die 2000 Kilometer weite Radtour, die er 2014 mit zwei Freunden unternahm und die von der Eifel zum Petersdom in Rom führte. Sein Faible für Abenteuer und Entdeckungen wird auch in der Organisation der Dauner Fototage sichtbar, die er erstmals 2010 veranstaltete und zu einem Fotofestival ausbaute, das inzwischen über 20.000 Besucher in seinen Bann gezogen hat.

5


Am nächsten Morgen kontrollierte ich noch einmal sorgfältig die Position des Rucksacks, verkürzte die Schultergurte ein wenig und sorgte so dafür, dass der Beckengurt noch etwas höher und fester auf dem Becken saß. Schon die ersten Schritte zeigten, die kleine Korrektur bewirkte Wunder und der ziehende Schmerz in der Schulter verabschiedete sich rasch. Erleichtert und befreit von der Sorge, marschierte ich mit meinem Bruder in das Zentrum der Stadt. Der Tag drang schon wärmend in die schmale Gasse der Calle Mayor, während auf dem Marktplatz die Händler noch ihre Stände aufbauten. Um den Marktplatz führte ein schöner Arkadengang, in den die Morgensonne ein heiteres Bild aus Licht und Schatten zeichnete. Die kleinen Lädchen unter den Arkaden kennzeichneten über ihren Ladentüren auf einfachen Schildern, was sie anboten: Alimentos, Paneria, Carnicería, Frutas. Überall herrschte reger Betrieb, man unterhielt sich lebhaft, lachte und palaverte, während man scheinbar ganz nebenbei die Lebensmittel für den Tag einkaufte.

Gleich neben dem Markt bewunderten wir die aufwendige Bildhauerkunst an der großen Stadtkirche aus dem 12. Jahrhundert. Ein schmiedeeiserner Zaun trennte den Vorhof der Kirche von der lauten Calle Mayor und schuf einen überraschenden Ruhepol inmitten emsiger Betriebsamkeit. Wir gingen in die Kirche hinein und waren erst einmal gefangen von einer gänzlichen Stille. Das Licht der Sonne fiel hell durch ein Kirchenfenster auf den goldfarben glänzenden Hochaltar und gab dem Augenblick einen erwärmend besinnlichen Moment. In der vorderen Bank saßen einige ältere Frauen in schwarzen Kleidern vor einem Beichtstuhl, sonst waren wir alleine in der Kirche. Die Stille hielt uns eine geraume Zeit in ihrem Bann und die große Jakobus Statue, die von der Kirchenwand auf uns herabzuschauen schien, unterstrich die besondere Atmosphäre. Die besinnliche Stimmung zerbröselte im lauten Treiben der Calle Mayor rasch wieder, und wir schlenderten neugierig durch die Gassen, schauten hier und dort in kleine Läden und genossen das unverfälschte Flair einer spanischen Kleinstadt.

Bald standen wir an der legendären Puente del Arga, der steinernen Brücke, die seit über 1.000 Jahren den Fluss überspannt und den Pilgern seit dieser Zeit einen sicheren Übergang an das andere Ufer gewährt. Wahrscheinlich war es Doña Mayor, Gemahlin von König Sancho III., die zu Beginn der ersten Jahrtausendwende die Brücke erbauen ließ. Von der gegenüberliegenden Seite hatte man einen traumhaft schönen Blick auf die romanische Brücke und die dahinter liegenden Stadt. Die Spitzen der Kirchen schauten aus dem Gewirr alter Dächer heraus und schufen einen Anblick, bei dem es nur ein wenig Fantasie bedurfte, um sich für einen Moment in der Zeit früherer Jahrhunderte zu wähnen.

In Puente la Reina vereinen sich der Navarrische mit dem Aragonischen Weg und bilden fortan den Camino Francès. Die im 12. Jahrhundert errichtet Puente la Reina, die »Brücke der Königin« führt die Pilger seit dieser Zeit sicher über den Fluss Arga.

Wie sich später herausstellte, begann an diesem Morgen eine der schönsten Etappen auf unserem gesamten Weg. Inmitten des navarresischen Kernlandes führte uns ein naturbelassener Feldweg in stetigem Auf und Ab durch eine einzigartig reizvolle Landschaft. Grünsilbern glänzende Olivenhaine, farbenprächtige Frühlingswiesen und Weinfelder, auf deren rotbrauner Erde die Rebstöcke kurz vor ihrem Austrieb standen, säumten den paradiesisch anmutenden Weg. Gelangte man aus einer Senke des Weges wieder auf eine Kuppe, war man schon in Vorfreude, neue Dörfer auf entfernten Hügeln zu entdecken, die in pittoresker Anmutung, wie helle Perlen auf dem frischen Grün der Landschaft lagen.

Das kleine Bergdorf Cirauqui, dessen baskischer Name übersetzt Kreuzotternnest bedeutet, war ein besonderes Juwel. In der steilen Gasse hinauf zur Kirche San Román deutete jedoch nichts darauf hin, was uns zur Vorsicht mahnen sollte. Vielmehr begeisterte uns das reich dekorierte Portal an der im 13. Jahrhundert erbauten Kirche, die sich ihre Bewunderung jedoch mit der Kirche Santa Catalina teilen musste, die ebenfalls im13. Jahrhundert errichtet wurde und nicht minder faszinierte. Welch überschäumende Begeisterung muss die Menschen seinerzeit beflügelt haben, in diesem kleinen Ort gleich zwei Kirchen mit diesen beeindruckenden Ausmaßen zu errichten. Alles in dem Dörfchen schien unverfälscht die Jahrhunderte verschlafen zu haben, und ganz offensichtlich freuten sich die Bewohner erste Pilger im Jahr zu sehen, denn aus manchem Fenster wurde uns ein freundliches »buen camino« zugerufen, und begegnete uns jemand auf der Straße, wurde uns, obwohl die gelben Markierungen des Jakobswegs unübersehbar waren, mit großem Eifer der weitere Weg erklärt.

Es fiel ein wenig schwer, sich von dem schönen Ort zu verabschieden und auf der teils noch gut erhaltenen römischen Heerstraße, die seinerzeit die Verbindung des römischen Reiches zur Provinz Galizien sicherstellte, den Weg fortzusetzen. An der Brücke, die den Fluss Salado überquerte, erinnerte ich mich an einen Bericht aus den Aufzeichnungen des Aimeric Picaud, der dort schrieb: »Wagt nicht von dem Wasser zu trinken, nicht Du und nicht Dein Pferd, denn es ist ein todbringender Fluss. Zwei am Fluss sitzende Navarreser belogen uns und sagten, das Wasser sei trinkbar. So tränkten wir dort unsere Pferde. Noch auf der Stelle starben uns zwei Pferde, die dann umgehend von den Navarresern, vor unseren Augen, enthäutet wurden«. Wir schauten eine Weile von der Brücke hinunter auf den friedlich gluckernden Fluss, der sanfte Wasserkringel auf der Oberfläche malte und ein Bild bot, das in seiner Idylle gänzlich ungeeignet war, als Vorlage für diese Schauergeschichte zu dienen.

Immer wieder führte der Weg auf der römischen Heerstraße, die seinerzeit Bordeaux mit Galizien verband, über uralte Steinbrücken, welche Jahrhunderte überdauert hatten.

Unser nächstes Ziel war Estella, eine alte Frankensiedlung, die zu Beginn der Blütezeit des Jakobsweges im 12.Jahrhundert von Sancho Ramirez gegründet wurde. Bei unserer Ankunft am späten Nachmittag spiegelte sich die festungsartige Kirche San Miguel mit ihren faszinierenden Skulpturen auf der glatten Wasseroberfläche des Río Ega und gab ein atemberaubend schönes Bild ab. Die Figuren an ihrer Fassade erzählten von der erlösenden Glaubensgeschichte, warnten in drastischen Darstellungen aber auch vor einem sündigen Leben, das in der Hölle enden würde. Denn neben den Heiligen und beschützenden Engeln, starrten auch fratzenhafte Dämonen aus den Steinen heraus, die den Menschen des Mittelalters wohl tiefe Furcht eingeflößt hatten.

In einer kleinen Gasse hinter der Brücke San Miguel fanden wir ein einladendes Refugio mit einem sehr schönen Schlafraum, in dem wir uns die Betten aussuchen konnten, da wir wieder einmal alleine waren. Ein wenig später trafen jedoch Kate und Kristina ein, gemeinsam machten wir uns wenig später auf die Suche nach einem Restaurant. Die Abende waren auch nach sonnigen Tagen noch recht kalt, und an diesem Abend zog ein besonders unangenehm kalter Wind durch die Gassen. Wir waren froh, am Marktplatz noch einen Platz in einer belebten Bar zu finden, wärmten uns an einer Tasse Tee und schauten auf den großen Marktplatz, der sich an diesem Samstagabend schon bald mit vielen Menschen füllte. Kinder beherrschten die Szenerie, und es störte offensichtlich niemanden, wenn sie zwischen den Leuten umherrannten, mit ihren Rädern Slalom in der Menge fuhren, oder sich über den Köpfen der Alten die Bälle zuschossen. Der Lärmpegel in der Bar erreichte irgendwann ungeahnte Höhen, es war ein pulsierend lautes Treiben mit einem sympathischen Ausdruck spanischer Lebensfreude. Geduldig warteten wir auf einen Wink des Wirtes, der kurz vor 9 Uhr mit der Hand zur Treppe deutete und damit anzeigte, dass er das Comedor bald öffne.

Vor der noch verschlossenen Eingangstür des Restaurants in der ersten Etage saß ein junger Mann auf der Treppe, den wir schon kurz gesehen hatten, als er am Vortag spät in der Dunkelheit in das Pilgerhotel Jakue in Puente la Reina hereinstürmte. Unsere Frage »do you speak english« beantwortete er in bayrischem Akzent mit »ihr kommt’s wohl aus Deutschland«. Lachend schüttelten wir uns die Hand, während sich im gleichen Moment die Tür zum Restaurant öffnete und Einlass gewährt wurde. Es stellte sich rasch heraus, dass wir mit Erich, der in Nähe des Starnberger Sees zu Hause war, einen lustigen Burschen getroffen hatten. So verging die Zeit beim Plaudern viel zu schnell, und wir erschraken ein wenig beim Blick auf die Uhr, die fast schon 10 Uhr anzeigte, denn wir wussten, dass um diese Zeit die Refugios schlossen, in denen ein Hospitalero mit Strenge wachte. Im Laufschritt hasteten wir zurück und hatten Glück, den Herbergsvater noch im letzten Moment anzutreffen. Er war soeben dabei, die Tür zu verriegeln, deutete mürrisch auf seine Armbanduhr und murmelte etwas vor sich hin, das wohl unserer Unpünktlichkeit galt. Zu unserer Überraschung waren nun alle 20 Etagenbetten in dem Zimmer belegt, und als das Licht sich automatisch ausschaltete, hatten wohl alle nur den einen Wunsch, möglichst rasch einzuschlafen.

Schöne alte...

Erscheint lt. Verlag 25.7.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
Reisen Reiseberichte Europa
Schlagworte Buen Camino • Camino • Jakobsweg
ISBN-10 3-98508-026-7 / 3985080267
ISBN-13 978-3-98508-026-7 / 9783985080267
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