Einleitung

Dürfen wir uns kurz vorstellen? Wir sind Alex und Whitney, zertifizierte Ernährungsberaterinnen und Mütter von vorwiegend vegan ernährten Kindern. Wir haben »Plant-Based Juniors (PBJs)«, eine Online-Community für Eltern, die ihre Kinder zu gesunden und ernährungsbewussten Menschen erziehen möchten, ins Leben gerufen.

Wir sind schon seit einiger Zeit »vorwiegend vegan« (mehr dazu gleich). Alex probierte es schon in ihrer Highschool-Zeit mit dem Vegetarismus und gab das Fleisch dann in ihren College-Jahren ganz auf, nachdem sie sich von einem proteinbesessenen »Fleischfresser« getrennt hatte. Whitney wurde während ihres Ernährungsstudiums zur Vegetarierin. Damals hatte sie in Italien einen Kurs des weltbekannten Langlebigkeitsexperten Dr. Valter Longo über Ernährung und Krankheit besucht. Sie gab daraufhin ihre auf Hähnchenfilet basierende Ernährungsweise auf, ohne es je zu bereuen.

Jede von uns reagierte auf ihre Schwangerschaft zunächst mit großer Freude. Doch wie bei allen werdenden Eltern gesellte sich zu dieser Freude sehr bald eine weniger angenehme Empfindung: Unsicherheit. Es gibt einfach so viel zu bedenken, denn Eltern müssen schließlich alles Menschenmögliche tun, um ihren Kindern ein gelungenes Leben zu sichern. Ob das nun die Auswahl des sichersten Autositzes oder des besten Kinderarztes war – wir verbrachten unzählige Stunden mit Recherchen, Beratungen mit Freunden und Expertengesprächen über jedes Detail in der Betreuung unserer Kinder. Unzählige Entscheidungen stehen an, und man hat jede Menge Gelegenheiten, »alles falsch zu machen«.

Auch die Ernährung ist ein emotional überfrachtetes Thema, das viele (werdende) Eltern verwirrt zurücklässt. Zwar ist sich die Wissenschaft einig darin, dass eine richtig zusammengestellte vegane Ernährung sowohl für Erwachsene als auch für Kinder unbedenklich – und wahrscheinlich gesund – ist, aber wir hören immer noch häufig Kritik und Bedenken von skeptischen Eltern und Ärzten.

Die medizinische Fachwelt besteht seit Jahrzehnten auf Vollkost mit Fleisch und Milchprodukten als den wesentlichen Bestandteilen einer gesunden Ernährungsweise für ein Kind. Man sagt uns, Milch sei gut für den Körper und dass Kleinkinder davon drei Gläser pro Tag trinken sollten. Kinderärzte raten zu Fleisch als wichtiger erster Beikost, denn ohne Fleisch würden unsere Kleinen nicht ausreichend mit Eiweiß oder Eisen versorgt. Gleichzeitig warnen die Medien in furchterregenden Schlagzeilen, vegane Ernährungsformen seien für Kinder gefährlich. Natürlich fragen sich alle verantwortungsbewussten Eltern deshalb, ob es vertretbar ist, ein Baby vegan zu ernähren.

Selbst als Ernährungsberaterinnen mit einem Master-Abschluss in Ernährungswissenschaften und jahrelanger praktischer Erfahrung konnten wir diese Frage nicht ganz ohne Zweifel beantworten. Der große Stellenwert tierischer Nahrungsmittel in unserer Gesellschaft weckt bei Veganern Furcht, besonders wenn sie nicht genügend evidenzbasierte, von Experten stammende Informationsquellen darüber zur Verfügung haben, wie Eltern ihr Kind richtig vegan ernähren können.

Aber wir haben uns dieser Furcht gestellt und beschlossen, nach Fakten dazu zu suchen. Wir durchforsteten die medizinische Literatur und konsultierten Fachleute in veganer pränataler und pädiatrischer Ernährung auf der ganzen Welt. Und wir kamen dabei zu einem Schluss, von dem wir zutiefst überzeugt sind: Vegane Ernährungsformen sind auch für Kinder unbedenklich und ernährungsphysiologisch adäquat. Erleichtert und beflügelt wollten wir unsere Erkenntnisse mit anderen Eltern teilen, um vegane Ernährungsformen für Säuglinge und Kleinkinder von dem Stigma zu befreien und Eltern dabei zu unterstützen, ihr Kind mit Nahrung großzuziehen, deren Wert für die Gesundheit wissenschaftlich erwiesen ist.

Der Gesundheitszustand unserer Kinder

Es ist geradezu bizarr, dass wir angesichts der Zunahme von starkem Übergewicht und chronischen Erkrankungen bei Kindern die Standardernährung als Maßstab für eine gesunde Ernährung hernehmen.

In den USA ist jedes dritte Kind übergewichtig und jedes sechste stark übergewichtig (in Deutschland waren es 2017 etwa zehn Prozent beziehungsweise sechs Prozent). Die neuesten Studien zeigen, dass rund 14 Prozent der Kinder im Vorschulalter als stark übergewichtig anzusehen sind.1

Auch weltweit nimmt das starke Übergewicht in dieser jüngsten Bevölkerungsgruppe (Vorschulkinder unter fünf Jahren) rasant zu. Der Anstieg seit 1990 beträgt etwa 60 Prozent.2 Viele führen dies auf eine Ernährungsumstellung in den Entwicklungsländern zurück, weg von einer primär veganen und hin zu einer Ernährung mit reichlich Fleisch und industriell verarbeiteten Lebensmitteln.3

Wir beobachten bei Kindern auch eine Zunahme von lebensstilbedingten Erkrankungen, etwa Herzerkrankungen und Diabetes, die bisher als typische Erwachsenenleiden gegolten haben. Im Gegensatz zu Typ-1-Diabetes, einer Autoimmunerkrankung, die üblicherweise im frühen Kindesalter diagnostiziert wird, tritt Typ-2-Diabetes gewöhnlich im Erwachsenenalter auf und wird mit schlechter Ernährung und Bewegungsmangel in Verbindung gebracht. Die Fälle von Typ-2-Diabetes bei Kindern nehmen inzwischen rasant zu: Zwischen 2001 und 2008 betrug der Anstieg mehr als 30 Prozent, und sogar Zehnjährige sind bereits häufig davon betroffen.4 5Die Fachleute gehen davon aus, dass sich die Fallzahlen bis 2050 verdoppelt bis vervierfacht haben werden, wenn dieser Trend anhält.6

Bei der Ernährung unserer Kinder gibt es offensichtlich ein ernstes Problem.

Die vegane Kinderernährung in der Forschung

Die Fachgesellschaften in den deutschsprachigen Ländern, wie etwa die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfehlen eine vegane Ernährung für Babys und Kleinkinder bisher nicht. Die American Academy of Pediatrics (Amerikanische Akademie für Kinderheilkunde), die Academy of Nutrition and Dietetics (Akademie für Ernährung und Diätetik) und die Canadian Paediatric Society (Kanadische Gesellschaft für Kinderheilkunde) sind sich hingegen einig, dass eine sorgfältig zusammengestellte vegane oder vegetarische Ernährung für stillende Frauen, Säuglinge und Kleinkinder sowie generell in jedem Lebensalter sicher und gesund ist.7

Wenn Sie sich bereits vegan ernährt haben, bevor Sie Kinder hatten, kennen Sie die gesundheitlichen Vorteile für Erwachsene sicher längst – ein geringeres Risiko für chronische Krankheiten wie Diabetes, Herzerkrankungen und einige Krebsarten8 sowie eine potenziell höhere Lebenserwartung. Auch wenn noch weitere Forschungen nötig sind, geht aus den bereits vorliegenden Studien hervor, dass viele Vorteile einer veganen Ernährung auch für Kinder gelten.

Einer der größten Vorteile ist ein geringeres Risiko für starkes Übergewicht. Studien zeigen, dass Kinder mit einer veganen oder vegetarischen Ernährung in der Regel weniger wiegen als solche, die mit Mischkost ernährt werden, dabei aber normal groß sind. In einer Studie mit 404 vorwiegend vegan ernährten Kindern lagen die meisten hinsichtlich Gewicht und Größe zwischen dem 25. und 75. Perzentil in US-Wachstumstabellen9 und nur geringfügig unter dem Median der Bezugsgruppe.

Studien wiesen bei vegan ernährten Kindern auch niedrigere Werte von Signalmolekülen für Entzündungen10, die mit starkem Übergewicht und Insulinresistenz assoziiert sind, und höhere Werte von entzündungshemmenden Botenstoffen nach als bei mischköstlich ernährten Kindern.

Ein weiterer Vorteil ist, dass Kinder bei einer veganen Ernährung gewöhnlich mehr Obst, Gemüse, Ballaststoffe und wichtige Mikronährstoffe wie Vitamin C und Folsäure aufnehmen11 12 und weniger ungesunde Dinge wie Süßigkeiten, salzige Snacks und Produkte mit vielen gesättigten Fettsäuren essen.13 14 In Kapitel 4 bis 6 werden wir sehen, dass Vorlieben beim Essen bereits früh im Leben entstehen. Wenn Kinder also bereits als Babys ihre Liebe für Obst und Gemüse entdecken, bilden sich auf diese Weise gute Essgewohnheiten fürs Leben heraus.

Vegan ernährte Kinder sind außerdem weniger Umweltschadstoffen ausgesetzt. Giftstoffe reichern sich nämlich auf dem Weg durch die Nahrungskette immer weiter an, die Belastung ist in tierischem Gewebe daher deutlich höher. So stellte eine Studie beispielsweise fest, dass die Muttermilch von Vegetarierinnen nur ein bis zwei Prozent des Schadstoffgehalts der Muttermilch von Mischköstlerinnen aufwies.15 Eine andere Studie zeigte, dass Kinder, die reichlich Fisch, Fleisch, Geflügel und Milchprodukte verzehrten, mehr Antibiotika aus Human- und Veterinärmedizin in ihrem Blut hatten.

Und zu guter Letzt könnte eine vegetarische Ernährung sich sogar positiv auf die kognitive Entwicklung der Kinder auswirken. Eine Untersuchung an amerikanischen Vegetariern im Vorschulalter ergab, dass diese einen Intelligenzquotienten hatten, der dem eines ein Jahr älteren Kindes entsprach.16 Auch wenn der Bildungsstatus der Eltern für dieses Ergebnis wahrscheinlich ebenfalls von Bedeutung ist, lässt sich daraus zumindest ableiten, dass eine vegane Ernährung eine normale kognitive und Gehirnentwicklung...