Der Schatz des Selbstwerts (eBook)
298 Seiten
Beltz (Verlag)
978-3-407-86714-8 (ISBN)
Ulrike Döpfner studierte Psychologie und ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin mit Schwerpunkt Elterncoaching. Die Mutter dreier Söhne ist Autorin von »Was für ein Kind waren Sie?«, das 2014 erschien und Gespräche mit fünfzehn berühmten Zeitgenossen über ihre Kindheiten in unterschiedlichen Milieus und Zeiten enthält. Ihr zweites Buch, »Der Zauber guter Gespräche. Kommunikation mit Kindern, die Nähe schafft« (Beltz, 2019), erfuhr große Beachtung in Print- und Onlinemedien, Radio und TV und wurde in mehrere Sprachen übersetzt.
Einführung
Als kleines Kind schüchterten mich fremde Menschen ein; ich wurde ängstlich und zurückhaltend, wenn ich auf sie traf. Neue Situationen waren eine große Herausforderung für mich; ich wollte sicherstellen, dass ich tatsächlich erwünscht war. So musste meine Mutter mir beispielsweise immer und immer wieder bestätigen, dass ich wirklich einfach bei der Turnstunde des örtlichen Turnvereins mitmachen könne – ich hatte vor meiner ersten Turnstunde große Zweifel, dass ich da einfach so auftauchen durfte. Im Kindergarten integrierte ich mich in die Gemeinschaft, weil ich die Regeln verstand und befolgte, nicht weil ich mich wohlfühlte und gern hinging. Ein Schüchternheitsgefühl, das mich daran hinderte, meine Wünsche zu äußern oder ihnen nachzugehen, war mein täglicher Begleiter.
Ich erinnere mich an einen Jungen, der mich damals ungeheuer beeindruckte. Jürgen war etwas älter als ich, etwa fünf Jahre alt, blond und der Inbegriff von Selbstsicherheit. Er war fröhlich, lebhaft, offen, und alle wollten mit ihm spielen. Jürgen machte Ansagen, verteilte Rollen und war in der Lage, mit allen Kindern gut umzugehen. Besonders im Gedächtnis ist mir ein Ausflug geblieben, bei dem Jürgen das Zentrum darstellte und alle Kinder sich um ihn scharten.
Die Worte Selbstsicherheit, Selbstbewusstsein und Selbstwert kannte ich damals noch nicht, dennoch kann ich aus heutiger Sicht erkennen, dass all diese Begriffe auf Jürgen zutrafen – er konnte seine Wünsche äußern, konnte auf die Wünsche von anderen Menschen eingehen und mit positiver Kraft kommunizieren. Selbstbewusste Menschen haben ein natürliches Selbst-Verständnis: Sie überlegen nicht hin und her, ob sie dies oder jenes dürfen oder sollen – es ist für sie einfach selbstverständlich, ihrem Inneren zu folgen. So war auch Jürgen – er war im Einklang mit sich und in Verbindung mit seiner Umwelt; das machte ihn attraktiv für die Gemeinschaft. Die Bestätigung durch die anderen Kinder, die alle mit ihm spielen wollten, verstärkte seine Selbstsicherheit. Und Jürgen war auch bei den Erwachsenen beliebt; die Erzieherinnen wählten ihn stets als »Gruppenleiter«, wenn es darum ging, Verantwortung an ein Kind zu übertragen. Dies hat seine Selbstsicherheit wahrscheinlich weiter bestärkt.
Ich selbst empfand mich so ganz anders als Jürgen. Ich traute mich nicht, vor fremden Menschen zu sprechen, hielt mich bei Spielen zurück, an denen ich eigentlich gern teilgenommen hätte. Die Gefühle der Schüchternheit, des Mich-nicht-Trauens machten mich traurig. Ich fühlte mich in vielen Situationen ausgeschlossen. Dass ich mich selbst ausschloss, konnte ich damals noch nicht begreifen. Ich war offensichtlich nicht in der Lage, meine Bedürfnisse zu äußern. Umso mehr bewunderte ich Jürgen, der so frei äußerte und tat, was er wollte.
Selbstunsicherheit löst unangenehme Gefühle aus – Traurigkeit, Ängstlichkeit, Gefühle der Isolation und Scham. Selbstsicherheit hingegen bewirkt Gelassenheit, Zuversicht, Vertrauen und Tatkraft. Außerdem macht Selbstsicherheit attraktiv – als »beliebte« Kinder gelten die, die sozial sicher sind. Sie sind als Spielpartner begehrt und können sich aussuchen, mit wem sie spielen möchten. So tragen diese positiven Reaktionen der Umwelt auf die selbstsicheren Kinder weiterhin zu einer Verstärkung ihrer Selbstsicherheit bei, während unsichere Kinder weniger positive Rückmeldungen von ihrer Umwelt bekommen, was ihre Unsicherheit verstärkt. Erhalte ich positive Rückmeldungen von meiner Umwelt, so fühle ich mich gemocht, geliebt und wertgeschätzt. Mein Selbstwertgefühl wird genährt.
Dieses Buch gibt Empfehlungen und Anregungen, wie Eltern dazu beitragen können, den Selbstwert ihres Kindes zu stützen und zu fördern. Jede Leserin, jeder Leser kann aus der Palette der Vorschläge die ausprobieren, die sie oder ihn überzeugen und die zu ihnen passen. Die Bande, die Eltern und Kinder miteinander knüpfen, sind immer hoch individuell, und nicht jeder Ansatz passt zu jeder Familie.
Ich bin jedoch überzeugt von zwei Grundlagen, die für jede selbstwertfördernde Erziehung gelten:
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Es gibt ein sehr einfaches, aber existenzielles Prinzip: Bedingungslose Elternliebe ist die Basis einer gesunden Entwicklung jeden Kindes. Liebe ist ein Schutzmantel, der Kindern hilft, dem Leben gegenüber gewappnet zu sein. Dabei kann Liebe auf viele unterschiedliche Arten ausgedrückt werden. Wenn wir unseren Kindern bedingungslose Liebe vermitteln, schaffen wir die Basis für einen gesunden Selbstwert.
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Mit unseren Gedanken gestalten wir unser Leben. Die Gedanken, die ich über mich, meine Umwelt und überhaupt über das Leben denke, entscheiden darüber, wie erfüllt ich mein Leben lebe. Ich kann das Glas immer halb leer oder aber auch halb voll sehen. Wie ich mich dem Leben gegenüber positioniere, beginnt bei meinen Gedanken und somit bei mir selbst. Meine Gedanken führen zu entsprechenden Gefühlen und entsprechendem Verhalten. Durch das, was ich denke, habe ich also Einfluss auf mein Leben – meine Lebensfreude und Lebensqualität. Vermitteln wir unseren Kindern, dass und wie sie positiven Einfluss auf ihr Leben nehmen können, so unterstützen wir die Entwicklung eines guten Selbstwerts.
Aus meiner Sicht lassen sich diese Prinzipien für die Erziehung eines jeden Kindes anwenden und ich werde sie in diesem Buch ausführlich erörtern.
Da Eltern ihren Kindern gegenüber immer als Vorbild agieren und niemals nicht Vorbild sein können, komme ich in diesem Buch auch sehr häufig auf die Haltung, Einstellung und das Verhalten von dir als Vater oder Mutter zu sprechen. Ich bin der Ansicht, dass wir als Eltern immer wieder innehalten und uns in unseren Reaktionen und Haltungen überprüfen können, um unseren Kindern in der jeweiligen Situation ein möglichst gutes Vorbild zu sein. Das geht hin und wieder auch schief – da wir alle nicht perfekt sind, sind es Versuche, die mal besser, mal schlechter gelingen. Wichtig ist nur, dass wir diese Versuche tatsächlich unternehmen und nicht in unreflektierten Automatismen funktionieren. Wir sind nicht als Eltern geboren, entsprechend müssen wir in diese Rolle erst hineinwachsen und für uns herausfinden, wie wir sie gestalten möchten. Häufig sind unsere Verhaltensweisen von unbewussten Motiven geprägt, die nicht selten in unserer eigenen Erziehung und Kindheit begründet liegen, und es ist überaus hilfreich, uns damit immer wieder auseinanderzusetzen. Das ist ein hoher Anspruch an uns selbst und auch sehr anstrengend! Es vermittelt jedoch spannende Erkenntnisse auch für die eigene Entwicklung und ist auf jeden Fall einer positiven Beziehung zum Kind förderlich.
Um die Lektüre des Buches nicht allzu anstrengend, sondern auch immer wieder leicht und spielerisch zu gestalten, habe ich im Anhang Geschichten für Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter zusammengestellt, die einige der im Buch behandelten Themen in Form von kindgerechten Geschichten aufnehmen. Über diese Geschichten habt ihr die Möglichkeit, euch gemeinsam mit eurem Kind mit diesen Themen zu befassen und euch darüber auszutauschen. Eltern und Kinder können auf diese Art und Weise spielerisch ins Gespräch kommen. An einigen Passagen in den folgenden Kapiteln findet ihr Verweise zur jeweiligen Geschichte.
Die aufgeführten Vorschläge und Anregungen im Umgang mit deinem Kind sollten immer eine freiwillige und spielerische Komponente haben. Übungen oder Gespräche lassen sich nicht erzwingen – dein Kind sollte sich immer freiwillig und gern darauf einlassen. All die vorgeschlagenen Ansätze sind konzipiert, um Leichtigkeit, Vertrauen und Nähe zu befördern, und sollen unter keinen Umständen zu Zwang und Druck führen.
Geht dein Kind nicht auf einen Vorschlag von dir ein, ist es vielleicht gerade der falsche Moment dafür, der falsche Ort, oder es herrscht nicht die passende Stimmung – es gibt vielfältige Gründe, warum ein Kind sich nicht auf den einen oder anderen Ansatz einlassen kann, und das muss überhaupt nicht an dir oder deiner Art liegen. Lass dich deshalb nicht entmutigen, wenn ein Gesprächsansatz vielleicht nicht gleich gelingen sollte. Gib nicht auf, aber erzwinge auch nichts. Du kannst dein Glück dann einfach zu einem anderen Zeitpunkt, an einem anderen Ort oder mit einer veränderten Stimmung noch einmal versuchen.
Der Mangel an Selbstwert gilt, neben anderen Faktoren, als Risikofaktor für die Entwicklung von psychischen Störungen. Im Rahmen von Therapien kommt dem Aufbau des Selbstwertgefühls eine große Bedeutung zu. In Deutschland...
Erscheint lt. Verlag | 9.2.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Familie / Erziehung |
ISBN-10 | 3-407-86714-X / 340786714X |
ISBN-13 | 978-3-407-86714-8 / 9783407867148 |
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