Elterncoaching (eBook)
328 Seiten
Beltz (Verlag)
978-3-407-86724-7 (ISBN)
Jesper Juul (1948-2019) war einer der bedeutendsten und innovativsten Familientherapeuten Europas. Über 40 Jahre lang arbeitete der Däne mit Familien; seine Bücher sind Bestseller und wurden in viele Sprachen übersetzt. Sein »gelassener Optimismus« (Der Spiegel) wurde zu seinem Markenzeichen. Er gründete das familylab, das mit Elternkursen und Schulungen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und 24 weiteren Ländern in Europa und Übersee aktiv ist.
VORWORT
Als der dänische Familientherapeut Jesper Juul bei unserer Zeitschrift »Wir Eltern« anfragte, ob wir Interesse an einer Serie über Elterncoaching hätten, hatten wir keine Vorstellung davon, was für ein durchschlagender Erfolg das werden würde. Der Plan war, dass Familien ihre unterschiedlichsten Probleme schildern sollten und ihnen Hilfe angeboten wird.
»Wir Eltern«, Vi föräldrar, ist das größte und älteste Elternmagazin in Schweden und natürlich kannten und schätzten wir Jesper Juuls umfassende Fähigkeiten seit Langem. So beschlossen wir, ohne Zögern loszulegen. Wir lancierten also eine Anfrage in unserer Zeitschrift, in der wir Familien suchten, die Hilfe benötigen.
Natürlich wussten wir, dass es in unserem Land in jeder Stadt, in jedem Stadtteil und in jeder Straße Familien gibt, die jeden Tag mit den unterschiedlichsten Konflikten zu kämpfen haben. Was wir allerdings nicht voraussehen konnten, war die Flut von Mails, die uns verzweifelte, traurige, deprimierte, aber in vielen Fällen auch hoffnungsvolle Eltern schickten. Drei Jahre lang haben wir Hunderte von Familiengeschichten gehört, manchmal handelte es sich um kleine Alltagskonflikte, manchmal um größere und schwerwiegendere Probleme. Am liebsten hätten wir allen Familien die Möglichkeit gegeben, Jesper Juul zu treffen und Hilfe zu bekommen. Aber aus verständlichen Gründen waren wir gezwungen, uns zu beschränken. In Absprache mit Jesper Juul haben wir also versucht, Familien auszuwählen, bei denen wir vermuteten, dass sie von einem Treffen profitieren würden. Außerdem entschieden wir uns für Familien mit Problemen, mit denen in unseren Augen viele zu kämpfen haben.
Vor jedem Coachingtermin habe ich, Anna-Maria Stawreberg, mit den Eltern telefoniert und eine umfassende Mailkorrespondenz geführt. Ich informierte sie darüber, dass wir vorhatten, ihre Geschichte in der Zeitschrift zu veröffentlichen, sie aber anonym bleiben würden. Außerdem erfuhren sie, dass ihre Kinder sehr gerne bei dem Treffen dabei sein dürfen. Und dann kamen die Familien. Einige von ihnen kamen von sehr weit her, andere hatten nur eine kurze Anfahrt. Meistens fanden unsere Treffen im großen Konferenzraum der Redaktion in Stockholm statt, aber einige Coachings wurden auch nach Malmö oder Göteborg verlegt.
Vor den Terminen hatte Jesper Juul bereits den Brief der Eltern gelesen, in dem sie ihr Problem schilderten, bei dem sie Hilfe benötigten. Danach begann das eigentliche Coaching. Einige der Mütter und Väter waren sehr nervös, andere die Ruhe selbst.
Manchmal war der Geräuschpegel im Raum enorm hoch, was meistens daran lag, dass die Kinder fröhlich mit den Sachen spielten, die wir bereitgestellt hatten. Manchmal war es fast gespenstisch still, die Kinder saßen schweigend am Tisch und zeichneten, während die Eltern unter großer Anstrengung versuchten, den Familienkonflikt zu beschreiben. Gelegentlich gab es Streit, häufig Tränen. Manchmal herrschte eine eisige Stimmung, in anderen Fällen brachen sich leidenschaftliche Gefühle Bahn. Bei den meisten Gesprächen hielten sich Tränen und Lachen die Waage.
Allen Familien war gemeinsam, dass sie ihr Problem bewältigen wollten und seit Langem die unterschiedlichsten Lösungsversuche unternommen hatten.
Jedes Coaching nahm etwa 2 Stunden in Anspruch. Nur Jesper unterhielt sich mit den Familien, ich war lediglich Beisitzerin, machte Notizen und nahm das Gespräch auf Band auf. Jedes Mal wieder war ich beeindruckt, wie schnell Jesper auf den Kern des Problems zu sprechen kam. Mithilfe weniger Fragen gelangte er auf die richtige Spur. Natürlich war er dabei auch auf die Eltern angewiesen, die ihm die Richtung weisen mussten. »Stimmt das so, wie ich es formuliere?«, »Könnt ihr euch darin wiedererkennen?«, hakte er nach und meistens nickten die Eltern eifrig.
Eine häufig von den Eltern gestellte Frage lautete: »Soll mein Kind wirklich mit dabei sein und alles mit anhören können?« Und immer antwortete Jesper: »Ja, Kinder nehmen keinen Schaden davon, ihren Eltern dabei zuzusehen, wie sie versuchen, mit einer schwierigen Situation zurechtzukommen.« Manchmal konnte man die Beteiligung der Kinder registrieren, obwohl sie sich ganz still verhielten. Das wilde Spiel wurde auf einmal leiser, je länger das Gespräch andauerte. Die Kinder wurden ruhiger und für Jesper war das ein untrügliches Zeichen dafür, dass ihnen gefiel, was sie hörten. Auf diese Art und Weise zeigten sie ihre Zustimmung. Das konnte man ganz deutlich ablesen, sogar an kleineren Kindern, die noch nicht sprechen konnten und den genauen Wortlaut der Unterhaltung auch gar nicht verstanden. Kinder besitzen Antennen für die Stimmungen im Raum, sie spüren, dass Mama und Papa sich mit einem Mann unterhalten und versuchen, wieder Ordnung ins Leben zu bekommen.
In den Follow-up-Gesprächen zeigte sich häufig, dass die Kinder weit mehr begriffen hatten, als ihre Eltern vermuteten. So sagte ein kleiner Junge, der während der gesamten Coachingsitzung mit dem Rücken zu uns gesessen und gespielt hatte, ganz lakonisch zu seinen Eltern, die sich in aller Ruhe mit ihm unterhalten wollten: »Ihr findet also, dass wir es genauso machen sollen, wie Jesper gesagt hat?«
Auf ähnliche Art und Weise entstanden die sechs neu in diesen erweiterten Band eingefügten Gespräche. Die Familien entstammen einer Gruppe von 100 Familien, die Jesper Juul und Pernille W. Lauritsen, die Mitbegründerin von familylab Dänemark, in insgesamt fünf Jahren getroffen haben und die ihnen erlaubten, Einblick in Teile ihrer innersten Gedanken, Gefühle und Frustrationen im Familienleben zu nehmen. Als Autorin und Coach führte Pernille W. Lauritsen mit den Familien ein einleitendes, danach Jesper Juul ein 1- bis 2-stündiges Gespräch, bei dem Pernille W. Lauritsen anwesend war. Etwas später hat sie ein weiteres Mal mit der Familie gesprochen; diese Gespräche sind in den jeweiligen Rückblicken am Kapitelende zusammengefasst. Auch diese sechs Gespräche wurden gekürzt und leicht bearbeitet; sie wurden in den dänischen Zeitschriften Vores born und Junior abgedruckt.
Wer schon Bücher von Jesper Juul gelesen hat, weiß, wie groß sein Respekt Kindern gegenüber ist. Nie ist bei ihm die Rede von irgendwelchen Bestrafungs- oder Belohnungssystemen wie dem stillen Stuhl oder dem Punktesammeln. Seine Haltung ist vielmehr, dass Kinder es in den allermeisten Fällen ihren Eltern recht machen wollen. Und wenn ein Kind um sich tritt, ist es häufig ein Anzeichen dafür, dass es mit einer bestimmten Situation nicht zurechtkommt, sein Unbehagen aber nicht in Worte fassen kann.
Wer miteinander spricht, kommt weiter, behauptet Jesper. Und dabei ist es gar nicht so entscheidend, dass das Kind jedes einzelne Wort versteht, das seine Eltern sagen. In den meisten Fällen genügt es, dass es erkennt, wie sehr sich Mama und Papa darum bemühen, das Zusammenleben zu erleichtern. »Redet mit eurem Kind, als würdet ihr mit einem Freund sprechen«, mahnt Jesper und meint damit, dass die Eltern den pädagogischen Unterton über Bord werfen und sich stattdessen darauf konzentrieren sollen, ihre wahren und aufrichtigen Gefühle zu zeigen. Auf diese Authentizität kommt er oft zu sprechen. Es gibt keinen Mutter- oder Vatermantel, der jedem passt. Nur weil man Eltern geworden ist, verändert sich nicht die eigene Persönlichkeit, und man muss auch nicht anders sprechen oder gar denken, nur weil die Familie größer geworden ist.
Im Laufe der Jahre haben wir viele Leserbriefe erhalten. Die meisten waren enorm positiv, viele haben ihre eigenen Probleme in den Beispielen wiedererkannt und wollten ihre persönliche Version erzählen. Andere hatten das Bedürfnis, den Familien Mut zuzusprechen und Jesper Juul für seinen Rat zu danken. Aber es gab auch kritische Stimmen, die Jespers Verhalten den Eltern gegenüber in einigen Fällen zu hart fanden.
In vielen der Coachingsitzungen hatte Jesper Juul einen der Elternteile dazu aufgefordert, Verantwortung für die eigenen Wünsche zu übernehmen. Sich seiner Wünsche klar zu werden und sie in einer Weise zu formulieren, dass der Partner sie verstehen kann. »Aber das habe ich doch schon tausendmal gesagt!«, beschwerte sich zum Beispiel ein Elternteil im Laufe des Gesprächs. »Sag es noch einmal, aber anders! Sag, was du haben willst!«, forderte Jesper Juul dann auf. Und siehe da, beim 1001. Mal ging dem Partner endlich ein Licht auf. »Ich habe nie verstanden, dass du es so gemeint hast!«
Manchmal hätte ich persönlich – und wie sich anhand der Leserbriefe zeigte, die unsere Redaktion überschwemmten, ging es auch anderen Lesern so – mir gewünscht, Jesper Juul hätte sich die eine oder andere...
Erscheint lt. Verlag | 9.2.2022 |
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Übersetzer | Kerstin Schöps |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Familie / Erziehung |
ISBN-10 | 3-407-86724-7 / 3407867247 |
ISBN-13 | 978-3-407-86724-7 / 9783407867247 |
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