Mamas Alzheimer und wir -  Peggy Elfmann

Mamas Alzheimer und wir (eBook)

Erfahrungsbericht & Ratgeber
eBook Download: EPUB
2021 | 3. Auflage
205 Seiten
Mabuse-Verlag
978-3-86321-577-4 (ISBN)
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Wie ein kräftiger Sturm wirbelt die Diagnose Demenz das Leben der Betroffenen, aber auch ihrer Familien durcheinander. Die Journalistin Peggy Elfmann kennt die Gefühle, Gedanken und Sorgen, mit denen Angehörige leben: Als ihre Mutter mit nur 55 Jahren an Alzheimer erkrankte, war das ein Schock für die damals 32-Jährige. Doch heute weiß sie, dass das Leben auch mit Alzheimer gut sein kann. Auf ihrem Blog 'Alzheimer und wir' teilt die Autorin regelmäßig ihre Erfahrungen. Damit wurde sie für den Grimme Online Award nominiert und gewann den Goldenen Blogger. In diesem Buch erzählt sie ihre Geschichte von Anfang an. Sie beschreibt die Herausforderungen, die mit der fortschreitenden Demenz auftreten, und welche Lösungen sie und ihre Familie gefunden haben. Dieses Buch ist ein berührender Erfahrungsbericht, aber nicht nur das: Er enthält Hintergrundwissen über Diagnose und Behandlung sowie viele persönlich erprobte Tipps zum Umgang mit Betroffenen und zur eigenen Bewältigung.

Peggy Elfmann ist Journalistin und schreibt zu Themen rund um Gesundheit, Familie und Gesellschaft. Auf ihrem Blog 'Alzheimer und wir' berichtet sie über die Alzheimer-Erkrankung ihrer Mutter und wie sie als Tochter damit umgeht. Sie hat drei Töchter und lebt in München.

Peggy Elfmann ist Journalistin und schreibt zu Themen rund um Gesundheit, Familie und Gesellschaft. Auf ihrem Blog "Alzheimer und wir" berichtet sie über die Alzheimer-Erkrankung ihrer Mutter und wie sie als Tochter damit umgeht. Sie hat drei Töchter und lebt in München.

Prolog
1 Die große Panik
"Liebe Mama, wie kann das sein?"
Angst um Mama
Angst um mein Leben
Angst um meine Tochter
Infoteil: Wie wird die Alzheimerdiagnose gestellt?

2 Wissen wollen, was kommt
"Liebe Mama, ich schicke dir ein paar Broschüren"
Auf der Suche nach Informationen
Über Alzheimer (nicht) sprechen
Allein mit der Angst
Infoteil: Was tun nach der Diagnose? Ein Überblick über Medikamente, Therapien und Angebote für Angehörige und Betroffene

3 Alles wie immer! Alles wie immer?
"Liebe Mama, du siehst gut aus"
Stark bleiben
Ein Stück normales Leben
Mut durch einen neuen kleinen Menschen
Infoteil: Vorsorgen – Drei wichtige Dokumente und mehr

4 Kleine große Veränderungen
"Liebe Mama, sei doch nicht traurig"
Die Bedürfnisse (nicht) erkennen
Lücken in der Orientierung
Ganz normale Großeltern?
Eine neue Beziehung entsteht
Infoteil: Kommunikationsfehler – und wie es besser geht

5 Deine Welt, meine Welt
"Liebe Mama, ich bin mir unsicher"
Fest im Alltag
Kleine und große Kinder
Und wo bleibe ich?
Infoteil: Fünf häufige Kinderfragen zur Demenz –
und wie ich sie angemessen beantworte

6 Alles ist anders
"Liebe Mama, ich hatte Angst vor dir"
Wut und Hilflosigkeit
Der Aggression auf den Grund gehen
Weniger negative und mehr schöne Gefühle
"Die Oma ist doof" – Über kindliche Aggressionen
Infoteil: Gemeinsam Zeit verbringen – Ideen, wie
Menschen mit Demenz und Kinder spielend
zusammenkommen können

7 Du fehlst mir
"Liebe Mama, ich bin so kaputt"
Meine Traurigkeit und ich
Müttersorgen
Ein großes Fest für Mama
Infoteil: Sich im eigenen Zuhause besser zurechtfinden

8 Neue Welten betreten
"Liebe Mama, ich mache mir Sorgen um dich"
Hilfe holen fällt schwer
In guten wie in schlechten Zeiten
Der lange Weg zur Tagespflege
Warten auf die Tagespflege
Zwischen Loslassen und Festhalten
Infoteil: Tagespflege – was ist das?

9 Neu kommunizieren lernen
"Liebe Mama, ich würde gerne mit dir sprechen"
Wo sind die Wörter?
Ohne Worte miteinander sprechen?!
Das Sprechen anregen – kinderleicht
Infoteil: Die Biografie richtig nutzen

10 Viel Bewegung und große Unruhe
"Liebe Mama, wo wolltest du hingehen?"
Vom Weglaufen, Hinlaufen und Verirren
Immer in Bewegung
Ich wünsche mir eine andere Oma
Infoteil: Hinlaufen und Verirren – Tipps für Schutz und Sicherheit

11 So fern und so einsam
"Liebe Mama, ich möchte für dich da sein"
Wenn kleine Dinge zu großen Problemen werden
Mein dauernd schlechtes Gewissen
Darf ich traurig sein?
Ein Helfernetzwerk aufbauen
Lernen durch die Pflege in der Familie
Neue, eigene Wege gehen
Infoteil: Kleine Lösungen für Herausforderungen
im Alltag

12 Im Krisenmodus
"Liebe Mama, wann werden wir uns wiedersehen?"
Von Angst und Sorgen
Pflegen in Coronazeiten
Lernen in und aus der Krise
Infoteil: Ideen, wie man (aus der Ferne) Gutes tun kann

13 Heute ein Lächeln
"Liebe Mama, du fehlst mir, selbst wenn ich neben dir sitze"
Immer wieder Lösungen finden
Gemeinsam schaffen wir das
Kleine Dinge mit einer großen Wirkung
Alzheimer vorbeugen – geht das?
Infoteil: Selbstfürsorge für pflegende Angehörige

Epilog
Abschließendes

1 Die große Panik


„Liebe Mama, wie kann das sein? Wie kannst du - mit 55 Jahren - an Alzheimer erkranken? Das ist doch etwas, das nur alte Leute haben. Und nicht du! Du bist jung, du hast mir erst vor einer Weile gesagt, dass du kurz dachtest, du wärst noch mal schwanger. Es waren doch erst die Wechseljahre. Wie kann es sein, dass du Alzheimer hast?

Als Papa mich angerufen und gesagt hat, dass du Alzheimer hast, war es mit einem Mal schwarz in meinem Kopf. ‚Was?‘, habe ich gerufen. Es war Abend, du warst noch im Krankenhaus, schon seit zwei Tagen. Ich dachte, du bist überarbeitet, hast zu viel zu tun und brauchst Ruhe und eine Auszeit – aber ALZHEIMER? Papa hatte gesagt: ‚Peg gy, setz dich bitte hin!‘ So ein Quatsch, dachte ich. Was sollte er mir schon sagen? Mich haut so schnell nichts um. Ich als berufstätige Mutter habe doch nie Zeit. Also hängte ich weiter die Wäsche auf, während wir telefonierten. Und dann musste ich mich doch setzen. ‚Deine Mutti hat Alzheimer‘, hatte Papa gesagt. Ich hielt ein feuchtes Shirt in den Händen und rief geschockt: ‚WAS?‘ ALZHEIMER. ALZHEIMER. ALZHEIMER. Wie so ein Werbebanner, das die Flugzeuge durch den Himmel ziehen, flog das Wort durch meinen Kopf. Wie kann das sein?

Ich bin fassungslos. Am liebsten würde ich mich in mein Bett legen und einfach nur weinen. Alzheimer, damit verbinde ich Pflegeheim und ein grausames Vergessen. Ich weiß nicht, was ich denken soll. Du sollst Alzheimer haben? Ich kann es nicht glauben.

Am Tag danach bin ich zur Arbeit gefahren, weil ich so verdammt pflichtbewusst bin. Mein Leben hatte sich geändert, aber ich wollte so weitermachen wie immer. Ich ging in mein Büro, setzte mich, schaltete den Computer an. Ging zu meiner Chefin und wollte ihr einen ‚Guten Morgen‘ wünschen, aber dann liefen schon die Tränen. Sie kommen die ganze Zeit einfach so. Eine meiner Lieblingskolleginnen meinte, ich solle meine Kraft für etwas anderes als Weinen aufbewahren.

Aber ich komme nicht dagegen an. Ich muss einfach immer weinen. Wieso verdammt noch mal hast du Alzheimer? Du bist doch meine liebe, schöne, schlaue Mama. Halt mich fest und geh nicht weg! Weißt du bald nicht mehr, wer ich bin?

Was wird nun aus mir und meinem Leben? Ich wollte doch ein zweites Kind bekommen. Darf ich das jetzt überhaupt, wo du vielleicht bald Pflege brauchst und mich als Tochter? Ich habe Angst vor der Zukunft. Was bringt der Alzheimer? Tief in meinem Herzen ist nun etwas Dunkles und Schweres. Es legt sich über alles andere. Ich glaube, mein Leben wird nie wieder gut.“

Angst um Mama

Ich hatte solche Angst. Die große Panik befiel uns alle in den ersten Wochen nach der Diagnose. Ich habe zu Hause geweint, bei der Arbeit, am Telefon mit Freundinnen, so ziemlich überall. Ich konnte es nicht glauben. „Warum meine Mutti?“, fragte ich mich und die anderen immer wieder. Ich bekam Antworten wie: „Das weiß keiner“, „Manchmal trifft es auch relativ junge Menschen“, „Vielleicht liegt es in der Familie“. Ich wollte die Antworten eigentlich gar nicht hören, denn sie gaben mir trotz allem keine Antwort auf die Frage: Warum meine Mama?

Ich hatte Angst um sie. Dass sie bald stirbt. Dass ich sie verliere. Ich wollte so schnell wie möglich zu ihr. Ein paar Tage nach dem Anruf, der alles veränderte, war ich in aller Frühe aufgestanden, um kurz nach fünf Uhr in München in den Zug zu steigen und zu meinen Eltern zu fahren. Ich wollte Mama zu einer abschließenden Untersuchung am Universitätsklinikum und danach zu ihrem Arzt begleiten. Im Zug zeigte ich mein Ticket, mit Ziel: Jena-Paradies. Der Schaffner studierte es und sagte mit einem charmanten Lächeln im Gesicht: „Aha, einmal ins Paradies wollen Sie.“ Ich weinte. Nie war ich weiter entfernt vom Paradies als in diesem Moment frühmorgens im ICE. Ich heulte, es war mir egal, dass jeder im Zug meine Tränen sehen konnte. Der Zug hatte Verspätung, ich nahm mir ein Taxi vom Bahnhof und wollte nichts anderes, als im Behandlungszimmer neben meiner Mama zu sitzen. Aber wie das so ist: Die eigentlich kurze Fahrt zog sich hin, wir standen gefühlt Stunden an den roten Ampeln und dann fand der Taxifahrer die Zufahrt zu dem entsprechenden Klinikgebäude nicht. Ungeduldig stieg ich aus und wollte den Rest zu Fuß gehen. Ich zahlte, wartete nicht auf mein Rückgeld und rannte die Straße entlang. Doch da kamen mir meine Eltern schon entgegen. Hand in Hand. Papa schaute ernst, Mama lächelte. Ich freute mich, sie zu sehen, war aber irgendwie auch sauer: War es das jetzt? Steht alles schon fest? War ich umsonst gekommen? „Das ging ganz schnell“, sagte Papa trocken. Mama blieb still. Es war klar: Die Diagnose Alzheimer war bestätigt. Ich umarmte Mama. Papa drängte zum Weitergehen, er marschierte in seinem üblichen Marschtempo und zog Mama mit.

Zum Parkplatz mussten wir durch ein kleines Einkaufszentrum gehen. Diese Geschäfte, diese vielen Menschen, mir war das alles zu laut und zu bunt. „Willst du etwas essen, Peggy? Du hast doch bestimmt Hunger, wenn du so früh aufgestanden bist“, fragte Papa. „Komm, wir trinken einen Cappuccino.“ Echt jetzt? Ich konnte es nicht glauben. Wir trinken einen Cappuccino, nachdem Mama die PET-Untersuchung (siehe Infoteil dieses Kapitels) hat machen lassen und diese bekloppte Diagnose bestätigt ist? Das war mir eindeutig zu viel Normalität. „Ich hab keinen Hunger“, sagte ich. Wir gingen zum Auto. Ich bestand darauf zu fahren. Ich, die seit Jahren fast gar nicht Auto fuhr. Aber ich wollte nicht, dass mein Papa jetzt am Steuer saß. Ich fuhr die Landstraße entlang, Papa saß neben mir und Mama auf der Rückbank. „Dort hinten sind die Dornburger Schlösser, die sind sehr sehenswert“, erklärte mein Papa, zeigte aus dem Fenster und bestaunte die Landschaft. „PAPA“, entgegnete ich genervt. Ja, draußen war eine wunderschöne Landschaft. Die Sonne schien, wir hatten einen malerischen Blick auf die Saale, aber mir war nicht nach Konversation. Ich schaute nach draußen, aber eine malerische Landschaft mit Schloss konnte ich nicht sehen. Es war irgendwie alles grau. Mama sagte nichts. Ich starrte nach vorne auf die Straße. Schweigend fuhren wir zu ihrem Neurologen. Er hatte die Erstdiagnose gestellt, Mama dann aber noch mal an die Universitätsklinik überwiesen, um sie zu bestätigen. Wir gingen den langen Gang entlang und setzten uns in den Wartebereich. UND JETZT? UND JETZT? So wummerte es die ganze Zeit in meinem Kopf. Ich hatte Angst, weil ich doch gar nicht wusste, wie es nun weitergehen sollte. Was würde der Alzheimer mit meiner Mama machen? Gab es nicht immer noch eine winzige Hoffnung, dass alles nur ein Irrtum war? Vielleicht könnte der Arzt auch ein Medikament verschreiben – und Mama würde wieder gesund werden?

Die Worte des Arztes waren klar. Diagnose Alzheimer. Alzheimer ist nicht heilbar. Während er erzählte, schwirrten zwei Fragen in meinem Kopf herum: ‚Warum Mama?‘ und ‚Wie geht es weiter?‘. Der Arzt nahm sich viel Zeit und erklärte. Wir hörten zu und nickten, meiner Mama liefen die Tränen über die Wangen. Meine Eltern hielten sich an den Händen.

Obwohl Wissenschaftler seit Jahrzehnten daran forschen und immer wieder an neuen Medikamenten tüfteln, gibt es bislang keine Heilung von Alzheimer. Die Arzneimittel können die Krankheit nicht heilen, der Prozess ist unaufhaltbar, aber sie können ihn verzögern. Aber was hieß das nun für meine Mama? Der Arzt wollte sich nicht festlegen. Alzheimer sei individuell und er könne nicht vorhersagen, wie und in welchem Tempo die Krankheit verläuft. Mit diesen Worten und einem Rezept entließ er uns aus seiner Sprechstunde.

Ich konnte es noch immer nicht glauben. Meine liebe, schöne, schlaue, herzensgute Mama, die da neben mir stand, sollte Alzheimer haben? Ich nahm ihre Hand und wir gingen langsam zum Auto. Mein Hoffnungsschimmer, dass alles nur ein großer Irrtum war, lag begraben.

Alzheimer stellte ich mir wie ein Zerfallen vor. Aber war es wie eine Sandburg am Meer, die mit jeder Welle ein klein wenig mehr von ihrem Fundament verlor und Stück für Stück zusammensackte? Oder war es eine einzige Welle oder ein Orkan, die kamen und die Basis wegrissen und nur Leere hinterließen? Warum konnte man diese Wellen nicht anhalten? Oder die Sandburg auf einen trockenen Grund setzen? Was würde mit Mama passieren, wie würde es weitergehen? Wie konnte es sein, dass sie mit 55 Jahren an Alzheimer erkrankt war? „Ungewöhnlich jung“, hatte der Arzt gesagt. Aber es passiere. Warum Mama? Ich war wütend und traurig zugleich. Es war nicht fair, dieses Leben. Das hatte meine Mama nicht verdient. Schrecklich und gemein kam mir die ganze Welt vor.

Angst um mein Leben


Ich hatte nicht nur Angst um meine Mama, ich hatte auch Angst um mich. Was würde aus mir werden? Ich wollte gerne ein zweites Kind bekommen. Konnte ich das jetzt noch? Durfte ich es? War da genug Kraft für zwei Kinder ohne die Unterstützung einer Oma? Hatte ich genug Kraft für zwei Kinder und eine kranke Mutter? Ich hatte eine Stelle mit mehr Verantwortung übernommen, würde ich das in Zukunft weitermachen können, wenn meine Mama Pflege bräuchte? Hätte ich genug Kraft und Zeit, um weiter so ehrgeizig arbeiten zu können? Wie sollte ich alles schaffen? Ich, die ihre Arbeit als Journalistin so sehr mochte, dass sie kaum in Elternzeit gegangen war und nun den täglichen Spagat zwischen Beruf und Kind lebte.

Meine Eltern wohnten weit weg, aber wenn ich Hilfe brauchte, hatten sie mir oft ihre Unterstützung gegeben. Wenn die Kita geschlossen hatte und ich arbeiten musste, kamen sie schon mal, um auf meine Kleine aufzupassen....

Erscheint lt. Verlag 20.9.2021
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Familie / Erziehung
Schlagworte Alzheimer • Demenz • Erfahrungsbericht • Mutter • Ratgeber
ISBN-10 3-86321-577-X / 386321577X
ISBN-13 978-3-86321-577-4 / 9783863215774
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