Kiwis und Corona (eBook)
myMorawa von Dataform Media GmbH (Verlag)
978-3-99125-749-3 (ISBN)
Karina Forsthuber ist eine 49-jährige Autorin, die in Vorarlberg lebt und mit ihrem Partner bereits unzählige Reisen auf der ganzen Welt unternommen hat. Beide sind passionierte Radfahrer und Radreisende. Kiwis und Corona ist ihr erster Roman.
1. Etappe Wellington, 10 Tage zuvor
Wir stehen im untersten Deck der Bluebridge Fähre. Ganz am Rand vorne bei der großen Ladeluke. Die Fahrer der Autos, LKWs und Wohnmobile haben schon ihre Fahrzeuge bestiegen, und der Geruch von Schmieröl, Abgasen und Seetang zusammen mit dem ohrenbetäubenden Lärm und dem Ruckeln und Schwanken des Schiffes verursacht mir eine leichte Übelkeit.
Peter schaut mich an und fragt: „Hast du alles dabei?" Ich öffne nochmals kurz meine Lenkertasche und checke, ob der Geldgürtel auch an seinem angestammten Platz in der kleinen Reißverschlusstasche ist. Auch der Laptop und das Handy, alles da. Ich sehe auf und nicke ihm zu. "Ja, hab alles", rufe ich über den Lärm der riesigen, sich jetzt öffnenden Ladeluke in seine Richtung.
Der düstere Laderaum wird mit strahlendem Sonnenschein geflutet, als sich das Megateil nach unten senkt, und schon lassen die ersten Fahrer ihre Motoren an, um dieses riesige Schiffsungetüm zu verlassen.
Günstigerweise legt die Bluebridge Fähre direkt im Zentrum von Wellington an, und so ist der erste Anblick, der sich uns bietet, ein Meer aus Hochhäusern und die Kaianlage mit den typischen Hafengebäuden. Die Stadt liegt eingebettet zwischen dem Meeresbecken und den Stadtbergen, weshalb jeder noch so steile Hang mit spektakulären Konstruktionen verbaut ist.
Der Himmel über Wellington ist blau und nur wenige Wolkenhaufen werden vom böigen Wind vorübergefegt. Nicht umsonst heißt die Stadt "Windy Welly". Aber das haben wir schon an Neujahr bei unserem ersten Aufenthalt mitbekommen. Als wir vor drei Stunden in Picton ablegten, herrschte dort warmes, sonniges und windstilles Wetter.
Entlang des mit Pfosten und Seilen abgesteckten Pfades für Fußgänger schieben wir unsere Fahrräder von Bord und stoppen erst außerhalb des Hafengeländes an der Hauptstraße. Wir haben schon bei der Überfahrt besprochen, dass wir gleich zum Livingstone Hotel fahren würden, wo wir auch zum Jahreswechsel übernachtet hatten. Den Weg kennen wir noch vom letzten Mal.
Also treten wir in die Pedale und kreuzen zuerst durch die Hochhäuserschluchten der Innenstadt, vorbei an Banken, Hotels, Regierungsgebäuden, unzähligen Boutiquen, kleinen Lebensmittelläden, Bars und Restaurants. "Mensch, da ist ja was los!", rufe ich dem vorausfahrenden Peter von hinten zu. "Brutal, wenn man bedenkt wie leer es im Dezember war". Als wir zum Jahreswechsel hier durchkamen, war wegen der Ferien die Hälfte der Geschäfte zu. Die Straßen waren fast leer, und die Stadt wirkte geradezu ausgestorben. Jetzt sind die Gehsteige voller Passanten, die Straßen voller Autos und Busse, und vor allen Lokalen und Bars sitzen Menschen im Freien. Eigentlich könnte man glauben, die Stadt sprühe vor Lebensfreude, wenn wir nicht genau wüssten, dass auch hier der weltweite Virus bereits angekommen ist.
Da wir beide einen guten Orientierungssinn haben, fällt es uns nicht schwer, das Hotel Livingstone wiederzufinden. Wie ein riesiger gestrandeter Überseedampfer, liegt es an einer steilen Stichstraße unweit des Zentrums, und leuchtet uns mit seiner weißen Holzfassade entgegen.
Die Hanglage macht, dass sich der Eingang einige Meter unterhalb des kleinen Parkplatzes hinter dem Haus befindet: dort hatte der findige Besitzer ein Rasenstück abgezäunt, auf dem er drei kleine Wohncontainer, sogenannte Cabins, postiert hat, zwischen denen es Platz für ein paar Zelte gibt. Nur durch Zufall sind wir auf diese Campingmöglichkeit im Herzen von Wellington gestoßen. Einen "richtigen", offiziellen Campingplatz, gibt es nämlich nur circa dreißig Kilometer außerhalb der Stadt. Außerdem ist der Preis für das Camping im Livingstone so unverschämt günstig, dass wir trotz primitivster Sanitäreinrichtungen gerne wieder hierher zurückkommen.
Wir steuern also gleich den bekannten "Campingplatz" an, und wie so oft führt mein erster Weg auf die Toilette, denn meine Blase hat so circa die Größe einer Erdnuss. "Ich gehe inzwischen meinen Schatz ausgraben", meint Peter und macht sich auf den Weg hinter den Wohncontainer ganz rechts.
Der Verbuddeltrick
Das mit dem Vergraben hat bei Peter schon Tradition. Angefangen hat das Ganze vor vielen Jahren bei unserem Abflug von München in Richtung Lima. Dazu muss man wissen, dass wir unser Reisegepäck aus Prinzip als Handgepäck mitnehmen.
Damals waren die strengen Handgepäcksregeln noch recht neu und Peter hatte total vergessen, dass sein Leatherman mit im Rucksack war. Der Security Check war natürlich unbarmherzig und meinte, „Entweder als Gepäck aufgeben oder wegwerfen“. Beides kam für Peter absolut nicht in Frage, und er wäre nicht er, wenn er nicht eine ungewöhnliche Lösung des Problems gefunden hätte. Nach kurzer Überlegung zog er mich beiseite und sagte: „Komm mal mit. Das haben wir gleich erledigt".
Wer den Flughafen München kennt, der weiß, dass sich gegenüber der Abflughallen die Parkhäuser befinden. Deren Fassaden sind teils mit Pflanzen begrünt, und unter einer dieser schönen Bepflanzungen fand Peter ein Fleckchen Erde, in dem er ein Loch graben konnte, das tief genug war für sein geliebtes Taschenmesser. Wir prägten uns beide den genauen Standort ein und konnten das gute Teil tatsächlich zehn Wochen später unbeschadet wieder dort ausgraben.
Hier in Wellington hat Peter also wieder seinen Verbuddeltrick angewendet, und als ich von der Toilette komme und ihm mit einem "Na, und?" entgegentrete, hält er stolz den Sack in die Höhe, in dem er zwei T-Shirts, eine kurze Hose und einen Reservefahrradschlauch verstaut hatte. "Alles da, und picobello", freut er sich und merkt noch an: "Siehst du, so habe ich mir in den letzten Wochen einiges an Gewicht gespart. Die Sachen haben mir überhaupt nicht gefehlt!".
Das Thema Gewicht ist bei Radfahrern natürlich immer präsent, da man jedes Gramm mit eigener Muskelkraft transportieren muss. Für Peter ist das "Wir müssen Gewicht sparen" fast schon ein Mantra. Die Lösung, diesen Sack einfach dem Hotelbesitzer anzuvertrauen kam nicht in Frage, denn wir wussten nicht wie vertrauenswürdig er wäre, und außerdem könnte es sein, dass er eine horrende Gebühr verlangt hätte.
Nachdem diese erste Hürde gemeistert ist, machen wir uns auf, um den Check-in zu erledigen. Das Livingstone ist sicherlich einmal ein feudales Hotel gewesen, welches aber mittlerweile seine besten Jahre hinter sich hat. Der Vergleich mit einem riesigen Ozeankreuzer liegt nahe, denn die Zimmer sind so winzig klein, dass sie tatsächlich an Kajüten auf einem Schiff erinnern.
Die von uns mitbenützten drei Duschen und zwei Toiletten werden nicht nur von Männern und Frauen gleichermaßen, sondern auch von einer nicht zu erfassenden Anzahl von Hotelgästen benutzt. Um dorthin zu gelangen, müssen wir durch die ewig offen stehende Hintertür ins Haus schlüpfen und einem teppichbelegten Gang folgen, der seine besten Jahre ebenfalls schon hinter sich hat. Den Gang entlang reihen sich die Zimmertüren so eng aneinander, dass man kaum glauben kann, dass in dem Zimmer dahinter ein Bett Platz findet. Einmal kam ich zufällig an einer offenen Tür vorbei und sah, dass das Zimmer gerade so Platz für ein schmales Bett und eine Nische in der Wand bot, die als Kleiderschrank dienen sollte. Mit ausgestreckten Armen könnte man beide Zimmerwände berühren.
Am Ende des Ganges windet sich ein enges Treppenhaus eine Etage tiefer und führt zu einer Tür, die in den großen Speisesaal und Aufenthaltsraum führt. Einmal durch die Tür sind es noch zwei Stufen runter zu den großen, schwarzen Resopal-Tischen, um die sich uralte Stühle mit verschlissener, fleckiger Polsterung gruppieren. Doch nicht nur optisch gibt dieses Ambiente einiges her, auch der Geruch ist nichts für empfindliche Nasen. Das olfaktorische Gemisch, welches aus der angeschlossenen Gemeinschaftsküche in den Raum wabert, enthält von asiatischer Gemüsepfanne, über scharf angebratenes Steak bis zu Rührei alles, was die Kochkünste der internationalen Travellerszene hergibt.
In einer Ecke reihen sich drei riesige Kühlschränke aneinander, und ihr Gebrumm mischt sich mit dem zischenden Anbraten in der Küche und dem Geklapper von Pfannen und Geschirr. Neben dem Hintereingang zu diesem sicherlich vier Meter hohen Raum ist ein riesiges Regal mit unzähligen Fächern montiert, welches prall gefüllt mit Stofftaschen, Plastiktaschen, Kartonschachteln oder einfach lose eingeräumten Lebensmitteln ist. Hier kann jeder Bewohner seine eigenen Vorräte verstauen. Die schiere Menge an gefüllten Regalfächern könnte einen glauben lassen, dass hier hunderte Gäste wohnen. Tatsächlich halten sich aber zu keiner Tageszeit mehr als fünf oder sechs Personen auf einmal im Aufenthaltsraum auf.
Erstaunlicherweise befindet sich in diesem skurrilen Saal auch ein Flügel und lässt irgendwie erahnen, dass das Haus einmal bessere Zeiten und wohlhabendere Gäste gesehen haben muss. Jetzt ist er übersät mit Zeitschriften, Kinderspielzeug und ein paar wenigen Notenblättern.
Als wir an diesem Nachmittag hier einlaufen, sind nur zwei der fünf Tische belegt, und die jungen Leute - hier wohnen hauptsächlich junge Leute - sind auf die Lieblingsbeschäftigung der heutigen Reiseszene konzentriert, dem Hantieren mit ihren Handys. Manche telefonieren laut. Man hört Gespräche auf Französisch, Englisch oder Japanisch, und natürlich geht es um die eigene Reise und die unvergleichlichen Erlebnisse dabei.
Wir durchqueren den Raum, da wir wissen, dass der Kapitän des Schiffs meistens auf der Kommandobrücke zu finden ist. Sie besteht aus zwei klapprigen Gartenstühlen vor dem Haupteingang. Dieser offizielle Zugang zum Hotel führt über eine Terrasse, die...
Erscheint lt. Verlag | 15.4.2021 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber |
ISBN-10 | 3-99125-749-1 / 3991257491 |
ISBN-13 | 978-3-99125-749-3 / 9783991257493 |
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