Immer funktionieren funktioniert halt nicht (eBook)
320 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30353-7 (ISBN)
Judith Brückmann, geboren 1984, absolvierte eine Ausbildung zur Werbekauffrau und studierte Germanistik sowie Kunstgeschichte und arbeitete viele Jahre als freie Werbetexterin und Redakteurin. 2017 schloss sie ihre Ausbildung zum ganzheitlichen & systemischen Coach am Institut für Angewandte Psychologie in Köln ab und begleitete seitdem als Life- und Business-Coach Klient*innen, Paare und Unternehmen. Sie starb am 5. Februar 2022.
Judith Brückmann, geboren 1984, absolvierte eine Ausbildung zur Werbekauffrau und studierte Germanistik sowie Kunstgeschichte und arbeitete viele Jahre als freie Werbetexterin und Redakteurin. 2017 schloss sie ihre Ausbildung zum ganzheitlichen & systemischen Coach am Institut für Angewandte Psychologie in Köln ab und begleitete seitdem als Life- und Business-Coach Klient*innen, Paare und Unternehmen. Sie starb am 5. Februar 2022. Cord Neubersch, geboren 1976, ist Psychologischer Psychotherapeut und gründete 2015, nach mehreren Stationen u.a. in einer Psychiatrie und beim Psychosozialen Dienst einer Kinderklinik, eine eigene Praxis, in der er mit inzwischen 12 Mitarbeiter*innen als Verhaltenstherapeut mit Schwerpunkt Trauma arbeitet. Er lehrt regelmäßig als Dozent für die Themen psychische Störungen, Kindesmisshandlungen und Trauma. Er lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Moers am Niederrhein.
Stress vs. Überforderung.
Oder: warum nicht die anderen schuld sind
Stress kennt jeder. Er ist in unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken und gehört fast schon zum guten Ton. Jeder hat Stress. Ob im Job, innerhalb der Familie, Partnerschaft oder in anderen Lebensbereichen, in denen uns zu viele Anforderungen gleichzeitig erreichen bzw. solche, die uns vor unbekannte Probleme stellen oder nach besonderen Fähigkeiten verlangen.
Stress ist eigentlich eine natürliche biochemische Reaktion in unserem Körper, die uns in erster Linie bei Gefahren schnell in Alarmbereitschaft versetzen soll. Unser Körper hat damit die großartige Fähigkeit, von jetzt auf gleich auf 100Prozent Konzentration umzuschalten und uns mithilfe von Anspannung und Adrenalin- bzw. Cortisolausschüttung zum sofortigen Handeln bereit zu machen, z.B., wenn uns ein Kind vors Auto läuft und wir direkt hellwach sind und instinktiv bremsen. Es gibt verschiedene Alarmauslöser, sogenannte Stressoren:
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physische Stressoren: Lärm, Hitze, Kälte, Hunger, Reizüberflutung, Verletzungen
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psychische Stressoren: Versagensängste, Überforderung, Unterforderung, Fremdbestimmung, Zeitmangel, Kontrollverlust
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soziale Stressoren: Konflikte, Isolation, Mobbing, Verlust eines Menschen etc.
Das Empfinden von Stress ist dabei aber sehr individuell, weil jeder von uns eine unterschiedlich »dicke Haut« mitbringt. Wir können jedoch festhalten: Stress entsteht bei Belastung. Wie schnell und wie stark, hängt allerdings von unserer eigenen Belastbarkeit, oder in der Fachsprache Resilienz, ab. Übersteigt die Anforderung unsere Fähigkeiten und unsere Belastbarkeit, reden wir von Überforderung. Ein simples Beispiel: Wir müssen noch einkaufen, aber der Supermarkt schließt schon bald. Das löst in uns Hektik aus, aber wir wissen, dass wir der Situation gerecht werden können. Wir können direkt loslaufen und den kürzesten Weg nehmen oder wir verschieben den Einkauf auf morgen. Anders läuft es ab, wenn wir vor einer Situation stehen, die unsere Ressourcen, Leistungen oder Kapazitäten – egal, ob nur gefühlt oder tatsächlich – übersteigt. Zum Beispiel, wenn wir eine Präsentation oder Rede erstellen sollen, uns aber die nötige Vorbereitungszeit fehlt bzw. wir uns der Situation grundsätzlich nicht gewachsen fühlen, weil wir eventuell ein Problem damit haben, eine Rede zu halten, oder uns in dem zu präsentierenden Thema nicht sicher fühlen. Dann sprechen wir von Überforderung. Das passiert, wenn ein Ungleichgewicht zwischen den Anforderungen von außen und den inneren bzw. persönlichen Voraussetzungen, also Eigenschaften, Befinden, Ressourcen und Möglichkeiten, herrscht. Hervorgerufen wird das Ungleichgewicht durch eine Vielzahl von Faktoren, wie z.B. Zeitmangel und Zeitdruck, soziale Konflikte, berufliche Konflikte und Leistungsdruck oder persönliche Probleme. Insofern unterscheidet man psychische, soziale, emotionale, kognitive und intellektuelle sowie seelische und nervliche Überforderung. Es können auch mehrere Überforderungsarten gleichzeitig auftreten und sich somit überschneiden. Grundsätzlich kommt es darauf an, wo unsere persönliche Achillesferse liegt. An diesem Punkt werden wir vermutlich häufiger oder regelmäßig Überforderung erleben. Oder, um konkreter zu werden: Die Rollen und die dazugehörigen Anforderungen, die wir in unserem Alltag einnehmen und bewältigen müssen, sind für uns nicht alle gleich leicht zu meistern. Manchmal passen die Anforderungen perfekt zu den Fähigkeiten und Stärken, die wir mitbringen, dann befinden wir uns sogar in einem sogenannten »Flow«-Zustand, wo uns alles »zuzufliegen« scheint. In anderen Situationen liegen die Anforderungen unter unseren Fähigkeiten, sodass wir uns unterfordert fühlen und vielleicht mehrere Dinge gleichzeitig wahrnehmen können, z.B., wenn wir die Wohnung putzen und gleichzeitig telefonieren oder uns beim Autofahren mit dem Beifahrer unterhalten. Aber sobald die Anforderungen unsere Fähigkeiten übersteigen, geraten wir in die Überforderung.
Zudem unterscheiden wir noch die kurzfristige von der langfristigen Überforderung: Eine kurzzeitige Überforderung kann z.B. die Situation der Reizüberflutung sein. Wir sind nicht in der Lage, alle auf uns einströmenden Reize in angemessener Weise zu verarbeiten, und fühlen uns überfordert. Wir können nicht mehr klarsehen oder denken und müssen uns anstrengen, um die relevanten Inhalte zu filtern. Langfristige Überforderung entsteht, wenn wir uns in einer anhaltenden oder regelmäßig wiederkehrenden Situation befinden, die unsere Fähigkeiten stets überschreitet und uns immer wieder aufs Neue »an unsere Grenzen bringt«. Das ist häufig im Job der Fall, wenn die Erwartungen und Anforderungen sich nicht mit unseren Fähigkeiten decken und der Leistungsdruck auf längere Zeit einfach zu hoch ist. Kommt hier noch ein eigener Leistungs- und Perfektionsanspruch hinzu, kann die Überforderung gefährlich werden und z.B. in einem Burn-out enden.
Wie bereits erwähnt kann es auch zu einer mehrfachen Überforderung kommen. Das passiert, wenn uns mehrere Situationen gleichzeitig unlösbar erscheinen oder sie unsere Kapazitäten übersteigen. Stehen wir z.B. vor einer wichtigen Prüfung und im selben Moment trennt sich unser/unsere Partner/-in von uns, sind wir sowohl auf kognitiver und intellektueller als auch auf emotionaler Ebene überfordert. Die Anforderungen übersteigen unsere persönlichen Ressourcen.
Halten wir also fest: Stress kann zu Überforderung führen und Überforderung kann wiederum Stress auslösen. Sind wir häufig Stressoren ausgeliefert, kann dies irgendwann zu einem konstanten Überforderungsgefühl führen. Denn Überforderung ist ein Gefühl, das uns in die »Sackgasse« schickt und uns die Lösung für unsere Probleme häufig nicht mehr erkennen lässt.
Insiderwissen
ICH MUSS MICH ERST MAL SELBST VERSTEHEN, UM MIR HELFEN ZU KÖNNEN.
Achtung: Hier kommt die gute Nachricht, die aber nicht immer gut ankommt: Wir sind selbst dafür verantwortlich, dass es uns gut geht.
Einer der wichtigsten Schlüssel zur Bewältigung von Stress und Überforderung ist zunächst einmal das Bewusstsein über uns selbst und damit auch das Kennen und Stärken unserer eigenen Ressourcen. Wenn wir wissen, wo unsere Grenzen liegen, können wir selbst entscheiden, ob wir selbst bis an dieses Limit gehen oder ob wir uns erst gar nicht in eine eventuell unüberwindbare Situation bringen. Zudem können wir auch entscheiden, wie weit wir andere bei uns gehen lassen. Dann sprechen wir von Abgrenzung. Sie ist ein ganz entscheidender Punkt im Coaching und in der Psychotherapie. Denn einer Überforderung geht meistens eine Anforderung oder Erwartung voraus. Diese muss nicht zwangsläufig von einer Person an uns gerichtet worden sein, sondern kann uns auch durch bestimmte Lebensumstände treffen: wenn wir z.B. ungewollt schwanger werden oder uns ein Coronavirus vor ungeahnte Herausforderungen stellt. Es liegt aber in solchen Momenten an uns, welche Einstellung wir dazu einnehmen, wie wir uns in solchen Situationen verhalten und wie wir auch mit uns und unseren Bedürfnissen umgehen.
Als die Coronakrise und der erste Lockdown kamen, war Judiths erster Gedanke: »O mein Gott. Wie soll das alles weitergehen? Wie lange bleibt das so? Wie sollen wir das alles schaffen? Ich war zu dem Zeitpunkt im achten Monat schwanger, mein Sohn war drei Jahre alt und mein Mann im neuen Job in Probezeit. Mit Hinblick auf meine anstehende Elternzeit war ich zudem damit beschäftigt, meine Coachingarbeit von der Selbstständigkeit zu einem Team auszubauen, qualifizierte MitarbeiterInnen zu gewinnen, meine KlientInnen und deren Prozesse zu einem guten Abschluss zu bringen bzw. an meine Kolleginnen zu übergeben. Stattdessen ging es ins Homeoffice mit kleinem Kind zu Hause und einem heranwachsendem im Bauch. Zunächst saßen mein Mann und ich jeden Abend da. Fix und fertig, kraftlos, irritiert von der Welt, in die wir reingeraten waren. Natürlich auch gereizt und genervt, denn alle Pläne waren erst mal on hold. Wir mussten uns mit der Situation abfinden, wie alle anderen. Ein Plan musste also her. Und ein Umdenken. Nachdem wir also irgendwann akzeptiert hatten, dass wir die Umstände nicht in der Hand haben, die Lage nicht ändern können und den anfänglichen Frust hinter uns gelassen hatten, hatten wir uns sehr gut organisiert und betrachteten die Wochen und die exklusive Zeit mit unserem Sohn als Geschenk, bevor wir bald jemanden Neues in unserer Familie begrüßen würden. Und die Zeit hat uns am Ende stärker zusammengeschweißt. Unser Sohn genoss die Zeit mit uns in vollen Zügen und wir umgekehrt genauso. Zusätzlich haben wir festgestellt, dass uns so schnell nichts umhauen kann. Das Leben hat uns also bestärkt und einen neuen Fokus verschafft. Wir rasten zuvor durch unser Leben und den Alltag, hatten unsere klaren Abläufe, die kaum noch hinterfragt wurden. Wir funktionierten super als Team, aber wir nahmen die einzelnen Teamplayer nicht mehr bewusst wahr. Auch uns selbst und unsere Bedürfnisse nicht mehr. Nun hatten wir die Wahl: jeden Tag zu zählen und zu stöhnen oder die Chancen einer Zeit wie dieser zu erkennen. Natürlich gab es auch bei der zweiten Option, die wir gewählt haben, zwischendurch Momente des Stöhnens. Aber die grundsätzliche Ausrichtung spielte die entscheidende Rolle.«
Im Coaching nennt man diese Methode des Umdenkens und die Möglichkeit, Potenzial in Situationen zu erkennen, die zunächst hoffnungslos erscheinen,...
Erscheint lt. Verlag | 4.11.2021 |
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Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Esoterik / Spiritualität |
Schlagworte | Achtsamkeit • Coaching • Digitalisierung • Lebenshilfe • mindfullness • Psychische Gesundheit • Psychologie-Ratgeber • Psychotherapie • Stress-Bewältigung • Überforderung |
ISBN-10 | 3-462-30353-8 / 3462303538 |
ISBN-13 | 978-3-462-30353-7 / 9783462303537 |
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