Glück ist kein Ort (eBook)
304 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01090-1 (ISBN)
Juan Moreno, geboren 1972 in Huércal-Overa (Spanien), arbeitete zunächst für den WDR, dann für die «Süddeutsche Zeitung». Seitdem ist er vor allem für den «Spiegel» in aller Welt unterwegs. Moreno hat mehrere Bücher geschrieben, u.a. «Teufelsköche» (2011), «Uli Hoeneß» (2014) und zuletzt «Tausend Zeilen Lüge» (2019) über den Fall Relotius, einen der größten Medienskandale der Nachkriegsgeschichte. Das Buch wurde zum Nr.-1-Bestseller, Juan Moreno als «Journalist des Jahres 2019» ausgezeichnet. 2020 startete er für den «Spiegel» den vielbeachteten Auslands-Podcast «Acht Milliarden».
Juan Moreno, geboren 1972 in Huércal-Overa (Spanien), arbeitete zunächst für den WDR, dann für die «Süddeutsche Zeitung». Seitdem ist er vor allem für den «Spiegel» in aller Welt unterwegs. Moreno hat mehrere Bücher geschrieben, u.a. «Teufelsköche» (2011), «Uli Hoeneß» (2014) und zuletzt «Tausend Zeilen Lüge» (2019) über den Fall Relotius, einen der größten Medienskandale der Nachkriegsgeschichte. Das Buch wurde zum Nr.-1-Bestseller, Juan Moreno als «Journalist des Jahres 2019» ausgezeichnet. 2020 startete er für den «Spiegel» den vielbeachteten Auslands-Podcast «Acht Milliarden».
Fischen wie Hemingway (Kuba)
Wie sich zeigen wird, ist Carlos, der keinen Nachnamen hat und vermutlich auch nicht Carlos heißt, genau der richtige Mann, wenn man etwas Unmögliches auf Kuba braucht. Genau das ist bei mir der Fall. Etwas Banales, das völlig unmöglich ist. Aber vielleicht der Reihe nach.
Carlos sitzt vor dem besseren der beiden Fischrestaurants Cojímars, einem kleinen Küstendorf, unweit von Havanna. Es ist ein schwüler Karibikmorgen. Der Wind kommt von Norden. Das Meer, auf das wir beide blicken, wirkt unruhig. Carlos nippt an seinem zweiten Cristal, seinem bevorzugten Frühstücksbier. Ihm gegenüber sitzt Rosita, die kräftig gebaute, ausgesprochen sympathische örtliche Puffmutter. Rosita strahlt, als sie mich sieht. Ich, Europäer, mittleres Alter, nicht in Begleitung einer Frau, sehe wie Kundschaft aus. Aber Rosita ist Profi, sie spricht mich nicht sofort an.
Carlos und Rosita, das muss man verstehen, sind Freunde und Konkurrenten. Beide warten auf Kunden, auf Einnahmen, also auf westliche Touristen, die etwas suchen, was nicht in den Hotelprospekten steht: junge Frauen, junge Männer, Marihuana, Koks, solche Dinge. Gerade ist keine gute Zeit. Nebensaison. Vor mir waren nur ein paar Radtouristen hier. Enge Trikots in Leuchtwestenfarben, dazu Helme und Räder, die wie Mondfahrzeuge aussehen. Carlos versteht diese Spinner nicht. Fliegen um die Welt, um den Urlaub schwitzend auf dem Fahrrad zu verbringen. Essen keinen Hummer, trinken keinen Rum, nehmen kein Taxi, machen keine Liebe. Leute, die kein Geld ausgeben. Als gäbe es davon auf Kuba nicht schon genug.
Ich kann anfangs nicht einschätzen, ob Carlos der Richtige ist. Dafür muss man eines wissen: Jedes Dorf auf Kuba, jede Straße in Havanna hat einen Carlos. Auf Kuba ist wie in jedem sozialistischen Land, das etwas auf sich hält, sehr vieles verboten: freie Wahlen, der Besitz zweier Handys, Streiks, der Privatimport von Zündkerzen und Druckerpatronen, die eigene Meinung und noch vieles mehr. Aber unmöglich, wirklich unmöglich ist deutlich weniger. Ganz gleich, was man in diesem Land braucht – wenn man es in Dollar bezahlen kann, findet sich meist jemand, der es besorgt. Ich bin mit der Zeit zu der Überzeugung gekommen, dass der Kapitalismus nirgendwo so gut funktioniert wie in sozialistischen Ländern. Und Leute wie Carlos, die es überall auf Kuba gibt, sind diejenigen, die all diese verbotenen Dinge besorgen können. Makler des Unmöglichen. Ich habe höchsten Respekt vor ihren Fähigkeiten.
Mein Carlos ist ein kleiner, drahtiger Mann mit blauer Schirmmütze und einer etwas zu engen Badehose. Er sieht aus wie ein Stenz, der seine besten Jahre hinter sich hat. Als er bemerkt, dass ich mich der Restaurantterrasse nähere, scheint er Witterung aufzunehmen. Die Jagd beginnt. Es ist einer der Reize Kubas. Du kannst als Europäer noch so plan- und initiativlos durch den Urlaub wanken, irgendwann kommt ein Kubaner und erfüllt Wünsche, von denen du nicht wusstest, dass du sie hast.
Carlos fängt unverfänglich an. Er fragt mich, woher ich komme, und freut sich, dass ich Spanisch spreche. Die zweite wichtige Frage, die er stellen muss: «Und, zum ersten Mal hier?» Ganz gleich, was, das erste Mal ist immer teurer. Noch so ein Gesetz. Bevor ich geantwortet habe, winkt er Rosita heran.
Carlos und Rosita sind routinierter im Smalltalk als jedes diplomatische Korps. Als klar ist, dass ich zwar Tourist, aber nicht völlig ahnungslos bin, kommen sie zum Punkt.
«Ich habe Freundinnen. Wie viele brauchst du?», fragt Carlos. «Zwei, drei, jung, alt, dick, dünn?» Und weil Carlos Dienstleister ist, fügt er hinzu, dass er seine Wohnung für «die Party» anbieten könne, dazu etwas Rum und Koks, und falls man Hilfe brauche «mit so vielen Damen», auch sonst gern zur Hand gehe. Filmen sei übrigens gar kein Problem. Dann habe man etwas für zu Hause.
Ich bin noch nicht dazu gekommen, ihm zu sagen, dass ich etwas ganz anderes suche. Carlos redet immer weiter.
«Viagra», auch das kein Problem.
Wahnsinnig hilfsbereit, dieser Carlos, denke ich.
Die lächelnde Rosita, hundertdreißig Kilo kubanische Lebensfreude, würde die ihr eigene Dralligkeit anbieten und ebenfalls mitmachen, sagt sie.
«Ich will fischen», sage ich.
Rosita verdreht die Augen, sie sagt nichts, aber es ist klar, was sie denkt: Schon wieder so ein Hemingway-Idiot.
Das wichtigste Buch Kubas ist meiner Meinung nach nicht «Das Kommunistische Manifest». Das wichtigste Buch ist «Der alte Mann und das Meer». Hemingways grandioser Roman über den alten, hageren Fischer Santiago. Vierundachtzig Tage in Folge kehrt Santiago, der alte Mann, ohne Fang zurück. Dann schließlich, am fünfundachtzigsten Tag, fängt er einen riesigen Marlin im Golfstrom. 5,50 Meter lang. Doch auf dem Weg zurück zum Hafen und nach drei Tagen heroischen Kampfes verliert Santiago seinen Schwertfisch an die Haie.
Das Buch ist eines der schönsten Denkmäler, die je einem Verlierer gewidmet wurden. Bei der Veröffentlichung 1952 im «Life»-Magazin wurden in zwei Tagen fünf Millionen Exemplare verkauft. 1953 gewann Hemingway den Pulitzer-Preis für die Geschichte, ein Jahr darauf den Literaturnobelpreis. Sein bestes Werk, würde ich sagen. Es hat ihn unsterblich gemacht. Vor allem auf Kuba.
Hemingway lebte gut zwanzig Jahre auf der Insel, mit Unterbrechungen von 1938 bis 1961. Fidel Castro ließ Münzen mit Motiven aus dem Roman drucken. Hemingways alte Villa ist heute ein Museum. Es gibt nicht einen Touristen, der nach Havanna reist und nicht weiß, dass der Hochseefischer, Großwildjäger und Frauenheld seine Mojitos in der «Bodeguita del Medio» trank und die Daiquiris in der «Floridita». Die berühmteste Sauftour der Literaturgeschichte. Abend für Abend von Touristenarmeen, die sich durch Habana Vieja schieben, wiederholt.
Was nicht ganz so viele wissen, ist, was Hemingway vor dem allabendlichen Besäufnis in der «Bodeguita» und der «Floridita» so machte: fischen. Fast immer mit seinem Freund Gregorio Fuentes, einem Fischer aus Cojímar. Dieser ruhige, bescheidene Mann diente als Vorlage für «den alten Mann» in Hemingways Roman. Gregorio ist erst vor ein paar Jahren gestorben. Er saß in der «Terraza», dem anderen, mittlerweile sehr touristischen Restaurant Cojímars, und erzählte jedem die unglaubliche Geschichte seiner Freundschaft mit dem Nobelpreisträger. Carlos ist mit Gregorios Enkel befreundet. Er wohnt ein paar Häuser weiter. Nicht weit vom Hafen, der am Ende eines zugemüllten Strandes liegt.
Carlos schaut mich mitleidig an. Er hatte mit einer größeren Herausforderung gerechnet. Ein Angelausflug, das ist so leicht zu organisieren, es ist geradezu beleidigend trivial. Aber gut, auch da wird er eine Provision verdienen, wenn er mich an einen der staatlich zugelassenen Anbieter von Bootsausflügen verweist. Carlos bittet den Kellner um mehr Bier.
Er ahnt noch nicht, dass ich alles andere als ein einfacher Kunde bin. «Ich will hier fischen. In Cojímar, mit kubanischen Fischern. Nicht auf einem Touristenboot mit dicken Amerikanern, die fünfhundert Dollar am Tag zahlen. Ich will mit Kubanern fischen.»
Immer wieder kommen Leute ins winzige, verstaubte Cojímar, das praktisch nur aus einer breiten Straße besteht, die zum Meer führt, und wollen fischen. So wie Hemingway. So, wie sie es in «Der alte Mann und das Meer» gelesen haben.
Carlos schaut mich an. Rosita steht auf. Sie hat genug gehört. Wie immer dieses Gespräch endet, gevögelt wird offensichtlich nicht, also ist das alles für sie Zeitverschwendung.
«Das ist schwierig», sagt Carlos und schaut aufs Meer, wo einige Fischerboote zu sehen sind.
«Schwierig oder unmöglich?», frage ich.
Unmöglich, das Wort mag Carlos nicht. Er nimmt sein Handy und ruft einige Leute an. Carlos spricht eine seltsame Mischung aus kubanischem Spanisch, Miami-Englisch und mexikanischem Slang. Er ist erst seit gut einem Jahr wieder zurück. Mit achtzehn hat er Kuba verlassen, eine Weile in Florida gelebt und in der «dortigen kubanischen Logistikbranche» gearbeitet, was nicht bedeutet, dass er Lkw fuhr. Vielmehr erklärt es, warum er problemlos «Partyzubehör in Pulverform» organisieren kann. Die letzten Jahre war er in Mexiko. Acapulco, um genau zu sein. Er hat dort eine Wohnung, kann aber derzeit nicht zurück, aus Gründen, die nichts zur Sache tun, wie er findet. Nur so viel: Er wurde von einem amerikanischen Geländewagen über den Haufen gefahren, als er mit seinem Mofa vor der Ampel stand. Reiner Zufall, schwört Carlos. Er habe nichts gemacht. Nur auf Grün gewartet. Er hat dann überstürzt das Land verlassen. Verrückt, dieses Mexiko.
Carlos legt das Handy weg. «Es geht nicht», sagt er schließlich.
Jeder in Cojímar weiß, warum das nicht geht. Man kann hier als Tourist nicht zum Fischen aufs Meer rausfahren. Es gibt zwei Gründe dafür. Der erste: Es ist verboten. Normalerweise nehmen Kubaner Verbote ungefähr so ernst wie die Fünfjahrespläne der Inselregierung. Also gar nicht. Wenn es aber um Touristen auf kubanischen Booten geht, ist das anders. Als Nicht-Kubaner darf ich nur mit staatlichen Anbietern aufs Meer fahren. Ich könnte in Miramar, dem Nobelviertel Havannas, in der Marina Hemingway, dem weitläufigen wie ziemlich leeren Yachthafen, eine Crew samt Boot mieten. Fünfhundert Dollar pro Tag, Mojitos und Sonnenbrand inklusive. Das ist, was mir Carlos vorschlagen wollte. Diese Möglichkeit hätte ich auch in den Touristenfallen Varadero und Cayo Coco. Organisierte Fischreisen auf Kuba gibt es viele. Es gibt sehr gute Anbieter, phantastische Fischgründe, und wenn man im...
Erscheint lt. Verlag | 19.10.2021 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber |
Reisen ► Reiseberichte | |
Schlagworte | Abenteuer • Andreas Altmann • Berge • Bestsellerautor • Entdeckungen • Exotik • Flüsse • Fremde Länder • Fremde Welten • Gefahr • Helge Timmerberg • Klima • Meere • Pablo Escobar • Reise • Reisebericht • Reiseliteratur • Reisereportagen • Reisereportage Nepal • Reisereportage Südamerika • spiegel Reporter • Survival • Tausend Zeilen Lüge • Tiziano Terzani • Weltumrundung |
ISBN-10 | 3-644-01090-0 / 3644010900 |
ISBN-13 | 978-3-644-01090-1 / 9783644010901 |
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