Gebundener Wille -  Gottlob Friedrich Lipps

Gebundener Wille (eBook)

Das Problem der Willensfreiheit
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2021 | 1. Auflage
176 Seiten
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978-3-7534-1430-0 (ISBN)
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Auf der Basis der philosophischen Darstellung der Gebundenheit des Willens von Gottlob Friedrich Lipps entwickelt der Autor und Herausgeber eine naturwissenschaftliche Theorie, welche unter anderem die Libet-Experimente über die Willensfreiheit in neuem Licht erscheinen lassen. Am Ende steht eine plausible und nachprüfbare Aussage über das Wesen der Willensfreiheit und ob der Mensch tatsächlich einen freien Willen hat.

Der Philosoph und Psychologe Gottlob Friedrich Lipps (1865 - 1931) studierte Mathematik, Physik, Philosophie und Psychologie, unter anderem bei Wilhelm Wundt. Nach seiner Promotion 1888 unterrichtete er zunächst Mathematik und Physik. 1904 habilitierte er sich an der Universität Leipzig und 1911 wurde er von der Universität Zürich als ordentlicher Professor für Philosophie und Pädagogik und als Direktor des Psychologischen Instituts berufen. Dort befasste er sich mit Psychophysik und statistischer und experimenteller Methodik.

DETERMINISMUS UND INDETERMINISMUS


I. Ist Freiheit des Willens absoluter Indeterminismus?

Der absolute Indeterminismus versteht unter „Freiheit“ absolut ursachlose Selbstbestimmung, das Freisein von allen Bestimmungsgründen, ein Wollen ohne alle Motive. Der Wille bestimme sich lediglich und ausschließlich aus sich selber, durchaus unbeeinflusst, ungebunden und willkürlich, in dem Sinne, dass er unterschiedslos und ohne Einschränkung was auch immer wollen kann; eine Freiheit, welche man in der Fachsprache als liberum arbitrium indifferentiae zu bezeichnen pflegt.

Der absolute Indeterminismus war und ist auch bestrebt, diesen Allgemeinbegriff der „Freiheit“ zu begründen und zu rechtfertigen.2 Cartesius, Kant, Fichte, Schelling, Jakobi und andere gehören zu seinen mehr oder weniger entschiedenen Verteidigern. Der Indeterminismus entnimmt seine Gründe zunächst metaphysischen Erwägungen, indem er geltend macht, dass in der Natur zwar jeder gegenwärtige Zustand auf einen vorhergehenden hinweist, aus dem er hervorgeht, dass man aber bei der Verfolgung dieser Reihe nicht ins Unendliche zurückgehen kann, da es einen progressus in infinitum nicht gebe, weshalb wir ein erstes Glied annehmen müssten, das ursachlos ist und spontan wirkt. Gebe man nun dies zu, dann könne, was bezüglich des ersten Gliedes als notwendig erkannt wird, bei einem späteren Glied doch nicht als unmöglich bezeichnet werden. Weiter hebt der absolute Indeterminismus zu seinen Gunsten hervor, dass von Zurechnung nur dort die Rede sein kann, wo der Entschluss eine unmotivierte Unternehmung unter oder Auflehnung gegen das Moralgesetz in sich schließt, während sie dann keine Berechtigung dazu hätte, wenn der Entschluss sich als notwendiges Produkt eines bestimmten Prozesses herausstellt. Um auch psychologische Tatsachen ins Feld zu führen, weist er hin auf die freie Schöpfungskraft der Fantasie, auf die Unabhängigkeit des Denkens von subjektiven Beziehungen, des Gefühles von Vorstellungen.

Allein alle diese vorgebrachten Argumente sind nicht imstande, die absolutistische Freiheitstheorie zu rechtfertigen oder zu beweisen. Vor allem ist es unpsychologisch und erfahrungswidrig das menschliche Wollen gleichsam auf sich selbst zu stellen, es aus sich selbst schöpfen zu lassen, da es ein Wollen ohne Erkennen, ohne Vorstellung des Gewollten, ohne den erfahrungsmäßig gegebenen Inhalt des Wollens nicht gibt. Die Vorstellung des Gewollten aber gehört dem „Ich“, als dem Inbegriff der Regsamkeit aller vorhandenen Vorstellungsmassen. Daher gibt es kein „herrenloses“ Wollen, d. h. kein Wollen, das vom Ich unabhängig wäre und sich mit diesem nicht auseinandergesetzt hätte.

Der „Entschluss“ aber kann von diesem allgemeinen Gesetz keine Ausnahme machen, da es eben auch ein Wollen ist, — ein solches nämlich, das den Prozess des Wollens zum Abschluss bringt. Der Schein der absoluten Unabhängigkeit des Wollens und Entschlusses entsteht lediglich aus der häufigen Dunkelheit und Unbestimmtheit der dem Wollen zugrunde liegenden Vorstellungen als Motive. Wer somit die Freiheit in diesem Sinne behauptet, verwechselt lediglich ein Unvermögen des Beobachters mit einem vom Beobachter unabhängigen Vermögen des Wollens selbst und stellt Hypothesen auf, statt der Lösung des Problems aus bekannten Prinzipien nachzugehen. Der Begriff der Freiheit als absoluter, ursachloser Selbstbestimmung hat daher in der unmittelbaren Erfahrung des inneren Lebens — und nur diese können wir fragen, nur von dieser ausgehen, soll sich die wissenschaftliche Untersuchung nicht aller realen Unterlage berauben und in eine rein theoretische, abstrakte Spekulation verlieren — keinen Halt und keine Stütze.

Dass es zu dieser falschen und das Problem der Willensfreiheit so arg verwirrenden Auffassung überhaupt kommen konnte, hat seinen Grund hauptsächlich in der einseitigen, falschen Auffassung und der Verkennung des Wesens der äußeren Freiheit und deren Verwechslung mit der eigentlichen inneren: Die Voraussetzung und Bedingung der Betätigung des freien Wollens, nämlich die Negation des Zwanges und Affektes, wurde dem inneren Inhalt des Freiheitsbegriffes selbst substituiert, während jene äußere Freiheit offenbar nur den Raum schafft für die Stelle der Freiheit in engem Sinn, ohne diesen Raum selbst auszufüllen. Selbst Kant definiert die Freiheit als „das Vermögen oder die Fähigkeit des Willens, sich selbst zu bestimmen und mit absoluter Spontaneität eine Reihe von Erscheinungen oder Veränderungen anzufangen“. Schon Locke3 hat hervorgehoben, dass dies nichts anderes bedeute, als, „das Wollen will sich selbst“, was eine leere Tautologie ist.

Unter den deutschen Philosophen hat Leibniz das unleugbare Verdienst, auf die metaphysische und psychologische Unhaltbarkeit der absolutistischen Freiheitstheorie hingewiesen zu haben. In weiterer Ausführung dieser Erkenntnis Leibnizens hat Herbart gezeigt, dass die Auffassung der Freiheit als absoluter Selbstbestimmung auf einen regressus in infinitum, d. h. auf eine unendliche Reihe führt, und nicht erklärt, was dieser Begriff erklären soll. Ein bestimmtes Wollen folgt nämlich entweder auf ein Nichtwollen oder auf ein Anderswollen, ist also im ersten Fall ein Übergang aus der Untätigkeit in Tätigkeit, im andern ein Überspringen von einer Richtung seiner Tätigkeit in eine andere, oft sogar entgegengesetzte. Ist nun aber die Ursache dieser Veränderung im Zustand des Willens wieder der Wille selbst, so muss er, bevor er diese Veränderung hervorbrachte, untätig gewesen, mit derselben aber aus der Untätigkeit in Tätigkeit übergegangen sein. Dies ist aber wieder eine Veränderung im Zustand des Willens, die, wenn nun einmal der Wille sich selbst bestimmen soll, abermals auf eine vorangegangene Umwandlung von Untätigkeit in Tätigkeit als ihre Ursache zurückweist und so fort ohne Ende.4

In ähnlicherweise argumentiert Schopenhauer,5 dessen Freiheitstheorie wir sonst allerdings gleich jener Herbarts zurückweisen müssen, weil von einer „Willensfreiheit“ offenbar nicht mehr die Rede sein könnte. „Fasse ich“, sagt er, „die Freiheit des Willens in dem Sinne, dass ich wollen kann, was ich will, so kommt dies heraus, als ob das Wollen noch von einem andern hinter ihm liegenden Wollen abhänge. Gesetzt, diese Frage würde bejaht, so entstände bald die zweite: Kannst du auch wollen, was du wollen willst? Und so würde es ins Unendliche hinaufgeschoben werden, indem wir immer ein Wollen von einem früheren oder tiefer liegenden abhängig dächten und vergeblich strebten, auf diesem Weg zuletzt eines zu erreichen, welches wir als von gar nichts abhängig denken und annehmen müssten“. Freiheit als absolute Selbstmacht des Subjektes, infolge deren der Wollende die alleinige und souveräne Kausalität des gewollten Objektes ist, Freiheit als die Fähigkeit, in einer Reihe von Ursachen und Wirkungen das absolut erste Glied zu setzen, kann darum nicht mehr dem Menschen zukommen, sondern eben ausschließlich dem absoluten, göttlichen Wesen, da die absolute Freiheit mit schöpferischer Allmacht zusammenfällt.

Haben die bisher hervorgehobenen Bedenken gegen den absoluten Indeterminismus mehr einen theoretischen, psychologischen und logischen Wert, so ist das jetzt zu berührende von eminent praktischer Bedeutung: Der absolute Indeterminismus ist nämlich unverträglich mit der moralischen und rechtlichen Zurechnung der so vollbrachten menschlichen Handlungen. Denn sind die freien Willensakte rein zufällige Ereignisse in unserem Geistesleben, sind sie nicht aus den Vorstellungen unserer Seele hervorgegangen und stehen sie in keinem inneren Zusammenhang zu dem Ich als Wesensgrund und Träger aller Seelenerscheinungen, dann ist für diese Willensakte und die daraus hervorgehenden Handlungen alle Verantwortlichkeit, alles Verdienst und alle Schuld aufgehoben, weil ich nicht angeklagt werden kann, wofür ich nicht wirkende Ursache war: Die Zurechnung, indem sie, rückwärtsgehend, den Faden der Kausalität verfolgt, hört selbstredend dort auf, wo dieser abgerissen wird. Zudem müsste ein von allen Motiven unabhängiger Wille auch von moralischen Motiven unabhängig sein und er müsste eben dadurch unfrei und unmoralisch erscheinen, sodass die absolutistische Freiheitstheorie auch im Licht des moralischen Interesses als unhaltbar und verwerflich bezeichnet werden muss.

Endlich erklärt der absolute Indeterminismus auch nicht die durch die Verbrechens-Statistik nachgewiesene Gesetzmäßigkeit in scheinbar völlig freien Handlungen, obwohl andererseits die Gleichförmigkeit dieser Handlungen ebenso wenig die Unfreiheit und absolute Determiniertheit des ihnen zugrunde liegenden Wollens beweist. Überhaupt befindet sich der absolute Indeterminismus in Irrtum, wenn er sich zu seiner Rechtfertigung etwa auf Tatsachen des Bewusstseins berufen wollte; ja — er führt sich durch diese Berufung selbst ad absurdum. Die absolutistische Willensfreiheit sagt: „Ich kann wollen,...

Erscheint lt. Verlag 12.4.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
ISBN-10 3-7534-1430-1 / 3753414301
ISBN-13 978-3-7534-1430-0 / 9783753414300
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