Geist und Stille: Begegnungen. Leben  - Lernen  - Meditieren -  Jiddu Krishnamurti

Geist und Stille: Begegnungen. Leben - Lernen - Meditieren (eBook)

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2021 | 1. Auflage
280 Seiten
Aquamarin Verlag
978-3-96861-244-7 (ISBN)
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Krishnamurti hat nur wenige der zahlreichen Bücher, die unter seinem Namen veröffentlicht wurden, selbst geschrieben. Die bekanntesten sind „Das Notizbuch“, „Selbstgespräche“ und „Das Journal“. Nun erscheint, viele Jahre nach seinem Weggang in eine höhere Dimension, ein weiteres Werk, das seine persönlichen Erinnerungen an die Begegnungen mit Menschen enthält, die, manchmal auf sehr einschneidende Weise, seinen Lebensweg kreuzten. Obwohl er diese Treffen in der „dritten Person“ schildert, sind die teilweise prominenten Persönlichkeiten häufig gut zu erkennen.
Umrahmt werden diese „Begegnungen“ wieder durch die für Krishnamurti typischen, oft von einem mystischen Grundtenor erfüllten Naturbeschreibungen.
Ein wichtiges Buch im Rahmen von Krishnamurtis Gesamtwerk, das ihn von seiner ganz privaten Seite zeigt und Facetten enthüllt, die in seinen öffentlichen Auftritten nur zu erahnen sind.

Teil Zwei: Erkundungen über das Lernen


30: Bildung heißt, die außergewöhnliche Schönheit der Ordnung hervorzubringen


Sie waren auf dem Dach, auf der Veranda und in den Bäumen, eine ganze Gruppe. Sie mussten gestern spätabends gekommen sein. Ihre kleinen Hände griffen nach allem. Sie saßen im großen Tamarindenbaum, pflückten büschelweise Früchte, kosteten davon, aßen nie auf und warfen sie weg. Es waren braune Affen, langschwänzige kleine Tiere voller Unruhe und Mutwillen, die endlos hin- und herrannten. Sie kamen nie zur Ruhe, ständig kratzten sie sich, zupften ihr Fell oder putzten Stirn und Körper eines anderen. Sie pflückten kleine Insekten von den anderen Affen und verschlangen sie. Selbst wenn einer oder zwei völlig übermüdet einschliefen, machten sie etwas mit ihren Händen. Im Garten richteten sie eine schreckliche Verwüstung an; echte Schädlinge, aber niemand schien sich daran zu stören. Sie waren heilig, und man durfte sie nicht berühren oder ihnen etwas antun. Man konnte sie nur in großen Fallen einfangen, ohne sie zu verletzen, und weit forttragen. Aber recht bald waren sie wieder da. Vielleicht nicht dieselben, aber eine andere Gruppe.

Wenn du sie ganz still beobachtetest, taten sie so, als sähen sie dich nicht, behielten dich aber dennoch stets im Auge. Es gab ein großes Männchen, vor dem sich die meisten fürchteten, um den sie vorsichtig herumschlichen, den sie mieden. Wenn er aber einen Baum verließ, trotten sie ihm hinterher. Vielleicht war er der Anführer. Sie hatten feine Hände, zart, rau, wohlgeformt und lang. Dem Anschein nach waren sie sehr intelligent. Später am Abend, bei Sonnenuntergang, kreischten sie in dem großen Banyanbaum. Dieser Baum war grandios, prachtvoll in seinem Wuchs. Er breitete die Arme aus, um einen zu begrüßen. Wenn die Kinder unter dem Banyanbaum ein Theaterstück oder einen Tanz aufführten, schimpften die Affen. Das Licht, die Musik und die vielen Menschen störten sie. Die Gärtner und andere versuchten, sie zu verscheuchen. Sie ließen sich reichlich Zeit und verschwanden schließlich. Offene Flächen mochten sie nicht. Hinter dem breiten Feld standen Obstbäume – Breiäpfel, Papayas, Orangen, Avocados und Trauben – aber seltsamerweise gingen die Affen nie dorthin. Was für ein Fest wäre das für sie gewesen!

Sie ließen dich nie zu nah herankommen. Das große Männchen ließ dich bis auf etwa drei Meter heran; dann sahen wir einander an, und ziemlich schnell wurde ihm langweilig. Es war keine Angst in ihm, aber er hatte stets einen sehr wachsamen Blick, scharf und vorsichtig. Es gab Babys, die sich an ihre Mütter klammerten, und junge Affen mit langem Schwanz, die miteinander spielten und zwischen dem Geäst hervor und wieder hinein flitzten, aber nie kamen sie dabei in die Nähe des großen Männchens. Sie mieden ihn ängstlich.

Am nächsten Tag verschwanden die Affen; nicht einer blieb. Sie müssen über den Berg gezogen sein, um andere Bäume zu martern und die Erdnusspflanzungen zu verwüsten. Manchmal begegnetest du ihnen auf der Straße. Es war jetzt still ohne sie. Die Bäume, die Büsche und die kleinen Pflanzen wirkten froh, dass sie weg waren. Sogar die Vögel mochten sie nicht, besonders die Krähen. Sobald eine Krähe näherkam, huschten die Affen davon.

 

Es war recht frisch und kühl an jenem Morgen, und der blaue Himmel war sehr klar. Die Berge wirkten, als hätten Hände sie gehauen. In einem langen Zug fuhren heubeladene Ochsengespanne ins Tal. Im Raum waren viele Lehrer aus verschiedenen Teilen der Welt. Auch ein Tonbandgerät stand da. Die Veranda war erfüllt vom Duft des Jasmins.

„Was halten Sie von diesen neuen Lernmaschinen. Sie werden in Amerika eingesetzt. Die Kinder lernen selbstständig von der Maschine, und der Lehrer überwacht sie. Anscheinend lernen die Kinder so viel schneller.“

Es ist merkwürdig, wie alles mechanisiert wird. Dieses mechanische Lernen trägt dazu bei, dass der Geist immer mechanischer wird. Mit einer Maschine kann man nicht diskutieren. Man kann ihr vielleicht eine Frage stellen, und sie antwortet, aber dies kann einen Geist, der bereits mechanisch ist, nur noch mechanischer machen. Glauben Sie nicht, dass ein Kind, ein Schüler, eine direkte Beziehung zu einem Menschen braucht und keine Maschine? Ein Lehrer, der sich kümmert, der nicht nur Informationen weitergibt, sondern der ein menschliches Wesen ist und über die vielen Aspekte des Lebens und seine Probleme spricht, stellt durch das Gespräch einen Kontakt zum Schüler her und trägt dazu bei, dass eine vollständige Intelligenz entsteht statt nur fragmentarisches Wissen über ein bestimmtes Thema – so notwendig Wissen auch sein mag.

„Es gibt so viel studentische Revolte auf der Welt. Offenbar haben sie kein positives Ziel. Ihr Ziel wirkt klein, destruktiv und gewaltsam, ohne jede Disziplin oder Wertschätzung für menschliches Leben. Sie glauben, durch Zerstörung erschaffen sie eine neue Gesellschaft, aber die Geschichte hat uns gelehrt, dass physische Revolution nur Tyranneien unterschiedlichster Art hervorbringt. Anscheinend ist ihnen dies nicht klar. Sie wollen sofortige Veränderungen, sofortige Ergebnisse – und Gewalt ist ihr Mittel. Ich kann es verstehen, aber es entsetzt mich, denn Gewalt kann doch nur noch mehr Gewalt hervorbringen.

Aber von alledem abgesehen, würde ich als Lehrer sehr gerne mit Ihnen und den anderen über die Frage der Disziplin sprechen. Die Disziplin von Strafen und Belohnen ist immer noch da, vielleicht inzwischen ein wenig subtiler. Prüfungen sind vielleicht nicht nötig – es gibt Schulen, die sie als abschließenden Befähigungstest streichen – aber Aufzeichnungen über den Lernerfolg sind doch immer noch eine Form von Lohn und Strafe. Wir sind, wie Sie sagen, konditioniert durch das Versprechen des einen und die Drohung mit dem anderen. Unsere gesellschaftliche und moralische Struktur baut darauf auf, und entsprechend haben sich verschiedene Formen religiöser und kultureller Disziplin entwickelt. In dieser permissiven Gesellschaft ist sie größtenteils verschwunden. Wenn man heute eine Schülerin oder einen Schüler fragt, was Disziplin ist, dann bin ich mir sicher, dass sie es nicht wissen. Oder sie lehnen sie völlig ab und erwidern: ‚Sie haben sich diszipliniert, und nun sehen Sie mal, was aus Ihnen geworden ist. Ihre Ordnung ist Chaos, Ihre Disziplin hat Kriege und soziale Ungerechtigkeit hervorgebracht. Das wollen wir nicht. Wir wollen eine andere Gesellschaft, und was Sie über Disziplin und Ordnung sagen, bedeutet uns nicht viel.‘ Aber abgesehen davon, was die jungen Leute sagen, braucht man doch Disziplin. Ohne sie bringt man nichts zustande. Wenn man die Wohnung streichen will, muss man in geordneter Weise vorgehen; man kann nicht einfach nur die Farbe verspritzen.“

Was bedeutet das Wort Disziplin? Bedeutet es nicht den Akt des Lernens, des Lernens von einem Lehrer, des Lernens von der gesamten Bewegung des Lebens, deren Teil man ist? Um zu lernen, muss Aufmerksamkeit vorhanden sein, und Aufmerksamkeit ist Ordnung; nicht, dass man sich Ordnung auferlegt, um aufmerksam zu sein, sondern der Akt des Lernens an sich erfordert Aufmerksamkeit. Das Thema spielt keine Rolle, ob es ums Wändestreichen geht oder ums Briefeschreiben; wenn man es gut machen will, erfordert alles Aufmerksamkeit. Wir erlegen dem Schüler Disziplin auf, in der Hoffnung, dass er lernt, sich auf das Buch zu konzentrieren, das vor ihm liegt und ihn eigentlich nicht interessiert. Er möchte aus dem Fenster schauen und die Berge betrachten oder zusehen, wie der Wind die Blätter aufwirbelt. Was Sie sagen, findet er langweilig. Sie sehen, dass er aus dem Fenster schaut, und sagen ihm, er solle sich auf das Buch konzentrieren oder auf das, was Sie sagen. Er weiß, wenn er das nicht tut, wird er in irgendeiner Weise bestraft, also zwingt er sich und gibt sich Mühe. Ebendiese Mühe macht ihn mechanisch. Zweifellos wird er die Prüfung bestehen, aber er wird sein Leben lang völlig mechanisch sein.

Wenn er, von einem anderen Unterrichtsfach kommend, ins Klassenzimmer saust, dann bitten Sie ihn, eine Zeit lang stillzusitzen. Wenn er aus dem Fenster schaut, bitten Sie ihn, die Bäume anzusehen, die gelben Blätter, die Schönheit der Berge, die Farbe der Poinsettien, die Schatten, den Dorfbewohner. Lassen Sie ihn dies ansehen, ohne alle Angst, weil er dem Buch oder dem, was Sie sagen, gerade keine Aufmerksamkeit schenkt. Lassen Sie seine Augen auf der Schönheit der Erde ruhen. Wenn er den Dingen in seiner Umgebung Aufmerksamkeit gewidmet hat, kann er mit derselben Aufmerksamkeit ins Buch schauen, ohne jeden Widerstand. Gerade dieser Widerstand macht den Geist, im Leben wie in der Schule, unbeweglich, trüb und ängstlich. Von Anfang an bringen wir die Kinder dazu, Angst zu haben – und dann belohnen wir sie. Je einfühlsamer ein Schüler ist, desto weniger möchte er von einem System geprägt werden, das mit seiner Disziplin und seinen Auseinandersetzungen grundsätzlich auf Lohn und Strafe beruht.

Ordnung ist notwendig, um überhaupt etwas zustande zu bringen. Dies kann man diskutieren, darüber kann man in einem Geist des Verständnisses und der Neugier sprechen, dies kann man verbal ohne Anordnungen oder Drohungen kommunizieren und dabei darauf hinweisen, was Unordnung ist und was nicht, was Ordnung ist. Die Erforschung des Verständnisses von Unordnung erzeugt Ordnung, nicht umgekehrt. Wenn man eine Blaupause für Ordnung hat, wie dies in Diktaturen und in schwächerer Form auch in Demokratien der Fall ist, wird jeder mit auch nur einem Fünkchen Geist dagegen revoltieren. Gemeinsam mit dem Schüler darüber zu sprechen, baut hingegen nicht nur eine andere Beziehung zwischen Schüler und Lehrer...

Erscheint lt. Verlag 11.2.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
ISBN-10 3-96861-244-2 / 3968612442
ISBN-13 978-3-96861-244-7 / 9783968612447
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