Selbstgespräche - Das letzte Tagebuch (eBook)
184 Seiten
Aquamarin Verlag
978-3-96861-237-9 (ISBN)
Jiddu Krishnamurti, geboren 1895 in Indien, gestorben 1986 in den USA, war einer der großen Revolutionäre unseres Jahrhunderts und einer der unabhängigsten Denker, die sich je der Erforschung der menschlichen Natur zuwandten. Auf Vortragsreisen und in mehr als 60 Büchern legte er Suchenden in aller Welt seine Auffassung eines geistigen Erwachens ohne die Vermittlung traditioneller religiöser Methoden dar.
Das einzigartige letzte Dokument des revolutionären spirituellen Lehrers. In keinem anderen Buch kommt der Leser Krishnamurti so nahe wie in seinen „Selbstgesprächen“.
Ein Klassiker philosophischer Kontemplation!
Mittwoch, 16. März 1983, (Fortsetzung vom 15. März)
»Der Mensch hat den Menschen aus verschiedenen geistigen Beweggründen getötet. Er hat ihn aus religiösen Gründen getötet, er hat ihn aus patriotischen Gründen getötet, für den Frieden, er tötete ihn in organisiertem Krieg. Dies war unser Los, einander endlos zu töten.
Haben Sie sich überlegt, welchen Kummer dieses Töten der Menschheit gebracht hat, den unendlichen Kummer der Menschheit, durch Jahrhunderte hindurch – wie viel Tränen, Seelenqual, Brutalität und Angst es mit sich brachte? Und es geht immer so weiter. Die Welt ist krank. Die Politiker, ob links oder rechts oder Mitte oder totalitär, werden keinen Frieden herbeiführen. Jeder Einzelne von uns ist verantwortlich, und da wir verantwortlich sind, müssen wir dafür sorgen, dass das Gemetzel zu Ende geht, so dass wir auf der Erde, die unser ist, in Schönheit und Frieden leben können. Es ist eine ungeheure Tragödie, der wir nicht ins Gesicht sehen und die wir nicht beenden wollen. Wir überlassen alles den Spezialisten; und die Spezialisten sind so gefährlich wie ein tiefer Abgrund oder eine giftige Schlange.
Wenn wir das also alles beiseite lassen, welche Bedeutung hat der Tod? Was bedeutet für Sie der Tod?«
»Für mich bedeutet es, dass alles, was ich gewesen bin, alles, was ich bin, plötzlich zu Ende geht, durch eine Krankheit, einen Unfall oder hohes Alter. Natürlich habe ich über Wiedergeburt gelesen und mich darüber mit Asiaten, mit Indern, die daran glauben, unterhalten. Ich weiß nicht, ob das wahr ist oder nicht, doch soweit ich es verstehe, bedeutet der Tod das Ende eines lebendigen Wesens; der Tod eines Baumes, der Tod eines Fisches, der Tod einer Spinne, der Tod meiner Frau und meiner Kinder, ein plötzliches Abschneiden, ein plötzliches Enden dessen, was gelebt hatte, mit all den Erinnerungen daran, den Gedanken, Schmerzen, Ängsten, Freuden, Vergnügungen, dem Anschauen eines Sonnenunterganges miteinander – all das ist zu Ende gegangen. Und die Erinnerung an all das bringt nicht nur Tränen, sondern auch die Erkenntnis der eigenen Unzulänglichkeit, der eigenen Einsamkeit. Und der Gedanke der Trennung von der Frau und den Kindern, von den Dingen, für die man gearbeitet hat, die man geliebt hat, an die man gedacht, an denen man gehangen hat, die Bindungen und der Schmerz der Bindung, all das und noch manches andere hört plötzlich auf: Das ist es wohl, was wir damit meinen, das ist es, was Tod bedeutet. Für mich ist es das Enden.«
»Ein Bild meiner Frau und der Kinder steht auf dem Klavier in meinem Wochenendhaus am Meer. Wir haben zusammen Klavier gespielt. Das ist die Erinnerung an sie im Bild auf dem Klavier, aber die Wirklichkeit ist nicht mehr da. Erinnern ist schmerzlich, oder Erinnern kann erfreuen, doch die Freude verblasst eher, weil sie von der Trauer verdrängt wird. All das bedeutet für mich Tod. Wir hatten eine sehr liebe Perserkatze, ein sehr schönes Geschöpf. Und eines Morgens war sie dahin. Sie lag auf der vorderen Veranda. Sie musste etwas gefressen haben – da lag sie, leblos, nichtig. Sie wird nie wieder schnurren. Das ist Tod. Das Enden eines langen Lebens oder das Enden eines neugeborenen Kindes. Ich hatte einmal eine kleine junge Pflanze, die ein großer Baum zu werden versprach. Doch ein gedankenloser, achtloser Mensch ging vorbei, trat auf sie, und sie wird nie ein großer Baum sein. Auch das ist eine Form von Tod. Das Enden eines Tages, eines Tages, der arm war oder reich und schön, kann man auch Tod nennen. Das Beginnen und das Enden.«
»Mein Herr, was heißt leben? Vom Augenblick, in dem man geboren ist, bis man stirbt, was heißt leben? Es ist sehr wichtig zu verstehen, wie wir unser Leben führen, warum wir nach so vielen Jahrhunderten noch immer so leben. Liegt es nicht an einem selbst, wenn es ein ständiger Kampf ist? Konflikt, Schmerz, Freude, Vergnügen, Angst, Einsamkeit, Depression und Arbeit, Arbeit, Arbeit, hart arbeiten für andere oder für einen selbst. Wir sind selbstsüchtig und manchmal vielleicht auch großzügig, neidisch, zornig, wir versuchen, den Zorn zu unterdrücken oder dem Zorn freien Lauf zu lassen usw. Das ist es, was wir Leben nennen – Tränen, Lachen, Kummer und die Anbetung von etwas, das wir erfunden haben. Wir leben mit Lügen, Illusionen und Hass, dem ganzen Überdruss, der Langeweile, der Nichtigkeit: Das ist unser Leben. Nicht nur Ihres, sondern das Leben aller Menschen auf dieser Erde, die hoffen, dem allen zu entkommen. Dieser Ablauf von Anbetung, Seelenqual, Angst ist seit ewigen Zeiten bis zum heutigen Tag so weitergegangen – harte Arbeit, Streit, Schmerz, Ungewissheit, Verwirrung und Freude und Lachen. Das alles gehört zu unserem Dasein.
Das Enden von dem allen wird Tod genannt. Tod setzt all unseren Bindungen ein Ende, wie oberflächlich oder tief sie auch sein mögen. Die Bindungen des Mönches, des Sannyasi, die Bindung der Hausfrau, die Bindung an die Familie, jede Form von Bindung muss mit dem Tod enden.
Verschiedene Probleme hängen damit zusammen: Eines ist die Frage nach der Unsterblichkeit. Gibt es so etwas wie Unsterblichkeit? Das heißt, etwas, was nicht sterblich ist, denn sterblich zu sein bedeutet, den Tod zu kennen. Das Unsterbliche ist das, was jenseits der Zeit ist und von diesem Enden nicht weiß. Ist das Selbst, das Ich, unsterblich? Oder kennt es den Tod? Das Selbst kann niemals unsterblich werden. Das ›ich‹, das Ich, mit all seinen Eigenschaften, ist durch Zeit, die Denken ist, hervorgebracht worden; dieses Selbst kann niemals unsterblich sein. Man kann eine Idee der Unsterblichkeit erfinden, ein Symbol, einen Gott, ein Bild, und kann sich daran festhalten und Trost aus ihm schöpfen, doch das ist nicht Unsterblichkeit.
Zweitens (das ist etwas komplizierter): Ist es möglich, mit dem Tod zu leben? Nicht morbide, nicht in irgendeiner Art von Selbstzerstörung. Warum haben wir den Tod vom Leben getrennt? Tod ist ein Teil unseres Lebens, ist Teil unseres Daseins – das Sterben und das Leben, und das Leben und Sterben. Sie sind untrennbar. Der Neid, der Zorn, der Kummer, die Einsamkeit und das Vergnügen, das man hat, das, was wir Leben nennen, und diese Sache, die man Tod nennt – warum trennt man sie? Warum hält man sie meilenweit auseinander? Ja, Meilen von Zeit auseinander. Wir akzeptieren den Tod eines alten Mannes, das ist natürlich. Aber wenn ein junger Mensch stirbt, durch Unfall oder Krankheit, lehnen wir uns dagegen auf. Wir sagen, es ist unfair, es sollte nicht sein. So trennen wir immer Leben und Tod. Das ist ein Problem, das wir behandeln und verstehen sollten – vielmehr es nicht als Problem behandeln, sondern es betrachten, seine tiefere Bedeutung sehen, ohne uns zu täuschen.
Eine andere Frage ist das Problem der Zeit – die Zeit, die zum Leben, Lernen, Erwerben, Handeln, Tun gehört, und das Enden der Zeit, wie wir sie kennen; die Zeit, die das Leben vom Enden trennt. Wo Trennung ist, Teilung, von hier nach dort, von ›was ist‹ zu ›was sein sollte‹, da ist Zeit im Spiel. Das Aufrechterhalten der Teilung zwischen dem, was Tod genannt wird, und dem, was man Leben nennt, ist für mich ein wesentliches Moment.
Wo diese Teilung ist, diese Trennung, da ist Angst. Dann kommt das Bemühen, diese Angst zu überwinden, und das Suchen nach Trost, Zufriedenheit, nach einem Gefühl von Kontinuität. (Wir sprechen über den psychologischen Bereich, nicht den physischen oder technischen Bereich.) Es ist die Zeit, die das Selbst hervorgebracht hat, und es ist das Denken, welches das Ego, das Selbst bestätigt. Wenn man nur wirklich, psychologisch, die Bedeutung von Zeit und Teilung begreifen könnte, dieser Trennung Mensch gegen Mensch, Rasse gegen Rasse, eine Kultur gegen die andere. Diese Trennung, diese Teilung wird durch Denken und Zeit hervorgerufen, als Leben und Sterben. Und ein Leben mit dem Tod zu leben, bedeutet eine tiefgehende Änderung in unserer ganzen Anschauung des Daseins. Bindung zu beenden ohne Zeit und Motiv, das heißt sterben, während man lebt.
Liebe ist ohne Zeit. Es ist nicht meine Liebe im Unterschied zu deiner Liebe. Liebe ist niemals persönlich; einer mag den anderen lieben, aber wenn diese Liebe begrenzt ist, auf eine einzige Person eingeengt, dann hört sie auf, Liebe zu sein. Wo wirklich Liebe ist, da ist nicht die Teilung von Zeit, Denken und der ganzen Vielfältigkeit des Lebens, nicht all das Elend und die Verwirrung, die Ungewissheit, Eifersucht und Angst, die damit verbunden sind. Man muss die Zeit und das Denken mit besonderer Aufmerksamkeit betrachten. Nicht, dass man nur in der Gegenwart leben soll, das wäre völlig sinnlos. Zeit ist Vergangenheit, die verändert als Zukunft fortbesteht. Sie ist ein Kontinuum, und das Denken hält sich daran, klammert sich daran fest. Es klammert sich an etwas, das es selbst geschaffen, hergestellt hat.
Eine andere Frage ist: Solange Menschen die gesamte Menschheit repräsentieren – Sie SIND die gesamte Menschheit, Sie repräsentieren sie nicht, so wie Sie die Welt sind, und die Welt ist Sie –, was geschieht, wenn Sie sterben? Wenn Sie oder ein anderer sterben, dann sind Sie und der andere die Manifestation jenes unendlichen Stromes menschlicher Aktion und Reaktion, des Stromes des Bewusstseins, des Verhaltens und so weiter: Sie sind von diesem Strom. Dieser Strom hat den menschlichen Geist, das menschliche Gehirn konditioniert, und solange wir von Habgier, Neid, Angst, Vergnügen, Freude und allem, was dazu gehört, konditioniert sind, sind wir Teil dieses Stromes. Ihr Organismus mag enden, doch Sie sind von diesem Strom, so wie Sie, während Sie leben, dieser Strom selbst sind. Dieser Strom, sich wandelnd, einmal langsam, ein...
Erscheint lt. Verlag | 15.12.2021 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Esoterik / Spiritualität |
Geisteswissenschaften ► Religion / Theologie ► Hinduismus | |
ISBN-10 | 3-96861-237-X / 396861237X |
ISBN-13 | 978-3-96861-237-9 / 9783968612379 |
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