Frei und unverbogen -  Susanne Mierau

Frei und unverbogen (eBook)

Kinder ohne Druck begleiten und bedingungslos annehmen
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
273 Seiten
Beltz (Verlag)
978-3-407-86668-4 (ISBN)
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Viele Eltern wollen ihre Kinder bedürfnisorientiert begleiten und auf Augenhöhe mit ihnen umgehen. Doch dabei stoßen sie immer wieder an ihre Grenzen. Die Pädagogin Susanne Mierau denkt in diesem Buch das Konzept bedürfnisorientierte Erziehung neu. Bedürfnisorientierung ist keine Erziehungs-Methode, sondern eine Erziehungs-Haltung: Es ist die Kunst, ein Kind wirklich bedingungslos so anzunehmen, wie es ist, und keinerlei Erwartung zu haben, wie es sein soll. Mierau beschreibt, wie es Eltern gelingen kann, ein Verständnis für die kindlichen Bedürfnisse aufzubauen, das im Alltag funktioniert. Sie unterstützt Eltern, sich von eigenen negativen Erfahrungen und gesellschaftlichen Vorstellungen frei zu machen und den eigenen Weg zu finden, Kindern mit Achtung und ohne Druck und Gewalt zu begegnen. Damit sie frei und unverbogen so aufwachsen, wie es ihnen entspricht.

Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin, Familienbegleiterin und Bestsellerautorin. Sie ist Gründerin von Geborgen Wachsen, gibt Workshops und spricht auf Konferenzen und Tagungen für Eltern und Fachpersonal. Sie ist Mutter von 3 Kindern und lebt in Eberswalde.

Einleitung


Die Beziehung von Eltern und Kind beeinflusst das gesamte Leben eines Kindes. Als Eltern legen wir einen Samen dafür an, wie unser Kind seelisch, emotional und körperlich wächst. Deswegen ist es das Anliegen der meisten Eltern, ihren Kindern gute Startmöglichkeiten mitzugeben, die sie durchs Leben tragen. Wie genau dieser Start in Hinblick auf unser Erziehungsverhalten aussieht, ist dabei aktuell noch sehr unterschiedlich. Es gibt nicht die Kindheit. Doch es gibt Forschungen, die ziemlich genau zeigen, was Kinder sowohl in der Gegenwart für ein körperlich und seelisch gutes Aufwachsen brauchen als auch für die Zukunft benötigen, um den großen Herausforderungen begegnen zu können, die durch Klimawandel und gesellschaftliche Veränderungen auf sie warten. Unser Erziehungsverhalten ist allerdings an vielen Stellen noch recht weit davon entfernt, sie wirklich für diese Zukunft zu stärken und ihnen in der Gegenwart mit dem Respekt zu begegnen, den sie als Menschen verdient haben und für eine gesunde Entwicklung brauchen. Zwar verfügen Kinder über das Recht auf gewaltfreie Erziehung, das sie sowohl vor körperlicher als auch psychischer Gewaltanwendung schützen soll, aber in der Praxis sind wir – besonders im Hinblick auf Druckausübung, Demütigung, Liebesentzug, Drohung und Entwertung – noch ziemlich weit weg vom Ziel, obwohl wir es wollen und uns darum bemühen. Aber es ist schwer. Und oft sehen wir nicht einmal, an welchen Stellen wir Kinder und Jugendliche respektlos behandeln, sie verbiegen und gegen ihr Wesen formen wollen. Trotz unserer eigentlich guten Absichten sind Jugendliche eben »PuberTIERE«, noch nicht zum Lesen fähige Mädchen bekommen T-Shirts mit der Aufschrift »Kleine Zicke« angezogen, und wir alle kennen Sätze aus dem Alltag, die mit »Wenn« anfangen und mit »dann« weitergehen. Gar nicht zu sprechen von »stillen Stühlen und Bänken« oder der beliebten Auszeit in Haushalten und Kindergärten.

Und selbst dort, wo wir uns der »Beziehung statt Erziehung« verschrieben haben, dem bindungs- und bedürfnisorientierten Aufwachsen, merken wir, dass wir immer wieder an Punkte kommen, an denen wir nicht weiterwissen, anders handeln, als wir eigentlich wollen, und uns als Eltern hilflos fühlen. Denn der neue Blick auf das Kind als individuelles Wesen, das in seinem persönlichen Sein geschützt und unterstützt werden muss, und modernes, bedürfnisorientiertes Aufwachsen sind keine Methoden, sondern eine Haltung, die wir von Grund auf verstehen und verinnerlichen müssen. Dafür müssen wir uns all dem stellen, was uns davon abhält, unser eigenes Kind und andere Kinder wirklich als Persönlichkeiten anzuerkennen, die respektvoll und ohne Druck und Machtverhalten behandelt werden wollen. Kinder sind keine Erwachsenen, und zusätzlich zu all den Rechten auf Individualität und Entfaltung, die wir Erwachsene auch für uns beanspruchen, haben sie besondere Bedürfnisse, die sich aus ihrem Kindsein ergeben. Kinder brauchen für eine gesunde Gegenwart und Zukunft eine konsequent kindgerechte Denkweise, echte Rechte und Umgebungsfaktoren, die sie heute schützen und für morgen stärken. Eine emotional gesunde Gemeinschaft, die sie stützt und trägt. Doch wir leben heute in einer Welt, in der Schutz nicht mehr durch gute Beziehungen gewährleistet wird, sondern Technik, Distanz und künstliche Überwachung an ihre Stelle getreten sind. Aber Kinder brauchen für ein gesundes Aufwachsen ein emotionales und persönliches Netz. Und wir als Eltern brauchen dies ebenso: ein wertfreies, unterstützendes Familiennetz.

Das können wir als Eltern ermöglichen, das sollten wir als Eltern ermöglichen. Für das Kind, aber auch für uns selbst, weil es das Zusammenleben mit Kindern erleichtert. Wir sind erschöpft von dem Versuch, kindgerecht zu handeln und dennoch an unsere eigenen Grenzen zu stoßen. Erschöpft davon, dass Kinder nicht »funktionieren« und Erziehung oft so anstrengend ist. Erschöpft davon, dass Kinder nun mal oft nicht das tun, was wir wollen. Erschöpft davon, uns rechtfertigen zu müssen, warum unser Kind ist, wie es ist. Und wir sind erschöpft davon, dass wir manchmal selbst nicht so genau wissen, wer wir eigentlich sind, wie wir auf unsere Bedürfnisse hören und welche Eltern wir sein wollen oder müssen, weil wir selbst an der Last unserer eigenen Erziehung tragen. Wir sind erschöpft davon, früher nicht gesehen worden zu sein und heute auch nicht gesehen zu werden mit dem Problem, das Elternsein für uns mit sich bringt. »Erziehung ist doch ganz einfach!« oder »Wenn du mit deinen Kindern nicht umgehen kannst, hättest du keine bekommen sollen!«, bekommen wir manchmal entgegengeworfen, wenn wir über das Leid klagen, Kinder in eine ungewisse Zukunft begleiten zu müssen, ohne passende Unterstützung und fehlende Vorbilder. Wir scheinen keine Fehler machen zu dürfen und trauen uns kaum, sie zuzugeben. Auch das Aufrechterhalten einer perfekten Maske ist erschöpfend.

Aber diesen Problemen können wir begegnen: Wir können den Menschen hinter dem Kind erkennen und so annehmen, wie er ist, um ihn mit seinen individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten zu begleiten. Doch die Schatten unserer eigenen und der gesellschaftlichen Vergangenheit überdecken noch immer an vielen Stellen unser Handeln – manches davon ist uns bewusst, vieles unbewusst. Diesen Schatten müssen wir uns stellen, sie überwinden, und erst dann haben wir einen freien Blick auf unsere Kinder, der es uns erleichtert, den Weg, den sie gehen wollen und müssen, mit ihnen zu gehen. Der Familientherapeut Jesper Juul schrieb dazu sehr passend: »Die meisten Eltern sind immer noch nicht daran interessiert, was Kinder wirklich denken und was sie fühlen. Sie sind mehr daran interessiert, wie Kinder zu denken und zu fühlen haben.«1 Wir blicken auf unsere Kinder, haben eine Vorstellung davon, wie sie sein sollen, was wir ihnen wünschen, und verlieren – oft aus eigentlich gutem Ansinnen heraus – aus dem Blick, wer sich da vor uns befindet. Wir versuchen, sie zu etwas zu machen, sie zu formen, und bemerken dabei nicht, dass sie ja schon sind. Kinder müssen nicht geformt werden, sondern sich entfalten. Sie sind weder Lehmklumpen, die wir formen können, noch Spiegel, an denen wir unsere eigenen Empfindungen, Versäumnisse und Kränkungen abarbeiten sollten. Die Frage ist weniger, wie wir mit Schimpfen, Geschrei und Grenzverletzungen umgehen sollen, sondern warum wir überhaupt denken, dass wir Kinder formen sollten.

Kinder müssen frei, bedingungslos und liebevoll wachsen können. Nur so haben sie eine Chance, mit den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft umzugehen. Unser Leben hat sich durch die europäische Migrationskrise, den Klimawandel mit seinen Naturkatastrophen, durch Pandemien und den technologischen Fortschritt in den vergangenen Jahren so sehr gewandelt, dass wir Erwachsenen mit unseren althergebrachten Denkweisen und dem Beharren auf alten Lösungen nicht mehr mithalten können. Wir brauchen einen gesellschaftlichen Wandel. Und diesen Wandel können nur die heutigen Kinder hervorbringen, die nicht in unseren alten (Erziehungs-)Strukturen von Macht, Gewalt und Anpassung aufwachsen, sondern die Chance haben, emotional und seelisch gesund groß zu werden, um die Werte, die sie dadurch verinnerlicht haben, in die Welt hinauszutragen. Werte wie Agilität, Achtsamkeit, Empathie, Gerechtigkeit, Toleranz, Hilfsbereitschaft, Humor, Nachhaltigkeit und Weitsicht. Astrid Lindgren hat bereits vor über 40 Jahren in ihrer Rede in der Frankfurter Paulskirche erklärt: »Ein Kind, das von seinen Eltern liebevoll behandelt wird und das seine Eltern liebt, gewinnt dadurch ein liebevolles Verhältnis zu seiner Umwelt und bewahrt diese Grundeinstellung sein Leben lang. Und das ist auch dann gut, wenn das Kind später nicht zu denen gehört, die das Schicksal der Welt lenken. Sollte das Kind aber wider Erwarten eines Tages doch zu diesen Mächtigen gehören, dann ist es für uns alle ein Glück, wenn seine Grundhaltung durch Liebe geprägt worden ist und nicht durch Gewalt.«2 Wir können unsere Gesellschaft nur dann positiv und nachhaltig in eine gesunde, überlebensfähige Richtung bewegen, wenn wir das Denken in ungleichen Machtverhältnissen beenden und unseren Kindern auf Augenhöhe einen gesunden und liebevollen Grundstock mitgeben, durch den sie sozial, kreativ, gemeinschaftlich und deswegen ressourcenschonend leben.

Das klingt nach einer großen Aufgabe, die uns auch ängstigen kann. Aber wir dürfen nicht verzagen, denn gerade jetzt ist es wichtig, dass wir als Eltern handeln, etwas ändern und uns dazu selbst ermächtigen, neue und andere Wege zu gehen. Erich Fromm schrieb schon 1976 in seinem berühmten Werk Haben oder Sein: »Zum ersten Mal in der Geschichte hängt das...

Erscheint lt. Verlag 10.2.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Familie / Erziehung
ISBN-10 3-407-86668-2 / 3407866682
ISBN-13 978-3-407-86668-4 / 9783407866684
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