Allein zwischen Himmel und Meer (eBook)

Spiegel-Bestseller
Meine 80 Tage beim härtesten Segelrennen der Welt - Boris Herrmann erstmals ausführlich über seine Teilnahme an der Vendée Globe. Mit zahlreichen Bildern
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
320 Seiten
C. Bertelsmann (Verlag)
978-3-641-28062-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Allein zwischen Himmel und Meer -  Boris Herrmann,  Andreas Wolfers
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Einmalig: Boris Herrmann erstmals ausführlich über seine Teilnahme an der Vendée Globe, den Kampf mit der Natur und das Ringen mit sich selbst
Boris Herrmann ist als erster Deutscher bei der Vendée Globe gestartet, der berühmtesten und härtesten Regatta der Welt. Nach einem fantastischen Rennen belegte er mit seiner Yacht Seaexplorer einen kaum erträumten fünften Platz. In diesem Buch schildert er erstmals ausführlich seine Erlebnisse und Emotionen, die Höhen und Tiefen während der 80 Tage allein auf dem Meer. Er erzählt von den schönsten und gefährlichsten Momenten, von den enormen mentalen Herausforderungen. Er beschreibt die Ozeane, die er überquert hat, die meiste Zeit vom Festland weiter entfernt als die Astronauten der ISS. Und er erläutert, warum der Schutz der Meere so wichtig ist. Herrmann, der 2019 mit seiner Rennyacht Greta Thunberg über den Atlantik nach New York brachte, engagiert sich seit Jahren für Klima- und Naturschutz. Ein Buch nicht nur für Segler, sondern ein Buch für alle Menschen, die vom Reichtum der Meere und von Abenteuern auf hoher See träumen.

Als Klimaschutzbeitrag finanzieren die Autoren für jedes verkaufte Buch die Pflanzung einer Mangrove im Malizia Mangrove Park auf den Philippinen. Zum aktuellen Stand der Aktion siehe Boris Herrmanns Website www.borisherrmannracing.com und die Website des Malizia Mangrove Park.

Boris Herrmann, geboren 1981 in Oldenburg, ist der bekannteste deutsche Segler. Der Profisportler nahm Ende 2020/21 an der Vendée Globe teil, einer Regatta für Solo-Segler, die nonstop um die Erde führt. Sein Buch über das Rennen, »Allein zwischen Himmel und Meer«, wurde ein großer Bestsellererfolg. 2023 startete Herrmann mit einer neuen Rennyacht und einem vierköpfigen Team beim Ocean Race. Die seit 50 Jahren durchgeführte Regatta um die Erde gilt als härtester Teamwettbewerb der Sportwelt. Sein neues Buch »Abenteuer Ocean Race« erzählt die spannende Geschichte dieses Rennens. Gemeinsam mit seiner Frau Birte Lorenzen-Herrmann und seinem Team Malizia betreibt er das internationale Bildungsprojekt 'Malizia Ocean Challenge' für Schulen. Ab November 2024 nimmt Boris Herrmann erneut an der Vendée Globe teil.

1  Warten im Nebel

Niemand hat die Nebelbank kommen sehen. Etwa zwei Stunden vor dem Startschuss schiebt sie sich über die Flotte, ein warmer Wind aus dem Süden hat sie hergebracht. Schlagartig verschwinden Sonne, Himmel und all die anderen Schiffe in der dunstigen Masse, die sich ein paar Seemeilen von der französischen Küste entfernt über uns stülpt. Die Sichtweite beträgt vielleicht noch hundert Meter, dann verliert sich der Blick im stumpfen Grau. Wir stoppen die Maschine, und zwei Mitglieder meines Teams stellen sich zum Aufpassen aufs Vorschiff. Aus allen Richtungen hören wir jetzt Signalhörner, es jault und trötet aus dem Dunst, und irgendwo über uns knattern die Hubschrauber mit den Kamerateams. Wenn sie Glück haben, können sie die Spitzen unserer Masten filmen, wie sie in der Wolkendecke rühren.

Eigentlich eine amüsante Situation. Noch nie habe ich eine Regatta erlebt, bei der die Abläufe so strikt geregelt waren wie bei dieser. Jeder Schritt bis zum Start wurde uns vorgegeben. Zum einen, um mitten im zweiten Corona-Lockdown so eine Großveranstaltung überhaupt möglich zu machen. Zum anderen sollte die minutiöse Planung sicherstellen, dass der Start der Vendée Globe zu einem globalen Medienereignis werden kann: live übertragen in 190 Staaten, mehr als jemals zuvor. Am heutigen Sonntag, dem 8. November 2020, soll der Startschuss fallen – um genau 13.02 Uhr, damit Nachrichtensprecher weltweit die Chance haben, kurz zu erklären, worum es eigentlich geht, ehe sie umschalten in die Biskaya und live die letzten Sekunden vor dem Start zeigen.

So der Plan. Und dann kommt unversehens eine Nebelbank um die Ecke und wirft alles über den Haufen. Als wollten Meer, Sonne und Wind sanft daran erinnern, wer auf See das Sagen hat. Die Rennleitung wird den Start wohl verschieben müssen.

Ich lasse mich auf den Klappsitz im Cockpit fallen, lehne mich an die Wand und schließe die Augen. Die Seaexplorer ist in guten Händen, meine Crew darf bis kurz vor dem Start an Bord bleiben. Was für ein Genuss, sich auf andere verlassen zu können. Es wird das letzte Mal für mindestens zehn Wochen sein.

An den Geräuschen erkenne ich, in welchem Gang die Crew an der Winsch kurbelt, welche Schoten sie durchsetzt, flink und wortlos. Als ich vor einer Woche in Les Sables-d’Olonne eintraf, dem Starthafen am französischen Atlantik, hatte ich mein Team nicht sehen dürfen; wie alle Skipper musste ich mich sofort in Quarantäne begeben, zum Schutz vor Corona. Niemand sollte möglicherweise infiziert ins Rennen gehen. Ich bezog für die sieben Tage bis zum Start ein kleines Haus auf einer Klippe südlich der Stadt, direkt am Meer. Mein Team stellte mir das Essen vor die Tür, bei Videokonferenzen besprachen wir, was es noch zu tun gab. Nur mein Hund Lilli, den ich aus Hamburg mitgenommen hatte, durfte bei mir sein. Den ersten Kontakt zu einem anderen Menschen hatte ich vorgestern auf einem Parkplatz am Stadtrand, als ein Sanitäter mir ein Corona-Teststäbchen in den Rachen schob. Gestern Mittag erhielt ich die Diagnose: negativ, wie bei allen anderen Skippern auch. Niemand von uns würde zurückbleiben müssen.

Am Abend habe ich mich dann von meinen Freunden und Unterstützern verabschiedet, bei einer einstündigen Videokonferenz. Gut 150 Leute hatten sich dazugeschaltet, viele aus Hamburg, aber auch aus Frankreich, Brasilien, Südafrika, den USA, Neuseeland; lauter Länder, in die mich meine früheren Regatten geführt hatten. Auch Greta Thunberg und ihr Vater Svante, mit denen wir 2019 über den Atlantik nach New York segelten, waren dabei gewesen und hatten mir Glück gewünscht. Ebenso Fürst Albert II. von Monaco, der mit seiner Stiftung unser Bildungsprojekt unterstützt. Und auch Alex Thomson aus England, einer der Favoriten der diesjährigen Vendée Globe und seit vielen Jahren ein guter Freund.

Es waren gar nicht so sehr die Abschiedsworte, die mich bewegten, es waren die Gesichter, die mich rührten. Plötzlich sah ich so viele Freunde aus der ganzen Welt gemeinsam versammelt auf dem Monitor in meinem Quarantäne-Häuschen. Sie alle waren meinetwegen da, sie schauten mich an, aufgeregt, nachdenklich, ernst, munter, und wünschten mir eine gute Reise. »Komm gesund wieder nach Hause« – ich glaube, das war der häufigste Satz, den ich an diesem Abend hörte.

Ermüdet von den vielen Emotionen war ich gegen 22.30 Uhr ins Bett gegangen, rasch eingeschlafen und erst um 6.30 Uhr aufgewacht. Ich hatte die Nacht vor dem Start tatsächlich durchgeschlafen! Und der Morgen fühlte sich an wie ein normaler Morgen. Fast ein wenig belustigt registrierte ich, wie entspannt ich die Küche aufräumte und meine Sachen ins Auto trug. Ich war ganz bei mir, verspürte keinen Druck. Von nun an würde alles so ablaufen wie geplant.

Es gab Regatten, da habe ich bis kurz vor dem Start noch hektisch versucht, dieses und jenes zu erledigen. Diesmal nicht. Ich glaube, meine Gelassenheit ist die Belohnung für die Akribie, mit der ich mich auf dieses Rennen vorbereitet habe. Vier Jahre lang hat jeder Trainingstag, jedes Basteln am Schiff, jedes Treffen mit Sponsoren nur diesem einen Ziel gedient: perfekt vorbereitet an den Start zu gehen. Ich habe mich unablässig unter Druck gesetzt, wollte nicht zulassen, dass ich irgendetwas übersehe. Häufig wachte ich nachts auf und griff nach dem Block neben meinem Bett, um rasch zu notieren, was mir im Halbschlaf eingefallen war.

Für einen Perfektionisten wie mich ist es schwer, einen Zustand zu erreichen, in dem es nach eigener, aufrichtiger Überzeugung nichts mehr gibt, was sich noch ein wenig verbessern ließe. Doch diesmal ist es mir offenbar gelungen. Mein Schiff und ich, wir sind bereit. Schon in den vergangenen Wochen in Hamburg war ich zunehmend ruhiger geworden, hatte sogar Zeit gefunden, mir die Musiktipps meiner Freunde anzuhören. Sie hatten mir eine Playlist für die Reise zusammengestellt, von Entspannungs- bis zu »Angriffssongs«.

Heute Morgen habe ich das Haus hinter mir abgeschlossen und Lilli in den Campingbus gehoben. Seit mehreren Jahren wohne ich während der Trainingswochen in Frankreich in meinem Bulli, ein praktisches Zuhause, das ich meist irgendwo in Strandnähe parke. Um 7.50 Uhr erreichte ich das abgesperrte Race Village, stellte Lilli ihr Fressen und eine Schüssel mit Wasser auf den Wagenboden und nahm sie ein letztes Mal in den Arm. Mein Team würde sie später abholen.

Den Ablauf der folgenden vierzig Minuten hatten die Veranstalter den Seglern penibel vorgeschrieben, sie hatten uns sogar metergenaue Geländekarten für den Fußweg bis zum Boot geschickt. Eine Frau aus dem Presseteam schleuste mich an Sperrgittern entlang durch die Mixed Zone der Medienvertreter. Maximal fünf Minuten durfte ich vor den Gittern der ersten Zone stehen bleiben, reserviert für Zeitungsjournalisten, danach je fünf Minuten vor den Boxen der Radioleute, der Fotografen und der TV-Teams. Die meisten stellten, unterschiedlich formuliert, die gleiche Frage: »Wie fühlst du dich jetzt?« Nach einer Weile kamen mir meine Antworten etwas eintönig vor, und ich begann, sie zu variieren. Mir machte das Spaß, schließlich hatte ich eine Woche lang niemanden gesehen und freute mich, endlich wieder mit anderen Menschen reden zu können. Auch der Präsident unserer Klassenvereinigung stand hinter dem Gitter, ihn hatte ich seit Ewigkeiten nicht gesehen – aber da spürte ich schon den sanften Druck meiner Begleiterin am Arm. Der Zeitplan durfte auf keinen Fall durcheinandergeraten. Denn zum Countdown bis zum Startschuss um 13.02 Uhr gehörte auch die Vorschrift, dass alle Boote den Hafen hintereinander verlassen müssen, aufgereiht wie auf einer Perlenschnur, jeweils im Abstand von genau vier Minuten. Sollte ein Segler in der Mixed Zone ins Plaudern geraten, würde er den gesamten Ablauf gefährden. Die Aufpasserin war unerbittlich.

Um genau 8.20 Uhr betrat ich die Steganlage. Eine nasskalte Brise strich durch den Hafen, es war noch dunkel, nur die Strahlen einer Lichtorgel fingerten durch die Masten der Schiffe. Das bunte Geflacker wirkte etwas angestrengt, niemand feierte, keine ausgelassene Menschenmenge stand da und schrie und jubelte. Erstmals in seiner Geschichte war das Race Village für Besucher gesperrt worden. Lockdown, auch für die Vendée Globe. Gedämpft unterhielten sich Teammitglieder auf den Nachbarstegen, die ersten Motoren von Begleitbooten wurden angeworfen, ansonsten herrschte Stille im Hafen von Les Sables-d’Olonne.

Ich hatte drei Minuten, um mein Boot zu erreichen. Die Seaexplorer – Yacht Club de Monaco, wie sie mit ganzem Namen heißt, lag fast am Ende des Stegs. Mehrere französische Skipper saßen bereits auf ihren Schiffen, sie winkten mir beim Vorbeigehen zu, reckten die Daumen hoch. »Salut, Boris, viel Erfolg!« – »Wir sehen uns auf dem Meer!« – »Hau rein, aber überhol mich nicht!« Ihre Gesten, ihre Aufmunterungen rührten mich, ich fühlte einen Kloß im Hals; es tat gut, sich zu Beginn einer langen, einsamen Reise aufgehoben zu fühlen in ihrer Gemeinschaft. Seit Jahren bin ich diesen Männern und Frauen immer wieder begegnet, bei Regatten und im Trainingszentrum »Pôle Finistère«, der Kaderschmiede der Vendée-Segler. Einige...

Erscheint lt. Verlag 20.9.2021
Zusatzinfo mit farbigen Abbildungen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Sport
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Alexander Gerst • America's Cup • beste Sportbücher • Birte Lorenzen-Herrmann • Delius Klasing • eBooks • Einhandsegeln • Esquire • hochseesegeln • Jan Frodeno • Jon Kraukauer • Kap der Guten Hoffnung • Kap Hoorn • Kap Horn • Laura Dekker • Les Sables • Malizia • malizia mangrove park • Mentale Stärke • My Ocean Challenge • Nonstop Süchtig nach Segeln • Ocean Race • Ozeane • Regatta • Reinhold Messner • Resilienz • Risikobereitschaft • Roaring Forties • seaexplorer • Segeljacht • Segeln • Segelregatta • Segelsport • Segelwettbewerbe • spiegel-besteller • SPIEGEL-Bestseller • Sport • Sportsegeln • Sportsegler • stumfahrt tvnow • Team Malizia • vendee globe • Weltumsegelung • Yacht Malizia Seaexplorer
ISBN-10 3-641-28062-1 / 3641280621
ISBN-13 978-3-641-28062-8 / 9783641280628
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