Die Unverfrorenen (eBook)

Wie Politiker unsere Städte als Beute nehmen. Ein Exempel
eBook Download: EPUB
2020 | 3. Auflage
176 Seiten
Waldemar Kramer Verlag
978-3-8438-0640-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Unverfrorenen -  Ewald Hetrodt
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Es ist höchste Zeit, eine politische Kultur zu beschreiben, in der eine Koalitionsmehrheit im Rathaus einer Kommune, so wie es in den meisten deutschen Städten politische Realität ist, diese Stadt als Beute betrachtet und im Spiel von Gefälligkeiten und Gegengefälligkeiten alle Hemmungen fahren lässt. Am Beispiel der Stadt Wiesbaden zeigt Ewald Hetrodt, wie drei außergewöhnliche Charaktere - der Oberbürgermeister, ein einflussreicher Fraktionschef und der Geschäftsführer der städtischen Immobilien-Holding - sich der städtischen Gesellschaften auf schamlose Weise bedienten. Ein wahrer politischer Krimi und zugleich ein politisches Lehrstück über die strukturellen Schieflagen in vielen deutschen Großstädten.

Ewald Hetrodt, geboren 1963, hat in Münster, Straßburg und Bonn Politische Wissenschaften studiert. Eine Stelle im Bundestag bot ideale Bedingungen für eine Dissertation zur Gesetzgebung im deutschen Regierungssystem. Der Umzug nach Berlin war der Anlass, 1999 in die Stadt der Paulskirche zu wechseln - zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Seit 2009 ist er FAZ-Korrespondent in der Landeshauptstadt Wiesbaden.

Ewald Hetrodt, geboren 1963, hat in Münster, Straßburg und Bonn Politische Wissenschaften studiert. Eine Stelle im Bundestag bot ideale Bedingungen für eine Dissertation zur Gesetzgebung im deutschen Regierungssystem. Der Umzug nach Berlin war der Anlass, 1999 in die Stadt der Paulskirche zu wechseln – zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Seit 2009 ist er FAZ-Korrespondent in der Landeshauptstadt Wiesbaden.

1. STADT ALS BEUTE
2. GEMEINSAM GEGEN DEN OB
3. EIN SCHNAPS OBENDRAUF
4. EINE GROSSE STRATEGIE
5. REICHERTS BAUSTELLEN
6. WINDBEUTEL
7. ALLEINGANG
8. EINE HAND WÄSCHT DIE ANDERE
9. SHOWDOWN
10. SCHLUSS
11. NAMEN UND DATEN

Journalisten sind eitel. Das weiß auch Bernhard Lorenz. Denn der langjährige Fraktionsvorsitzende der Wiesbadener CDU verfügt über einen enormen Erfahrungsschatz. Einmal beendete er ein Telefonat mit dem Verfasser mit den Worten: „Die ganze Materie ist so hochkomplex, dass es in der ganzen Stadt nur zwei Leute gibt, die in der Lage sind, sie gedanklich zu durchdringen.“ Gemeint waren er selbst, natürlich, und sein Gesprächspartner. Der sollte sich geadelt fühlen. Eine Kapazität, die die überwältigende Mehrheit seiner Mitmenschen für minderbemittelt hielt, hob ihren Gesprächspartner in ihre intellektuellen Höhen empor. Aber Lorenz kann auch anders. Er habe noch jeden Oberbürgermeister kleingekriegt, verkündet er gerne. Und wenn eines seiner Opfer, der frühere Rathauschef Helmut Müller (CDU), ihm gegenübersitzt, scheint ihn das nicht zu stören.

Das methodische Repertoire des 1969 in Darmstadt geborenen Rechtsanwalts ist also breit. Er verfügt nicht nur über ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, sondern auch über ein kommunikatives Instrumentarium, mit dem er viele Angehörige der CDU-Fraktion im Rathaus über Jahre hinweg nachhaltig bearbeitete. Lorenz war in der Lage, ihnen ein gutes Gefühl zu geben. Wenn ein Stadtverordneter, der einen Doktortitel erworben hat, dafür in seiner Partei eine besondere Ehrung erfährt, vergisst er das nicht. Er ärgert sich womöglich noch oft über Lorenz, er schimpft vielleicht sogar laut über ihn, aber im Grunde seines Herzens bleibt er immer dankbar dafür, dass dieser Mann ihm einst die Würdigung zukommen ließ, die ihm gebührte. Und wenn der Fraktionschef in kritischen Abstimmungen Unterstützung braucht, dann bekommt er sie. Die Arroganz, die viele dem Unionspolitiker ankreiden, ist nur ein Teil der Wirklichkeit. Der Wagner-Liebhaber ist nicht nur intelligent, sondern manchmal auch sensibel. Von einigen Stadtverordneten wurde er als eine Art Klassenlehrer oder gar als Familienoberhaupt gesehen. Manchen seiner Leute verschaffte er ein kleines finanzielles Zubrot. Ein Mandat im Aufsichtsrat einer größeren städtischen Gesellschaft bringt 160 Euro im Monat und 55 Euro pro Sitzung. In den kleineren wird immerhin noch etwas mehr als die Hälfte gezahlt. Wer einen Ausschuss der Stadtverordnetenversammlung leitet, bekommt dafür 270 Euro im Monat zusätzlich.

Nachdem Lorenz im Sommer 2001 in einer Kampfabstimmung zum Chef der CDU-Rathausfraktion gewählt worden war, widmete er sich anschließend dem unterlegenen Parteifreund Andreas Guntrum. Damit der keinen Grund hatte, ihm gram zu sein und womöglich noch Schwierigkeiten zu machen, beförderte Lorenz ihn bei der nächsten Gelegenheit in die Geschäftsführung der Stadtentwicklungsgesellschaft. Dieser Vorgang war so einfach, wie es klingt. Denn an der Spitze der Gesellschaft steht von jeher ein Duo. Sowohl die Sozialdemokraten als auch die Union entsenden einen Vertreter. Die Nominierung der CDU war Lorenz’ Sache. Heute verdient Guntrum nach den Angaben der Stadt mehr als 200 000 Euro im Jahr – ein guter Grund, mit demjenigen, dem er seine fürstliche berufliche Existenz verdankt, in unverbrüchlicher Treue zu kooperieren. Er zögert nicht, zu helfen, wenn Lorenz ihn darum bittet. Solche Dienste werden alten Freunden im Alltag wie selbstverständlich erwiesen und nicht an die große Glocke gehängt.

Als seine Erfüllungsgehilfen betrachtete Lorenz auch die Politiker, denen er zu ihrem Amt verholfen hatte. Treu ergeben waren ihm beispielsweise der Wirtschaftsdezernent Detlev Bendel und die Dezernentin für Schule und Kultur, Rose-Lore Scholz. Bei Bendel nahm die Loyalität bisweilen komische Züge an. Journalisten, die ihn sprechen wollten, warteten normalerweise zwei bis drei Tage auf einen Rückruf. Aber irgendwann erwies sich, dass der vielbeschäftigte Dezernent innerhalb von kürzester Zeit selbst im Urlaub greifbar war, wenn man im Vorzimmer nur darauf hinwies, dass der große Vorsitzende dazu geraten hatte, sich vertrauensvoll an Bendel zu wenden. Lorenz kokettierte damit, dass die Dezernenten ihn und nicht etwa den Oberbürgermeister als ihren eigentlichen Chef betrachteten.

Aber nicht nur gutbezahlte Posten schaffen Loyalitäten, sondern auch die Hoffnung darauf. Am größten war sie in der Riege der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden. Dort hielt Hans-Martin Kessler seinem Chef jahrelang den Rücken frei. Er gehörte der Stadtverordnetenversammlung seit 1989 an und stieg bald zum Sprecher der Fraktion für Planung, Bau und Verkehr auf. 2002 übernahm er den entsprechenden Fachausschuss der Stadtverordneten. Auf den Lohn für seine treuen Dienste musste er lange warten. Erst 2017 wurde er Dezernent für Stadtentwicklung und Bau. Aber persönlich profitiert hat er von seinem politischen Einfluss schon viel früher. Als die von Skandalen erschütterte, knapp am Ruin vorbeigeschrammte Mainzer Wohnbau GmbH im Jahr 2009 für 147 Millionen Euro 2825 in den rechtsrheinischen Stadtteilen Amöneburg, Kastel und Kostheim gelegene Wohnungen an die Stadt Wiesbaden verkaufen wollte, war als führendes und fachkundiges Mitglied der CDU-Fraktion auch Kessler gefragt.

Es hätte in seiner Hand gelegen, das Geschäft zu verhindern oder beispielsweise einen niedrigeren Kaufpreis durchzusetzen. Und es gab durchaus Argumente, die sich gegen die Transaktion vorbringen ließen. So erklärte beispielsweise die FDP, obwohl sie Teil des damaligen Jamaika-Bündnisses war, dass der Wert der Wohnungen nicht viel mehr als 100 Millionen Euro betrage. Fraktionschef Michael Schlempp führte entsprechende Gutachten ins Feld und schlug vor, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens abzuwarten, um die Immobilien dann zu erwerben. Weil das Geschäft also alles andere als ein Selbstläufer war, konnte aus Mainzer Sicht ein gutes Verhältnis zu führenden Wiesbadener Politikern nicht schaden. Dass Kessler dazugehörte, machte sich für ihn bezahlt. Die Proviantmagazin Verwaltungs GmbH, eine Tochter der Wohnbau, verkaufte ihm und seiner Ehefrau eine in Kastel gelegene Immobilie für 310 000 Euro. Diese Summe entsprach in etwa dem damaligen Wert des Grundstücks. Das darauf stehende großzügige, zirka 70 Jahre alte Einfamilienhaus blieb offensichtlich unberücksichtigt.

Der politische Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess lässt sich ziemlich genau nachvollziehen: Im Juli 2006 einigen sich CDU, SPD und FDP in Mainz angesichts der desaströsen Haushaltslage der Stadt auf ein Programm zur Konsolidierung, das ausdrücklich auch den Verkauf von Wohnungen aus dem Bestand der Wohnbau nicht ausschließt. Die Stadt Wiesbaden hält als Mitgesellschafter an dem Mainzer Unternehmen einen Anteil von 17,1 Prozent. Rasch verengt sich die Debatte auf die Wohnungen in den rechtsrheinischen, zu Wiesbaden gehörenden Stadtteilen. Dort, in Amöneburg, Kastel und Kostheim,bekunden die Kommunalpolitiker Interesse. Im Frühjahr 2007 beschließt der Mainzer Stadtrat, die Nachbarstadt bei den Veräußerungen einzubeziehen. Im Mai fordert die Wiesbadener SPD die Wohnbau auf, ihre Verkaufsabsichten offenzulegen, damit man planen könne. Im August 2007 beklagt der Mainzer Oberbürgermeister Jens Beutel (SPD) öffentlich, dass die Wiesbadener CDU eine „Geisterdebatte“ über den Preis der rechtsrheinisch gelegenen Wohnungen „angezettelt“ habe. Sie versuche auf diese Weise, die Stimmung unter den Mietern anzuheizen, „offenkundig um einen Preis zu drücken“. Im Sommer 2009 kommt das Millionengeschäft zwischen Mainz und Wiesbaden zustande. Am 2. Juli beschließt die Mehrheit der Wiesbadener Stadtverordneten in nichtöffentlicher Sitzung gegen die Stimmen der FDP und vier weiterer Stadtverordneter den Kauf der Wohnungen.

Kessler erwirbt das Haus zu Beginn des Jahres 2008, also mitten in einem laufenden bilateralen Prozess, an dem er selbst beteiligt ist. Während die Diskussion vor und hinter den Kulissen geführt wird, schließt ausgerechnet einer der entscheidenden parlamentarischen Akteure Wiesbadens mit der Mainzer Seite ein äußerst günstiges privates Geschäft ab. Jörg Suckfiel, Geschäftsführer der Wohnbau, bestätigt den Verkauf des Gebäudes an die Eheleute Kessler. „Das haben wir nachvollziehen können.“ Weitere Auskünfte kann er nach eigenem Bekunden aber nicht geben, weil die Akte aus Gründen des Datenschutzes und gemäß den gesetzlichen Aufbewahrungsfristen im Jahr 2018 „ordnungsgemäß entsorgt“ worden sei.

Der Verfasser konfrontierte auch Kessler mit dem Vorgang. „Zum Erwerb meines Hauses treffen Ihre Informationen und Annahmen nicht zu“, lautete die schriftliche Stellungnahme. Sie irritiert. Denn die von dem Unionspolitiker bestrittene Darstellung ist schwarz auf weiß belegt. Der Preis in Höhe von 310 000 Euro ist in dem Kaufvertrag ausgewiesen, der am 16. Januar 2008 beurkundet wurde. Der amtliche Bodenrichtwert lag damals bei 600 Euro pro Quadratmeter. Der Wert des 507 Quadratmeter großen Grundstücks belief sich demnach auf insgesamt 304 200 Euro, entsprach also in etwa dem gezahlten Betrag. Zugespitzt formuliert: Kessler hat das ganz in der Nähe des Rheinufers gelegene Haus auf dem...

Erscheint lt. Verlag 3.3.2020
Verlagsort Wiesbaden
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Absprache • Bestechlich • Bestechung • CDU • FDP • Grüne • Hinterzimmer • Holding • Immobilie • Konservativ • korrupt • neoliberal • Skandal • SPD • Verschwörung • Wiesbaden
ISBN-10 3-8438-0640-3 / 3843806403
ISBN-13 978-3-8438-0640-4 / 9783843806404
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