Brain Talk (eBook)

Wie wir das Gehirn nutzen, um uns selbst und andere besser zu verstehen
eBook Download: EPUB
2020
592 Seiten
Kösel-Verlag
978-3-641-26476-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Brain Talk - David Morris Schnarch
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Erkenne dich selbst
Sich selbst besser zu kennen und auch den anderen zu verstehen, hilft in jeder Art von Beziehung ungemein. Denn erst dadurch ist es möglich, mit dem Partner, den Kindern, den Freunden liebevolle Beziehungen zu führen. Diese Fähigkeit besitzt jeder von uns, doch nicht alle nutzen sie.

Der international renommierte Psychologe Dr. David Schnarch zeigt hier mit zahlreichen Fallbeispielen, wie das Gehirn in Verbindung zu anderen steht und wie Sie mithilfe des neurobiologischem Mindmappings diese positiv gestalten können.

Der Bestsellerautor Schnarch wird für seine einfühlsame, lebendige und leicht verständliche Sprache nicht nur in Fachkreisen geschätzt, sondern ebenso von Hunderttausenden von Lesern.

Wer auf der Suche nach sich selbst ist, kommt um »Brain Talk« nicht herum.

Der US-amerikanische klinische Psychologe Dr. David Schnarch (1946-2020) war als Sexual- und Familientherapeut einem großen Publikum bekannt. Er lehrte an der Medizinischen Fakultät der Universität von Louisiana Psychiatrie und Urologie. Seine fachlichen Beiträge wurden mehrfach ausgezeichnet und seine Bücher waren internationale Bestseller. Er war der Begründer des Crucible Therapy Institute mit Dependance in Deutschland.

1. Was ist Mindmapping?

In meiner Karriere als Psychotherapeut habe ich viele hilfreiche Erkenntnisse gewonnen. Würden Sie mich allerdings auffordern, einen Aspekt zu benennen, der mein Leben und meine Arbeit besonders transformiert hat, hätte die brandaktuelle Neurowissenschaft des Mindmappings einen Platz ganz oben auf der Liste. Als ich das erste Mal von Mindmapping erfuhr, ging es mir ähnlich wie in dem Moment, als ich den Orgasmus entdeckte. Was Sex ist, wusste ich lange bevor mir klar war, was Orgasmen sind. Als ich dann selbst einen erlebte, konnte ich nicht fassen, dass mir keiner dieses Geheimnis verraten hatte! Wie konnte es die ganze Zeit so etwas geben, ohne dass mir jemand davon erzählt hatte!?

Ganz ähnlich erging es mir, als ich um das Jahr 2000 herum in neurobiologischen Forschungsberichten über Mindmapping stolperte. Ich war fassungslos! Während meiner Ausbildung spielte das Thema in der Psychologie keine Rolle, und das setzt sich bis heute größtenteils fort. Mindmapping existierte nicht einmal als Konzept, bevor zwei Primatenforscher in den 1980ern die Überlegung aufstellten, ob Schimpansen verstehen, dass andere Schimpansen vielleicht andere Ansichten oder eigene Gedanken haben. Sie bezeichneten diesen Prozess als »Theory of Mind«, doch ich nenne es Mindmapping.

Mindmapping ist in keiner psychotherapeutischen Disziplin wesentlicher Teil der Ausbildung. Man braucht es nicht, um als Psychologe, Psychiater, Sozialarbeiter oder seelsorgerischer Berater zugelassen zu werden. Es gibt nur wenige Therapeuten, die überhaupt irgendetwas darüber wissen. Doch wir Menschen machen seit Hunderttausenden – wenn nicht sogar Millionen – von Jahren Mindmapping miteinander, wir lesen andauernd in beinahe jeder Situation im Geist unserer Mitmenschen, denn das ist eine grundlegende Funktion des menschlichen Gehirns. Überrascht Sie meine schockierte Reaktion auf den ersten Artikel in einer Fachzeitung da noch? Finden Sie nicht auch, dass Therapeuten darüber Bescheid wissen sollten?

In der Einleitung definierte ich Mindmapping als die Fähigkeit Ihres Gehirns, eine mentale Landkarte vom Geist einer anderen Person anzufertigen. Das bezieht sich auch auf die Fähigkeit, im eigenen Geist zu lesen. Das klingt zwar kurz und bündig, ist jedoch nicht besonders aufschlussreich. Daher werde ich jetzt Mindmapping genauer erklären, damit Sie verstehen, warum es so wichtig ist.

Das Antriebsrad von Beziehungen

Mindmapping ist ein intuitiver Prozess. Wann auch immer Sie mit einem anderen Menschen interagieren, erzeugt Ihr Gehirn automatisch geistige Bilder seiner Psyche. Ihr Gehirn schaut sich dann diese Bilder an und bildet Rückschlüsse über ihn. »Was will er? Wie ist sie? Ist er schlau oder gerissen? Will sie mit mir ins Bett? Warum schaut er mich an (oder warum schaut er mich nicht an)? Soll ich sie ansprechen? Sollte ich Angst vor diesem Kerl haben?« Dann nutzt Ihr Gehirn diese Beobachtungen, um vorauszusagen, was die anderen tun werden und die eigenen Vorstellungen und Verhaltensweisen entsprechend anzupassen. In erster Linie geht es beim Mindmapping darum, das Verhalten anderer Menschen vorherzusagen.

So wie die meisten Menschen haben auch Sie Bilder vom Geist Ihres Vaters und Ihrer Mutter (oder Ihrer Stiefeltern) im Kopf. Sie wissen, wie sie denken. Sie sehen, wie sie sich selbst wahrnehmen und was sie voneinander halten. Sie wissen auch, womit sie sich selbst belügen, in welchen Bereichen sie sich selbst gegenüber blind sind und wie sie sich selbst verherrlichen. Sie erkennen die Bereiche, an denen sie Sie nicht wirklich sehen können, aber denken, dass sie es tun. Sie wissen sogar, wie sie auf Fremde oder andere Familienmitglieder reagieren. Kurzum, Sie wissen, wie sie ticken. Sie bekommen all diese Informationen von den geistigen Landkarten in Ihrem Kopf. Diese nutzen Sie dann, um vorauszusagen, was sie in einer Situation tun werden, und entscheiden, wie Sie auf sie zugehen werden.

Angenommen, Sie wollen, dass Ihre Eltern Ihnen ein Eis kaufen oder, wenn Sie etwas älter sind, die Schlüssel zum Auto und Geld zum Tanken geben. Dann fängt Ihr Gehirn an, die Bilder, die Sie von ihnen haben, abzuarbeiten und entwickelt einen Plan: »Wen sollte ich zuerst fragen? Welche Strategie ist geeignet, um zu bekommen, was ich will? Wann ist der beste Moment, sie zu fragen? Wie kann ich sie umstimmen, wenn sie am Anfang Nein sagen?«

Beim Mindmapping geht es um die gehirnbasierte Psychologie der Interaktion mit anderen Menschen. Sobald Sie Mindmapping in Ihrem täglichen Leben erkennen, gelingt es Ihnen besser, die Motivation der anderen zu erkennen und ihr Verhalten vorherzusagen, ob es nun Ihr Partner, Ihre Kinder, Ihre Eltern oder Geschwister, Ihr Chef oder Ihre Kollegen sind. In zwischenmenschlichen Beziehungen, besonders solchen, die mit Spannung, Drama, Konflikten, hohem Risiko oder enormer Bedeutung beladen sind, gibt es kein wertvolleres Werkzeug.

Wir sind von Natur aus Psychologen

Mindmapping befriedigt das in uns angelegte Verlangen, herauszufinden, was in anderen Menschen vor sich geht. Angenommen, Sie laufen eine Straße entlang, und Ihnen kommt ein Mann entgegen. Im Bruchteil einer Sekunde beurteilen Sie seine Kleidung. Sie beobachten, wie er geht. Sie bemerken, was er anschaut. Ist sein Blick auf Sie oder die Person hinter Ihnen gerichtet, oder schaut er in eine andere Richtung? Sie haben seinen Gesichtsausdruck im Blick, besonders Augen und Mund. Sie versuchen, seine Stimmung zu erahnen. Allmählich schreiben Sie ihm eine Persönlichkeit zu. Ausgehend von der Information, die Sie innerhalb eines kurzen Augenblicks herausgefunden haben, entscheiden Sie, ob Sie den Blick senken und ihn ignorieren oder ob Sie ihm im Vorübergehen in die Augen sehen. Der erste Akt dieses Dramas dauert einen einzigen Augenblick und spielt sich jedes Mal ab, wenn Ihnen ein Fremder begegnet. Wenn Sie am Ende des Häuserblocks angelangt sind, haben Sie im Vorübergehen ein halbes Dutzend solcher Mindmaps erstellt, ohne ein einziges Wort mit denen, die Ihnen entgegenkommen, zu wechseln.

Menschen sind von Natur aus Psychologen. Wir sind so gut im Mindmapping, dass ausgebildete Therapeuten nicht unbedingt besser darin sind als ganz normale Menschen. Tatsächlich habe ich nach 30 Jahren als Therapeut und Ausbilder anderer Therapeuten festgestellt, dass Menschen, die sich Beratung suchen, häufig bessere Mindmapper sind als ihre Therapeuten und sie häufig deren Mindmapping-Radar überlisten.

Mindmapping ist ein angeborener Überlebensmechanismus, den wir von Reptilien geerbt haben. Wir müssen wissen, wie andere Leute ticken, um unsere eigene Sicherheit und unser Wohlbefinden zu garantieren. Wir müssen verstehen, was in ihnen vor sich geht, um ihr Verhalten vorauszusagen. Es geht vor allem darum, abschätzen zu können, was sie tun werden. Dazu sind keine besonderen Fähigkeiten oder Anstrengungen nötig. Auch Ihr IQ spielt dabei keine Rolle.

Menschen sind ziemlich berechenbar. Wenn Sie wissen, was ihre Überzeugungen, Werte und Absichten sind und wenn Sie wissen, was sie wissen, dann können Sie mit ziemlich hoher Genauigkeit vorhersagen, was sie tun werden. Beim Mindmapping geht es darum, herauszubekommen, was jemand wirklich will. Je besser Sie die Motive und Vorhaben anderer kennen, umso besser können Sie voraussehen, was er oder sie als Nächstes tun wird.

Wenn Sie tollen Sex wollen …

Jedes Mal, wenn Sie einen Raum voller fremder Personen betreten, läuft Ihr Mindmapping auf Hochtouren. Zuerst werden Sie sich ein Bild von allen Anwesenden im Raum machen. Sie schreiben ihnen Persönlichkeiten, Ansichten und sozialen Status zu. Das hilft Ihnen dabei, festzustellen, wie Sie dazu passen: »Welche Frau ist die schönste? Wer hat hier das Sagen? Mit wem sollte ich sprechen? Welche Rolle spiele ich? Hat mich jemand bemerkt? Hat jemand Interesse an mir?« Ihr Verstand will wissen, wo Sie in der sozialen Hierarchie stehen. Mindmapping hilft Ihnen dabei, genau das herauszufinden.

Das ist nur ein Beispiel von vielen. Tatsächlich würde ich Sie gerne dazu auffordern, sich eine Interaktion von mindestens zwei Personen vorzustellen, in der Mindmapping keine Rolle spielt. Wenn Sie zum Beispiel jemandem effektiv etwas beibringen wollen, müssen Sie herausfinden, wie diese Person am besten lernt. Manche Menschen lernen übers Sehen, andere übers Hören, und anderen fällt das Lernen am leichtesten, wenn der Körper beteiligt ist. Gute Lehrer machen sich ein Bild vom Verstand ihrer Schüler, um zu sehen, wie sie individuell Information aufnehmen, was funktioniert und was nicht. Sie bemerken, wann sie die Lernenden ermutigen sollten, an einem Problem dranzubleiben, und wann der Zeitpunkt gekommen ist, eine Pause einzulegen. Ohne Mindmapping wäre das nicht möglich.

Um Empathie mit anderen zu empfinden, muss man sich in das einfühlen, was sie fühlen, und verstehen, warum sie es fühlen. Dabei geht es aber nicht einfach nur darum, zu »fühlen, was sie fühlen«. Sie müssen sich ein Bild machen, was den anderen Menschen durch den Kopf geht, um sie zu verstehen. Anstatt sozusagen »in die Haut eines anderen zu schlüpfen«, wie man so schön zu sagen pflegt, ist es zutreffender formuliert, wenn man sagt, man »zieht Rückschlüsse ausgehend von dem Bild, das man vom Geist eines anderen hat«. Es gilt, herauszufinden, wie jemand tickt. Ohne die Fähigkeit zum Mindmapping ist das nicht denkbar.

Möchte man anderen wirklich Unterstützung und...

Erscheint lt. Verlag 16.3.2020
Übersetzer Tara Christopeit
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Brain Talk. How Mind Mapping Brain Science Can Change Your Life & Everyone In It
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
Schlagworte Beziehungen • Bindungen • Crucible Institute • Crucible Therapie • Crucible Therapy • eBooks • Mama, nicht schreien! • Mind Mapping • Neurowissenschaft • Psychologie • Selbsterkenntnis • Trauma
ISBN-10 3-641-26476-6 / 3641264766
ISBN-13 978-3-641-26476-5 / 9783641264765
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