Mein Zypern (eBook)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
192 Seiten
mareverlag
978-3-86648-368-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mein Zypern -  Joachim Sartorius
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Zypern - das ist Weltgeschichte als Inselgeschichte. Aufgrund ihrer strategischen Lage war die Insel stets Objekt der Begierde fremder Mächte. Alle waren hier: Phönizier, Griechen, Römer, Byzantiner, Kreuzritter, Venezianer, Genuesen, Osmanen, Briten. Und alle haben Spuren hinterlassen: Die eindrucksvollsten Denkmäler - nach den römischen und frühbyzantinischen Ruinen von Salamis - stammen aus fränkischer und venezianischer Zeit, wie die Abtei von Bellapais, der befestigte Hafen von Kyrenia, die prächtigen Kathedralen von Nikosia und Famagusta, wo Shakespeares Othello spielt. Drei Jahre hat Joachim Sartorius auf Zypern gelebt - jetzt kehrt er dorthin zurück, zu den Kulturen und Legenden, zu Farben und Licht der Levante. Er spürt den vielen historischen und seelischen Sedimenten nach, der bewegten Geschichte der Insel, ihrer Teilung nach der türkischen Invasion im Jahre 1974 und der schwierigen aktuellen Situation. Und doch ist dieses Buch nicht das eines Historikers oder Politologen, sondern das eines Dichters, der an der Hand guter Freunde - Inselgriechen wie Inseltürken - Zypern zu verstehen sucht.

Joachim Sartorius, geboren 1946, ist Lyriker, Übersetzer und Publizist und hat u. a. die Werkausgabe von 'Malcolm Lowry' und den 'Atlas der neuen Poesie' herausgegeben. Er wuchs in Tunis auf und verbrachte zwei Jahrzehnte im diplomatischen Dienst in New York, Istanbul und Nikosia. Bis 2000 war Joachim Sartorius Generalsekretär des Goethe-Instituts, von 2001 bis 2011 war er Intendant der Berliner Festspiele. Er lebt und arbeitet in Berlin.

Joachim Sartorius, geboren 1946, ist Lyriker, Übersetzer und Publizist und hat u. a. die Werkausgabe von "Malcolm Lowry" und den "Atlas der neuen Poesie" herausgegeben. Er wuchs in Tunis auf und verbrachte zwei Jahrzehnte im diplomatischen Dienst in New York, Istanbul und Nikosia. Bis 2000 war Joachim Sartorius Generalsekretär des Goethe-Instituts, von 2001 bis 2011 war er Intendant der Berliner Festspiele. Er lebt und arbeitet in Berlin.

»Herrlich fruchtbar und für seine Zitronen überall gerühmt«


Am Tag des Einzugs saß ich abends auf der Terrasse unter den Bögen. Die Kinder, Anna und Andrea, schliefen schon. Wir hatten nur das Nötigste aus Nikosia mitgenommen, Laken, Handtücher, Flipflops, ein paar Bücher und Taucherbrillen, und am Nachmittag, nach der Ankunft, in Lapithos noch eingekauft. Bei dem Bakkal gab es alles: duftendes Brot, Salat, Gemüse, Kaffee, Kardamom, Pastırma, den von den Türken so geliebten, scharf gewürzten Rinderschinken, dann Kerzen und Baklava, die von Honig troffen, und einen Karton »Lal«, einen Roséwein vom türkischen Festland, dessen frischen, kühlen Biss ich schätzte, vor allem an heißen Sommertagen.

Von dem Haus hatten wir behutsam Besitz genommen. Wir teilten die Schlafzimmer auf. Ein Aquarell von Niki Marangou, einer guten Freundin aus Nikosia, stellte ich auf den Kaminsims. In der Küche verstauten wir unsere Einkäufe. Sie war, gemessen an der Großzügigkeit der anderen Räume, erstaunlich klein und nur mit dem Allernotwendigsten ausgestattet. Unter den Tellern aus hellgrünem Pressglas fand ich einen größeren bemalten Keramikteller, der – wie sich bald herausstellte – der einzige Gegenstand mit einem unmittelbaren Bezug zum Erbauer des Hauses war. Ich besitze diesen Teller noch heute. Sein Durchmesser beträgt 35 Zentimeter. Ein breiter schwarzer Rand ist oben und unten durch Schriftzüge unterbrochen. Oben steht in Versalien: »AUSTEN HARRISON«, und unten: »LAPITHOS«. Die weiße Innenfläche nimmt in der Vertikalen eine hohe, schlanke Figur ein, ohne Zweifel Sir Austen selbst. Diese Figur trägt lange, weite weiße Hosen und eine weiße Tunika Über dem gelbbraunen Fuchsgesicht ein wild zerzauster Haarschopf. In den Händen trägt die Figur einen breiten Zollstock, das Insignium des Architekten. Das Ganze ist leicht hingestrichelt, sehr spielerisch. Der Baumeister tänzelt, eine helle, lichte, einnehmende Gestalt. Dieser Teller verbindet mich, neben einigen Fotografien, am stärksten mit dem Haus. Zu gerne wüsste ich, ob Austen diese Skizze selbst gemacht hat oder, was wahrscheinlicher ist, ein im Zeichnen begabter Freund. Ich müsste in den Archiven des britischen Kolonialministeriums forschen, nach Zeichnungen von Sir Austen suchen und Vergleiche anstellen.

Auf diesen Teller hatte ich gleich an diesem ersten Abend Trauben und Feigen zu einer Pyramide geschichtet und ihn auf den Holztisch unter den Arkaden gestellt. Aus dem Saal holte ich eine wackelige Stehlampe und saß nun an dem Tisch, an dem ich vor ein paar Tagen mit Mark den Mietvertrag abgeschlossen hatte. Der Himmel hatte schon fast alle Farbe verloren. Nur der kleine Teich bewahrte noch einen Rest von Blau. Zwischen den Spitzbögen schossen Fledermäuse hin und her. Zwei Geckos promenierten die Steinwand hoch, hellgrau, fast durchsichtig, mit schwarzen Knopfaugen, auf der Jagd nach Insekten. Im Lichtkegel der Lampe auf dem Boden, neben meinen braunen Zehen, sah ich eine weißliche, eingetrocknete Schleimspur, einen eingebeulten Kreis, von einer Nacktschnecke, die jetzt bei einem der steinernen Pfeiler von großen roten Ameisen zerstückelt wurde. Ich fühlte mich als einen Teil dieser Kleintierwelt, der Geckos, Ameisen, Spinnen, Nachtschwalben und Fledermäuse, mehr aber noch aufgehoben in der großen Natur, die das Haus umgab. Es ging kein Wind. Aber der Pfefferbaum wiegte sich hin und her. Von dem Zitronenhain kam ein dunkelgrüner Duft herüber und vermischte sich mit dem süßlichen des Jasmins. Wenn ich vor die Rundbögen trat, sah ich hinter dem fahlweißen Haus die gezackte pechschwarze Wand der Kyrenia-Berge. Plötzlich schmeckte der »Lal« nach kaltem Schatten, nach einem köstlich kühlen Schatten. Das Mondlicht trat hinter den Bäumen hervor und wurde so hell, dass die Furchen des Ornaments im Kapitell des Pfeilers vor mir klare Schatten warfen. Unwillkürlich musste ich an das Ohrgewinde einer griechischen Göttin denken. Einer der beiden Geckos verschwand in ihm.

Ich hatte mir aus der kleinen Bibliothek der Botschaft ein paar Bücher über Zypern mitgenommen, auch Reprints älterer Reiseberichte. Ich wollte, da ich ein Einwohner von Lapithos geworden war, alles über dieses Dorf in Erfahrung bringen, neben der Hauptstadt Nikosia nun meine Sommerbleibe, mein zweites Domizil.

Einmütig bezeichnen die britischen Reiseschriftsteller vom Anfang des letzten Jahrhunderts Lapithos als eines der schönsten Dörfer der ganzen Insel. Umgeben von Orangen- und Zitronenhainen, wird es aus Quellen, die den nahen Bergen entspringen, ständig bewässert. Einige der Autoren behaupten, die erste Siedlung sei von Lakedämoniern unter Praxander gegründet worden, andere meinen, die Phönizier hätten von Tyros an der libanesischen Küste aus hier eine Stadt errichtet. Im Tagebuch des Italieners Thomaso Porcacchi, der 1572 in Venedig sein Buch L’Isole piu famose del mondo veröffentlichte, fand ich die folgende Eintragung: »Lapethos, zwei Meilen von Cerines [wohl dem heutigen Kyrenia] gelegen, war ebenfalls eine alte Hauptstadt. Ihr letzter König war Pisistratus, ein Gefährte von Alexander dem Großen, gewesen. Jetzt ist es ein Dorf gleichen Namens, herrlich fruchtbar und für seine Zitronen überall gerühmt.« Ach, Porcacchi, ich trinke dir aus einer Entfernung von vierhundert Jahren zu!

Am ausführlichsten schreibt Rupert Gunnis über das alte Lapithos, in seinem 1936 in London veröffentlichten Buch Historic Cyprus. Mit fast schon hysterischer Akribie schildert er in diesem Führer die Ruinen, die Burgen und Klöster, Städte und Dörfer Zyperns, sodass sich vor den Augen des Lesers das Bild einer mit Kirchen und Resten von Ruinen gänzlich überstäubten Insel auftut. In dem Abschnitt über Lapithos beschreibt er zunächst die fünf Kirchen in der Ortschaft selbst, alle jüngeren Datums und alle laut Gunnis uninteressant. Seit der Plünderung durch die türkischen Soldaten im Jahre 1974 waren sie wahrscheinlich zudem in einem lamentablen Zustand. Sein Hauptaugenmerk richtet Gunnis auf die Ruinen von Lambousa, westlich von Lapithos direkt am Meer gelegen. Von der alten, im 8. Jahrhundert vor Christus gegründeten Stadt, die in der römischen und dann der byzantinischen Zeit zu Macht und Einfluss kam und berühmt war für ihre Amphoren und Epheben, gibt es – so Gunnis – nur noch ein paar behauene Felsblöcke, halb zerstörte Mosaikböden und die Überreste eines Leuchtturms. Nach der Plünderung durch die Araber im 7. Jahrhundert gewann die Ortschaft im frühen Mittelalter wieder an Bedeutung, unter der Herrschaft der Kreuzritter. Aus dieser Zeit sind noch zwei Gebäude erhalten – die Kirche des heiligen Evlavios und das Kloster Acheiropoietos, was so viel heißt wie »errichtet ohne Hände«, denn nach einer Legende wurde das Kloster als Ganzes von Kleinasien, wo es in Gefahr war, zerstört zu werden, von der Jungfrau Maria über das Meer hierher gebracht. Seine ältesten Teile, besonders die kreuzförmige Kirche, stammen aus dem 13. Jahrhundert. Gunnis vermutet, dass die Marmorsäulen in den Seitenkapellen aus noch früherer byzantinischer Zeit stammen. Er rühmt die korinthischen Kapitelle, die kunstvollen Böden aus vielfarbigem Marmor und die auf das Jahr 1563 datierte Grabplatte eines Venezianers, eines gewissen Alessandro Flatros, der die Erweiterung des Apsisschiffes finanziert haben soll. Zwischen dieser Kirche und der Kirche des heiligen Evlavios steht inmitten eines früheren Steinbruchs eine ganz aus dem Felsen gehauene Kapelle, die dem heiligen Evlambios geweiht ist. Hier wurde zu Beginn des letzten Jahrhunderts ein einzigartiger Silberschatz aus dem frühen 7. Jahrhundert gefunden. Einen Teil davon kaufte John Pierpont Morgan. Er ist heute im Metropolitan Museum in New York ausgestellt. Der Rest wurde aufgeteilt zwischen dem Archäologischen Museum in Nikosia und dem British Museum in London. Die Gegenstände dort – unter anderen ein kunstvoll getriebener silberner Teller mit dem Bildnis des heiligen Bacchus und ein Vorlegelöffel, in dessen Schale ein Widder in allen kleinsten Details erhaben herausgearbeitet ist – künden von der Raffinesse und dem prachtvollen, verfeinerten Lebensstil der byzantinischen Bewohner von Lambousa.

Nicht zu fassen, sagte ich mir, als ich müde und glücklich das Buch zuschlug, wie viel Archäologie in ein Kompendium im Taschenbuchformat passt. Und es ging ja nicht nur um Ruinen und Archäologie, es ging jenseits der Fakten und Zahlen um nichts weniger als Weltgeschichte als Inselgeschichte. Ich war müde, ja, zugleich aber wie elektrisiert. Auch hier, in Lapithos und seinem antiken Vorläufer Lambousa, war – zwischen dem Meer und der Gebirgskette von Kyrenia – die ganze Geschichte Zyperns wie in einem Brennglas versammelt. Die Phönizier waren hier gelandet und hatten die Ptolemäer abgelöst. Auf die römische folgte die byzantinische Zeit. Nach den Kreuzrittern, nach dem Königreich der Lusignan und ihren romantischen Burgen kam die venezianische Besatzung, bis im Jahre 1571 das Osmanische Reich die Insel annektierte. Am meisten...

Erscheint lt. Verlag 28.3.2019
Reihe/Serie Meine Insel
Meine Insel
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber
Reisen Reiseberichte
Schlagworte Insel • Meine Insel • Mittelmeer • Zypern
ISBN-10 3-86648-368-6 / 3866483686
ISBN-13 978-3-86648-368-2 / 9783866483682
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