Weltwirkung der Reformation (eBook)

Wie der Protestantismus unsere Welt verändert hat
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2017 | 1. Auflage
217 Seiten
Verlag C.H.Beck
978-3-406-70079-8 (ISBN)
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Die Reformation hat unsere moderne Kultur - Recht, Wirtschaftsethik, Literatur, Musik - tief geprägt, und sie hat damit weltweit gewirkt. Das Buch beschreibt anschaulich diese Verwandlung des Weltlichen und der Welt durch die Reformation. Am 31. Oktober 2017 jährt sich zum 500. Mal die Veröffentlichung der 95 Thesen, die Martin Luther an der Tür der Schlosskirche in Wittenberg bekannt gemacht hat. Aus diesem Anlass erinnert der Wissenschaftliche Beirat 'Reformationsjubiläum 2017' daran, welche Rolle die Reformation bei der Entstehung der Moderne gespielt hat. Denn die Impulse, die von Wittenberg im 16. Jahrhundert ausgingen, veränderten Deutschland, Europa und die Welt nachhaltig. Die Autoren, alle Mitglieder des Beirats, zeigen in ihren Beiträgen, wie der Protestantismus Recht, Verfassung und andere weltliche Institutionen der Moderne geprägt hat.

Udo Di Fabio ist Professor für öffentliches Recht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn und war bis 2011 Richter des Bundesverfassungsgerichts. Johannes Schilling ist Professor für Kirchengeschichte an der Christian- Albrechts-Universität zu Kiel.

Udo Di Fabio ist Professor für öffentliches Recht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn und war bis 2011 Richter des Bundesverfassungsgerichts. Johannes Schilling ist Professor für Kirchengeschichte an der Christian- Albrechts-Universität zu Kiel.

Cover 1
Titel 3
Zum Buch 217
Über die Herausgeber 217
Impressum 4
Inhalt 5
Einleitung 7
Die Reformation – ein historischer Überblick 13
Ohne Wittenberg keine Reformation! 67
Leuchtfeuer der Reformation – Luthers Bibelübersetzung 73
Protestantismus und Moderne 81
Die weltweite Verbreitung des Protestantismus 119
Die Dialektik der Neuzeit im Geist der Reformation 146
Reformation und Recht 170
Reformation als Konfliktgeschichte. Beobachtungen zum Reformationsgedenken 2017 195
Herausgeber und Autoren 207
Bildnachweis 209
Personenregister 211
Karte: Konfessionen in Europa um 1570 215
Karte: Vorherrschende Religionen 216

Einleitung


Udo Di Fabio

Wenn Gedenktage «begangen» werden, sagt das häufig mehr über die jeweilige Gegenwart als über das historische Ereignis. Schon aus diesem Grund steht die Wissenschaft in einer Spannungslage zu den medialen und politischen Aktionen aus Anlass der Reformation, weil Geschichtspolitik zwar Politik sein mag, aber gewiss nicht historische Forschung ist. In einer freien Gesellschaft ist die Kluft allerdings nicht unüberbrückbar. Als sich Vertreter des Bundes, der Länder und der Evangelischen Kirche an die Vorbereitung des Reformationsjubiläums machten, ergänzten sie ihr Kuratorium durch einen wissenschaftlichen Beirat. Einige Vertreter dieses Beirats machen in diesem Band ihre Perspektive kenntlich, die Sicht ihrer Disziplin und ihre eigene Deutung der Reformation.

Thomas Kaufmann legt die Basis in einem historischen Überblick, der mehr ist als nur ein kurzer Handbuchartikel. Er und andere führende Sachverständige der Geschichte der frühen Neuzeit und speziell der Reformation haben publizistisch viel getan, um Luther der Öffentlichkeit nahezubringen, als Auslöser eines epochalen Umwälzungsprozesses, als Person seiner Zeit, in seinem Glauben und seinem Glaubenseifer, mit Ecken und Kanten, mit seinen Widersprüchen. Es geht aber nicht nur um den Wittenberger Mönch, der gegen Papst und Kaiser aufrecht steht, sondern er selbst als Person mit Wirkungsmacht ist bereits Ergebnis einer tiefen Umgestaltung und Verunsicherung der europäischen Gesellschaften in der anbrechenden Neuzeit. Luther treibt die Zeit voran, obwohl er in vielen Dingen zurück will. Doch er ist auch Getriebener und wird ein Rad im großen Getriebe der Modernisierung und funktionalen Ausdifferenzierung des westlichen Gesellschaftmodells. Kaufmann macht in seinem Überblick auch deutlich, was geistesgeschichtlich und theologisch die Reformation im katholischen Widerlager auslöste, etwa die Reformation der römischen Kirche durch das Konzil von Trient (15451563). Geöffnet wird der Blick für die internationale Verflechtung des Reformationsprozesses, in England, Schweden, Dänemark, den Niederlanden, Frankreich oder der Schweiz.

Wer ein geschichtliches Ereignis verstehen will, braucht den Überblick und die großen Linien. Er braucht aber auch die Detailskizze, Momentaufnahmen, den Blick auf Personen oder auf einen Ort. Stefan Rhein schaut auf Wittenberg, jenen unbedeutenden Ort im Kurfürstentum Sachsen, die «kleine arme Stadt», die einen großen Namen erlangte. Dass die kleine Residenzstadt überhaupt das Potential hatte, Raum für das reformatorische Denken zu bieten, verdankt sich auch der Universität. Sie lag, wie anderwärts, im Abschied von der aristotelisch geprägten Scholastik des Mittelalters, ohne bereits in der Neuzeit wirklich angekommen zu sein. Hier, auf kurzem Wege zwischen Universität und Kloster, gedeiht Luthersches Denken, der Rückgriff auf Augustinus und die Gnadenlehre.

Von Wittenberg führt den Reformator der Weg zur Wartburg: Hier wird die Bibel in die deutsche Sprache übersetzt. Dieses gewiss nachdrücklich wirksame Ereignis wurde über Generationen hinweg gefeiert als titanische Leistung, als Grundsteinlegung der deutschen Sprache, so als hätte es Walther von der Vogelweide nie gegeben. Aber auch wer die mythische Überhöhung nicht mitmacht, wie Thomas Söding in seinem Beitrag zu Luthers Bibelübersetzung, wird die kulturprägende Leistung würdigen, die Kunst dieser von Melanchthon assistierten Übersetzung und den Beitrag zur Eroberung der Schriftsprache durch das Volk richtig gewichten.

Geschichte in der Tiefe verstehen heißt, sich nicht auf ökonomische und politische Prozesse zu beschränken, sondern auch evolutionstheoretisch und kultursoziologisch zu fragen. Dafür ist Detlef Pollack prädestiniert. Was der Geist des Protestantismus für die Neuzeit, für die Moderne bedeutet, wird von ihm aus der Sicht der Soziologie beleuchtet. Seine These stellt sich gegen materialistische Welterklärungen, wonach wirtschaftliche Prozesse den kulturellen Überbau gleichsam mit mechanischer Zwangsläufigkeit umwälzen, aber auch teilweise gegen die Annahme Max Webers, dass sich religiöse Alltagsethik unmittelbar in wirtschaftliche Rationalität verwandelt und damit die Wirtschaft revolutioniert. Die Religion ist im Mittelalter bestimmend und sie sei es gewesen, die sich ein hohes Maß an Autonomie erlaubte und damit nicht nur Konflikte erzeugte, sondern mit ihrem Primat der eigenen Funktion anderen Systemen das Gleiche nahelegte. Seit den Hildebrandschen Reformen des 11. Jahrhunderts sei die Religion auf dem Weg der funktionalen Ausdifferenzierung gewesen. Das ist gewiss richtig, aber das lässt sich eben auch für die merkantile Welt der Städte und die anhebende Territorialisierung politischer Herrschaft oder für die Verselbständigung der Rechtsschule von Bologna für das Recht beobachten und legt damit die Annahme multifunktionaler Verselbständigungsprozesse nahe. Interessant ist auch, dass die römische Kirche ebenso wie die thomistische Scholastik eine Modernisierung und Individualisierung bereits vorangetrieben hatten, die der Institution und ihrem ideellen System die Grundlagen allmählich entzogen. Die Veränderung des Gottes- und Christusbildes vom Weltenherrscher zum menschgewordenen Gott der Liebe und Barmherzigkeit, die für jeden und jede Erlösung verspricht, hatte etwas Umwälzendes an sich. In diese Zeit einer Erschütterung der Weltinterpretation wurde Luther hineingeboren, ihre Tendenzen, etwa des die Perspektive individualisierenden Renaissancehumanismus, nahm er theologisch auf und artikulierte sie stoßkräftig wieder in die Gesellschaft hinein.

Ein ähnliches Verständnis wie Pollacks Modernisierungsthese findet sich in meinem Beitrag zur «Dialektik der Neuzeit im Geist der Reformation».

Die von Wittenberg ausgehende Reformation war nicht causa prima einer von dort folgerichtig deduzierbaren oder gar zentral gesteuerten Entwicklung, sondern ein wichtiger Impuls, ein Katalysator in einem europäischen Gebäude, dessen geschlossene corpora christiana ohnehin bereits in wichtigen Belangen Vergangenheit war. Den lateineuropäischen Kontext und seine globalen Ausstrahlungen rückt der Beitrag von Dorothea Wendebourg in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Sie schärft das Bewusstsein dafür, was die von der Reformation erzwungene Zulassung von Mehrkonfessionalität auch für die Ausbildung politischer Territorialherrschaft bedeutete. Das neue Herrschaftsprinzip im Reich «cuius regio eius religio» korrespondierte für den Untertanen letztlich mit dem «ius emigrandi». Diese Erfahrung und die Matrix der religiösen konfessionellen Zersplitterung Europas legten sich über den Kolonialismus und damit über die Welt. Die religiös motivierte Flucht und Auswanderung veränderte nicht nur Europa im Inneren, sondern veränderte auch die Entwicklungsrichtung in Mittel- und Südamerika, in Teilen Afrikas und der ostasiatischen Philippinen. Die USA schließlich nehmen eine Sonderstellung ein, nicht nur wegen ihrer wirtschaftlichen und politischen Bedeutung, sondern weil ihre Gründung den Geist der europäischen Auswanderer mit dem der Aufklärung verband und sich gleichsam konstitutionalisierte. Damit wurde ein gutes Stück Reformation genetischer Code der US-amerikanischen Nation. In Europa manchmal unterschätzt, wird der Beitrag der Mission von Wendebourg hervorgehoben, der mit dem Enthusiasmus etwa der Erweckungsbewegung und der tatkräftigen Hilfe beim weltweiten Aufbau von Bildungseinrichtungen und Krankenhäusern Hand in Hand ging.

Wenn die Reformation als Teil der Entstehung der Neuzeit verstanden wird, dann kann man an der Wechselbezüglichkeit von Religion und Recht viel Aufschlussreiches erfahren. Christoph Strohm stellt Beziehungen zwischen Religion und einer sich allmählich gemeinsam mit dem Territorialstaat herausbildenden Jurisprudenz dar, die für das Verständnis des Umbruchs unentbehrlich ist. Luther ging es dabei nicht um eine Zweitcodierung seiner Theologie in weltliches Recht. Die Wirkungszusammenhänge sind andere. Mit dem Angriff auf die römische Zentralität und die Stellung des kanonischen Rechts wurde überhaupt der Raum frei für die Trennung von evangelischer Theologie und landesherrlich angesiedelten weltlichen Juristen – also eine Förderung funktionaler Ausdifferenzierung, die durch die Nähe protestantischer Herrscher zu Kirchenfragen, prägnant in ihrer Eigenschaft als Notbischöfe, nicht dementiert wird. Das Recht selbst musste auf die – vorsichtig gesagt – zunehmende Pluralisierung religiöser Bekenntnisse und die damit verbundenen Konflikte reagieren. Das führt nicht nur zum letztendlichen Aufstieg des Toleranzgedankens, zur Bedeutung des Augsburger Religionsfriedens als einer...

Erscheint lt. Verlag 23.3.2017
Reihe/Serie Beck Paperback
Beck Paperback
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Allgemeines / Lexika
Geisteswissenschaften Geschichte
Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte 16. Jahrhundert • Deutschland • Europa • Impulse • Jubiläum • Kultur • Literatur • Luther • Moderne • Musik • Protestantismus • Recht • Reformation • Schlosskirche • Thesen • Verfassung • Verwandlung • Wirtschaftsethik • Wittenberg
ISBN-10 3-406-70079-9 / 3406700799
ISBN-13 978-3-406-70079-8 / 9783406700798
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