Die Canterbury Schwestern (eBook)

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2016 | 1. Auflage
384 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-1283-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Canterbury Schwestern -  Kim Wright
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Che kann es nicht fassen: Sie ist mit acht anderen Frauen auf dem Weg von London nach Canterbury. In einem Brief hat ihre exzentrische, willensstarke Mutter ihrer Tochter aufgetragen, dorthin zu pilgern und ihre Asche zu verstreuen. Außerdem hat sich gerade auch noch ihr Freund von ihr getrennt. Das Letzte, was sie jetzt gebrauchen kann, ist ein als Pilgerreise getarnter Selbstfindungstrip. In alter Pilgertradition soll jede der Frauen auf dem Weg eine Geschichte über die Liebe erzählen. Che ist skeptisch, als die Wanderinnen damit beginnen. Doch die unterschiedlichen Geschichten der Frauen berühren sie tief. Zum ersten Mal in ihrem Leben hat Che das Gefühl, ihren Weg zu kennen.

Kim Wright schreibt für mehrere Lifestylemagazine über Wein, Restaurants und Reisen. Sie ist leidenschaftliche Tänzerin und lebt in Charlotte, North Carolina.

Kim Wright schreibt für mehrere Lifestylemagazine über Wein, Restaurants und Reisen. Sie ist leidenschaftliche Tänzerin und lebt in Charlotte, North Carolina.

s gab mal eine Studie darüber, warum so viele Menschen in Flugzeugen weinen – ob es an der Stille liegt oder der Isolation oder an der Urangst, die terra firma zu verlassen.

Ich denke, es rührt daher, dass die meisten von uns im Flugzeug fast so etwas erleben wie eine erzwungene Meditation. Auf der Startbahn, in jener kleinen, zitternden Welt zwischen Hier und Dort, können wir nichts weiter tun, als dasitzen und unseren Gedanken nachhängen. Ist das Flugzeug erst mal in der Luft, gibt es natürlich tausend Dinge, die uns ablenken: Filme, Kindles, Spiele, Rätsel, Drinks und jene schmale, aber verführerische Möglichkeit, unser Sitznachbar könnte sich als Seelenverwandter erweisen. Aber während des Startens und Landens sind wir auf uns allein gestellt. Da können wir den gewaltigen einsamen Prärien, die in unseren Köpfen existieren, nicht aus dem Weg gehen.

Anfangs sieht es so aus, als wäre bei diesem Flug das Glück auf meiner Seite. Keiner belegt den Gangplatz, und ich kann mich ausstrecken und schlafen. Wir landen vorzeitig, sogar so verfrüht, dass Heathrow für uns noch nicht mal ein Gate bereit hat. Während wir auf eine Freigabe warten, hole ich mein Handy heraus und gehe meine Nachrichten durch. Es ist nicht viel Überraschendes dabei – Arbeit und Werbung und Benachrichtigungen von Facebook, Instagram und Twitter. Aber eine davon kommt von der Uniprofessorin, die ich als meine Reiseführerin angeheuert habe, und im Betreff steht: Kleine Planänderung.

Kleine Planänderung? Das ist nicht gut. Meiner Erfahrung nach ist das nie gut.

Ich schaue aus dem Fenster des Flugzeugs auf den regennassen Asphalt, und ein leiser Schauder läuft mir über den Rücken. Allein die kurze Zeit, die ich darauf verwendet habe, diese Reise auf meinem Computer zu studieren, hat mich gelehrt, dass die Fußwanderung nach Canterbury gar nicht so einfach ist, wie es sich anhört. Vielmehr geht es darum, auf den noch verbliebenen Resten des alten Pilgerwegs zu wandern. Dieser folgte nämlich ursprünglich einem noch älteren römischen Pfad, doch dieser alte, heilige Weg wurde von den Erfordernissen des modernen Lebens zerstückelt. An mehreren Stellen wird er von einer wichtigen Autobahn durchschnitten, und die noch intakten Teile des Weges schlängeln sich vorwiegend durch Privatbesitz, landwirtschaftlich genutzte Flächen, Obstgärten und selbst durch die Hinterhöfe ländlicher Anwesen.

Da der Weg der Aufsicht des National Trust unterliegt, wussten die Landbesitzer natürlich beim Kauf bereits, dass sie das Wegerecht zulassen müssen. Und sind vermutlich auch daran gewöhnt, dass Amerikaner mit Rucksäcken und mit Blasen an den Füßen und gebrochenen Herzen im Nebel an ihnen vorbeiziehen. Aber Google warnt davor, dass es knifflig ist, dem Weg zu folgen. Es gibt nur wenige Markierungen, und diese lassen oft zu wünschen übrig, weil sie so angebracht sind, dass man unmöglich erkennen kann, wo der Weg abbricht und wo er wieder einsetzt.

Heißt im Klartext, man braucht einen Führer.

Aber wie es aussieht, habe ich es bereits geschafft, meine Führerin zu verlieren. Sie schickt mir ihre E-Mail von der Krankenbahre in einem Krankenhaus aus, wo sie als Notfall auf ihre Blinddarm-OP wartet.

»Ist das zu fassen?«, schreibt sie.

Nein, fassen kann ich das nicht. Wer muss sich denn heute noch einer Blinddarmoperation unterziehen? Genauso gut könnte sie mir mitteilen, sie würde von der Beulenpest heimgesucht. Aber dann bietet sie mir in verdächtig vollständigen und grammatikalisch korrekten Sätzen für eine Frau, die höchstwahrscheinlich Qualen leidet, eine Lösung an. Zufälligerweise leitet eine ihrer Universitätskolleginnen eine organisierte Tour nach Canterbury, die an diesem Nachmittag von London aufbrechen wird. Eine auf ihrem Gebiet hochgeschätzte Altphilologin, noch ziemlich jung, fast ein Ausnahmetalent. Und sie versichert mir, dass ich keine Sorge haben müsse, nicht willkommen zu sein. Die Frauen in dieser Gruppe seien allesamt Amerikanerinnen und hätten ihre Reise über ein Unternehmen gebucht, das sich Reiseweiber nennt und an allein reisende Frauen wendet.

Die allein reisende Frau. Vermutlich gehöre ich da jetzt dazu.

»Eine Lösung, wie sie besser nicht sein könnte«, schreibt die Professorin, aber überzeugt bin ich nicht. Ich möchte mich beim Wandern nicht unterhalten müssen. Ich möchte mich nicht mit anderen Frauen verbünden und ihnen von meinen Problemen erzählen, denn so schmerzlich sie auch sind, entsprechen sie doch sehr dem Klischee, wenn man ehrlich ist. Und bin ich erst einmal gezwungen, ihnen meine Geschichten zu erzählen, erfordert es die Höflichkeit, mir auch ihre anhören zu müssen. Und ich wette, auch sie haben alle tote Mütter und gemeine Liebhaber. Mein Handy hat sich auf die Ortszeit umgestellt und zeigt mir, dass es noch nicht ganz sieben Uhr morgens ist. Ich starre hinaus auf einen wenig anheimelnden Morgen in der Fremde und wäge meine Möglichkeiten ab.

Vielleicht sollte ich einfach den Zug nach Canterbury nehmen. Meine Mom loswerden und schnell wieder zurück nach Heathrow fahren, dann säße ich mit ein bisschen Glück abends vielleicht schon wieder im Flieger nach Philadelphia. Das wäre dann zwar keine echte Pilgerreise, nicht im Sinne einer schrittweisen Annäherung, aber mein Versprechen hätte ich gehalten. Und darum geht es doch schließlich, oder? Um den Schlusspunkt am Ende eines Satzes. Darum, auf die Return-Taste zu drücken und einen neuen Paragraphen in meinem Leben zu beginnen. Abschied zu nehmen. Mich von Geistern zu befreien. Es gibt absolut keinen Grund dafür, mir die Sache schwerer als nötig zu machen.

Endlich bewegt sich das Flugzeug auf ein offenes Gate zu. Ich blicke auf die Textnachricht in meiner Hand.

Reiseweiber. Meine Güte. Vielversprechend klingt dieser Name nicht.

Als ich im Heathrow Express auf dem Weg in die Stadt sitze, hat der Regen aufgehört, und der Morgen ist rosig und golden. Auf den Gehwegen schillern die Pfützen wie bei einem Gemälde von Monet, und die Luft fühlt sich frisch an. An der Paddington Station steige ich aus und schlage die Richtung ein, die, wie mir mein Handy versichert, schnurgerade nach Osten führt. Unter meinen Stiefeln rascheln die Herbstblätter, und als ich an einer Straßenecke stehenbleibe, um meinen Koffer in die andere Hand zu nehmen, denke ich mir, dass London sich in einem anderen Tempo bewegt als amerikanische Städte. Die Betriebsamkeit ist gedämpfter. Das Tempo zivilisierter und humaner. Das gefällt mir nicht.

Wann habe ich zum letzten Mal etwas gegessen? Vor so langer Zeit, dass ich mich nicht mehr daran erinnere, was nicht gut ist, und deshalb steuere ich das nächste Café an. Bestelle, ohne zu überlegen, das »Standardfrühstück« und bin völlig irritiert, als ich ein britisches Frühstück bestehend aus Baked Beans, Pilzen und Tomaten vorgesetzt bekomme. Doch als mir sein Duft in die Nase steigt, merke ich, dass ich hungrig bin, seit Tagen vielleicht zum ersten Mal. Während ich mich durch den Teller arbeite, lese ich noch mal die E-Mail der Professorin, diesmal in ruhigerer Seelenverfassung.

Die Reiseweiber treffen sich zum Mittagessen im George Inn, schreibt sie. Es liege neben dem ehemaligen Tabard Inn, wo Chaucer und seine Pilger vor fünfhundert Jahren ihre Reise begannen. Das Tabard sei allerdings irgendwann bei einem Feuerausbruch im darin untergebrachten Bordell ein Raub der Flammen geworden. Das George sei ein Wirtshaus derselben Provenienz und aus derselben Ära und somit ein würdiger Ausgangsort für eine Wallfahrt. Das sind die Worte, die sie verwendet – »Provenienz«, »Ära«, »würdiger Ausgangsort« und »Wallfahrt« –, und ich staune wieder, dass eine Frau, die kurz vor einer Operation steht, sich die Zeit nimmt, eine so wortreiche und überzeugungskräftige Nachricht zu verfassen. Offenbar ist diese Fröhlichkeit im Angesicht des Ungemachs, dieser Zwang, sich über mittelalterliche Geschichte auszulassen, während man sich vor Schmerzen krümmt, ein britischer Wesenszug.

Nehmen Sie die U-Bahn zur London Bridge Station, rät sie mir, dann stoßen Sie nach weniger als zehn Minuten Fußweg auf das George Inn. Ich esse meine Bohnen und werfe einen Blick auf den Plan, den ich mir aus dem Zug mitgenommen habe. Die Entfernung von Paddington zur London Bridge ist beträchtlich, aber schließlich habe ich viel Zeit totzuschlagen. Ein ausgiebiger Spaziergang wird mir guttun, nachdem ich so lange eingepfercht im Flugzeug gesessen habe. Natürlich habe ich nicht wirklich vor, mich der Gruppe anzuschließen. Jedenfalls nicht, ohne sie vorher auszukundschaften. Sie schreibt, es seien mit der Führerin acht Frauen auf dieser Tour, und eine Gruppe dieser Größe sollte nicht allzu schwer auszumachen sein. Ich beschließe, sie aus angemessener Distanz zu beobachten und herauszufinden, wie langweilig sie sind, bevor ich eine Entscheidung treffe. Wenn ich das Gefühl haben sollte, dass sie in Ordnung sind, werde ich auf sie zugehen. Wenn nicht, kann ich von London Bridge aus noch immer den Zug nach Canterbury nehmen und allein meine Mutter verstreuen.

Wikipedia schreibt, dass Chaucers Pilger ihre Reise in Southwark begannen – auf heutige Verhältnisse übertragen ein zwielichtiger Vorort, der außerhalb der Stadtmauern Londons lag und somit auch nicht dem Gesetz unterworfen war. Prostituierte, Diebe und Trunkenbolde waren dort zu Hause.

Jetzt wimmelt es hier von Touristen. Tatsächlich ist die ganze Gegend um die London Bridge ein Vergnügungszentrum wie geschaffen für Ausländer auf Urlaub. Es erstreckt sich von der Brücke selbst über den...

Erscheint lt. Verlag 26.5.2016
Übersetzer Elfriede Peschel
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Sachbuch/Ratgeber Sport
Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte Bilanz • Buch 2016 • Canterbury • Chaucer • Cornwall • Der große Trip • Eheprobleme • Eltern • England • Frauenfreundschaft • Frauenunterhaltung • Freundinnen • Freundschaft • Generation • Generationenkonflikt • Großbritannien • Hape Kerkeling • Harold Fry • ich bin dann mal weg • Jakobsweg • Liebesgeschichte • Liebesroman • Lori Nelson Spielman • Monika Peetz • Mutter • Neu 2016 • Neuanfang • Neubeginn • Neuerscheinung 2016 • Neuerscheinungen 2016 • Partnerschaft • Pilgerfahrt • Pilgern • Religion • Romantik • romantisch • Romanze • Südengland • Tod • Todesfall • Trauer • Trennung • Unterhaltung • Vergebung • Wandern
ISBN-10 3-8437-1283-2 / 3843712832
ISBN-13 978-3-8437-1283-5 / 9783843712835
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