Friedrich Rückert geboren 1788 in Schweinfurt, gilt als einer der größten Sprachgelehrten Deutschlands. Er übersetzte die gesamte ihm zugängliche poetische Literatur des Orients. Nach Lehrtätigkeiten in Erlangen und Berlin zog sich Rückert nach Coburg zurück, wo er 1866 verstarb.
1.
Ein indischer Brahman, geboren auf der Flur,
Der nichts gelesen als den Weda der Natur;
Hat viel gesehn, gedacht, noch mehr geahnt, gefühlt;
Und mit Betrachtungen die Leidenschaft gekühlt;
Spricht bald, was klar ihm ward, bald um sich’s klar zu machen,
Von ihn angehnden halb, halb nicht angehnden Sachen.
Er hat die Eigenheit, nur Einzelnes zu sehn,
Doch alles Einzelne als Ganzes zu verstehn.
Woran er immer nur sieht schimmern einen Glanz,
Wird ein Betkügelchen an seinem Rosenkranz.
2.
Wer Furcht vor keinem hegt, Furcht keinem auch erregt,
Sieht den furchtbaren Tod, von keiner Furcht bewegt.
Wer keine Lust verstört, wen keine Lust betört,
Erlangt die höchste Lust, wo alle Lust aufhört.
Wem Hoch und Niedrig gleich, gleichviel ist Hart und Weich,
Gleichgiltig Reich und Arm, der ist in Armut reich.
Wer Lieb mit Lieb umfaßt und selbst den Haß nicht haßt,
Der ist zu Hause dort, hier auf der Welt ein Gast.
3.
Bedenke, daß ein Gott in deinem Leibe wohnt,
Und vor Entweihung sei der Tempel stets verschont.
Du kränkst den Gott in dir, wenn du den Lüsten frönest,
Und mehr noch, wenn du in verkehrter Selbstqual stöhnest.
Gott stieg herab, die Welt zu schaun mit deinen Augen;
Ihm sollst du Opferduft mit reinen Sinnen saugen.
Er ist, der in dir schaut und fühlt und denkt und spricht;
Drum was du schaust, fühlst, denkst und sprichst, sei göttlich licht.
4.
Wenn es dir übel geht, nimm es für gut nur immer;
Wenn du es übel nimmst, so geht es dir noch schlimmer.
Und wenn der Freund dich kränkt, verzeih’s ihm und versteh:
Es ist ihm selbst nicht wohl, sonst tät er dir nicht weh.
Und kränkt die Liebe dich, sei dir’s zur Lieb ein Sporn;
Daß du die Rose hast, das merkst du erst am Dorn.
5.
Zwei Spiegel sind, worin sich selber schaut mit Wonne
Die hohe Himmels- und die höchste Geistersonne:
Ein Spiegel ist das Meer, von keinem Sturm empört,
Ein andrer das Gemüt, von keinem Drang verstört.
6.
Wer Schranken denkend setzt, die wirklich nicht vorhanden,
Und dann hinweg sie denkt, der hat die Welt verstanden.
Als wie Geometrie in ihren Liniennetzen
Den Raum, so fängt sich selbst das Denken in Gesetzen.
Anschaulich macht man uns die Welt durch Länderkarten.
Nun müssen wir des Geists Sternkarten noch erwarten.
Indes geht, auf die Gefahr, den Richtweg zu verlieren,
Der Geist durch sein Gebiet, wie wir durchs Feld spazieren.
7.
Freust du auf Künft’ges dich, so sieh doch zu, weswegen?
Ob du nur hier dich weg, ob dort dich freust entgegen?
Entgegen soll man sich dem Tode selber freun,
Doch übers Leben sich hinwegzuwünschen scheun.
Wie nüchtern, freudenleer, wie öd ein Tag, worüber
Du nichts zu denken hast, als: wär auch er vorüber!
8.
Dein Auge kann die Welt trüb oder hell Dir machen;
Wie du sie ansiehst, wird sie weinen oder lachen.
Dein äußres Auge kannst du schärfen selbst und üben;
O hüte dich vielmehr, dein inneres zu trüben!
Wenn rein dein Innres schaut, das Äußre mag erblinden,
Du wirst das helle Bild der Welt im Herzen finden.
9.
Der Vater mit dem Sohn ist über Feld gegangen;
Sie können nachtverirrt die Heimat nicht erlangen.
Nach jedem Felsen blickt der Sohn, nach jedem Baum,
Wegweiser ihm zu sein im weglos dunklen Raum.
Der Vater aber blickt indessen nach den Sternen,
Als ob der Erde Weg er woll’ am Himmel lernen.
Die Felsen blieben stumm, die Bäume sagten nichts,
Die Sterne deuteten mit einem Streifen Lichts.
Zur Heimat deuten sie; wohl dem, der traut den Sternen!
Den Weg der Erde kann man nur am Himmel lernen.
10.
Nichts hast du schlecht gemacht, auch was du machtest schlecht,
Es half dir, daß du nur was andres machtest recht.
Du hättest nur vielleicht dem Unverstand verschweigen
Das Eine sollen und allein das Andre zeigen.
Man sieht den Weg dich gehn, nicht bloß am Ziel dich stehn,
Und immer lehrreich ist, auch jenes anzusehn.
11.
Ein Wunder ist die Welt, das nie wird ausgewundert,
Das niederschlägt den Geist und wieder ihn ermuntert.
Daniederschlägt den Geist vorm ew’gen Stoff ein Bangen,
Und stets ermuntert’s ihn, den Kampf neu anzufangen.
Ob du benennen willst das Viele, Einzle, Kleine?
Ob du erkennen willst das Große, Ganze, Eine?
Unendlichkeit ist dort und hier Unendlichkeit,
Und mit den beiden wagst du Endlicher den Streit.
Eh du am Boden ganz ein Gras hast durchbetrachtet,
Ging eine Welt voll Glanz vorbei dir unbeachtet.
Und eh du Zweig und Blatt gezählt am Sternenbaum,
Blüht ungenossen ab ein Erdenfrühlingstraum.
Getrost! Zwar du nicht bist, doch Gott ist überall;
Du siehst das ganze Licht in jedem Farbenstrahl.
Und alles ist dem Geist ein würd’ges Element,
Was schürt die Andachtsglut, in der die Schöpfung brennt.
12.
Dem Menschen kann nicht leicht ein größrer Spott geschehn,
Als gibt ein Spiegel ihm, verzerrt sich selbst zu sehn.
Das ist ein Buch, das dir in einem fremden Geist
Den eigenen, entstellt zur Geistesfratze, weist.
13.
Vergeistigen die Welt ist geistiges Ergötzen,
Doch ein entsetzliches, sie nur durch Geist zersetzen.
Schad um die schöne Welt, wenn sie hinweg nur taut
Der Geist, und nicht daraus mir eine schönre baut;
Wie Wintersonnenstrahl Frostblumen nur zertauen,
Doch Frühlingsblumen nicht kann wecken auf den Auen.
14.
Das heil’ge Feuer schür, ein ewiges Symbol
Des Feuers, das die Welt durchfacht von Pol zu Pol;
Des Feuers, das die Welt durchwirkt von Sphär’ zu Sphäre,
Und ohne daß die Sonn ein kalter Goldschild wäre;
Des Feuers jener Ess’, an der der dunkle Schmied,
Stets fördernd neu Geschmeid, im Dienst des Lichtherrn kniet:
Des Frühlings Blumenschmelz, gestirnter Nachtlazur,
Tier-Menschen-Geistbild, sind dess’ Funken nur.
15.
Die Seligkeit ist nicht, nur selig selbst zu sein,
Die Seligkeit ist nicht allein und nicht zu zwein;
Die Seligkeit ist nicht zu vielen, nur zu allen;
Mir kann nur Seligkeit der ganzen Welt gefallen.
Wer selig wär und müßt unselig andre wissen,
Die eigne Seligkeit wär ihm dadurch entrissen.
Und die Vergessenheit kann Seligkeit nicht sein,
Vielmehr das Wissen ist die Seligkeit allein.
Drum kann die Seligkeit auf Erden nicht bestehn,
Weil hier die Seligen soviel Unsel’ge sehn.
Und der Gedanke nur gibt Seligkeit auf Erden,
Daß die Unseligen auch selig sollen werden.
Wer dieses weiß, der trägt mit Eifer bei sein Teil
Zum allgemeinen, wie zum eignen Seelenheil.
Gott aber weiß den Weg zu aller Heil allein;
Drum ist nur selig Gott, in ihm nur kannst du’s sein.
16.
Aus jungen Augen sieh die Welt stets neu entfaltet;
Glaub’s deinen alten nicht, sie sei mit dir gealtet.
Ein alter Vogel lernt nicht mehr; kommt her, ihr jungen,
Und singen lernt von uns, doch nicht wie wir gesungen;
Nein, immer besser zu! Denn alles muß auf Erden
Doch immer besser, auch der Sang der Vögel werden.
Und macht ihr’s besser nicht, so denkt doch, daß ihr’s macht.
Wir haben eben das zu unsrer Zeit gedacht.
Was ist die Ähnlichkeit und was der Unterschied?
Wir sangen und ihr singt das neuste schönste Lied.
17.
Auf Erden gehest du und bist der Erde Geist;
Die Erde kennt dich nicht, die dich mit Blüten preist.
Auf Sonnen stehest du und bist der Sonne Geist;
Die Sonn erkennt dich nicht, die dich mit Strahlen preist.
Im Winde wehest du und bist der Lüfte Geist;
Die Luft erkennt dich nicht, die dich mit Atem preist.
Auf Wassern gehest du und bist des Wassers Geist;
Das Wasser kennt dich nicht, das dich mit Rauschen preist.
Im Herzen stehest du und bist der Liebe Geist;
Und dich erkennt das Herz, das dich mit Liebe preist.
18.
Nichts bessres kann der Mensch hienieden tun, als treten
Aus sich und aus der Welt und auf zum Himmel beten.
Es sollen ein Gebet die Worte nicht allein,
Es sollen ein Gebet auch die Gedanken sein.
Es sollen ein Gebet die Werke werden auch,
Damit das Leben rein aufgeh in einem Hauch.
19.
Laß nur den tollen Spuk der Zeit vorüberflirren!
Ergötzen kann er dich, er kann dich nicht verwirren.
Doch wenn dem Schwindel trotzt dein Geist mit fester Stirne,
Bedenke, daß es gibt auch schwächere Gehirne.
Den Wirbel mehre nicht, worin sie trunken drehn;
Zeig ihnen eh’r den Punkt, worauf man fest kann...
Erscheint lt. Verlag | 6.3.2016 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Esoterik / Spiritualität |
Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Östliche Philosophie | |
Schlagworte | Abendländische Philosophie • Deutscher Dichter • eBooks • fernöstliche Lyrik • Fernöstliche Philosophie • Gedichte • Hinduismus • Islam • Lyrik • orientalische Philosophie • Orientalist • Östliche Philosophie • Östliche Weisheit • Philosophie • spirituelle Bücher |
ISBN-10 | 3-7306-9131-7 / 3730691317 |
ISBN-13 | 978-3-7306-9131-1 / 9783730691311 |
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