Frankfurt ist anders (eBook)
180 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-73369-0 (ISBN)
Eva Demski, geboren 1944 in Regensburg, lebt in Frankfurt am Main. Ihr literarisches Werk wurde vielfach ausgezeichnet.
So fing es an
Die ersten Jahre des Fernsehens
Im Jahr 1953 muß es gewesen sein, daß der arbeitslose Schauspieler und Regisseur Fritz Umgelter zu dem ebenfalls arbeitslosen Bühnenbildner Rudolf Küfner, meinem Vater, sagte: »Rudtle, in Frankfurt machets jetzt ebbes, des hoisch Fernsehen. Ein großer Schmarrn, aber sie händ viel Geld.«
Und so begannen die beiden, die einem neuen Intendanten des Wiesbadener Staatstheaters zum Opfer gefallen waren, ein anderes Leben. Sie kamen aus der einen Quelle, die das noch unbekannte Medium speiste: aus dem Theater. Die andere war der Film, damals hauptsächlich die ziemlich braun angestaubte UFA. Was sie in Frankfurt – und nur davon kann ich erzählen – vorfanden, war das Gebäude, das den Bundestag hätte aufnehmen sollen, wenn Adenauer den nicht näher bei sich daheim hätte haben wollen.
Das erste Fernsehstudio, an das ich mich erinnere, war im Glasrundbau, ziemlich klein, und alles darin passierte life. Theater und Film lieferten Technik, Autoren, Schauspieler, und vor allem die Vorstellung von Publikum. Im Anfang war die Fernsehgemeinde überschaubar und freute sich über alles, was sie kriegte. Selten kam mal jemand, der TV in Amerika gesehen hatte, da gäbe es Werbung und in Farbe, aber das interessierte von den deutschen Pionieren keinen.
Sie legten mächtig los und gaben sich selber einen Bildungsauftrag. »Rudtle«, sagte der vorhin schon erwähnte Fritz Umgelter, »wenn mir so weitermachet, weiß in zehn Jahren jeder Arbeiter, wer Kleist isch.« Und das wollten sie wohl. Regisseure wie Ludwig Berger, Michael Kehlmann und Harry Buckwitz waren sich nicht zu schade, die Möglichkeiten des kleinen Kastens auszuprobieren, und große Schauspieler, auf sie komme ich noch, auch nicht. Sie packten Shakespeare und Lenz, Büchner und Anouilh, Christopher Fry und Aristophanes, Goethe und Giraudoux und noch vieles andere in die Schachtel, und der Dramaturg Helmut Krapp sorgte für eine Dosis existentialistischer Düsternis. Er liebte irische Dramatiker. Ich durfte nur selten aufbleiben, vor allem bei Lysistrata nicht, was ich sehr übelnahm. Film und Theater – beides hatte sich mit den Nazis eingelassen, und so waren die Davongekommenen leidenschaftlich verliebt in das unschuldige, spurenlose Medium. Sie machten alles selber, man kann sich gar nicht vorstellen, wieviel und unter welchen Bedingungen. An Werkstätten, großartigen Handwerkern und Verrücktheiten aller Art war kein Mangel, der technische Aufwand wäre heute gar nicht mehr zu bezahlen. Es erwartet ihn eigentlich auch niemand mehr. Wenn zum Beispiel in einer der zahllosen Quizshows die Frage kommt: Welche Schiffe hatten Augen? Und dann die nackten Buchstaben der multiple choice-Antwort und sonst nichts – die Männer und die wenigen Frauen von damals hätten entrüstet gesagt: Das ist doch kein Fernsehen! Und ein in hundert Arbeitsstunden selbst gebautes Phönizierschiff mit Augen ins Studio einfahren lassen.
Fernsehen war Bilder. Man mußte was sehen können. Und wenn einem die Museen ihre kostbaren Stücke, wie zum Beispiel antikes Spielzeug, nicht leihen wollten, machte man es eben selber. Umgelter focht seine Schlachten aus und drehte eine stattliche Reihe von spannenden, sehr aufwendigen und fetzigen Kostümschinken, und mein Vater entdeckte die Unterhaltung.
Das, was man heute nostalgisch den großen Samstagabend nennt, war eine riesige, sich selbst durchaus ernst nehmende Spielwiese. Drei Männer waren, jeder auf seine Art, die Protagonisten: Hans-Otto Grünefeldt, der damalige Fernsehdirektor, dessen liebstes Kind diese Art von Circus war (und der, wahrscheinlich aus Schuldbewußtsein, auch jede Menge Avantgardistisches deckte), mein Vater, der ganz in der Stille auch den pompösesten Quatsch möglich machte und für einen Dreiminuteneinspieler das komplette Forum romanum gebaut hätte – nah dran war er fast in jeder Sendung –, und Hans-Joachim Kulenkampff, der seine unerfüllten Schauspielerträume ausleben konnte. Die Fragen dachten sie sich zu dritt aus, und zwar auf die Möglichkeiten des Sichtbar-Machens hin. Die drei wollten allerdings auch ihren Spaß haben. Ich erinnere mich, daß einmal ein Rolls-Royce in einer Frage vorkommen mußte, weil sie den unbedingt probefahren wollten. Dabei machten sie prompt eine Delle in das teure Stück. Was daraufhin passierte, weiß ich nicht, schlimm wird es nicht gewesen sein. Heutzutage kann man sich nicht mehr vorstellen, wie verspielt das alles begonnen hat. Jetzt ist es verwaltet.
Der alte Bildungsgedanke wurde aber nie außer acht gelassen, und der Hessische Rundfunk hatte damals einen Ruf wegen seiner ambitionierten Fernsehspiele. Würde man sich Produktionen wie Die Irre von Chaillot, Schatten der Helden, den sechsteiligen Shakespearezyklus, später dann Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny und Dutzende andere, die in den späten fünfziger, den sechziger und siebziger Jahren entstanden sind, heute anschauen, sähe man, wie stark das Theatralische in ihnen war. Bei den Fernsehspielen jener Zeit hatte die Bühne den Film überholt.
An die Produktion der Irren von Chaillot erinnere ich mich noch genau, schon weil da so viele Bühnenlegenden mitspielten. Hermine Körner als Irre, dazu Trude Hesterberg und Eva Vaitl, Joachim Teege als Lumpensammler, Ingrid Andree als Blumenmädchen, Buckwitz hatte Regie. Mein Vater benutzte seine Kostümentwürfe, um die Schauspieler alle zu porträtieren. Als man Hermine Körner ein Kreuz auf dem Studioboden zeigte, auf dem sie bitte bei einem bestimmten Auftritt stehenbleiben möge, denn da sei die Mitte, soll sie geantwortet haben: »Ich dachte, die ist sowieso da, wo ich stehe!« Hilde Hildebrandt nannte meinen Vater wegen seiner Haare »mein kleiner Pasternak«. In welcher Produktion sie mitgespielt hat, weiß ich nicht mehr. Maria Becker dagegen war Kassandra und brachte mir bei, wie man jemanden anschaut, ohne zu blinzeln. Wahrscheinlich war für all diese Legenden das Publikum ein besonderer Faktor, anders als beim Film und ganz anders als beim Theater konnte die ganze Nation dazu gemacht werden, nach der Tagesschau, jedenfalls der Teil, der einen Apparat hatte. Und das wurden, wie wir wissen, immer mehr. Quote gabs noch nicht. Bei alldem spielten die Kapazitäten des Senders eine große Rolle, die Werkstätten, Schneiderei, Maler, Schlosserei, Schreiner, die Bühnenbildnerkollegen, Requisite, Dekorateure. Viele von denen waren Künstler mit einem entsprechenden Selbstbewußtsein. Einer der Bühnenmaler namens Busch konnte von Rubens bis Dalí alles malen und tat das auch. Er signierte aus irgendeinem Grund immer mit William S. Bushie. Ich will damit sagen, daß es damals, egal für wen, etwas Besonderes war, beim Fernsehen zu arbeiten. Wenn in irgendeinem Dorf oder sonstwo ein Team auftauchte, kam in kürzester Zeit der Bürgermeister und lud es zum Essen ein.
Mein Vater, der erste sogenannte Ausstattungschef des Hessischen Fernsehens, verlor seine Liebe zum Theater dennoch nie. Er wollte das Studio immer zur Bühne machen, auch die Rhein-Main-Halle, oder wo immer der Samstagabendcircus seine Runden drehte.
Als Nurejew Rußland verlassen hatte, kam er ins Studio des Hessischen Rundfunks, und man erzählte, die Studiodecke sei für seine Sprünge zu niedrig gewesen. Dore Hoyer tanzte und Maurice Béjart, und als Josephine Baker mit Ernst Kreuder am Klavier eine Show aufnahm, durfte ich die Schule schwänzen. Sie gab mir ein Autogramm, drei oder vier ihrer ziemlich schlecht gelaunten Kinder wuselten um sie herum, und ich staunte darüber, daß ihre weiße Federboa ein bißchen schmuddelig aussah. Eartha Kitt, die mein Vater für einen Song in einen viel zu großen Männerschlafanzug gesteckt hatte, was sensationell aussah, nahm ihre ganzen Kostüme mit und rückte sie nie wieder raus. Und Caterina Valente. Und Heidi Brühl, für die mein Vater eine besondere Schwäche hatte. Auch ich hatte, um 1955, meine Chance und spielte unter Umgelters Regie in einem Agatha-Christie-Krimi, der Das Spinnennetz hieß, ein Kind namens Pippa Hailsham-Brown. Meine Kolleginnen Marlis Schoenau und Trude Moos gaben mir Tips. Die Sache war live, ich sollte umgebracht werden und wurde in letzter Minute gerettet. Wenn danach eine Flut von Angeboten gekommen sein sollte, habe ich jedenfalls nichts davon erfahren. Meine Großeltern folgten der Sache gespannt in einem Tegernseer Hotel und haben vor lauter Bildgegrissel kaum etwas gesehen.
Ich kann mich noch an den Tag der Umstellung auf Farbe erinnern, es war ganz merkwürdig feierlich. Wir hatten viele Gäste, und dann kam dieser Würfel und so ein teppichmusterartiges Ding. Waren die Entwürfe meines Vaters in der Schwarzweißzeit immer ziemlich farbig gewesen, wurden sie jetzt, in der Zeit des Farbfernsehens, immer schwarzweißer, grauer, zartfarbiger. Das schlimmste für ihn war, wenn das Fernsehen sich bunt aufführte, in jeder Beziehung.
Der größte Unterschied zu den heutigen Medien war, glaube ich, das Fehlen des Zwischenhandels, der unendlich vielen geldverdienenwollenden und machtausübenwollenden Instanzen, aus denen die Sache heute besteht. Die Wege waren damals unfaßbar direkt, von der Idee, der Produktionsentscheidung bis zur Realisation. Beim allmorgendlichen Gang durch die Werkstätten wurden Ideen...
Erscheint lt. Verlag | 10.11.2014 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber |
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Schlagworte | 50plus • Best Ager • Frankfurt a. M. • Frankfurt-am-Main • Generation Gold • George-Konell-Preis 2018 • Golden Ager • Heimat • insel taschenbuch 4278 • IT 4278 • IT4278 • Porträt • Preis der Frankfurter Anthologie 2008 • Rentner • Rentnerdasein • Ruhestand • Senioren |
ISBN-10 | 3-458-73369-8 / 3458733698 |
ISBN-13 | 978-3-458-73369-0 / 9783458733690 |
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