Junk Food - Krank Food (eBook)
224 Seiten
Gräfe und Unzer (Verlag)
978-3-8338-4378-5 (ISBN)
Der Weg zur kulinarischen Selbstbestimmung
1. Die Superhits und ihre Schattenseiten
2. Mmmh Lecker
3. Sooo Süss
4. Vergesslich?
5. Echt Gesund?
6. Dick & Dünn
7. Gut, Ehrlich!
Service
Wichtiger Hinweis
Impressum
2.
MMMH LECKER
Geschmack und seine Quellen
DAS LUSTPRINZIP IM DIENSTE DER NAHRUNGSVERSORGUNG
WENN AROMA DRAUFSTEHT, IST IMMER ETWAS FAUL
[17] VANILLE
Königin der Gewürze
Das beliebteste Aroma stammt oft aus zweifelhaften Quellen
Es soll die Lust fördern und auch die Produktion des »Glückshormons« Serotonin. Und es ist der angenehmste Geschmack. Alle lieben ihn. »Es ist unglaublich«, sagte die Duft-Expertin Eliane Zimmermann: »Mir ist noch nie jemand begegnet, der beim Duft von Vanille nicht sofort gelächelt hätte.« Kein Wunder, dass Vanille in der Nahrungsindustrie der beliebteste Geschmack ist. Nur: Echt ist das Aroma in der Regel nicht. Meist wird es aus minderwertigen Rohstoffen gewonnen. Und so etwas soll das Glück fördern?
DAS STECKT DAHINTER
Vanille gilt als »Königin der Gewürze«. Seine positiven Wirkungen sind vielfältig, vor allem auf die Psyche. Vanille soll als Aphrodisiakum wirken, denn ihre Bestandteile ähneln menschlichen Sexualbotenstoffen. Sie wirkt beruhigend, ermunternd, hebt die Stimmung und vermittelt Vertrauen und Geborgenheit. Sie soll außerdem die geistige Aktivität und Energie steigern.
Sogar für verschiedene medizinische Zwecke wird Vanille eingesetzt: Naturvölker verwenden sie gegen Infektionen, Entzündungen und Fieber. Zudem wirkt sie gefäßerweiternd, was die aphrodisierende Wirkung, vor allem beim Mann, erklären könnte. Vanille enthält auch sogenannte Katecholamine, körpereigene Stoffe, die das Herz-Kreislauf-System sowie die Produktion der Hormone und Neurotransmitter Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin anregen, zum Beispiel in den Nebennieren und im zentralen Nervensystem.
Eigentlich müssten alle Menschen heute mit einem Vanille-Dauerlächeln durch die Welt laufen. Denn sie steckt beinahe überall drin: im Vanilleeis, im Vanillepudding, in der Vanillesauce zum Apfelstrudel, in der Schokolade und sogar schon in der Babynahrung. Schade nur, dass es meist gar nicht Vanille ist, was so riecht und schmeckt wie Vanille. Es ist bloß ein billiges Imitat. Vanillin, die Substanz, die für den Geschmack von Vanille sorgt, ist der Aromastoff mit der größten Produktionsmenge auf dem Weltmarkt. Bei Lebensmittelkontrolleuren gilt es als »Betrugsmolekül«. Denn besonders in Speiseeis und Milchprodukten steckt oftmals bloß synthetisches Vanillin, das sich kaum von dem natürlichen unterscheiden lässt. Nicht einmal die kleinen schwarzen Pünktchen im Vanilleeis müssen ein Beweis für echte Vanille sein: Lebensmittelkontrolleure aus Baden-Württemberg fanden heraus, dass dafür in vielen Fällen nur die Reste der Schoten zermahlen wurden, ohne deren aromatische Bestandteile.
Gerade der teure Vanillegeschmack, der wichtigste Geschmack der industriellen PARALLELWELT [16], wurde schon früh künstlich nachgebildet. Dem Chemiker Dr. Wilhelm Haarmann gelang 1874 das folgenschwere Kunststück: Er fand einen synthetischen Ersatz für Vanille, hergestellt aus den Rinden heimischer Fichten, in einer Stadt namens Holzminden. Er nannte den Stoff Vanillin, gründete auch gleich eine Fabrik und hob damit, so die Firmenchronik, »einen völlig neuen Industriezweig aus der Taufe«. In der Stadt im hügeligen Weserbergland hat heute noch der Aromenkonzern Symrise seinen Sitz, der größte in Deutschland, Nachfolger von Haarmanns Firma.
Die Entwicklung ging natürlich weiter. Später diente Erdöl als Rohstoff und schließlich waren es Abfälle aus der Papierindustrie. In den 1980er-Jahren stammte zeitweilig 60 Prozent der weltweiten Vanillinproduktion aus einer einzigen Quelle, den Abwässern einer Papierfabrik in der kanadischen Stadt Thorold, der Ontario Pulp and Paper (OPP). Der Betrieb wurde 1987 aus Umweltgründen geschlossen. Doch auch nach der Schließung der kanadischen Vanillinquelle kam der beliebte Geschmack weiter aus dem Kanal. Mitunter entsteht dabei das sogenannte Ethylvanillin. Das sehen Gesundheitsexperten kritisch: Ethylvanillin gilt in bestimmten Dosen als krebserregend und erbgutverändernd, außerdem fördere es den Appetit und mache zudem nervös. Es gilt außerdem als künstlich – und heute sind »natürliche« AROMEN [23] beliebt. Die werden immer noch gern aus Abwässern der Papierindustrie gewonnen, auch aus Papierpulpe. Dabei sind oft Bakterien am Werk, etwa der Aneurinibacillus aneuvinilyticus.
Die Mitwirkung von Bakterien des Typs Streptomyces bei der Vanilleproduktion hat sich der weltgrößte Aromenkonzern Givaudan aus der Schweiz patentieren lassen (Patent Nummer EP 0885968 B3). Sehr beliebt sind auch Bakterien der Gattung Pseudomonas, auch Pseudomonaden genannt. Sie sind in der Natur allgegenwärtig, gelten als »Pfützenkeim«, sind aber nicht nur im Wasser, sondern auch im Boden anzutreffen. Manche Mitglieder der Pseudomonas-Familie sind als Krankheitserreger tätig, bei Pflanzen und Tieren.
Mit Bakterien können auch »Reststoffe« wie Getreidekleie oder Zuckerrübenmelasse zu einem »natürlichen« Produkt »upgegradet« werden, so eine österreichische Regierungsstudie (Titel: »Zusatzstoffe, Aromen und Enzyme in der Lebensmittelindustrie«). In China sind es angeblich jährlich bis zu 10 Millionen Tonnen anfallender »Abfälle der Reiskleieölraffination«. Das Schöne daran aus Sicht der Hersteller: Solche Aromen dürfen als »natürlich« bezeichnet werden. Bakterien sind schließlich pure Natur. Und Reisreste ohnehin.
Aber auch wenn es total künstlich hergestellt wird, wenn der Geschmack also pure Chemie und kein Hauch Vanille im Spiel ist, steht nicht »künstlich« auf der Packung, sondern zum Beispiel »Vanille Aroma«. Nur wenn »Vanille Extrakt« in den Inhaltsstoffen aufgelistet wird, müssen die Komponenten tatsächlich aus der Vanillepflanze stammen. Und selbst dann können sie auch mithilfe von Mikroben aus dieser herausgelöst werden.
BESSER
Wer also möchte, dass wirklich Glückshormone strömen, greife lieber zur echten Vanilleschote. Sie ist ohnehin unübertroffen: Über 170 verschiedene Geschmacksstoffe sorgen für die vielgerühmten Wirkungen. Man presse sie mit einem Messer sorgfältig aus und verrühre das Mark sorgsam. Es gibt auch fertiges Vanillepulver zu kaufen. Es ist erschreckend teuer, vor allem in der Bio-Version. Aber wenn Sie es zu selbst gemachtem Vanillezucker mischen, relativiert sich das. Und es reicht bei mäßigem Bedarf ein halbes Jahr oder länger.
TIPP
Für ein Glas selbst gemachten Vanillezucker geben Sie 1 Teelöffel Bourbon-Vanillepulver und 200 Gramm ZUCKER [33] in ein Marmeladenglas, schrauben dieses fest zu und schütteln kräftig. Dann einfach in den Schrank stellen und bei Bedarf ins Müsli, in die Vanillesauce oder in die Sahne zum Erdbeerkuchen geben. Ihre Gäste werden selig lächeln.
[18] GENUSS
Kick im Gehirn
Das Wohlgefühl beim Essen – und die Gefahr der Sucht
Bei den einen ist es SCHOKOLADE [30], die für Wohlgefühle sorgt. Bei den anderen EIS [26] mit SAHNE [90] oder ein knuspriges Hähnchen. Bei manchen reicht auch schon der Gedanke an Omas Erdbeerkuchen, damit ihm »das Wasser im Munde zusammenläuft«. Allerdings kann dieser Effekt auch missbraucht werden: Wenn das Essen zur Droge wird und der Kick im Gehirn zum Suchtauslöser [75].
DAS STECKT DAHINTER
Essen kann ganz unwillkürliche Reaktionen hervorrufen. Das Genussempfinden ist offenbar irgendwo im Gehirn einprogrammiert. Es ist ein faszinierender Mechanismus und hat durchaus einen tieferen Sinn. Essen ist ja lebensnotwendig, der Körper braucht die Nahrung und deswegen soll es auch Spaß machen, zu essen und zu trinken. Daher können Nahrungsinhalte, die fürs Überleben wichtig sind, Glücksgefühle auslösen.
Heute enthalten viele industrielle Lebensmittel Substanzen, die den Kick im GEHIRN [41] provozieren. Früher wurde der von süßen Früchten ausgelöst und hatte eine lebenserhaltende Funktion. Das Gehirn reagiert auf den süßen Geschmack besonders sensibel, damit der Mensch schnell zugreift. Die süßen Früchte gab es ja ganz selten, in hiesigen Breiten nur im Sommer. Da war eine gesteigerte Sensibilität gegenüber dem Süßen sinnvoll, sagt die Suchtforscherin Magalie Lenoir von der Universität Bordeaux. Sie führt das »suchterzeugende Potenzial des intensiven Süßgeschmacks« auf eine »angeborene Überempfindlichkeit gegenüber süßen Geschmacksrichtungen« zurück. Die Ratten in ihren Versuchen reagierten darauf sogar stärker als auf Kokain.
Die Genussfähigkeit ist im Gehirn angelegt, in jenem Bereich, den die Forscher »Belohnungszentrum« nennen. Solange es nur wenig Süßes gibt, gibt es auch keine Suchtgefahr, so die Studie von Forscherin Lenoir und ihren Kollegen: »Bei den meisten Säugetieren entstanden die Süßrezeptoren vor Urzeiten in einer Umgebung, in der es noch kaum Zucker gab. Der Mensch ist daher nicht eingestellt auf hohe Konzentrationen von süßem Geschmack.«
In der industriellen PARALLELWELT [16] wird dieses Belohnungszentrum einer permanenten...
Erscheint lt. Verlag | 1.9.2014 |
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Reihe/Serie | GU Einzeltitel Gesunde Ernährung |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Essen / Trinken |
Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Ernährung / Diät / Fasten | |
Schlagworte | Ernährung • Ernährung gesunde • Ernährung, gesunde • Essen • Fast • Fast Food • Food • Gesunde • GU • GUT • gut essen • Zusatzstoffe |
ISBN-10 | 3-8338-4378-0 / 3833843780 |
ISBN-13 | 978-3-8338-4378-5 / 9783833843785 |
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