Die Entschlüsselung des Himmels (eBook)

Der erste Computer - ein 2000 Jahre altes Rätsel wird gelöst

(Autor)

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2011 | 1. Auflage
304 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01011-6 (ISBN)

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Die Entschlüsselung des Himmels -  Jo Marchant
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Im Jahr 1900 entdeckten Schwammtaucher im Mittelmeer ein antikes Schiffswrack aus der Zeit um 70 v. Chr. und bargen vom Meeresgrund unter anderem einen Klumpen korrodierter Bronze. Er erwies sich als eines der erstaunlichsten Artefakte, die die Naturwissenschaft kennt: heute weltbekannt als der Kalendercomputer von Antikythera. Dieses feinmechanische Wunderwerk ist Produkt eines technischen, astronomischen und mathematisch-physikalischen Wissens, das in den Jahrhunderten danach großteils wieder verlorenging. Eine analoge Rechenmaschine mit rund 30 Zahnrädern und epizyklischen Getriebezügen, die den elliptischen Verlauf der Planeten nachbildeten, und einem Differenzialgetriebe, das einen Sonnen- und einen Mondkalender synchronisierte - eine Getriebeart, wie sie in Westeuropa erst im 14. Jahrhundert neu erfunden wurde. Die Beschriftungen der Zahnräder deuten auf einen Ursprung in Syrakus, dorthin, wo nicht lange zuvor der große Archimedes gelebt hatte. Seit über hundert Jahren wird der Mechanismus von Forschern mit Hingabe untersucht und nachgebaut, einige von ihnen ruinierten sich gesundheitlich, sozial und finanziell - der Apparat übte einen unheimlichen Zauber aus auf alle, die sich damit beschäftigten. Doch Stück für Stück entschlüsselten sie ein 2000 Jahre altes Rätsel; dieses Buch erzählt ihre faszinierende Geschichte.

Jo Marchant ist Wissenschaftsjournalistin und lebt in London. Sie studierte Naturwissenschaften und Medizin und promovierte zum Doktor der medizinischen Mikrobiologie. Drei Jahre lang war sie Redakteurin des renommierten Magazins «Nature», bevor sie sich selbständig machte. Seitdem erscheinen ihre Artikel in Publikationen wie «Wired», «The Guardian» und «The Economist». Gegenwärtig ist sie zudem Fachberaterin für das Magazin «New Scientist ».

Jo Marchant ist Wissenschaftsjournalistin und lebt in London. Sie studierte Naturwissenschaften und Medizin und promovierte zum Doktor der medizinischen Mikrobiologie. Drei Jahre lang war sie Redakteurin des renommierten Magazins «Nature», bevor sie sich selbständig machte. Seitdem erscheinen ihre Artikel in Publikationen wie «Wired», «The Guardian» und «The Economist». Gegenwärtig ist sie zudem Fachberaterin für das Magazin «New Scientist ». Monika Niehaus, Diplom in Biologie, Promotion in Neuro- und Sinnesphysiologie, freiberuflich als Autorin (SF, Krimi, Sachbücher), Journalistin und naturwissenschaftliche Übersetzerin (englisch/französisch) tätig. Mag Katzen, kocht und isst gern in geselliger Runde. Trägerin des Martin-Wieland-Übersetzerpreises 2021.

Kapitel 2

Ein unmöglicher Fund


Zu den Altertümern, die bei Antikythera vom Meeresboden heraufgeholt wurden, gehört ein außerordentlich seltsames Instrument, dessen Zweck und Gebrauch unbekannt sind … Dennoch erinnert es sehr an das Zahnradsystem einer einfachen modernen Uhr.

Perikles Rediadis

 

Vor 100 Millionen Jahren beherrschten Reptilien eine unruhige, feurige Erde. An Land dominierten Dinosaurier, während flossentragende Ichthyosaurier und Plesiosaurier die Meere durchstreiften und Pterosaurier mit den sich rasch entwickelnden Vögeln um die Vorherrschaft in den Lüften stritten.

Überall wurde die Erdkruste von ungewöhnlich heftiger vulkanischer Aktivität erschüttert. Viele Experten nehmen denn auch an, dass ein Klimawandel, hervorgerufen durch großflächige Brände, zum Niedergang der Dinosaurier beigetragen und damit den Weg für den Aufstieg der Säuger geebnet hat. Die Auswirkungen der heftigen Vulkanausbrüche waren unter Wasser nicht weniger verheerend als an Land. Der mittelozeanische Rücken – ein Netz untermeerischer Gebirgsketten, die sich dort bildeten, wo die tektonischen Platten der Erdkruste aufeinandertrafen – wurde durch starke Magmaströmungen aus dem darunterliegenden heißen Erdmantel auseinandergedrückt. Meerwasser drang in die Spalten ein, mischte sich mit dem geschmolzenen Gestein und löste Mineralien heraus, bevor es durch heiße Quellen, die durch den Meeresboden brachen, wieder ausgestoßen wurde; der Druck in solchen Tiefen ist so groß, dass das Wasser trotz einer Temperatur von mehreren hundert Grad Celsius flüssig bleibt.

Durch diese heftigen weltweiten vulkanischen Aktivitäten reicherten sich die Meere mit Calcium an, das Planktonorganismen zum Bau ihrer filigranen Skelette aus Calciumcarbonat verwendeten. Im Lauf der Zeit, in der Millionen Generationen Planktonorganismen lebten und starben, sammelte sich mehr Calciumcarbonat als je zuvor am Meeresboden an und bildete ausgedehnte Kalklagerstätten (darunter auch die weißen Klippen von Dover), die dieser Erdperiode ihren Namen verliehen – die Kreidezeit.

Die überhitzten Quellen enthielten auch gelöste Eisen-, Kupfer-, Zink- und Nickelsulfide. Sobald sie mit dem kalten Meerwasser in Berührung kamen, fielen diese Salze als dunkler Niederschlag aus und bildeten unter Wasser schwarze, an Rauch erinnernde Wolken, die sich am Meeresboden als Erz ablagerten. Normalerweise kehren diese Erzablagerungen wieder in den Erdmantel zurück und werden recycelt – das Gestein des Tiefseebodens ist dichter als die Kontinentalkruste, die das Festland und den Boden der Flachmeere unseres Planeten bildet. Wenn tektonische Platten zusammenstoßen und die ozeanische Kruste auf die kontinentale Kruste trifft, ist es daher das ozeanische Gestein, das nach unten gedrückt wird. Gelegentlich löst sich jedoch ein Stück dieses uralten Meeresbodens und landet auf einem Stück Kontinentalkruste, wo es im Lauf der Zeit mit den sich bildenden Gebirgen emporgehoben wird.

Und so bildet ein Stück ozeanische Kruste aus dem Meer, das zur Kreidezeit Europa und Afrika trennte, das pittoreske Troodos-Gebirge auf Zypern. Machen wir einen gewaltigen Sprung vorwärts in die Zeit vor rund 5000 Jahren: Die Dinosaurier sind längst verschwunden, und Menschen nutzen die Schätze der Erde. Die Einwohner der Insel Zypern haben gelernt, die reichen Kupfersulfidlager in den bewaldeten Hängen abzubauen und das blauschwarze Erz zu schmelzen, um Kupfer zur Fertigung von Werkzeugen, Schmuck und Waffen zu gewinnen. Später werden sie ein Vermögen damit machen, Kupfer an Händler – Phönizier, Griechen, später Römer – zu verkaufen, die die Barren dieses kostbaren Metalls weit über das Mittelmeer bis nach Griechenland, Italien, Kleinasien und Ägypten transportieren.

Im Vergleich zu den alten Felsen von Cornwall im Südwesten Englands sind die Gebirge auf Zypern jedoch junge Emporkömmlinge. Der Cornwall’sche Granit kühlte während des Devons vor rund 400 Millionen Jahren aus, also in einer Zeit, als die ersten Fische Beine entwickelten, die ihnen ermöglichten, an Land zu kriechen, und die ersten Ammoniten und Trilobiten das Meer eroberten. Bevor sich der Granit vollständig verfestigte, stieg von unten heißes Magma empor und drängte sich in die senkrechten Risse im kühleren Gestein. Als sich die Mineralien in der Magma abkühlten, kristallisierten sie aus und hinterließen Adern wertvoller Erze mit so wohlklingenden Namen wie Wolframit, Chalcopyrit (Kupferkies), Sphalerit (Zinkblende), Galenit (Bleierz) und vor allem Kassiterit (Zinnerz).

Machen wir einen weiteren Zeitsprung nach vorn. Wie einst nach Zypern, so reisen Händler aus allen Ecken des Mittelmeerraums jetzt nach Cornwall, um das geschmolzene Zinn zu erwerben. Sie nehmen das Zinn auf einer kleinen felsigen Insel an Bord, die später einmal den Namen St. Michael’s Mount tragen wird, und bringen es nach Frankreich. Dort laden sie es auf Pferde und reisen 30 Tage lang über Land bis zur Rhône-Mündung, wo die Last zum Weitertransport auf Schiffe verladen wird.

Zunächst wurde Kupfer überall zur Herstellung von Waffen und Gebrauchsgegenständen eingesetzt, doch es ist recht weich und bekommt leicht Kerben. Eine Kupferaxt blieb nicht lange scharf, und ein Schild aus Kupfer hielt geschärften Steinen nicht lange stand. Dann entdeckten Schmiede wahrscheinlich an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten, dass ein geringer Zusatz von Zinn – rund 10 Prozent – Kupfer stärker und härter machte. Dieser Zusatz erniedrigte auch den Schmelzpunkt des neuen Metalls und erleichterte den Schmieden daher die Bearbeitung während des Abkühlens. Das Wissen um diese neue Metalllegierung – Bronze – breitete sich rund um die Welt aus und läutete den Beginn der Bronzezeit ein, die im Mittelmeerraum um 2500 v. Chr. begann.

Fortgeschrittene Metallbearbeitungstechniken entwickelten sich, und komplexe Handelswege, die weitgehend auf dem Kupfer- und Zinnmarkt fußten, erstreckten sich von Afrika und Kleinasien bis in den Norden von Europa. Überall funkelte die Bronze, und die Völker des Mittelmeerraums waren reicher als je zuvor.

Dieser Wohlstand war jedoch nicht von Dauer. Irgendwann um 1200 v. Chr. brach alles zusammen. Warum das geschah, gehört zu den strittigsten Fragen der Altertumsforschung – Ursachen könnten verschiedenen Theorien zufolge ökonomischer Niedergang, Klimawandel, Erdbeben und Invasionen oder aber auch eine Kombination von all dem gewesen sein. Was auch immer die Gründe waren, der Handel kam zum Erliegen, Königreiche brachen auseinander, Fertigkeiten wie Metallbearbeitung sowie Lese- und Schreibfähigkeiten gingen verloren, und die Region versank in ein dunkles Zeitalter, aus dem nur sehr wenige Berichte überdauert haben. Ohne die Handelsverbindungen, die Kupfer und Zinn zusammenführten, wurde es schwierig, Bronze herzustellen. Daher stieg Eisen zum Metall der Wahl für Waffen und andere Gerätschaften auf, obgleich es nicht so haltbar und schön war wie sein rosig schimmernder Cousin. Zu Homers Zeiten, also um das 8. Jahrhundert v. Chr., erhob sich die griechische Zivilisation aus der Dunkelheit, man entdeckte alte Fertigkeiten wieder und gründete Stadtstaaten wie Athen und Sparta. Damals hatten Handwerker herausgefunden, wie viel Kohlenstoff sie zum Eisen zugeben mussten, um Stahl zu erzeugen, der viel härter war als gehämmerte Bronze. Aber Bronze war noch immer sehr begehrt; Gegenstände aus dieser Legierung wurden nicht weggeworfen, sondern generationenlang immer wieder eingeschmolzen. Ein Dolch, der seine Spitze verloren hatte, wurde vielleicht zu einem Armreif umgearbeitet, dann verkauft und in Form eines Kochtopfs oder eines Bettgestells für einen königlichen Haushalt recycelt, um anschließend eine Wiederauferstehung als Rad eines Streitwagens oder als Statue, Messer, Axt oder Speerspitze zu erleben.

Irgendwann wurde ein Stück ausgedienter Bronze jedoch nicht eingeschmolzen, um irgendein derartiges Objekt herzustellen, sondern in das feingliedrige Rädersystem eines komplexen wissenschaftlichen Instruments umgewandelt. Und aufgrund einer Laune des Schicksals – ein Schiff zur falschen Zeit am falschen Ort – wurde dieser ganz besondere Mechanismus niemals eingeschmolzen. Vielmehr sank das Instrument 60 Meter tief auf den Meeresboden vor Antikythera und ruhte dort, bis es von Kapitän Kontos und seinen Tauchern Anfang des 20. Jahrhunderts geborgen wurde. Bronze widersteht den schädlichen Einflüssen des Meerwassers deutlich länger als viele andere Metalle. Meerwasser ist eine Suppe geladener Teilchen – vorwiegend Wasserstoff- und Hydroxidionen aus dem Wasser sowie Natrium- und Chloridionen aus dem Salz, aber auch Sulfat und Carbonat. Diese Ionen greifen jedes Material an, mit dem sie in Kontakt kommen. Eisen, beispielsweise, oxidiert bei Kontakt mit Meerwasser vollständig, verliert seine ursprüngliche Form und nimmt schließlich die Konsistenz von Schokolade an.

Kupfer hingegen ist relativ reaktionsträge. Die Ionen im Meerwasser lösen Elektronen von sämtlichen exponierten Kupferatomen, sodass positiv geladene Kupferatome entstehen, die mit negativ geladenen Chloridionen zu Kupferchlorid reagieren. In ähnlicher Weise reagiert Zinn mit Sauerstoff zu Zinnoxid. Gewisse marine Bakterien leisten ebenfalls ihren Beitrag; ihre Vorstellung von einer guten Mahlzeit besteht darin, Sulfationen im Meerwasser mit Metallionen zu Zinn- und Kupfersulfid zu kombinieren,...

Erscheint lt. Verlag 1.4.2011
Übersetzer Monika Niehaus
Zusatzinfo Mit 4-farb. Abb.
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Vor- und Frühgeschichte / Antike
Geschichte Allgemeine Geschichte Vor- und Frühgeschichte
Schlagworte analoge Rechenmaschine • Archimedes • Differenzialgetriebe • Entdeckung • Erfindung • Kalendercomputer Antikythera • Rätsel • Verlauf der Planeten • Wunderwerk • Zahnräder
ISBN-10 3-644-01011-0 / 3644010110
ISBN-13 978-3-644-01011-6 / 9783644010116
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