Der Ich-Effekt des Geldes (eBook)

Zur Geschichte einer Legitimationsfigur
eBook Download: EPUB
2009 | 1. Auflage
320 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-400133-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Ich-Effekt des Geldes -  Fritz Breithaupt
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Eine originelle Studie über den Zusammenhang von »Ich« und »Geld« Genau bedacht sind »Ich« und »Geld« rätselhafte Phänomene. Denn beide bezeichnen etwas Instabiles, Flüchtiges. Um diese Schwäche zu überwinden, sind sie eine Symbiose eingegangen. Diese muss jedoch verleugnet werden, damit das »Ich« seine Eigenständigkeit behaupten und das »Geld« seine Objektivität wahren kann: Dies ist die originelle These von Fritz Breithaupt, die eine neue und überraschende Perspektive auf die Moderne Welt und ihren Individualisierungszwang wirft. Entfaltet wird sie in einem Buch, welches den Leser mit großer Leichtigkeit durch zahlreiche Beispiele der Literatur, Philosophie, Wirtschafts- und Kulturgeschichte von 1770 bis heute führt.

Fritz Breithaupt, geboren 1967, lehrt deutsche und vergleichende Literaturwissenschaft an der Indiana University in Bloomington (USA). Zu seinen Publikationen gehören neben der Monographie »Jenseits der Bilder. Goethes Politik der Wahrnehmung« zahlreiche Beiträge zur Literatur seit dem achtzehnten Jahrhundert, zur Geschichte der Psychologie und neuerdings zur Empathie. Er ist Gründungsdirektor eines EU Centers of Excellence an der Indiana University und Kolumnist in ZEIT Campus.

Fritz Breithaupt, geboren 1967, lehrt deutsche und vergleichende Literaturwissenschaft an der Indiana University in Bloomington (USA). Zu seinen Publikationen gehören neben der Monographie »Jenseits der Bilder. Goethes Politik der Wahrnehmung« zahlreiche Beiträge zur Literatur seit dem achtzehnten Jahrhundert, zur Geschichte der Psychologie und neuerdings zur Empathie. Er ist Gründungsdirektor eines EU Centers of Excellence an der Indiana University und Kolumnist in ZEIT Campus.

2. Historischer Überblick


Gegenstand dieses Buches ist die Geschichte der wechselseitigen Legitimierung von Ich-Begriff und Geld-Diskursen seit etwa 1771, angefangen von den Anleihen beider bis zur harten antithetischen Gegenüberstellung um 1900 und schließlich der Verblassung des Ich-Begriffs im späten 20. Jahrhundert. Den Etappen dieser gemeinsamen Geschichte (und auch der Geschichte der Verschleierung dieser Geschichte) entsprechen die Kapitel dieses Buches. Die Untersuchung stützt sich dabei vor allem auf die Bezüge zwischen den literarischen Werken, den ökonomischen Theorien und der Psychologie der jeweiligen Epoche.

Die Darstellung erfolgt aus der Vogelperspektive in geraffter Folge, um einen Überblick auf die Ideen- und Kulturgeschichte seit dem achtzehnten Jahrhundert zu bieten. Anhand von exemplarischen Lektüren werden jeweils die begrifflichen Konstellationen einer Epoche herausgestellt. Dies hat zur Folge, dass mancher zu erwartende Autor und manche historisch-ökonomischen Ereignisse hier nicht oder nur am Rande vorkommen können. Diese Auslassungen erfolgen aus Gründen der Darstellung, um den Gesamtbogen nicht aus den Augen zu verlieren. Die Kapitel sind historisch geordnet. Es ist aber durchaus möglich, das Buch als Kurzdarstellungen zur Entwicklung einzelner Disziplinen zu lesen. Eine kurze Geschichte der Psychologie ergibt sich aus dem Dreischritt von Moritz (1771) zu Beneke (1848) und Freud (1900). Die Geschichte der Volkswirtschaftslehre wird beleuchtet anhand der Diskussionen von Müller (1797), Menger (1871) und Schumpeter (1924) sowie der Abschnitte zur Inflation (1797, 1924), dem Homo Oeconomicus (1848) und zur Konsumtheorie (1957).

Den Ausgang nimmt die Untersuchung von der rasanten Ausbreitung des neuen Wortes »das Ich« um 1771, welche die Epoche des Sturm und Drang prägt. Bereits am Ende des achtzehnten Jahrhunderts münden die Entdeckung des Ich und der Ich-Zwang in der Parallelisierung von Ich- und Geld-Begriffen. Von den Geistergeschichten der Romantiker bis zu den Theorien des Kapitals werden das Ich und das Geld durch die gleichen Strukturen und Dynamiken gekennzeichnet. Diese Ähnlichkeit macht beide offensichtlich füreinander durchlässig. Regelmäßig schließen die unterschiedlichsten Autoren von der einen Instanz auf die andere. Und da beide als labil und bedroht gekennzeichnet werden, wird diese gegenseitige Transparenz auch als ein Element zu ihrer Konsolidierung verwandt. Die Schwäche des zu beglaubigenden Geldes soll im Ich gestärkt werden, und die Fragwürdigkeit des Ich soll durch die Realexistenz des Geldes ausgeglichen werden.

Im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts weicht diese Parallelisierung von Ich und Geld der Vorstellung einer weitgehend ökonomisch organisierten Welt. Ökonomische Erklärungen von menschlichem Verhalten werden auf geradezu obsessive Art und Weise privilegiert. In dieser Kultur des Geldes ist allerdings auch das Ich nicht obsolet geworden, sondern wird mal zur Begründungs-, mal zur Kompensationsfigur des Geldlichen. Selbst zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, wenn Ich und Ökonomie sich als schroffe Antithesen gegenüberstehen, bleiben die beiden ursächlich miteinander verbunden. Selbst die Abschwächung des Ich-Zwangs verdankt sich im späten Jahrhundert zumindest teilweise der neuen Konsum-Ökonomie.

Die Kultur des Ich-Zwangs war, so könnte man überspitzt summieren, eine Kultur des Minderwertigkeitskomplexes und der kompensatorischen Hyperaktivität, wie so unterschiedliche Autoren wie Lenz, Chamisso, Keller und Thomas Mann dokumentieren. Doch ob das Ende dieses Ich-Zwangs eine bessere Alternative bereitstellt, ist damit noch nicht gesagt.

Zur Übersicht seien die Thesen der einzelnen Kapitel hier vorweggenommen.

Vor 1771. Wie kann das Entstehen eines Begriffes wie »das Ich« erklärt werden? Die These des Kapitels ist, dass es, unter bestimmten Umständen, zu einer Wahrnehmung eines Mangels kommen kann, der als »Loch« oder »Lücke« eine erste, paradoxe Präsenz im Modus des Negativen erlangt. Indem der Mangel eine bestimmte Kontur erhält, präfiguriert er den späteren Begriff.

Dargestellt wird die Entwicklung einer negativen Präsenz des Ich anhand einer Gegenüberstellung von John Locke und Jean-Jacques Rousseau. Locke entwickelt eine Vorstellung der Person als autonomer Instanz – allerdings ohne Ich. Für Locke ist der Einzelne durch seine absolute Souveränität gekennzeichnet. Weder muss diese Souveränität erworben werden (sie muss nur kollektiv im Gesellschaftsvertrag gesichert werden), noch verleiht sie dem Einzelnen eine differenzielle Identität. Der Kernausdruck dieses Persönlichkeitsrechts ist, in physiokratischer Tradition, das Recht auf (Land)Eigentum.

Rousseau dagegen erhebt das Ich zu einer Leitfigur seines Denkens. Dabei dreht er die Lockesche Ableitung des Eigentums von der Person genau um. Das Ich entsteht dort, wo der Anspruch des Ich ins Leere greift. Das Ich ist nicht schlicht da und zeigt sich auch nicht unmittelbar im Eigentum. Doch wenn jemand glaubt, ein Recht auf ein Eigentum zu haben, projiziert er seine Identität in dieses Eigentum. Erst wenn sich dieser Anspruch als überzogen und verfehlt erweist, wird der Einzelne gezwungen, seine Projektion selbst wahrzunehmen. In dem leeren Raum, wo das vermeintliche Eigentum sich befand, dem »Loch«, findet der Einzelne sich negativ als das Wesen, welches sich zu manifestieren sucht. Die Entlarvung der Fiktionalität des vom Eigentum vorgegaukelten Bildes einer Identität als Besitzer wird die Voraussetzung der Rousseauschen Figur von Ichheit: Das Ich (le moi) entsteht aus der Kritik an den Eigentumsfiktionen eines Ich. Dieses Ich ist leer, und seine wesentliche Eigenschaft besteht darin, in seinen Selbstvorwürfen gefangen zu sein.

Im deutschen Kontext reicht die unmittelbare Vorgeschichte »des Ich« von der Verpflichtung der Pietisten zur Selbstprüfung bis zur Konzeption des Homo Duplex (der zweipoligen Trennung des moralischen vom physischen Menschen im Gegensatz zur graeco-lateinischen Trias von Körper, Geist, Seele) Mitte des achtzehnten Jahrhunderts.

1771. Die Epoche der deutschen Kultur, die meist als Ort der verschärften Individualität und der Zelebration des Ich beschrieben wird, erweist sich bei genauerer Betrachtung als der Ort, an dem der Mangel und die Abwesenheit des Ich am lautesten beklagt werden. Ein Ich scheinen immer nur die anderen zu haben. Und so wird »das Ich« zugleich zum Leitstern und zum Klageruf der Epoche. Kaum ein Zeitgenosse des Sturm und Drang scheint sich der Suche nach dem eigenen Ich entziehen zu können. Entsprechend, so die These des Kapitels, besteht das Ich seinem Kern nach in nichts als einem Ich-Zwang, der Verpflichtung, ein Ich zu haben, zu finden oder zu produzieren.

Zwei Spezifikationen des gesuchten Ich setzten sich durch, und beide sind durch eine Paradoxie gekennzeichnet: Autonomie und Singularität. Gerade weil Autonomie und Singularität nicht einfach bewiesen werden können, kann es, bestenfalls, zu Annäherungen oder, wahrscheinlicher, zu Ersatznarrationen kommen. Zwei Strategien, den Ich-Zwang zu entschärfen, werden privilegiert, nämlich Künstlertum und Besitz. Beide Strategien nehmen teils die Form eines tatsächlichen Beweises an, teils aber zeigen sie sich als Vermeidungsstrategien beziehungsweise Ersatznarrationen.

Dargestellt wird, wie Karl Philipp Moritz das Ich entsprechend der von ihm proklamierten autonomen Sphäre der Kunst konzeptionalisiert. Moritz beobachtet die Anfälligkeit und Schwäche des Ich, welches die Aufgabe hat, sich einen Schutz zu errichten, sich zu manifestieren und zu institutionalisieren. Es wird sich zeigen, dass für Moritz das Eigentum eine der ausgezeichnetsten Formen des Schutzes des Ich ist. Die Aufgabe des Ich wird es, sich durch die Schutzwand eines Eigentums von der Umwelt abzukapseln und ein (durchaus auch fiktives) Heim zu schaffen. Ohne Eigentum kein Ich. Moritz gründet sein Denken noch weitgehend auf Eigentum, stellt allerdings bereits den Zusammenhang zur Käuflichkeit und zum Geld her, der für die späteren Autoren entscheidend wird. Besitz ist dann nur noch eine Spielform des Geldes. Auch in den juristischen Diskussionen der Epoche werden Eigentum und Erwerbsrecht zu Grundrechten und werden später von Hegel zur notwendigen Bedingung des Ich deklariert.

Die ökonomische Theorie der Zeit um 17701788 macht dagegen nur relativ wenige Anleihen bei den Diskursen der Individualität. Zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts war es noch üblich gewesen, die Beschreibungen der ökonomischen Kreisläufe an die menschlichen Leidenschaften zu koppeln. Von Bernard Mandevilles The Fable of the Bees or Private Vices, Publick Benefits zu Adam Smith findet sich die Argumentation, dass gerade die individuellen Laster wie Eigennutz zu allgemeinem (ökonomischem) Wohl führen würden. [3]Doch in den Lehren der Kameralisten in Deutschland um und nach der Jahrhundertmitte sind die psychologischen Motivationen eher juristischen Grundsätzen wie der gleichen Besteuerung gewichen. [4]Dies ändert sich erst nach der Französischen Revolution.

1797. Eine Reihe von Frühromantikern warten mit einer starken These auf: Sie behaupten die Analogie von Ich und Geld, von projektiver Expansion und Ausbildung eines (zukünftigen) Ich und der Kapitalbildung des Geldes (durch Zinsen).

Die Wirtschaftstheorien werden erschüttert von der zweiten Hyperinflation des...

Erscheint lt. Verlag 5.10.2009
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Geschichte Teilgebiete der Geschichte Kulturgeschichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Sozialwissenschaften Soziologie
Schlagworte Adam Müller • Carl Menger • Georg Simmel • Ich • Identität • Jean-Jacques Rousseau • Konsumpflicht • Libido • Objektivität • Ökonomie • Privateigentum • Psychologie • Sachbuch • Sigmund Freud • Tausch • Volkswirtschaftslehre
ISBN-10 3-10-400133-2 / 3104001332
ISBN-13 978-3-10-400133-3 / 9783104001333
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