Mein Spitzbergen (eBook)

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
224 Seiten
mareverlag
978-3-86648-842-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mein Spitzbergen -  Birgit Lutz
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Seit 16 Jahren bereist Birgit Lutz Spitzbergen. Als Expeditionsleiterin bringt sie Besuchern die Geschichte, extreme Landschaft und vielfältige Tierwelt der Insel nahe und bindet ihre Gäste in ein von ihr initiiertes Forschungsprojekt ein. Als Mensch lässt sie sich wieder und wieder verzaubern: vom bläulichen Licht, das zu Beginn des Polarsommers das Eis erhellt, von lachenden Krabbentauchern und übermütigen Schlittenhunden und von den Begegnungen mit der internationalen Community in Longyearbyen, wo man wegen der allgegenwärtigen Eisbären selten ohne Gewehr aus dem Haus geht, Türen und Autos jedoch unabgeschlossen lässt. Durch ihren klugen und zärtlichen Blick auf ihre zweite Heimat weit nördlich des Polarkreises infiziert Birgit Lutz uns mit ihrem Arktisfieber.

Birgit Lutz, Jahrgang 1974, ist Autorin, Expeditionsleiterin und Vortragsrednerin. Ihre Liebe zum Eis nahm ihren Ursprung auf einer Reise für die Süddeutsche Zeitung zum Nordpol, den sie danach auch mehrfach auf Skiern erreichte. Nach einer Grönland-Durchquerung lebte sie mehrere Monate für Recherchen bei Inuit. In Spitzbergen ist sie seit 2008 unterwegs, u. a. auch für ein Projekt zur Plastikverschmutzung in Kooperation mit dem Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung.

Birgit Lutz, Jahrgang 1974, ist Autorin, Expeditionsleiterin und Vortragsrednerin. Ihre Liebe zum Eis nahm ihren Ursprung auf einer Reise für die Süddeutsche Zeitung zum Nordpol, den sie danach auch mehrfach auf Skiern erreichte. Nach einer Grönland-Durchquerung lebte sie mehrere Monate für Recherchen bei Inuit. In Spitzbergen ist sie seit 2008 unterwegs, u. a. auch für ein Projekt zur Plastikverschmutzung in Kooperation mit dem Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung.

Reise ins Licht


Ich schaute auf eine Welt, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Eisbedeckte Berge, Gipfel, die ganz anders geformt waren als die der Alpen. Kein Fels. Alles weiß. Gletscher, die sich die Hänge hinabschoben. Kein Baum, kein Haus, keine Straße, überhaupt keine Unterbrechung der Formen der Natur. Weite Ebenen dazwischen, die ich als zugefrorene Fjorde erkannte. Draußen vor der Küste Eisfelder, die von hier oben aussahen, als habe jemand Salzkristalle auf eine schwarze Marmorplatte gestreut. Ich staunte.

Das Flugzeug ruckelte und sank hinunter in diese seltsame Welt; polternd und schlingernd kam es unsanft vor dem Flughafengebäude Longyearbyens zum Stehen. Als ich auf die Gangway hinaustrat, zerschnitt mir die Kälte den Atem, meine Nasenflügel pappten zusammen, und ein harter Wind nahm schon mit seinem ersten Griff in wenigen Sekunden alle Wärme fort, die in meiner Kleidung gesteckt hatte. Hastig zog ich meine Jacke über und lernte als Allererstes: Anziehen lohnt sich auch für wenige Meter auf Spitzbergen, Ende März.

In der kleinen Flughafenhalle fand ich Victor schnell, der mich abholte. Victor war der Organisator der russischen Drifteisstation Barneo, die jedes Jahr im März und April im Arktischen Ozean aufgebaut wurde. Spitzbergen war also noch gar nicht mein nördlichstes Ziel, von hier aus sollte es noch weiter gehen.

In einem Auto, das den für alle Autos Spitzbergens charakteristischen Geruch nach nassem Hund verströmte, brachte er mich vom Flughafen zum Ort. Wir fuhren an einem wenig lauschigen Hafengebiet vorbei, industrielle Bauten reihten sich aneinander. Dann tauchte der schönere Teil des Orts auf, der sich in ein lang gezogenes, sanft ansteigendes Tal, das Longyeardalen, hineinduckt. Bunte Häuser dominierten damals – es war 2008 – noch das Bild, es gab nur wenige größere Gebäude: die Uni, das Krankenhaus, das Hotel. Heute ist das anders, Longyearbyen ist gewachsen und wächst immer weiter.

Im Hotel gab es ein riesiges Panoramafenster. Vor diesem aßen wir zu Abend, dann durfte ich das einmalige Spektakel erleben, das zu dieser Jahreszeit noch stattfindet: Alles wird blau.

Von der blauen Stunde haben wohl viele schon gehört. Doch hier bildete sich nun ein Licht, das anders war als alle Lichter der Welt. Die Luft war trocken und seltsam dünn in dieser Kälte, etwa minus 25 Grad waren es in diesen Tagen. Die Kälte, die der Luft alle Feuchtigkeit nahm, entfaltete in Kombination mit der durchgehend weißen Landschaft ohne jeden dunklen Bewuchs eine verzaubernde Wirkung. Mit jeder Minute wurde das Licht noch blauer, so schien es. Die Berge, der Schnee, die Luft, das Meer, alles wurde in so sattem Blau gemalt, dass man bald den Eindruck gewann, man könne diese Farbe anfassen, als seien wir nicht von Luft umgeben, sondern tatsächlich ins Blau eingetaucht. Etwas so Seltsames, so Faszinierendes, so absonderlich Wundervolles hatte ich noch nie gesehen. Ich erlebte in dieser ersten Nacht auf Spitzbergen, was mir dort noch so oft widerfahren sollte: Ich konnte einfach nicht schlafen gehen. Es wurde nicht dunkel, das Blau schien nur immer dicker zu werden. So saß ich da, trank einen Tee nach dem anderen, ging immer wieder hinaus. Mein Zimmer bezog ich spät. Ich lernte, dass man die Fenster hier gut schließen musste, weil sonst Schnee ins Zimmer wehte, und dass man die Verdunklung besser gut festmachte, damit man nicht durch die in den Schlaf blitzende Helligkeit geweckt wurde. Ich war so neugierig auf den nächsten Tag.

Diese erste Zeit auf Spitzbergen ist mit schuld daran, dass ich ihr so sehr verfallen bin, der weiten, wunderbaren Arktis, mit ihren noch viel wunderbareren Menschen. Mein allererster Kontakt mit der Eiswelt war eine Eisbrecherfahrt zum Nordpol; für mich war diese Erfahrung, als würde sich noch einmal eine ganz neue Welt innerhalb meiner bisherigen Welt öffnen. Ich hatte Meereis auf Fotos gesehen, Schollen auf Wasser. Nie hatte ich mir vorstellen können, wie das alles in echt aussah. Wie magisch es mich vor allem anzog. Buch um Buch der alten Entdecker verschlang ich und wollte immer mehr hinein ins Eis.

Durch viele glückliche Umstände konnte ich 2010 und 2011 gleich zweimal mit dem Schweizer Abenteurer Thomas Ulrich von der russischen Eisstation Barneo zum Nordpol marschieren, zwei Jahre später durchquerte ich selbstständig Grönland. Weil mich die Menschen dieser Insel so in ihren Bann zogen, kehrte ich für drei Monate dorthin zurück und ging mit ihnen fischen, Wale und Robben jagen und musste dabei viele innere Grenzen überwinden. Parallel zu alldem arbeitete ich immer häufiger auf Schiffen, die im Spitzbergen-Archipel, der russischen Arktis und Grönland unterwegs waren, erst als Guide, dann als Expeditionsleiterin. Immer mehr wuchs ich hinein in diese Welt, machte mich schließlich selbstständig mit meinen Büchern, Vorträgen und Reisen. Mit den Jahren veränderte sich auch der Fokus meines Tuns in der Arktis – musste ich sie am Anfang doch erst noch selbst entdecken und wollte sie auch sportlich erfahren, so ist mein Bestreben mittlerweile vor allem, das Meine zu tun, diesen wertvollen Lebensraum und überhaupt unsere ganze Welt schützen zu helfen. Mit meinem Plastikprojekt, von dem noch die Rede sein wird, mit vielen, vielen Schulbesuchen, mit vielen Ansätzen, Wissen zu vermitteln. Die Arktis ist ein bisschen meine Heimat geworden, oder, besser vielleicht, die Heimat meiner Arbeit, denn die Heimat meines Lebens ist dann doch in Bayern.

Longyearbyen war für mich dabei meistens Start- oder Endpunkt einer Schiffsreise, Ausgangspunkt zu den Nordpoltouren, nur selten war dieser Ort mein eigentliches Ziel. Und doch bin ich auch hier mit den Jahren auf eine Art heimisch geworden, was an den vielen schönen Erlebnissen liegt und wieder an den Menschen, mit denen ich dort Zeit verbringen durfte. Und überdies ist Longyearbyen ja nicht riesig, man kennt schnell alles und findet sich zurecht. Vielleicht ist es das, was ich an der Arktis überhaupt so schätze: Es ist alles auf seine Art recht übersichtlich.

Longyearbyen ist ein seltsamer Ort. Er liegt auf dem 78. Breitengrad, so weit im Norden wie kaum eine andere Siedlung der Welt. Der US-Amerikaner John Munro Longyear kam 1903 hierher und nahm nahe dem Adventfjord Proben, weil er sich lohnende Kohlevorkommen versprach – die er auch fand. Also kaufte er das Gelände und begann 1905 mit dem Kohleabbau; Grube um Grube entstand. Der Ort des Geschehens wurde zunächst »Longyear City« genannt, doch 1916 verkaufte John Longyear seinen Besitz an die norwegischen Bergbauer, und mit dem Spitzbergenvertrag schließlich wurde Longyear City 1926 zu Longyearbyen. Seitdem trägt es diesen wunderlich klingenden Namen. Dabei heißt »byen« auf Norwegisch schlicht »die Stadt« und Longyearbyen also ganz einfach weiterhin: Longyear-Stadt.

Bis in die Vierzigerjahre hinein wuchs Longyearbyen recht langsam; vor allem Minenarbeiter und Betriebe rund um den Kohleabbau kamen nach Spitzbergen. In den Achtzigerjahren lebten gerade einmal fünfhundert Menschen ganzjährig in der Siedlung. Das alte Longyearbyen allerdings wurde 1943 von den Deutschen weitgehend zerstört. Alte Fotos zeigen die Reste der einstigen Hauptstraße; aus Häusern waren Ruinen geworden. Das neue Longyearbyen wurde nach dem Krieg ein Stück weiter in der Talmitte aufgebaut. Vom einstigen Ort sieht man heute nur noch die hölzernen Pfähle aus dem Boden ragen, auf denen im Permafrost die Häuser errichtet werden. Krumm und schief stehen die Stämme in der Tundra, wie kleine Mahnmale. Auch nach dem Krieg blieb Longyearbyen vor allem eine Bergarbeitersiedlung; die meisten Einwohner waren Männer, die bei der Store Norske Spitsbergen Kulkompani arbeiteten, der norwegischen Kohle-Abbaufirma.

1975 schließlich wurde der Flughafen gebaut, und Spitzbergen rückte dadurch ein ganzes Stück näher ans Festland heran. Man musste keine tagelange Schiffsreise mehr unternehmen, um herzukommen, die im Winter ohnehin nicht möglich war. Nun konnte man fliegen. Mit den Flugzeugen kamen immer mehr Reisende, und heute ist die Struktur des Orts eine ganz andere als damals in der Bergarbeiterzeit.

Dass man es hier mit einem Minenort zu tun hat, spürt man dennoch an einigen Stellen. Da sind immer noch die Holzgestelle der Seilbahn, an denen einst die Loren voller Kohle zum Hafen ratterten. An den steilen Hängen der Tafelberge kleben die Eingänge der alten Minen über dem Ort, und in der Nähe des modernen Hauses des Sysselmesteren – die Verwaltung Spitzbergens – sieht es so aus, als stakse eine riesige Metallspinne den Hang entlang: Dort steht das skurrile, windschief anmutende Gebäude der Taubanesentralen, das tatsächlich an eine Spinne erinnert. Hier liefen einst die Lorenseilbahnen der einzelnen Minen zusammen, bevor sie weiter zum Hafen schaukelten. Und ein Kumpel flaniert auf ewig durch das Ortszentrum: Zwischen Supermarkt und Einkaufszentrum steht die lebensgroße Statue eines Bergarbeiters auf seinem Weg in die Mine. Fast immer hängen frische Blumen daran, auch wenn es kaum einen teureren Ort für frische Schnittblumen gibt als Spitzbergen.

Ein weiteres Relikt aus Bergbauzeiten: Die Menschen flitzen in den Häusern hier strumpfsockig durch die Gegend, weil man das in norwegischen Minenorten einfach so macht: Man zieht am Eingang die Schuhe aus, einst natürlich, um den Kohlestaub nicht in die Wohnungen zu tragen. Auch in den Museen, den Hotels und in der Uni wird das immer noch so praktiziert, selbst in manchen Geschäften. Das ist an einem Ort, der kaum einen neutralen Bodenzustand im Jahreslauf kennt, sondern entweder verschneit, vermatscht, verschlammt...

Erscheint lt. Verlag 13.9.2024
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Reisen Reiseberichte Welt / Arktis / Antarktis
Schlagworte Arktis • Artenvielfalt • Expedition • Expeditionsleiterin • Longyearbyen • Meine Insel • Nordmeer • Nordnorwegen • Nordpol • Norwegen • Polarkreise • Polarmeer • Schlittenhunde • Silberfuchs • Svalbard
ISBN-10 3-86648-842-4 / 3866488424
ISBN-13 978-3-86648-842-7 / 9783866488427
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