Pilgern mit Wanzen (eBook)

Auf dem Küstenweg nach Santiago de Compostela
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2023 | 1. Auflage
316 Seiten
tolino media (Verlag)
978-3-7579-5787-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Pilgern mit Wanzen -  Christiane van Schie
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'Wenn du überlegst, auf eine Pilgerreise zu gehen, dann geh! Es ist einfacher, als es die meisten Ratgeber vermuten lassen', ermutigt die Autorin am Ende ihres Buches alle, die gerne pilgern würden, es aber bisher noch nicht gewagt haben. In diesem Bericht über eine Pilgerreise von Bilbao nach Santiago de Compostela schreibt sie unter anderem offen über ein Tabuthema: Bettwanzen. Die Autorin begab sich kurz nach ihrem 60. Geburtstag allein auf den nordspanischen Küstenweg, wollte mehrmals aufgeben, erlebte schöne und bewegende Augenblicke, übte sich in Ausdauer und Gelassenheit und kam am Ende mit einigen wertvollen Erkenntnissen in Santiago de Compostela an. Ein Buch, das Mut macht, Herausforderungen anzunehmen und dankbar für die glücklichen Momente des Lebens zu sein.

Christiane van Schie ist von Beruf Töpferin und studierte in Heiligendamm Keramikdesign. Seit 1993 leitet sie Tanzkurse und Tanzworkshops. 2009 erschien im Drachenverlag ihr Buch 'Im Schoß der Erdmutter'. Sie entdeckte erst mit Ende 50 die Freude am Wandern und Pilgern und ist seit dem mehrmals im Jahr auf verschiedenen Wegen unterwegs.

Christiane van Schie ist von Beruf Töpferin und studierte in Heiligendamm Keramikdesign. Seit 1993 leitet sie Tanzkurse und Tanzworkshops. 2009 erschien im Drachenverlag ihr Buch “Im Schoß der Erdmutter“. Sie entdeckte erst mit Ende 50 die Freude am Wandern und Pilgern und ist seit dem mehrmals im Jahr auf verschiedenen Wegen unterwegs.

5. Tag, Santoña bis Isla: 13 km


Ich laufe seit mehr als einer Stunde am Strand entlang. Es ist die bisher schönste Strecke. Heute geht es mir besser und ich bin zuversichtlich, bald wieder kerngesund zu sein. Trotzdem plane ich, nur einen halben Tag zu wandern. Ich will mich noch etwas schonen und nehme mir vor, nicht am Ende meiner Tagesstrecke mit mir zu diskutieren, ob ich vielleicht doch noch ein paar Kilometer weiterlaufe, als ich geplant habe. Mein Körper ist jetzt das Wichtigste. Wenn ich mich überfordere, muss ich die Pilgerreise womöglich abbrechen und nach Hause fahren. Ich wäre nicht die Erste, der das so geht.

Am Strand kommen mir mehrere alte Frauen in Bikinis und Badeanzügen entgegen. Einige sind klein, schmal und runzelig, andere üppig und behäbig, wieder andere sind drahtig und durchtrainiert. Jeder Körper altert anders. Gemeinsam ist uns nur, dass wir alle älter werden. Es ist vergeblich, dagegen anzukämpfen und vergeudete Energie, damit zu hadern. Wer nicht alt werden will, muss jung sterben. Im Alter zählen nur noch Gesundheit und Beweglichkeit. Photoshop-Schönheitsideale haben nichts mit der Realität zu tun und bringen selbst Jugendliche dazu, mit ihrem Aussehen unzufrieden zu sein, sich mit Diäten zu quälen und freiwillig absurde Schönheitsoperationen über sich ergehen zu lassen. Kein Mensch kann einer künstlichen Norm entsprechen. Wer dem Schönheitsideal nicht entspricht, dem wird vermittelt, selbst daran Schuld zu sein. Das Resultat sind unsichere Menschen, die ihre Lebenszeit und Energie mit Äußerlichkeiten vergeuden.

Mit diesen Gedanken gelange ich in ein Dorf und sehe auf einem Hof kleine, schwarze Schweine umherlaufen. Ich bleibe verblüfft stehen und glaube, meinen Augen nicht trauen zu können. Vor drei Tagen träumte ich von genau solchen kleinen, dunklen Ferkeln und jetzt laufen sie hier quietschfidel umher. Wie kann das sein? Träume ich neuerdings prophetisch? Bisher kannte ich nur rosa Hausschweine oder graue Wildschweine, doch so kleine Exemplare hatte ich bisher nur im Traum gesehen. Bevor ich weitergehe, fotografiere ich die Miniaturschweine und hoffe, dass sie mir Glück bringen.

Mittags komme ich in der Herberge in Isla an. Die 13 Kilometer waren heute genug für mich. Die Herberge befindet sich in einem mittelalterlichen Gebäude, das aus alten Feldsteinen erbaut wurde. Die Tür ist verschlossen und wird auch auf mein Klingeln nicht geöffnet, doch heute bleibe ich gelassen. Es ist noch früh am Tag und ich nehme an, dass bald jemand kommen wird. Die Sonne scheint heiß auf den mit alten Steinen gepflasterten Platz vor der Herberge. Im Dorf ist heute Markttag. Ich stelle meinen Rucksack vor der Herberge ab und schlendere über den Markt. An einem Stand gibt es Käse, den die Bauern hier selbst herstellen und frisch gebackenes Weißbrot. Ich wähle ein kleines Stück Käse und ein halbes Brot. Dafür verlangt die Bäuerin 10 Euro. Ich bin so verdutzt über den hohen Preis, dass ich nicht in der Lage bin, zu reagieren und ihr den Käse zurückzugeben.

Ein Stück weiter verkauft ein alter Spanier Gemüse aus dem Kofferraum seines Autos. Für drei Tomaten und eine Paprika will er nur einen Euro haben. Ich gehe mit meinen Einkäufen zurück zur Herberge. Dort hält gerade ein Auto und eine schlanke, hochgewachsene Frau steigt aus. Sie begrüßt mich freundlich auf Englisch und wechselt dann ins Deutsche.

Auf meine Frage, weshalb sie so gut Deutsch spreche, antwortet sie, dass sie Holländerin sei und dort Deutsch gelernt habe. Sie führt mich durch die Herberge, die modern eingerichtet ist und erst vor einem Jahr von ihrem Mann und ihr eröffnet wurde. Sie zeigt mir, in welchem Schrank die Laken und Kopfkissenbezüge sind und ich beziehe eins der unteren Betten.

Hier bin ich das erste Mal in einem Schlafraum, in dem Betten mit drei Etagen stehen. Ich hoffe, dass ich auf meiner Pilgertour niemals in so einem Bett ganz oben schlafen muss. Abgesehen von der schlechten Luft da oben und der akrobatischen Leistung des Hoch-und Runterkletterns könnte es für diejenigen, die unten schlafen, gefährlich werden, wenn von oben eine Wasserflasche oder ein Handy herabfällt.

In der geräumigen Küche kann ich mir Tee kochen. Die Holländerin reicht mir eine große Waschschüssel. „In Salzwasser erholen sich deine Füße schnell“, prophezeit sie mir.

„Um das Abendessen brauchst du dich übrigens nicht zu kümmern“, kündigt sie an. „Mein Mann Felipe kommt nachher und kocht für uns alle.“

Solch einen Luxus habe ich bisher auf der Strecke noch nicht erlebt und freue mich darauf, heute bekocht zu werden.

„Kannst du bitte in den nächsten zwei Stunden die Herberge betreuen?“, fragt sie. „Ich habe noch einen wichtigen Termin, zu dem ich fahren muss.“

„Ja klar“, antworte ich, „das mache ich gerne.“

Sie lächelt dankbar, nimmt ihre Handtasche und verlässt eilig die Herberge.

Ich wasche wie jeden Tag, ein paar Sachen im Waschbecken und dusche anschließend. Dann setze ich mich in den lichtdurchfluteten Innenhof und tauche meine Füße in ein Salzbad. Was für eine Wohltat! Die Sonne scheint, neben mir flattert die Wäsche und meine Füße erholen sich tatsächlich schnell.

Später lege ich mich das erste Mal, seitdem ich vor fast einer Woche gestartet bin, auf eine Decke auf den Fußboden, um ein paar Dehnungsübungen zu machen. Ich bin erschüttert, wie zerschunden sich mein ganzer Körper anfühlt. Alle Muskeln tun weh, hinzu kommen noch immer Gliederschmerzen von der Erkältung. Ich rolle ein bisschen hin und her, stöhne und belasse es für heute dabei. Später genieße ich im Innenhof den teuren Käse, das Brot und die frischen Tomaten.

Zwei Spanier klingeln an der Haustür. Ich führe sie durch alle Räume der Herberge und reiche ihnen Bettwäsche, doch sie lehnen dankend ab. Da erst begreife ich, dass es Touristen sind, die nur das mittelalterliche Gebäude besichtigen wollten.

Kurz danach trifft ein junger, baumlanger Pilger ein. Nachdem er sich seinen Schlafplatz eingerichtet hat, kommen wir ins Gespräch. Er stammt aus Süddeutschland, heißt Andreas, ist von Geburt an auf einem Ohr taub und erzählt mir von seiner Liebe zur besten Freundin seiner Partnerin. Mir fällt auf, dass ich mit den meisten Menschen, die mir auf dem Jakobsweg begegnen, erstaunlich schnell über lebensbewegende Themen spreche, viel schneller, als ich es normalerweise mit fremden Leuten tun würde. Andreas liest mir aus dem Outdoor Pilgerführer die Geschichte der Herberge vor, in der wir hier heute übernachten werden.

Felipe wurde im Jahr 1997 wegen Drogenhandels zu zehn Jahren Haft verurteilt. Wegen guter Führung durfte er nach einigen Jahren an einem scharf bewachten Projekt teilnehmen, bei dem wenige Gefangene eine Wanderung auf dem Jakobsweg machten.

Ziel war die 22 Kilometer entfernte Pilgerherberge von Güemes, in der man zu Abend aß, um anschließend wieder ins Gefängnis heimzukehren. Felipe wurde es während der letzten zwei Jahre seiner Haft erlaubt, in der Herberge von Güemes als Hospitalero Dienst zu tun. Das Haus durfte er dabei nicht verlassen. Felipe hat seine Haftzeit inzwischen abgebüßt und auch seinen Dienst in der Herberge beendet. Heute ist er Mitte 50 und Maler. Er lebt keine halbe Stunde Fußmarsch von der Herberge entfernt glücklich mit seiner neuen Lebensgefährtin zusammen: einer Frau aus Holland, die er einst freundlich als Hospitalero in der Herberge von Güemes empfing.

Bei diesem ungewöhnlichen Paar sind wir hier also gelandet. Wir sind gespannt, was dieser außergewöhnliche Mann heute Abend für uns kochen wird.

Für morgen nehme ich mir erneut nur 13 Kilometer vor und will bis zur Herberge in Güemes wandern, in der früher Felipe als Strafgefangener gearbeitet hat. Diese besondere Herberge empfahl mir eine Freundin, die den Küstenweg einen Monat vor mir gepilgert ist. Es soll die berühmteste Herberge auf dem Weg sein. Von Güemes aus sind es noch etwa 15 Kilometer bis nach Santander. Dann bin ich in der ersten Woche 110 Kilometer gelaufen. Ich komme seit ein paar Tagen immer langsamer voran. Von Santander aus sind es „nur noch“ 562 Kilometer bis Santiago. Ich plane, mit dem Bus durch das große Industriegebiet vor Santander zu fahren, das sich über mehr als fünf Kilometer hinziehen soll.

Am frühen Abend trifft ein spanisches Pilgerpaar in der Herberge ein. Wir sind also heute hier nur vier Pilgersleute. Das liegt wahrscheinlich daran, dass die Herberge nicht direkt am Jakobsweg liegt, sondern ein paar Kilometer entfernt davon.

Felipe ist angekommen und schreit. Er redet so extrem laut, dass ich meine Hörgeräte ausstellen muss. Ich staune ungläubig über die kräftige Stimme dieses relativ kleinen Mannes. Die vegetarische Mahlzeit, die er uns serviert, sieht ausgezeichnet aus. Felipe hat sie nur leider gänzlich ohne Gewürze zubereitet. Macht nichts, Salz und Pfeffer stehen auf dem Tisch und ich bin dankbar, bekocht worden zu sein. Nach dem Essen trinken wir Rotwein und unterhalten uns auf Englisch, Spanisch und Deutsch. Die Spanier können kein Englisch, die Holländerin spricht Spanisch, Englisch und Deutsch und ich kann nur mein Schulenglisch, dennoch verstehen wir uns bestens und verbringen einen wunderbaren Abend miteinander. Felipe gibt uns die Visitenkarte einer privaten Herberge in Santander, die er uns schreiend empfiehlt, da er die Besitzerin gut kennt.

Seine Frau fragt, ob wir unterwegs schon etwas Magisches erlebt hätten. Ja, denke ich, als ich mich an die kleinen, schwarzen Ferkel erinnere, von denen ich kurz zuvor geträumt hatte. Zum Abschied geben wir eine reichliche Spende für Kost und Logis, dann schlafen wir wunderbar gesättigt und müde vom Wein in diesem mittelalterlichen...

Erscheint lt. Verlag 5.10.2023
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber
Reisen Reiseberichte
Schlagworte Frau allein • Küstenweg • Pilgern
ISBN-10 3-7579-5787-3 / 3757957873
ISBN-13 978-3-7579-5787-2 / 9783757957872
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