Am schönsten Ende der Welt - Neuseeland (eBook)
256 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60560-1 (ISBN)
Dieter Kreutzkamp, Jahrgang 1946, ist als Abenteurer, Autor und Fotograf eine feste Größe in der Globetrotter-Szene. Seit den Siebzigerjahren hat er unzählige Reisen in alle Welt unternommen, vor allem nach Kanada und Alaska. Über seine Reiseerfahrungen schrieb der fundierte Kenner vieler Länder bereits zahlreiche Erfolgstitel. Bei MALIK NATIONAL GEOGRAPHIC erschienen zuletzt »Auf dem Dach Afrikas« und »Mitternachtssonne über Alaska«.
Dieter Kreutzkamp, Jahrgang 1946, ist als Abenteurer, Autor und Fotograf eine feste Größe in der Globetrotter-Szene. Seit den Siebzigerjahren hat er unzählige Reisen in alle Welt unternommen, vor allem nach Kanada und Alaska. Über seine Reiseerfahrungen schrieb der fundierte Kenner vieler Länder bereits zahlreiche Erfolgstitel. Bei MALIK NATIONAL GEOGRAPHIC erschienen zuletzt »Auf dem Dach Afrikas« und »Mitternachtssonne über Alaska«.
Das schönste Ende der Welt
Man hatte mir Neuseeland als Traumland eines jeden Outdoor-Freaks beschrieben. Radler fänden nirgendwo sonst ein idealeres Land, heißt es. Wanderer schwärmen, Neuseelands Tracks, seine Wanderpfade, zählten zu den schönsten auf Erden. Und Gewässer, Seen und Flüsse, gibt es so viele, dass man Wochen benötigt, auch nur die wichtigsten zu erkunden. Lagunen, Buchten und ein allgegenwärtiges Meer machen Neuseeland zum Segeldorado, von den wilden Küsten im Süden und den verführerischen Stränden im Norden ganz zu schweigen, die Beachcomber anziehen. Und wer das Glück dieser Erde auf dem Rücken der Pferde sucht, findet hier sein Paradies.
»Ladys and gentlemen«, die leicht nasale Stimme der Flugbegleiterin dringt in feinstem Oxford-Englisch aus den Lautsprechern zu mir. »In einer halben Stunde werden wir in Auckland landen.«
Warum gerade Neuseeland? Fidschi und andere Südseeinseln mit Südseepalmen, exotischem Flair, sind von hier aus auch nicht weit. Wir hatten darüber als alternatives Reiseziel diskutiert. Schließlich haben wir Zeit genug. Zeit, hierhin oder dorthin zu reisen, auch in die Südsee. Wir verfügen über mehr Zeit als Geld, genau genommen. Das war eine Redewendung, die bei uns ins Schwarze traf, seitdem wir ausgestiegen waren, Abschied auf Zeit vom bürgerlichen Leben genommen und uns erfolgreich darin geübt hatten, jeden Pfennig oder Cent ein paarmal umzudrehen, bevor wir ihn ausgaben.
»Weißt du noch, wie wir damals dachten, in drei Jahren um die Welt herumzukommen?!« Ich wende mich Juliana auf dem Sitz neben mir zu. Ihre Gesichtshaut ist tiefbraun gebrannt, ein wenig ledern, das Haar hell gebleicht, blonder als es jemals daheim war. Ganz ohne Friseur. »Die Sonne«, denke ich. Mehr als 10000 Kilometer mit Fahrrädern liegen bereits hinter uns. Erst vor zehn Tagen waren wir nach einer Australiendurchquerung in Melbourne angekommen, und schon sitzen wir wieder im Flieger Richtung Neuseeland. Ihre Sommersprossen um die Nase herum scheinen zu lächeln. »Die Sonne im australischen Outback«, denke ich, »der sie auch die feinen Fältchen um die Augen verdankt.«
Sie räkelt sich.
»Wenn es nach dir geht, werden wir es nicht mal in zehn Jahren schaffen, um den Globus herumzukommen.« So wie sie es sagt, klingt es nicht mal vorwurfsvoll.
Schließlich hatten wir unsere Berufe schon vor Jahren an den Nagel gehängt. Hatten pralle Sparstrümpfe geleert, den Hausrat untergestellt, die Familie getröstet, die es nicht verkraften konnte, dass wir die Sicherheit und Geborgenheit, das Rundherum-Sorglos-Lebenspaket mit garantiertem Pensionsanspruch zu Gunsten einer täglichen Ungewissheit hinter uns lassen wollten.
»Wie könnt ihr nur, denkt doch mal, was ihr später alles an Rente verliert…!«
Ein paar Jahre war das nun schon her. Mehr als 100000 Kilometer waren wir seitdem on the road, schon weitaus länger, als wir jemals geplant hatten. Mal mit Auto, dann zu Fuß und hier per Fahrrad. Wir hatten dabei nicht einen Tag lang an Rente oder Pension gedacht.
»Ich freue mich wahnsinnig auf Neuseeland.« Juliana dreht sich mir ganz zu. »Ihre Handrücken sind faltiger geworden«, denke ich, »und Risse auf den Handflächen hatte sie früher auch nicht.« Das sind die 10000 Kilometer auf dem Fahrradsattel… Abends das Hantieren auf staubigem Wüstenboden. Tagsüber die trockene Sonne, die einem das Fell gerbt. Dazu im Outback eine Hitze bei 30 oder 40 Grad im Schatten, die dir jeden Hauch von Feuchtigkeit aus den Gliedern zieht.
»Ich freue mich auf das Grün der Nordinsel und auf die Berge und Gletscher in Neuseelands Süden. Endlich mal Kühle…« Sie hält inne. »Und ich freue mich darauf, dass der irre Durst endlich vorbei sein wird.«
Sie lächelt. Im australischen Outback hatten wir in Spitzenzeiten während der Radtour dreißig Liter Wasser täglich in uns reingekippt.
»Deine Illusionen möchte ich dir ja nicht nehmen, aber über die Berge der Southern Alps rüberzuradeln, dürfte ja auch nicht immer ein Honigschlecken sein.«
Sie gibt mir einen Knuff in die Seite. Lehnt sich zurück, schließt die Augen, legt den Zeigefinger auf die Lippen.
»Lass mich mal zehn Minuten träumen – davon, dass uns in einer halben Stunde ein Taxi vom Airport abholt und in ein schickes Hotel bringt, dass dort ein sauber bezogenes Bett steht und auf mich eine heiße Dusche wartet…«
Um ihre Mundwinkel zuckt es ein klein wenig verräterisch. Aber vielleicht meint sie es so, wie sie es sagt. Manchmal werde ich aus ihr nicht klug.
Natürlich wird da am Airport kein Taxi stehen, wird kein schickes Hotel auf uns warten. Stattdessen werden wir unsere Outback-erprobten Räder beladen, in die Sättel steigen und mit unbekanntem Ziel durch Auckland radeln.
Und was wir über Neuseeland wissen, hält sich auch in Grenzen. Aber einen handlichen Reiseführer, klein genug für die Po-Tasche, haben wir dabei. Zum Glück gibt’s da noch ein paar Kontaktanschriften im Adressbuch. Soviel wir von anderen Reisenden gehört hatten, sei dieses eins der gastfreundschaftlichsten Länder auf Erden. Ich bin gespannt.
Das schönste Ende der Welt hatte die Werbung blumig versprochen.
Das Ende der Welt…?! Aus der Sicht der ersten europäischen Siedler war es das in der Tat. Kaum ein anderer bewohnter Platz auf Erden liegt weiter von Mitteleuropa entfernt als das Land unserer Antipoden, vom Weltenmacher halbwegs zwischen Südpol und Äquator im Südpazifik platziert. Sieht man mal vom nördlichen Nachbarn Australien ab, wäre das nächstgrößere Land mit menschlichen Bewohnern Südamerika – 10 000 Kilometer entfernt.
Für den, der Neuseeland mit dem Flugzeug umrundet, scheinen die beiden großen Inseln am Rande der Datumsgrenze wie eine Palisadenwand aus dem Meer zu wachsen. Beeindruckende Bilder aus der Adlerperspektive im Jet. Für die ersten polynesischen Ankömmlinge, die dieses Land mit ihren Doppelrumpfbooten nach langer gefährlicher Fahrt über den Pazifik erreichten, hinterließ es derartig nachhaltige Eindrücke, dass sie bis heute in ihrer Sprache nachklingen. Bleiche Finger einer Geisterhand müssen sie erkannt haben, als sich von Sturm gepeitschte weiße Wolken über die Berge im Inland tasteten. Die Maoris nannten daraufhin die Inseln Aotearoa – Land der langen weißen Wolke. Während die Völker anderswo schon längst ausgezogen waren, sich die Erde untertan zu machen, und Australien bereits seit 50 000 Jahren die Heimat der Aborigines war, war Neuseeland bis zur Landung der Polynesier noch menschenleer gewesen.
Es muss damals wie ein Stück vom Paradies gewesen sein. Grünes, fruchtbares Land und ein fischreiches Meer teilten geradezu verschwenderisch ihre Gaben aus. Nahrung gab es in Hülle und Fülle. Schneebedeckte Berge lagen da und klare Seen. Während einige Schollen des auseinander gebrochenen Urkontinents Gondwanaland in klimatisch extreme Zonen abgedriftet waren, hatte sich hier angesammelt – gut zugänglich, und bis heute, bis hinauf auf Vulkangipfel und hoch gelegene Urwälder, besucherfreundlich –, was mancher weit Gereiste schon vor ein paar Jahrhunderten als die gebündelte Schönheit unserer Erde bezeichnete.
Den subtropischen Norden streicheln die milden Winde der Südsee, der Süden ist frisch bis rau. Es gibt sogar Schneeschauer im Winter. Wer will, kann an einem Tag seine Skier gegen das Surfboard tauschen und sich danach für ein echtes Dschungel-Feeling beim Fußmarsch durch dichte, nach Moosen duftende, fast beängstigend grüne, mit riesigen Farnen bestandene Regenwälder rüsten. Ein Juwel, dieses Land unserer Gegenfüßler, in dem sich nur 4,2 Millionen Menschen eine Fläche etwa drei viertel Mal so groß wie die der Bundesrepublik Deutschland teilen.
Dass die Welt in Neuseeland Kopf steht, ist natürlich ein Gerücht. Aber dass die Weltprobleme hier weniger heiß auf den Nägeln brennen, ist unbestritten. Doch die betuliche Beschaulichkeit eines Dornröschendaseins ist auch hier dahin, seit Ureinwohner lautstark und handfest ihre Rechte einfordern und seit Polynesier aus anderen Regionen der Südsee nach 1000 Jahren Neuseeland wieder einmal als Reiseziel ausgeguckt haben – dieses Mal auf der Suche nach attraktiven Jobs und dem vermeintlich besseren Leben.
Und während die Anreise Kapitän Cooks im Oktober 1769 mehr als ein Jahr gedauert hatte, ...
Erscheint lt. Verlag | 1.6.2023 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Reisen ► Reiseberichte ► Naher Osten |
Schlagworte | Fahrrad • Neuseeland • Reisebeschreibung |
ISBN-10 | 3-492-60560-5 / 3492605605 |
ISBN-13 | 978-3-492-60560-1 / 9783492605601 |
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