Die Klänge der Stille (eBook)

Alleine mit dem Kanu durch die Unendlichkeit der kanadischen Arktis

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
336 Seiten
Polyglott, ein Imprint von GRÄFE UND UNZER Verlag GmbH
978-3-8464-0907-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Klänge der Stille -  Adam Shoalts
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 Der junge kanadische Entdecker Adam Shoalts wagt das Abenteuer seines Lebens: Einen Kanu-Solo-Trip durch die kanadische Arktis, rund 4000 Kilometer vom Yukon River im Westen bis zum Baker Lake im Osten Kanadas. Als erster Mensch auf dieser Route. Er durchquert Gebiete, die auf keiner Landkarte verzeichnet sind, kämpft sich stromaufwärts durch reißende Flüsse, navigiert durch von Eisschollen bedeckte Seen. Neben der wildromantischen Einsamkeit sind es die Klänge der Wildnis, die ihn faszinieren: das Plätschern schwimmender Karibus, der Ruf der Kraniche - das Surren von Millionen von Kriebelmücken. Shoalts macht eine der letzten Wildnisse erlebbar und schafft ein Bewusstsein für ihre dramatische Gefährdung durch den Klimawandel.

Adam Shoalts (geb. 1986), Geograph und Historiker, Abenteurer und Bestsellerautor, bekannt als der 'Indiana Jones Kanadas', nahm an zahlreichen archäologischen Ausgrabungen und Expeditionen teil. Er ist Mitglied der Royal Canadian Geographical Society. Das Buch 'Beyond the Trees. A Journey Alone Across Canada's Arctic' ist ein kanadischer Bestseller des Jahres 2020.

Adam Shoalts (geb. 1986), Geograph und Historiker, Abenteurer und Bestsellerautor, bekannt als der "Indiana Jones Kanadas", nahm an zahlreichen archäologischen Ausgrabungen und Expeditionen teil. Er ist Mitglied der Royal Canadian Geographical Society. Das Buch "Beyond the Trees. A Journey Alone Across Canada's Arctic" ist ein kanadischer Bestseller des Jahres 2020.

Hinweis zur Optimierung
Impressum
Vorwort
Pläne
Im Land der Mitternachtssonne
Durch die Berge
Den Mackenzie hinauf
Ostwärts
In die Sümpfe
Am Großen Bärensee
Das Eislabyrinth
Geister der Vergangenheit
Über die Wasserscheide
Bildteil
Über die Dismal Lakes
Die Windungen der Schlange
Geschenke des Himmels
Abertausende Seen
An felsigen Ufern
Von Wind und Wellen
Im Land der Moschusochsen
Land der Schluchten
Auf dem Thelon
Septemberstürme
Das Ende der Reise
Nachwort
Dank
Über den Autor
Zitatnachweise

Im Land der Mitternachtssonne


Am 13. Mai 2017 traf ich im Yukon-Territorium ein, aber wann und wo genau ich meine Reise antreten würde, bestimmte allein Mutter Natur. Falls der Frühling zeitig einsetzte, würde ich die Tour im Norden, in der winzigen Ortschaft Old Crow am Porcupine River beginnen, der in die Beringsee mündet. Käme der Frühling jedoch spät und trieben auf den Flüssen immer noch jede Menge Eisschollen, müsste ich südöstlich von dort, vom noch kleineren Eagle Plains aus aufbrechen. Jedenfalls mussten nach meiner Wanderung über die Richardson Mountains sowohl der Peel River als auch der Mackenzie River eisfrei sein. Sonst säße ich fest und müsste warten, bis das Eis ganz geschmolzen wäre.

Sie fragen sich jetzt vielleicht, warum ich nicht einfach über die zugefrorenen Flüsse gelaufen bin? Das Dilemma war, dass sie sich mitten in der Eisschmelze befanden. Also war ihre Eisdecke einerseits nicht mehr fest genug, um sie gefahrlos betreten zu können, andererseits jedoch noch nicht offen genug, um mit einem Boot fahren zu können. Die Eisschmelze kann mehrere Wochen anhalten, und währenddessen treiben riesige Eisblöcke wie gigantische Puzzleteile schnell flussabwärts und werden für jedes Wasserfahrzeug zur Gefahr. Das Ergebnis ist eine Art Fegefeuer: Das Reisen ist schwierig und das Überqueren von Flüssen praktisch unmöglich. Selbst heute, mit modernen Transportmitteln, hat sich in der westlichen Arktis daran im Wesentlichen nichts geändert. Bis heute ist es nicht gelungen, eine Brücke über die nördlichen Ausläufer der großen Flüsse im äußersten Nordwesten Kanadas, den Mackenzie, den Peel und den Porcupine, zu bauen. In den langen dunklen Wintermonaten verkehren Schneemobile auf diesen gefrorenen Arterien des Nordens, in den Sommermonaten sind es Motorboote und Kanus. Doch während der Frühjahrsschmelze werden diese Flüsse zu unüberwindbaren Hindernissen.

Seit einigen Jahren scheint die Eisschmelze im Yukon-Territorium infolge steigender Durchschnittstemperaturen immer früher einzusetzen. Nicht zuletzt diese Erkenntnis brachte mich auf den Gedanken, dass eine transarktische Kanuwanderung im Rahmen des Möglichen liegen könnte – früher wäre so etwas bestenfalls fragwürdig gewesen. Aber wie es der Zufall so wollte, kam der Frühling 2017 ungewöhnlich spät. Da die Flüsse nach wie vor durch Eis blockiert waren, hatte ich noch etwas Zeit, und anstatt in Whitehorse herumzusitzen und die Wettervorhersagen zu verfolgen, beschloss ich, mir Old Crow anzusehen.

Wirft man einen Blick auf die Karte von Kanada, findet man Old Crow versteckt in der äußersten nordwestlichen Ecke. Es handelt sich um eine kleine Gemeinde mit eigenem Flughafen, deren etwa 300 Einwohner überwiegend der Gwich‘in First Nation angehören. Trotz seiner Abgeschiedenheit ist Old Crow durch tägliche kommerzielle Flüge mit Whitehorse verbunden. Während das Eis langsam schmolz, wartete ich in einer einsamen Hütte im Wald östlich des Ortes. Die Hütte gehörte Betty, einer Gwich’in-Ältesten in den Siebzigern, die das Dorfleben weitgehend mied und lieber zurückgezogen in Gesellschaft ihrer beiden Schlittenhunde Winston und Vicki lebte. Der Zufall hatte uns zusammengeführt.

Bei meiner Ankunft am Flughafen fühlte ich mich dank der nordischen Gastfreundschaft schnell willkommen. Man nahm mich mit ins Dorf, lud mich zum Barbecue ein und stellte mir einen Platz zur Verfügung, an dem ich meine Sachen unterstellen konnte. Noch am selben Tag begleitete ich einen Einheimischen die Hänge des spärlich bewachsenen Crow Mountain hinauf, einer Anhöhe oberhalb der Ortschaft. Er hatte sein Gewehr mitgebracht, für den Fall, dass wir auf Karibus stießen, aber trotz einiger frischer Spuren im schmelzenden Schnee ließ sich keines blicken. Nachdem ich ein paar Tage im Ort verbracht und zugeschaut hatte, wie das Eis vorbeitrieb, wurde ich unruhig und beschloss, die Verhältnisse weiter draußen zu erkunden. Schließlich fand ich mich am Fluss wieder, den ich ein ganzes Stück weit entlanglief.

Ich war durch Schwarzfichtendickicht gewandert, durch Bäche gewatet und hohe Steilufer hinuntergeklettert, als ich plötzlich mitten im Wald, in Ufernähe des noch eisbedeckten Porcupine River, auf eine kleine Hütte stieß. Davor waren zwei Schlittenhunde angebunden, und aus dem Schornstein stieg eine Rauchfahne empor.

Ich hörte, wie die Tür der Hütte langsam von innen entriegelt wurde, dann spähte eine ältere Frau vorsichtig heraus. Ihre Hände umklammerten ein Gewehr.

»Hallo«, sagte ich. »Tut mir leid, wenn ich störe. Ich bin nur zufällig hier vorbeigekommen.«

»Oh«, sagte die alte Frau. Sie klang überrascht. Sie öffnete die Tür etwas weiter. »Ich dachte, du bist ein Bär.«

»Nein«, antwortete ich, »bin ich nicht.«

»Und was machst du hier?«

»Drauf warten, dass das Eis schmilzt.«

Betty lud mich zum Tee ein, und ehe ich mich versah, war ich eine ganze Woche lang ihr Gast und schlief in ihrem Holzschuppen. Mit ihren 73 Jahren jagte sie noch immer Karibus und Rothörnchen, auch wenn sie altersbedingt nicht mehr ganz so wendig war. Für gewöhnlich entfernte sie sich nicht allzu weit von ihrem Zuhause, und während der Eisschmelze war sie von jeglichem menschlichen Kontakt abgeschnitten. Ich hatte ihre Hütte nur deshalb entdeckt, weil ich den vereisten Crow River in einem aufblasbaren Rucksackboot hinter einer Biegung durchquert hatte, an der das Eis so stark gestaut wurde, dass eine eisfreie Stelle entstanden war. Betty sagte, auf diese Weise sei noch kein Besucher zu ihr gelangt. Die meisten Menschen kämen mit dem Motorboot oder dem Schneemobil, aber während der Eisschmelze komme niemand.

Betty lebte also die meiste Zeit bewusst allein. Zu meiner Überraschung besaß sie jedoch ein altes Klapphandy, das erstaunlicherweise in ihrer einsamen Hütte Empfang hatte. Der Akku war leer, und sie hatte keine Möglichkeit, ihn wieder aufzuladen, außer wenn sie ins Dorf ging. Glücklicherweise hatte ich ein Ladegerät bei mir, das ich ihr anbot.

Wir entdeckten eine ganze Reihe gemeinsamer Interessen, von der Liebe zur Wildnis und zum Alleinsein bis hin zur Freude an alten »Reader’s Digest«-Ausgaben (die sie sammelte). Während ich Holz hackte und Eisblöcke für ihren Wasservorrat beschaffte, bot Betty mir Suppe und Limonade an und erzählte: von ihrer Familie, von einigen großen Fischfangerfolgen mit ihrem Netz, von ihren Erlebnissen bei der Bären- und Karibujagd und von Meisenhähern, die ihr aus der Hand fraßen. Darüber hinaus gab sie mir einige kluge Ratschläge für meine bevorstehende Tour mit auf den Weg. Als Nahrung schlug sie mir die Innenrinde von Weidentrieben vor – im Frühling, sagte sie, sei diese reich an nahrhaftem Saft – sowie Fichtenharz, das sie von den Bäumen rund um ihre Hütte erntete. Sie machte mich außerdem darauf aufmerksam, dass das Überqueren von Flüssen in einem kleinen Rucksackboot zwischen angestauten Eisschollen bestens geeignet war, meine Lebenserwartung zu verkürzen.

Jeden Tag lauschte ich vor ihrer Hütte stundenlang dem Strom der Eisschollen, die krachend gegeneinanderprallten und dabei Geräusche machten, als würde Glas zersplittern. Es hatte etwas Hypnotisierendes, dabei zuzusehen, wie sie schnell flussabwärts trieben und die vielen Tausend Bruchstücke in der Sonne glitzerten, einige von ihnen groß genug, um hilflose, todgeweihte Karibus zu tragen. So ging es tagelang, bei Tag und bei Nacht, und es schien unvorstellbar, dass so viel Eis überhaupt existierte – aber dieses Eis stammte aus einem Hunderte Kilometer langen Fluss und trieb nun in einer schier endlos anmutenden Prozession flussabwärts. Betty sagte, soweit sie sich erinnern könne, sei das Eis seit den 1980er-Jahren nicht mehr so spät geschmolzen.

Manchmal ging ich mit Bettys Hunden Vicki und Winston in den umliegenden subarktischen Wäldern spazieren, und wir begegneten Polarhasen und Schneehühnern. Winston war besonders anhänglich, was vielleicht darauf zurückzuführen war, dass ich stets mein halbes Mittagessen an ihn verfütterte.

Es überraschte mich, wie ernst Betty die Bedrohung durch Bären nahm. Sie ging nie ohne eine Pfeife um den Hals nach draußen und meistens auch nicht ohne ihr Gewehr. Ihre Hunde, sagte sie, sollten helfen, Bären fernzuhalten, und Alarm schlagen, sobald sich welche näherten. Da ich oft monatelang im Bärengebiet in einem kleinen Zelt schlief, hatte ich das unbestimmte Gefühl, dass sie die Gefahr eventuell überbewertete. Aber nachts kamen tatsächlich mehrfach Bären bis an ihre Hütte. Ich konnte hören, wie sie vor dem Holzschuppen nach Karibufleisch schnüffelten. Wenn die Hunde sie witterten, bellten sie wie verrückt.

Als wir einmal zusammen am Fluss saßen und die dahintreibenden Eisschollen beobachteten, fragte ich Betty, ob schon einmal ein Grizzly in ihren Schuppen eingebrochen sei, um Lebensmittel zu stehlen.

»Oh, einer ist sogar in mein Haus eingebrochen«, antwortete sie.

»In dein Haus?«, fragte ich ungläubig.

»Er hat die Tür entzweigeschlagen«, sie.

Betty bedeutete mir, ihr hinter den Schuppen zu folgen, wo die ausrangierte Tür nun lag. Ich hatte ein dünnes, klappriges altes Ding erwartet. Stattdessen zeigte Betty auf die ramponierten Überreste einer schweren, stahlbeschlagenen Holztür.

»Mit nur einer Tatze« – Betty ahmte den Bärenhieb nach – »hat er sie in der Mitte geknickt.« Die Tür war komplett verbogen, die Metallplatten verkrümmt und zerbeult wie ein Autowrack. Das Holz zwischen den Stahlplatten war teilweise herausgerissen, die...

Erscheint lt. Verlag 23.2.2023
Reihe/Serie POLYGLOTT Abenteuer und Reiseberichte
Reiseerzählungen
Übersetzer Johanna Ott, Yvonne Jäckel
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Reisen Reiseberichte Nord- / Mittelamerika
Schlagworte Abenteuer • Arktis • Einsamkeit • Entdeckungsreise • Kajak • Kanada • Kanadische Arktis • Kanu • Kilometer • Klima • Klimawandel • Natur • Paddeln • Rafting • Reisebericht • Reiseberichte • Reiseerzählung • Reiseerzählungen • Reisen • Solo-Tour • Stille • Wildnis • Wildwasser • Yukon
ISBN-10 3-8464-0907-3 / 3846409073
ISBN-13 978-3-8464-0907-7 / 9783846409077
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