Italien (eBook)

Porträt eines fremden Landes
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
480 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01289-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Italien -  Thomas Steinfeld
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So vertraut Italien deutschen Reisenden schon immer war und so innig die Liebe der Deutschen zur «italianità», so fremd erscheint das Land heute - denkt man an die zahllosen Regierungskrisen, an einstürzende Brücken oder das Fortbestehen der Mafia. Woher kommt das alles? Thomas Steinfeld hat in Italien gelebt und das Land bereist, von den Gebirgspässen des Nordens bis zu den Olivenplantagen des Südens. Hier zeigt er das ganze Italien: das rege Treiben in Rom, Mailand oder Florenz ebenso wie die Arbeitersiedlungen der Industriegebiete und das Elend der Vorstädte. Er schildert den ländlichen Heiligenkult und die Erfindung des Slow Food, erklärt das Land aber auch aus seiner Geschichte heraus: von der Renaissance bis zum Duce-Faschismus, der noch heute nachwirkt. Er führt vor Augen, wie sich das Land durch die Coronakrise verändert hat, und analysiert den politischen Wandel bis zum Versuch eines Neubeginns unter Mario Draghi. Thomas Steinfeld zeigt eine Gesellschaft, die vielfältiger und oft anders ist, als man es sich nördlich der Alpen vorstellt - und zugleich Landschaften und Kulturschätze, die nie an Anziehungskraft verloren haben. Ein reiches, ebenso sinnliches wie reflektiertes Italien-Porträt.

Thomas Steinfeld, geboren 1954, war Literaturchef der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», bevor er zur «Süddeutschen Zeitung» wechselte, dort lange Jahre das Feuilleton leitete und zuletzt als Kulturkorrespondent in Italien arbeitete. Von 2006 bis 2018 lehrte er als Professor für Kulturwissenschaften an der Universität Luzern. Er ist Autor vielbeachteter Bücher, darunter «Weimar» (1998), «Der Sprachverführer» (2010), «Herr der Gespenster. Die Gedanken des Karl Marx» (2017) und «Italien. Porträt eines fremden Landes» (2020). Für seine Übersetzung von Selma Lagerlöfs Roman «Nils Holgerssons wunderbare Reise durch Schweden» war er 2015 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Thomas Steinfeld lebt in Südschweden.

Thomas Steinfeld, geboren 1954, war Literaturchef der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», bevor er zur «Süddeutschen Zeitung» wechselte, für die er als Leiter des Feuilletons und zuletzt als Italien-Korrespondent arbeitete. Von 2006 bis 2018 lehrte er als Professor für Kulturwissenschaften an der Universität Luzern. Thomas Steinfeld ist Autor mehrerer vielbeachteter Bücher, darunter «Der Sprachverführer» (2010) und «Herr der Gespenster. Die Gedanken des Karl Marx» (2017).

Vorwort von Ingo Schulze


«Nein, es gibt wahrlich genug Bücher über Italien», erwiderte ich jedes Mal auf die Frage, ob ich als Stipendiat der Villa Massimo über Rom und Italien schreiben werde. Es gibt wohl kein anderes Land, über das sich deutsche Autoren so oft und so stetig schreibend verbreitet haben wie über Italien.

Aber warum würde ich dann nach Rom gehen? Um ein Jahr ungestört in schönster Umgebung zu arbeiten?

«Warum nicht?», sagte ich und hoffte, von weiteren Nachfragen verschont zu bleiben. Ich war überzeugt von dem, was ich sagte. Daran änderte auch meine Italiensehnsucht nichts, die ich seit langem hegte und die mit jedem Besuch in Italien nur noch größer wurde.

Italien war mir schon als Kind gegenwärtig gewesen. Das in lobender Absicht gebrauchte Synonym «Elbflorenz» für meine Heimatstadt Dresden hatte mich schon früh irritiert. Sollte die unvergleichliche Schönheit Dresdens denn etwas Abgeleitetes sein, nur der Abglanz von jenem Florenz, über das ich nichts wusste? Der Name «Italienisches Dörfchen» beschäftigte ebenfalls meine Phantasie. Ich zweifelte nicht daran, dass die italienischen Erbauer der Dresdner Hofkirche in jener Gaststätte (das Gebäude war erst 1913 als Begrenzung des Theaterplatzes zur Elbe hin errichtet worden) gelebt hatten. Der Zwinger, so hieß es, sei italienischer Barock, im Gegensatz zum französischen Barock in Preußen. Das wichtigste Bild der Dresdner Gemäldegalerie, die «Sixtinische Madonna» von Raffael, ja überhaupt die wichtigsten Bilder stammten aus Italien. Lange bevor ich Cesare Pavese zu lesen begann, war mir Turin ein Begriff. Im Herbst 1973 besiegte Dynamo Dresden Juventus Turin zu Hause zwei zu null und warf den «haushohen» Favoriten aus dem Pokal der Landesmeister, was niemand für möglich gehalten hätte. Spaghetti galten allgemein als Lieblingsgericht (Pizza, Espresso, Cappuccino blieben bis 1989 weitgehend unbekannt). Als ich in der zehnten Klasse Latein lernte, wurde die Antike gegenwärtig. In der Dresdner Skulpturensammlung lassen sich die Herkulanerinnen bewundern, die zu den frühesten Funden in Herculaneum zählen und über verschiedene Stationen bereits 1736 nach Dresden gelangten. An ihnen entwickelte Winckelmann in der Mitte des 18. Jahrhunderts sein Ideal von «edler Einfalt und stiller Größe» – in Abgrenzung zu dem von ihm verachteten Barock, der den Gelehrten auf Schritt und Tritt in Dresden umgab und sogar jenes Gebäude zierte, das die antiken Statuen beherbergte. Meine erste Arbeitsstelle, das Theater in der ehemaligen Residenzstadt Altenburg, schenkte mir die unmittelbare Nähe mit dem Lindenau-Museum, das die bedeutendste Sammlung frühitalienischer Tafelbilder nördlich der Alpen beherbergt. Das Faszinierende an der Sammlung ist, dass sich in höchster Qualität die Herausbildung der Kunst aus dem Kult nachvollziehen lässt, von der Ikone zum Altarbild, vom Altarbild zum Reisealtar und schließlich weiter zum Tafelbild, das man erwarb, weil man es schön fand und damit repräsentieren konnte, wie sich schon bei Petrarca nachlesen lässt. Es geht um nicht weniger als die Erfindung des Bildes in der Neuzeit.

Heute staune ich, wie ich mich als Student der Klassischen Philologie der Antike im Allgemeinen wie auch den Dresdner und Altenburger Sammlungen im Besonderen zuwenden konnte ohne Aussicht, die Welt, aus der all das stammte – das Bauwerk, die Stadt, die Landschaft, die Gesichter, die Stimmen, die Gerüche und Düfte, das Licht, das Klima –, in absehbarer Zeit zu sehen. Um zu begreifen, was mir vorenthalten worden war, musste ich erst nachvollziehen, was in Deutschland schon fast als platonisches Urbild einer Reise gelten kann: die Überquerung der Alpen gen Süden. Wir folgten diesem Vorbild zwei Tage vor Weihnachten 1990 zum ersten Mal, im Schlafwagen von München nach Venedig, unglücklich, uns um den Anblick der Bergriesen, vor allem des Brennerpasses – den ich mir äußerst erhaben vorstellte –, gebracht zu haben durch den Pragmatismus des Fahrplans und unseres Budgets. Ich hatte nie an der Wirklichkeit von Venedig gezweifelt. Die Stadt jedoch tatsächlich zu betreten war ein traumhaft schöner Schock, sicherlich nicht nur für uns Ostler.

Ich war so euphorisch, dass ich meine Mitreisenden überredete, unsere Ankunft mittags in einem Fischrestaurant nahe der Accademia zu feiern. Danach war unser Reisebudget auf die Hälfte reduziert, Restaurantbesuche kamen nicht mehr in Frage. Doch vermisste ich nicht nur nichts, ich fühlte mich weiterhin privilegiert, weil wir an den Imbissständen und in den kleinen Läden Tag für Tag erlesene Speisen fanden, die wir bisher, wenn überhaupt, nur höchst selten genossen hatten.

Nicht zufällig beginnt mein zweites Buch – das erste, das Deutschland zum Hintergrund hat – mit einer Reise nach Italien: «Sie müssen mal versuchen, sich das vorzustellen. (…) Man befindet sich auf der anderen Seite der Welt und wundert sich, dass man wie zu Hause (…) einen Fuß vor den anderen setzt, als wäre das alles selbstverständlich. Wenn ich mich beim Zähneputzen im Spiegel sah, konnte ich noch viel weniger glauben, in Italien zu sein.» (Simple Storys, Kap. 1)

Ein Künstlerfreund belehrte uns darüber, zu welcher Uhrzeit man abends in ein Restaurant geht, in dem man zuvor reserviert hat, und in welcher Reihenfolge man bestellt – und verbot uns ganz allgemein Cappuccino nach elf Uhr.

Fortan bestanden unsere Ferien darin, über die Alpen zu fahren und uns langsam, als gelte es, Bluthochdruck oder Ärgeres zu vermeiden, nach Süden voranzutasten: Mantua, die Toskana, später Umbrien. In Orvieto wäre ich schon fast der römischen Gravitationskraft erlegen und für einen halben Tag nach Rom gefahren. Zum Glück ließ ich diesen Unsinn bleiben und erfüllte mir den Herzenswunsch später.

Und dann plötzlich ein ganzes Jahr Rom. Ich hatte mir genug Arbeit mitgenommen – und viele Bücher über Italien, die ich in der Hoffnung auf dieses Stipendium angehäuft hatte. Zwei Jahre nach dem römischen Aufenthalt erschien «Orangen und Engel – Italienische Skizzen», neun Erzählungen zusammen mit achtundvierzig fotografischen Skizzen von Matthias Hoch.

War ich wortbrüchig geworden, weil ich mich schreibend mit Italien anders hatte vertraut machen können? Weil ich versucht hatte, etwas ins Bild zu setzen, das ich anders kaum verstand? Weil mich der Alltag überrumpelt hatte?

 

Thomas Steinfeld nennt sein Italienbuch «Porträt eines fremden Landes». Zum einen setzt ein gelungenes Porträt – das kann man von einer Fotografin oder einem Maler lernen – immer Wissen und Kenntnisse um das Gegenüber voraus. Zum anderen «funktioniert» der Titel nur deshalb, weil uns Deutschen nach landläufiger Meinung Italien gerade nicht fremd ist. Liegt das an den jahrhunderte-, ja vielleicht sogar jahrtausendealten Erfahrungen der Italiener mit Pilgern, Kaufleuten und Reisenden? In keinem anderen Land fühle ich mich als Tourist so wenig fehl am Platz, so wenig störend, ja beinah dazugehörig wie in Italien. Allein schon die Speisekarten muten vertraut an. Ist unser Blick korrumpiert? Sehen wir nur, was wir schon wissen? Stellt der Titel eine Korrektur unseres Italienbildes in Aussicht? Und damit folgerichtig auch eine unseres Selbstbildes?

Bei diesem Buch habe ich den Verdacht, dass es nicht geplant war. Wer als Korrespondent für einige Jahre nach (und durch) Italien zieht, hat den Auftrag zu berichten. Aber dieses Buch hat noch einen anderen Ursprung.

Schon wenige Seiten genügen, um Zutrauen zu dieser Prosa zu fassen. Hier buhlt keiner um Leser, keine Sensationen locken in den Text. Eher kam es mir so vor, als hätte mich der Autor auf einem Parkplatz aufgelesen und eingeladen, mit ihm zu gehen. Schnell überträgt sich der Rhythmus der Sätze wie ein Schritttempo auf mich als Leser.

Die Reise beginnt mit den Wegen nach Italien und führt dann, grob skizziert, vom nördlichen Westen über die Toskana und Umbrien nach Rom, von dort über Neapel in den Südwesten nach Tarent, den Südosten nach Sizilien und schließlich auf der Ostseite des Apennin wieder hinauf in die Poebene, um dann über Venedig, das Friaul und Triest in Mailand zu enden.

Für den Autor ist Italien ein Land, das sich «im Großen fremd geworden ist», ein Land, «das Fremde abweist und anzieht» und «das in dem Maß, in dem es die Vertrautheiten von einst enttäuscht, neu entdeckt werden muss».

An diesen «Entdeckungen» ist das Buch reich, selbst in jenen Landstrichen, in denen ich mich auszukennen glaubte, wurde ich überrascht. Manche Beobachtung erscheint zuerst simpel. Italien, so Thomas Steinfeld, unterscheidet sich in einem wichtigen Aspekt von anderen großen europäischen Staaten: «Die Städte, allesamt schön, eigenartig und interessant, liegen im Abstand von meist dreißig Kilometern zueinander, und das Wetter lädt oft dazu ein, sich im Freien aufzuhalten.» Und man selbst möchte hinzufügen: Stimmt, in Italien liegt das Schöne immer nah. Aber habe ich mir das je bewusst gemacht?

Und so geriet ich auch im Buch von einer Betrachtung und Anregung zur nächsten, ohne je eine Ödnis durchqueren zu müssen. Neben den sparsam gesetzten Vergleichen des Autors sind es oft Passagen aus der Literatur, dem Film oder der Musik, in denen Betrachtungen kulminieren und noch eine zusätzliche und unerwartete Dimension gewinnen. Wer will, kann darin aber auch den Anfang eines Fadens sehen, Anregungen, denen zu folgen jedem freisteht.

Dieses Buch ist die Frucht eines Journalistenlebens, in dem es auf Reaktionsschnelligkeit und Effektivität ankommt. Jetzt aber spielt Zeit keine Rolle mehr. Das...

Erscheint lt. Verlag 12.4.2022
Zusatzinfo Zahlr. s/w Abb.
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Reisen Reiseberichte
Schlagworte Alpen • alte Meister • Apulien • Bergamo • Coronakrise • Faschismus • Florenz • Italien • Lebensstil • Mafia • Mailand • Mittelmeer • Neapel • Norden • Regierungskrise • Reiseland • Renaissance • Rom • Römisches Reich • Sehnsuchtsland • Sizilien • Slow Food • Süden • Südtirol • Toskana • Vatertagsgeschenk • Vatikan • Venedig
ISBN-10 3-644-01289-X / 364401289X
ISBN-13 978-3-644-01289-9 / 9783644012899
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