Verschollen im Dschungel (eBook)

Ein Vater auf der verzweifelten Suche nach seinem Sohn
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
352 Seiten
DuMont Reiseverlag
978-3-616-49121-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Verschollen im Dschungel -  Roman J. Dial
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Das E-Book basiert auf: 1. Auflage 2021, Dumont Reiseverlag

In den frühen Morgenstunden des 10. Juli verlässt Cody Dial sein Hostel in Puerto Jimenéz für eine mehrtägige Tour in den Corcovado Nationalpark, ein wildes, abgelegenes Stück Regenwald an der Pazifikküste von Costa Rica. Dann verschwindet Cody spurlos. Zwei Jahre lang sucht der Vater, von schweren Schuldgefühlen getrieben, nach ihm, sowohl mit offizieller Unterstützung der costaricanischen Behörden als auch auf eigene Faust - erfolglos. Wilde Gerüchte um Codys Verschwinden kursieren, bis Minenarbeiter zwei Jahre später durch Zufall seine Leiche finden. Der schmerzliche Verlust seines Sohnes wird für Roman Dial ein Prüfstein, der sein Leben als Abenteurer und die Unverwundbarkeit des Menschen in Frage stellt.

  • Ein bewegendes Schicksal, fesselnd und nachdenklich erzählt.

»Bis heute ringe ich mit Fragen, wie: Habe ich mich schuldig gemacht? Habe ich genug aufgepasst? War ich zu egoistisch?« (Roman J. Dial)

Tipp: Setzen Sie Ihre persönlichen Lesezeichen an den interessanten Stellen und machen Sie sich Notizen... und durchsuchen Sie das E-Book mit der praktischen Volltextsuche!



<p><strong>Roman Dials</strong> Leidenschaft sind die unzugängliche Wildnis und Extremsportarten wie Eisklettern, Packrafting oder Bergsteigen. In Anchorage, Alaska, unterrichtet der National Geographic Explorer Mathematik und Biologie. Regelmäßig unternimmt er Expeditionen in unberührte Regionen, u. a. in Borneo, Australien oder Alaska. Seinen Sohn Cody ließ er schon früh an diesen Unternehmungen teilhaben.</p>

1

Usibelli

Der junge Roman mit seinem Onkel Brian, Rochester, Washington, 1973.

1955 verließ ein sechzehnjähriges Mädchen mit Namen Linda Eklund die vier Hektar große Farm ihrer Eltern nahe Rochester, Washington, um in Seattle zu leben, wahrscheinlich um ihrem Stiefvater zu entkommen oder vielleicht auch dem schroffen teutonischen Naturell ihrer Mutter. Mit zwanzig lernte Linda meinen Vater kennen, verliebte sich und brachte mich mit einundzwanzig zur Welt. Vier Jahre später bekam sie meine Schwester Tamara.

»War ich ein Versehen?«, fragte Tamara einmal.

»Nein. Aber dein Bruder war eins«, flachste meine Mutter. Ich wälzte den Gedanken, was es bedeutete, ein Versehen zu sein, und es versetzte mir einen kleinen Stich. Meine Mutter spürte meine Enttäuschung und fuhr fort: »Dein Vater mochte ihn aber so sehr, dass er noch eins haben wollte, und das warst dann du, Tamara Dial.« Meine Mutter hatte Tamara nach ihrer besten Freundin benannt, die ihr geholfen hatte, auf eigenen Füßen zu stehen, als sie von zu Hause weggezogen war.

Mein Vater gab mir die Namen seiner Onkel – Roman und Joseph, gebürtige Polen –, die auf ihrer Farm in Enumclaw, östlich von Seattle, Vaterersatz für ihn gewesen waren. Seinen leiblichen Vater hat mein Dad nie kennengelernt, und als erklärter Stadtmensch hat es ihn auch nie groß in die Natur gezogen. Nachdem ich Bekanntschaft mit meinen Namensgebern gemacht hatte, die sich recht distanziert und nicht sonderlich herzlich gaben, begriff ich, warum sich mein Dad mit seiner Vaterrolle so abmühte: Er wusste nicht so richtig, wie er einer sein sollte.

Wie alle Jungs war ich fasziniert von meinem Vater und fühlte mich zu ihm hingezogen wie die Motte zum Licht. Ich beobachtete ihn genau und schaute mir so viel wie möglich von ihm ab. Meine schönste Erinnerung an Bob Dial stammt vom Februar 1970, als ich neun war. Mein Dad, von Beruf ein diplomierter Bauingenieur, der Computermodelle für die Darstellung von Verkehrsströmen entwickelte, hatte einen Job im Norden Virginias angenommen. Während Tamara und meine Mutter nach Falls Church in unser neues Zuhause flogen, fuhr er mit unserem Shetland Sheepdog Brute und mir in unserem Porsche Speedster quer durchs Land.

Es war eine herrliche Fahrt, die sich entlang der Küste Oregons nach Süden schlängelte, unter Küstenmammutbäumen hindurch, über die Sierras und Rockies, dann durch die leeren Ebenen von Kansas und die flachen Wälder östlich des Mississippi. Wir unterhielten uns, während der Kontinent an uns vorüberzog, und manchmal setzte mein Vater mich auf seinen Schoß und ließ mich den silbernen Speedster auf den kurvigen Landstraßen lenken. Mit der Tour sind liebevolle Erinnerungen an meinen Vater und ein Gefühl inniger Verbundenheit verknüpft. Später lernte ich, dass Bindungen gepflegt werden müssen, um von Dauer zu sein.

Im Mai 1970 kauften mir meine Eltern ein Ticket nach Alaska, wo ich eine Zeit lang bei den Brüdern meiner Mutter in Usibelli, einer Bergbausiedlung in der Alaska Range, verbrachte. Damals erschien mir die Reise wie ein Ersatz für die Abenteuer meiner Freunde im Sommerlager. Als Erwachsener jedoch kam mir der Gedanke, dass meine Eltern mich wegschickten, weil sie mit ihrer Ehe zu kämpfen hatten. In der Schublade meiner Mutter mit alten Fotos findet sich keines von unserer Familie nach diesem Sommer, auf dem auch mein Vater anwesend war. Tamara und ich sahen ihn nur noch an Wochenenden, an denen er uns häufig verspätet abholte. Wir saßen im Haus, warteten und waren enttäuscht darüber, dass er sich mehr für sein eigenes Leben interessierte als für unseres.

In jenem Sommer in Usibelli waren die Probleme meiner Eltern für mich nicht sichtbar. Ich war ein kleines Kind, das nur wusste, Alaska würde noch aufregender sein als die Farm seiner Großmutter. Meine Großmutter lebte eineinhalb Stunden von Seattle entfernt mit einem Dutzend Kühen, Schweinen, Hasen, einem Gemüsegarten und Brombeersträuchern. In der Umgebung auf dem Land umherzustreifen und die Natur mit ihren Tieren zu entdecken, ließ den Zoo in Seattle wie eine Angelegenheit bloßen Zuschauens erscheinen. Meine Onkel – Zinn und Brian – waren freundlich zu mir, dem Sohn ihrer großen Schwester, einem dürren, frühreifen Stadtkind ohne jeden Menschenverstand, wie sie mir geradeheraus mit einem Lachen unter die Nase rieben. Sie brachten mir Dinge über die Natur und das Leben bei, die mich keine Schule und kein Buch lehren konnten.

Nachdem er mich vom Flughafen Fairbanks abgeholt hatte, fuhr Zinn mit mir nach Süden. Ich saß auf dem Rücksitz, die Nase an die Scheibe gedrückt, und ließ die Aussicht auf mich wirken. Es war meine erste Reise nach Alaska, und ich war schon jetzt berauscht von der Mitternachtssonne und den Landschaften, die sich jenseits der Schotterstraße ohne Gebäude, Zäune oder irgendetwas anderes von Menschen Geschaffenes ausbreiteten. Drei Stunden später bog er mit seinem Ford Pick-up vom Parks Highway nach Osten Richtung Healy ab.

Zinn fuhr langsam, um wenig Staub aufzuwirbeln, während wir Waldungen mit verkrüppelten Fichten und verkümmerten Espen durchquerten, die das Vorgebirge der Alaska Range überzogen. Er steuerte den Ford über die einspurige Bockbrücke eines Schienenstrangs, der in die Bergbausiedlung Usibelli führte. Ich blickte durch die Bahnschwellen hinunter auf den aufgewühlten Nenana River, sein sich dahinwälzendes gletschergraues Wasser, hypnotisch und Furcht einflößend. Hinter der Brücke wand sich die Straße vorbei an qualmenden Klippen brennender Kohleflöze. Im Süden ragten schorfige Berge über fahler Tundra auf, die Gipfel noch vom letzten Schnee des Winters überzogen.

Meine Onkel arbeiteten für die Kohlemine Usibelli und lebten auch dort. Die verstreute Ansammlung von walzblech- und schindelverkleideten Gebäuden zwischen Sattelschleppern ließ sich nur schwerlich als Werkssiedlung der Usibelli Coal Company bezeichnen. Beide Onkel hatten lange Arbeitstage an schwerem Maschinengerät, das die Kohle aus den sanft gewellten Hügeln abtrug. Meine Mutter hatte mich zwar in die Obhut der beiden gegeben, doch es war klar, dass Brian und Zinn anderes zu tun hatten. Ich musste mich allein beschäftigen. Zum Glück gab es unter der großzügigen Vernachlässigung durch meine Onkel jede Menge für mich zu entdecken.

Brian hatte am selben Tag wie ich Geburtstag und war genau neun Jahre älter. Er besaß nicht nur die Statur eines Kindes, sondern auch dessen Herz, hatte strahlend blaue Augen unter Brauen, die sich stets amüsiert zusammenzuziehen schienen, und manchmal stotterte er, doch verstärkten seine abgehackten Äußerungen nur das, was er loswerden wollte. Vielleicht weil er das Küken in seiner Familie und ich jünger war – immerhin aber alt genug, um als Bruder durchzugehen –, stellte er mich seinen Freunden stolz als »mein kleiner Neffe« vor. Wie Zinn nannte er mich häufig »Rome«.

»Hey, Rome!«, grinste Brian, während Zinn meine Taschen am ersten Abend in Usibelli in ein Zimmer in Brians Baracke trug. »Du kannst hier schlafen. Zinn und ich müssen morgen arbeiten, aber wir werden versuchen, am Wochenende einen Ausflug mit Zinns Kawasaki zu machen.« Zinn, der seine Frau Faye, den drei Jahre alten Sohn und die noch kleinere Tochter nach Usibelli gebracht hatte, wohnte in dem Haus nebenan. Faye sollte ein Auge auf mich haben, tat es aber nur selten.

Brian gab mir einen Crashkurs, um in der tagsüber leeren Baracke zu überleben, wenn alle weg waren und Kohle abtrugen. »Das da ist der Backofen. Und hier« – er öffnete den Kühlschrank – »sind die Kartoffelkroketten. Schalt einfach den Ofen ein, leg die Kroketten aufs Blech und lass sie so lange drin, bis sie duften. Iss, worauf du Lust hast, aber b-b-brenn die Bude nicht ab!«, instruierte er mich mit einem Lachen. »Außerdem«, sagte er und wurde ernst, »wenn du die Siedlung verlassen willst, nimm Moose mit. Bis heute Abend, Rome!« Damit machte er sich auf den Weg zur Arbeit, und ich ging mit Moose auf Erkundungstour.

Moose war der Hund der Siedlung. Zinn behauptete, Moose wäre halb ein Wolf, und ich glaubte ihm. Sein Fell war dicht, dichter als bei jedem anderen Hund, den ich jemals gestreichelt hatte, und er war groß, mit langen, schlaksigen Beinen und mächtigen Pfoten an einem Körper, der ansonsten einem Deutschen Schäferhund glich. Er wedelte mit seinem Schwanz und sah mich mit einem Hundegrinsen an, während ich über seinen Rücken rubbelte.

Im Alaska von 1970 gab es keine Computer oder Fernseher. Stattdessen hatte ich Bücher und einen Fernkurs in Taxidermie, ein Sportgewehr, das mir meine Onkel zu getreuen Händen gaben, und ein Kawasaki-Geländemotorrad, das zu groß für mich war. Der vordere Bremshebel des Motorrads war entzweigebrochen, das Ergebnis eines missglückten Kickstarts. Um es anzuwerfen, musste ich meinen schmächtigen Körper in die Höhe katapultieren, beide Beine in der Luft, dann mit dem rechten Fuß den Kickstarter zwecks Zündung durchdrücken, den ersten Gang einlegen, und das alles rechtzeitig, bevor das Motorrad umfiel. Das Timing ging nicht immer auf. Wenn doch, dann kundschaftete ich die Straßen rund um die Siedlung aus und fand es aufregend, allein herumzukurven, bis es mir dann doch irgendwann langweilig wurde.

Spannender aber waren die Ausflüge zu Fuß, abseits irgendwelcher Wege, mit Moose als Kundschafter vorneweg. Wir schlugen uns durch Dickichte aus Weiden und Erlen, sprangen über Felsen, wateten durch Bäche und erforschten zwei nahe Geisterstädte, Suntrana und Lignite, deren Kohlevorkommen erschöpft waren, aber der Geruch von Diesel hing noch in der Luft. Waldfrösche saßen in Tundratümpeln, Elstern im dichten Gebüsch, Rothörnchen in den Nadelbäumen. Ich...

Erscheint lt. Verlag 18.2.2021
Reihe/Serie DuMont Welt - Menschen - Reisen E-Book
Übersetzer Jessika Zollickhofer, Thomas Rach
Verlagsort Ostfildern
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber
Reisen Reiseberichte
Schlagworte Abenteuerlust • Carate • Corcovado Nationalpark • Dos Brazos • Osa-Halbinsel • Península de Osa • Roman J. Dial • Schuldgefühle • Verlust des Sohnes • Verwundbarkeit
ISBN-10 3-616-49121-5 / 3616491215
ISBN-13 978-3-616-49121-9 / 9783616491219
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