Broadway statt Jakobsweg (eBook)

Entschleunigung auf andere Art

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
288 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43828-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Broadway statt Jakobsweg -  Vince Ebert
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Der American Dream mit deutscher Gründlichkeit Ironie des Schicksals? In der Mitte des Lebens sehnen sich viele nach Entschleunigung, einem Sabbatical oder zumindest einer besseren Work-Life-Balance. Vince Ebert wollte es anders: Anstatt auf dem Jakobsweg einen Gang zurückzuschalten, suchte er das Abenteuer in der Stadt, die niemals schläft, auf dem Broadway. Raus aus dem Trott des Alltags, rein in den Wahnsinn von New York. Ein ganzes Jahr hatte er vor zu bleiben, durch Corona war sein amerikanischer Traum aber schon nach neun Monaten im März 2020 zu Ende. Zurück in Europa mit einem der letzten Flugzeuge, zwang ihn der Lockdown zur Entschleunigung, und die Pandemie nötigte ihn zu einem Sabbatical. Doch die Zeit im Big Apple veränderte seine Sicht sowohl auf die Neue als auch auf die Alte Welt. Warum ist eine Nation, die zum Mond flog, nicht in der Lage, eine funktionsfähige Duscharmatur herzustellen? Kann man wirklich vom Tellerwäscher zum Millionär werden? Oder doch nur zum Geschirrspüler? Eine kluge und witzige Abrechnung mit dem American Dream und der deutschen Gründlichkeit - und warum die Anopheles-Mücke wichtiger ist als George Washington. Mit zahlreichen Fotos.

Vince Ebert, geboren 1968, wuchs im Odenwald auf und studierte Physik in Würzburg. 1998 startete er seine Karriere als Kabarettist, die FAZ nennt ihn so »scharf- wie hintersinnig«. Bekannt wurde Ebert mit seinen Bühnenprogrammen >Physik ist sexy<, >Denken lohnt sich< und >Vince of Change<. Bis heute ist sein Motto: »Make Science great again«, das gilt in Zeiten wissenschaftlich begründeter Debatten mehr denn je. Vince Ebert ist bekannt aus der ARD-Sendung >Wissen vor acht - Werkstatt<. Seine Bücher sind allesamt SPIEGEL-Bestseller. Ebert lebt in Wien.

Vince Ebert, geboren 1968, wuchs im Odenwald auf und studierte Physik in Würzburg. 1998 startete er seine Karriere als Kabarettist, die FAZ nennt ihn so »scharf- wie hintersinnig«. Bekannt wurde Ebert mit seinen Bühnenprogrammen ›Physik ist sexy‹, ›Denken lohnt sich‹ und ›Vince of Change‹. Bis heute ist sein Motto: »Make Science great again«, das gilt in Zeiten wissenschaftlich begründeter Debatten mehr denn je. Vince Ebert ist bekannt aus der ARD-Sendung ›Wissen vor acht – Werkstatt‹. Seine Bücher sind allesamt SPIEGEL-Bestseller. Ebert lebt in Wien.

THE BIGGEST APPLE
IN THE WORLD


Wir kamen am 10. Juli 2019 in New York an. Mitten im Sommer bei fünfundneunzig Grad Fahrenheit (was in etwa fünfunddreißig Grad Celsius entspricht) und unerträglichen neunzig Prozent Luftfeuchtigkeit. Ein paar Prozent mehr, und wir wären ertrunken – sozusagen die abgeschwächte Form von Waterboarding. Kein Wunder, dass New Yorker, die es sich leisten können, während der Sommermonate die Stadt verlassen. Die monatelange höllische Hitze und die damit verbundenen Gerüche einer Achtmillionenstadt machen das tägliche Leben dort zu einer echten Tortur. In der Subway ist es noch schwüler. Die einzigen Bewohner, die sich in diesem Chaos aus Lärm, Dreck, Gestank und Hitze wohlfühlen, sind vermutlich die Kakerlaken.

Wir stiegen am JFK-Airport in den J Train Richtung Manhattan ein und machten schon kurze Zeit später eine dieser typischen New-York-Erfahrungen: An der Station Alabama Avenue stieg ein Typ mit einer blau gefärbten Ratte auf seiner Schulter ein. Er schaute mich an, nahm das Tier in die Hand und schob es sich seelenruhig mit dem Kopf zuerst in den Mund. Nach etwa zehn Sekunden zog er die Ratte wieder heraus und setzte sie zurück auf seine Schulter. Dann nahm er sein Handy und begann – als wäre nichts gewesen –, ein Spiel zu daddeln. Während meine Frau und ich diese Szene wie paralysiert beobachteten, schien keiner der restlichen Fahrgäste auch nur Notiz davon zu nehmen. Jeder sah zwar, was da gerade vor sich ging, aber es schien, als ob alle dachten: Ach ja, da ist wieder der Typ, der sich sein blau gefärbtes Haustier in den Mund schiebt …

In der New Yorker Subway toleriert man fast jeden Irrsinn. Aber eben nur fast. Ein glatt rasierter Schimpanse mit einer Windel, der im Express Train nach Queens einen Platz beansprucht? Kein Problem. Ein glatt rasierter Schimpanse mit einer Windel, der sich im Express Train so hinsetzt, dass er dabei ZWEI Plätze beansprucht? No way. Dieser Affe würde von den Fahrgästen sofort verbal zurechtgewiesen werden. Denn in der New Yorker Subway gilt die unumstößliche Regel: nur einen Sitz pro Primat.

Wer in dieser Stadt einigermaßen schnell vorankommen möchte, kommt an der Subway nicht vorbei. Mit dreihundertachtzig Streckenkilometern und vierhundertzweiundsiebzig Stationen gehört sie zu den längsten und komplexesten Streckennetzen der Welt. Fast sechs Millionen Menschen benutzen sie täglich. Und zwar unabhängig von Einkommen, sozialer Schicht oder geistiger Gesundheit. Bei einer einzigen Fahrt bekommen Sie mehr Freaks zu Gesicht als in einem Jahr U-Bahn-Fahren in Frankfurt.

Für die ersten drei Wochen hatten wir über Airbnb ein kleines Apartment auf der Lower East Side gemietet. Wir stiegen an der Station Essex Street aus, schleppten uns ein paar Blocks weiter in die Pitt Street, holten den deponierten Wohnungsschlüssel in einem Grocery Store ab und bezogen schweißgebadet und übermüdet unser neues Reich. Die Wohnung war zu unserer großen Erleichterung sauber, komfortabel und ruhig. In der minikleinen Küche gab es sogar ein Fenster, was wir nach zwei Wochen herausfanden, als wir einen Blick hinter den Kühlschrank warfen. Dafür waren die Wände unglaublich dünn. Man konnte buchstäblich alles hören, was unsere Nachbarn so trieben. Das galt natürlich auch umgekehrt. Deswegen legten wir uns an unserem ersten Abend mucksmäuschenstill ins Bett, warteten, bis unsere Nachbarn ihr Apartment verließen, und bestellten ihnen dann drei Bücher über ihre Alexa.

In den nächsten Tagen erkundeten wir die Umgebung. Noch vor fünfzehn Jahren war die Lower East Side ein hochgefährliches Pflaster. Im Laufe der letzten Jahre entwickelte sie sich zu einer der lebenswertesten Ecken in Manhattan. Mit coolen Bars, hippen Barbershops, bezahlbaren Restaurants und den angesagtesten Tattoo-Läden der Stadt. Wer in der Lower East Side wohnt und nicht tätowiert ist, gilt als echter Freak. Tatsächlich habe ich kurz überlegt, mir die Heisenbergsche Unschärferelation auf den Oberarm stechen zu lassen. Aber das Risiko, dass der Tätowierer einen Fehler einbaut, war mir einfach zu hoch.

Überhaupt: In New York interessiert es keinen, wie, wann und mit was Sie auf der Straße herumlaufen. Meine Frau hat das sehr schnell verstanden. Bereits nach zwei, drei Tagen ist sie mit einer grässlichen neonfarbenen Trainingshose zum Einkaufen gegangen. »Du, das ist irrsinnig new-yorkisch«, erklärte sie mir. »Die ganzen Stars von der Upper East Side tragen das gerade auch.« Klar, dachte ich, aber nur jene, die gerade vom Drogenentzug kommen. Wenn du auf Cold Turkey bist, brauchst du halt was Legeres. Doch sie hatte recht. Modetechnisch gesehen ist diese Stadt tatsächlich lässig drauf. Wenn Sie frühmorgens einen verwahrlosten Bartträger vor dem Apple Store herumliegen sehen, dann wissen Sie nicht: Ist das ein Obdachloser aus der Bronx oder ein Hipster aus Brooklyn, der auf das neueste iPhone wartet?

Mich hat das am Anfang etwas überfordert. Besonders bei offiziellen Anlässen. Da ich in den letzten Jahren neben meinen Bühnentätigkeiten sehr viel als Vortragsredner für Universitäten, Verbände und Konzerne gebucht wurde, hatte ich mir bereits in Deutschland ein gutes amerikanisches Netzwerk aufgebaut. Aus diesen Kontakten ergaben sich immer wieder ein paar hochkarätige Einladungen. Gleich zu Beginn unserer Zeit in New York erhielten wir von der Deutsch-Amerikanischen Handelskammer eine Einladung zu einem Charity-Ball. Dresscode »Festliche Abendgarderobe«. Jeder weiß, was das in Frankfurt, Wien, London oder Paris bedeutet: Smoking für den Herrn, Abendkleid für die Dame. In New York bedeutet es, dass man nicht im Jogginganzug erscheint. Alles andere knapp darüber ist okay. Auch auf Förmlichkeiten und Titel gibt man nichts. In Österreich ist man ja automatisch »die Frau Doktor«, wenn der Mann einen Doktortitel hat. Ich glaube, insgeheim nimmt es mir Valerie übel, dass ich nicht promoviert habe.

In den USA herrschen allgemein lockerere Umgangsformen. Auf einer New Yorker Party kann es Ihnen passieren, dass Sie von einem Typen in Jeans und Turnschuhen mit »Hi, I’m Phil« angesprochen werden – und später stellt sich heraus, dass »Phil« der Hausmeister, der Gastgeber oder der Gouverneur von New Jersey ist. Für Europäer ist das verwirrend.

Einmal war ich bei einer Museumseröffnung auf Long Island für eine Rede gebucht. Ich mietete ein Auto, und als ich am Veranstaltungsort vorfuhr, warf ich dem älteren Herrn, der dort im Eingangsbereich herumlungerte, lässig meine Schlüssel zu. Ich dachte, es wäre der valet parking guy, denn in den USA ist es durchaus üblich, dass man bei solchen Anlässen sein Auto parken lässt. Später stellte sich heraus, dass es sich bei dem älteren Herrn um den Presseattaché der US-Streitkräfte handelte. Und er parkte tatsächlich meinen Wagen! Wahrscheinlich dachte er, bei uns Deutschen sei das Übergeben der Autoschlüssel eine offizielle Kapitulationserklärung.

Unter Amerikanern haben die New Yorker nicht den besten Ruf. Sie gelten als hochnäsig und unfreundlich. Ich denke, das stimmt nicht. New Yorker scheren sich einfach um niemanden. Jeder lässt den anderen so sein, wie er ist. Das wird ihnen oft als Ignoranz ausgelegt. Doch in einer Stadt, in der so viele Menschen auf dichtestem Raum zusammenleben, ist Ignoranz nicht die schlechteste Strategie.

Gleichzeitig haben New Yorker ein sehr ausgeprägtes Gespür für Fairness und Gerechtigkeit. Versuchen Sie einfach mal, sich bei Dunkin’ Donuts an der Schlange vorbeizuschmuggeln … Wer sich in dieser Stadt wie ein Idiot aufführt, bekommt die verbale Härte der New Yorker gnadenlos zu spüren. In der Warteschlange sind alle gleich.

Viele Promis schätzen diesen Lifestyle. Während ihnen in Los Angeles ständig die Paparazzi an den Hacken kleben, können sie sich in Manhattan vollkommen unbehelligt bewegen. Unter New Yorkern gilt es nämlich als absolut uncool, vor Ekstase auszurasten, nur weil der Typ, der vor einem auf seinen Kaffee wartet, zufälligerweise zwei Oscars gewonnen hat. Auch das war anfangs eine neue Erfahrung. Als mir zum ersten Mal Uma Thurman in einem Bagel-Laden die Tür aufgehalten hat, habe ich sie noch wie ein verstörtes Reh im Lichtkegel angeschaut und mir wie ein naiver Teenager den Sabber vom Mund gewischt. Ein paar Wochen später traf ich bei einem Besuch in der Frick Collection, einem kleinen Museum in der Upper East Side, auf Paul McCartney und benahm mich schon etwas entspannter. Genauer gesagt, täuschte ich einen Hustenanfall vor, um mir den Sabber vom Mund zu wischen. Als ich kurz darauf im Central Park abermals Uma Thurman begegnete, schaute ich schon – ganz new-yorkisch – desinteressiert zur Seite. Kurz hatte ich sogar den Verdacht, dass sie mich stalkt.

Unser kleines Airbnb-Apartment war nur bis Ende Juli gemietet. Ab August brauchten wir folglich eine richtige Wohnung. Das erwies sich komplizierter als gedacht. Gute Wohnungen gibt es in dieser Stadt oft nur mit Beziehungen. Zwar hängen überall an den Häusern Schilder mit »Apartments for Rent«, aber wenn Sie dort anrufen, verlangen die Vermieter bis zu neun Empfehlungsschreiben. Zu diesem Zeitpunkt kannten wir in der Stadt noch nicht einmal neun Leute.

Um in Manhattan zu wohnen, brauchen Sie in erster Linie Geld. Viel Geld. Im Grunde gibt es drei große soziale Schichten: wohlhabend, reich und superreich. Wenn Sie ein vierzig Quadratmeter großes Wohnklo in Midtown kaufen wollen, brauchen Sie unter einer Million gar nicht erst anzufangen. Und wenn Sie Pech haben, dann meint der Makler vierzig square feet,...

Erscheint lt. Verlag 10.9.2020
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Reisen Reiseberichte Nord- / Mittelamerika
Schlagworte American Way of Life • Bleiben Sie neugierig! • Coaching • Comedy • Denken Sie selbst! • ein Jahr in New York • Erfahrungsbericht • Erfolg • Humor • Kabarett • Lichtblick statt Blackout • Make Science great again • Midlife-Crisis • Motivation • New York • Reiseführer New York • Sachbuch Neuerscheinung 2020 • Satire • Selbstfindung • Stand-up-Comedy
ISBN-10 3-423-43828-2 / 3423438282
ISBN-13 978-3-423-43828-5 / 9783423438285
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