Meine Reise ins Übermorgenland (eBook)
256 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99634-1 (ISBN)
Nadine Pungs, 1981 im Rheinland geboren, studierte Germanistik und Geschichte. Als Kleinkünstlerin spielte sie am Theater und organisierte Comedyshows, heute arbeitet sie als freie Autorin. Auf der Suche nach Intensität und Schönheit zieht es sie immer wieder in die Welt, häufig in den Nahen Osten. Zuletzt bereiste sie monatelang Saudi-Arabien. Von ihren Begegnungen und Beobachtungen erzählt sie in Büchern und in Vorträgen. Bei Malik erschienen von ihr »Das verlorene Kopftuch. Wie der Iran mein Herz berührte« und »Meine Reise ins Übermorgenland. Allein unterwegs von Jordanien bis Oman«.
Nadine Pungs, 1981 im Rheinland geboren, studierte Literaturwissenschaft und Geschichte. Davor, währenddessen und danach tingelte sie jahrelang als Kleinkünstlerin durch die Dörfer und spielte am Theater, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Was vom Geld übrig bleibt, steckt sie seit jeher in ihre Reisen. Denn auf der Suche nach Intensität und Schönheit zieht es sie immer wieder in die Welt. Zumeist allein. Ihre Geschichten bloggt sie u.a. auf reisedepeschen.de. Mit ihrer Iran-Reportage "Randvoll ist mein Herz" gewann sie den The-Travel-Episodes-Schreibwettbewerb. Bei Malik erschien bereits ihr Reisebericht "Das verlorene Kopftuch. Wie der Iran mein Herz berührte". Die Autorin lebt in Düsseldorf.
Kuwait
Asterix im Tollhaus
Drei Kamele irren über brennende Ölfelder. Sie suchen nach Wasser und können keines finden. Hinter ihnen steigen schwarze Wolken auf, Rauchschwaden aus der Unterwelt. Eine Apokalypse. Der Fotograf Steve McCurry schoss 1991 das Foto, das weltberühmt werden sollte. Er sagte, dass keine noch so gute Aufnahme den ohrenbetäubenden Lärm dieser finsteren, höllengleichen Brandlandschaft habe erahnen lassen.
Als Irak 1990 Kuwait überfiel, war ich neun Jahre alt. Ich erinnere mich an die grünstichigen Bilder im Fernsehen, an das Heulen der Sirenen, an das Zischen der Raketen und dass sie wie Feuerwerkskörper am Nachthimmel leuchteten. Ich sah Panzer und Häusergerippe, Soldaten mit Maschinenpistolen, und ich hörte zum ersten Mal den Begriff »menschliches Schutzschild«. In Deutschland hielten Demonstranten Plakate in die Luft, auf denen »Kein Blut für Öl« geschrieben stand. Bomben fielen auf Bagdad. Politiker sprachen von einem »sauberen Krieg«. Über den Bildschirm des Röhrenfernsehers in unserem Wohnzimmer flimmerten verkohlte Leiber. In Decken gehüllte Kinder mit Witwengesichtern, gealtert und doch so jung wie ich, saßen in Schutt und Asche, der Nachrichtensprecher las eine Meldung über Giftgas vor. Manchmal konnte ich abends nicht einschlafen, weil mein Herz mit seinen Fäustchen von innen gegen die Wand hämmerte. Mein Vater erzählte, Saddam habe die Ölfelder angezündet, und ich schrieb meine Ängste ins Tagebuch.
Siebenundzwanzig Jahre später lande ich in Kuwait, mitten in der Nacht. Draußen sei Winter, meint der Pilot in seiner Durchsage. Auf dem Monitor lese ich »21 Grad«. Für kuwaitische Verhältnisse ist das lausekalt. Im Sommer lassen sich auf dem Asphalt Spiegeleier braten. Schuhsohlen schmelzen, die Sonne brennt alles nieder, Vögel fallen tot vom Himmel. Und ganz gleich, wo man hingeht, egal, ob man eine Bank betritt, eine Mall, einen Gemüseladen oder eine Schule, jedes Gebäude ist heruntergekühlt. Und das kostet Energie.
Forscher meinen, der Klimawandel könnte die Golfregion bei ungebremsten Emissionen bis Ende des Jahrhunderts unbewohnbar machen, denn Temperaturen um die sechzig Grad seien dann der Regelfall. »Arabische Nächte sind, wie jeder weiß, viel heißer als heiß«, singt der Händler, der im Disneyfilm die Geschichte Aladdins erzählt. Den Klimawandel hatte er wahrscheinlich nicht auf dem Zettel. Von der Bullenhitze können insbesondere die Kuwaiter ein Lied singen. Ihr Rekord lag 2016 bereits bei 54 Grad. Dies sei nur ein kleiner Vorgeschmack gewesen auf die Zukunft im Dampfbad, prognostizieren Wissenschaftler. In einem halben Jahrhundert könnten die Menschen am Golf getoastet, gebraten und gegrillt werden. Gegen das kosmische Fegefeuer helfen keine Gebete und keine Milliarden. Auch wenn Kuwait zu den reichsten Staaten der Erde gehört.
Ich atme die Nachtluft ein. Kuwait. Ich bin in Kuwait, irgendwo am Rande der Welt, und ich muss wieder an die drei Kamele denken und wie hinter ihnen die Wüste in Flammen aufging. Sechshundertneunundfünfzig Ölfelder brannten. Fünf Millionen Minen lagen unter der Erde verbuddelt, bis heute sind nicht alle geräumt. Ein Land wie ein Gemälde von Hieronymus Bosch. »Nationalpark des Satans« nannten die Menschen ihre Heimat. Vor zehn Tagen fuhr ein junger Kuwaiter mit seinem Jeep über eine der alten Sprengfallen. Er überlebte schwer verletzt.
Der Shuttlebus spuckt mich am Terminal 5 aus. Reisende aus Indien, Pakistan, Ägypten stehen in der Schlange und halten ihre Ausweispapiere in den Händen. Hinter der Passkontrolle rumpelt das Gepäckband, nur darf ich ohne Visum nicht durch. Die Beamtin weist mich darauf hin, dass es einen extra Einreiseschalter gibt. Sie hat aber keinen Schimmer, wo der sein könnte. Ich räume das Feld und spreche einen Flughafenmitarbeiter an, der in einen Computer stiert.
»Guten Tag. Ich hätte gern ein Visum. Wo muss ich hin?«, erkundige ich mich, doch er zuckt mit den Schultern.
»Gehen Sie zu T5«, entgegnet er.
»Aber das hier ist doch T5«, antworte ich.
»Hmm, ja, vielleicht«, sinniert er und schlägt vor: »Versuchen Sie es im Bereich B3.«
»Wo ist B3?«
Er überlegt und deutet dann mit dem Finger in eine Richtung. »Immer geradeaus.«
In B3 schüttelt ein Herr in Uniform den Kopf. »Hier sind Sie falsch. Sie müssen zu T5.« Er wirkt, als wüsste er Bescheid.
»Aber von da komme ich, und man sagte mir, ich solle zu B3.«
»Dann gehen Sie zu T1«, entgegnet er.
»T1? Und was ist mit meinem Gepäck? Das ist doch in T5?«
»T1«, wiederholt er, »nehmen Sie den Bus, der bringt Sie von B3 nach T1.«
Ich setze mich auf einen Stuhl und warte. Fünf Minuten, zehn. Nach dreißig Minuten trudelt ein Shuttlebus ein, ich bin der einzige Fahrgast. Wir schippern einmal um den gesamten Flughafen herum. Ankunft im Untergeschoss T1. Ich entdecke einen Schalter, auf dem »Visa« geschrieben steht, freue mich und sage zu der Frau, die hinter einer Glasscheibe hockt: »Hallo. Ich hätte gern ein Visum.« Die Frau beachtet mich nicht und tippt in ihr Handy. »Entschuldigung, ich bräuchte bitte ein Visum«, wiederhole ich. »Hier nicht!«, keift sie. »Gehen Sie ins Erdgeschoss!« Sie schaut nicht auf.
Ich nehme die Treppe, laufe einen Flur entlang. Eine Menschentraube drängt sich um einen Counter, Frauen und Männer füllen Zettel aus, sie rufen durcheinander, manche schimpfen, ein Bursche kopiert Pässe. Sobald der Zettel beschrieben ist, ziehen sie eine Nummer, dann erhalten sie ein neues Formular, mit dem sie zu einem anderen Schalter hasten müssen. Aber erst, nachdem sie an einem Automaten die Einreisegebühr bezahlt haben. Den ganzen Vorgang schnalle ich leider zu spät, und so ziehe ich bereits eine Nummer, bevor ich zum Automaten durchdringen kann.
Am Automaten stelle ich fest, dass er keine Kreditkarte, sondern nur Cash akzeptiert, und zwar Kuwait-Dinar. Ich besitze bloß Jordanische Dinar, denn ich konnte auf die Schnelle keinen Bankomaten auftreiben. Der Pässe-Kopierer meint, ich solle den Gang zurücklaufen, dann links, da gebe es eine Wechselstube. Ich zeige ihm meine Nummer, weil ich befürchte, gleich aufgerufen zu werden. Der Bursche seufzt. Hinter mir rempeln Menschen, manche plärren irgendetwas in fremden Sprachen, Dutzende Hände wedeln mit Zetteln. Der Bursche telefoniert, schnappt sich mein Geld und stiebt um die Ecke. Eine Frau kreischt ihm hinterher, Männer streiten. Nach fünf Minuten kommt er zurückgehetzt und füttert den Automaten mit der umgetauschten Währung. Er reicht mir die Quittung und lächelt. Dann wird er von den Wartenden niedergebrüllt.
Meine Nummer blinkt auf dem Bildschirm, ich eile zu einem der vielen Schalter. Eine Beamtin nickt mir zu. »Hallo. Ich hätte gern ein Visum«, sage ich. Die Beamtin überprüft die Nummer, die Quittung und das ausgefüllte Formular, dann stempelt sie meinen Pass, und ich atme auf. »Gehen Sie jetzt bitte zum Polizeicounter.« Sie zeigt nach rechts.
Am Polizeicounter kontrolliert der Polizist den Stempel, nimmt meine Fingerabdrücke und schießt ein Foto, auf dem ich wie eine Wasserleiche ausschaue, die erst nach sehr vielen Monaten an Land gespült wurde. Der Polizist schmunzelt und winkt mich durch.
Ich bin drin. Nur leider ohne Rucksack, denn der steht noch in T5, und das hier ist T1. Ich frage eine junge Frau, die Rock und Hütchen trägt und wie eine Bodenstewardess aussieht. »Guten Tag. Wie komme ich zu T5?«
Sie runzelt die Stirn. »T5 kenne ich nicht, gehen Sie ins Untergeschoss zum Infocounter.«
»Wo genau ist der Infocounter?«
»Das weiß ich nicht. Fragen Sie im Untergeschoss.«
Im Untergeschoss finde ich den Infocounter von selbst, zwei Männer sitzen dahinter. »Guten Tag. Wie komme ich zu T5?«, will ich wissen.
»Gehen Sie zu T4«, antwortet der Ältere.
»Aber mein Gepäck ist in T5.«
»T4?«
»T5!«, wiederhole ich.
»T5 gibt es nicht. Fragen Sie an der Hauptinformation.«
»Ist das hier nicht die Hauptinformation?«
»Nein.«
»Okay. Und wo ist die Hauptinformation?«
»Immer geradeaus.«
Die Hauptinformation ist belagert von Menschen. Es vergehen zehn Minuten, bis ich vortreten darf. Ein Inder grinst mich an, auf seinem Namenschild steht »Mr. Malhotra«, auf seiner Halbglatze spiegelt sich die Deckenleuchte.
»Wie kann ich Ihnen helfen, Ma’am?«, fragt Mr. Malhotra.
»Hallo. Wo finde ich T5?«
»T4?«, entgegnet Mr. Malhotra und wackelt mit dem Kopf.
»Nein, T5«, antworte ich und atme tief ein.
»Das hier ist T1.«
»Ich weiß, aber ich muss zu T5.«
»T5 existiert nicht.« Mr. Malhotra grinst immer noch.
»Aber ich komme doch von T5.«
Mr. Malhotra beugt sich nach vorne und spricht jedes Wort überdeutlich aus, als wäre ich geistig minderbemittelt. »Sie meinen T4, Ma’am?«
»Nein, T5!«, wiederhole ich mit Nachdruck.
Mr. Malhotra kratzt sich an der Schläfe. »Tut mir leid, Ma’am, ich kenne T5 nicht. Fragen Sie meinen Kollegen.«
Er reicht mich an seinen Nachbarn weiter.
Auf dessen Schild steht »Mr. Bandyopadhyay«. »Was kann ich für Sie tun, Madam?«, fragt Mr. Bandyopadhyay.
»Guten Tag. Ich möchte zu T5.« Mein Lächeln ist verkrampft.
»T5? Sie meinen T4, Madam.«
»Nein, T5, da ist mein Gepäck!«
»T4, oder etwa nicht?« Mr. Bandyopadhyay ist verwirrt.
»T5!« In mir braut sich ein Gewitter zusammen.
»Vielleicht verwechseln Sie T5 mit T3 und T3 mit T4, Madam?«, mutmaßt er.
»T3? Nein! Ich möchte zu T5!«, presse ich hervor.
»Gehen Sie zu meinem Kollegen.«
Der Kollege sitzt neben...
Erscheint lt. Verlag | 2.3.2020 |
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Zusatzinfo | Mit 16 Seiten Farbbildteil und einer Karte |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Reisen ► Reiseberichte ► Naher Osten |
Reisen ► Reiseführer | |
Schlagworte | 1001 Nacht • alleinreisende Frau • Arabien • Bahrain • Beduinen • Buch • Bücher • Geschenk für Frauen • Jemen • Jordan • Jordanien • Katar • Kuwait • Neuerscheinung 2019 • Oman • Orient • Reisebericht • Starke Frauen • tapfere frauen • VAE • Vereinigte Arabische Emirate • Wüste |
ISBN-10 | 3-492-99634-5 / 3492996345 |
ISBN-13 | 978-3-492-99634-1 / 9783492996341 |
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Größe: 103,2 MB
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