Tristesse Renesse (eBook)

eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
256 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31622-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Tristesse Renesse -  Nilz Bokelberg
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Große Ferien reloaded: Eine Zugreise zu den Ferienorten unserer Kindheit Kurz vor seinem 40. Geburtstag hat Nilz Bokelberg kalte Füße bekommen: Hab ich genug erlebt? Gibt es Dinge, die man getan haben muss, bevor man 40 wird? Was läge da näher, als ein Interrail-Ticket zu kaufen und mit dem Zug durch Europa zu tingeln? Und da man mit 39½ auch ein bisschen melancholisch wird, beschließt Nilz Bokelberg, die Ferienorte seiner Kindheit zu besuchen, und das: im November. Tristesse royale, für die er aber schon immer eine besondere Faszination hatte. Orte, an denen sich das Leben fast das ganze Jahr überschlägt, liegen im November müde und still da. Genau die richtige Atmosphäre, um über das Leben, das Reisen und alles, was sonst so wichtig ist, zu sinnieren. Und um dieses Sinnieren auf eine höhere Ebene zu katapultieren, lässt Nilz das Handy und das iPad gleich zu Hause und zieht mit Faltplan und Analogkamera durch Europa. Kommen Sie mal mit auf diese etwas andere Reise und machen Sie mit Nilz Bokelberg Ferien im 80´s Train!

Nilz Bokelberg, Jahrgang 1976, wuchs in Wesseling bei Köln auf. Mit 17 war er eines der ersten Gesichter des neu gegründeten Musiksenders VIVA. Während seines Regiestudiums in München entdeckte er das Bloggen für sich und wurde zu einem der bekanntesten Blogger Deutschlands. 2010 erschien sein erstes Buch »Ich schmeiß alles hin und werd Prinzessin«, 2013 »Endlich gute Musik«. Seit 2012 bespricht Nilz Bokelberg Filme auf dem YouTube-Kanal »Shortcuts«, 2015 brachte er zusammen mit Markus Herrmann und Donnie O'Sullivan den Podcast »Gästeliste Geisterbahn« an den Start.

Nilz Bokelberg, Jahrgang 1976, wuchs in Wesseling bei Köln auf. Mit 17 war er eines der ersten Gesichter des neu gegründeten Musiksenders VIVA. Während seines Regiestudiums in München entdeckte er das Bloggen für sich und wurde zu einem der bekanntesten Blogger Deutschlands. 2010 erschien sein erstes Buch »Ich schmeiß alles hin und werd Prinzessin«, 2013 »Endlich gute Musik«. Seit 2012 bespricht Nilz Bokelberg Filme auf dem YouTube-Kanal »Shortcuts«, 2015 brachte er zusammen mit Markus Herrmann und Donnie O'Sullivan den Podcast »Gästeliste Geisterbahn« an den Start.

French kissing in Amsterdam


Auch bescheuert, wie man sich verkrampft, wenn man merkt, dass die Person, die neben einem sitzt, irgendwie nicht neben einem sitzen will. Aber nach einiger Zeit rollt der Zug tatsächlich in den abendlich dunklen Hauptbahnhof von Amsterdam ein und ich möchte mir keine Gedanken mehr über meine Sitznachbarin machen. Ich greife mir meinen Koffer und steige aus. Zwei Mädchen lächeln mich an. Na gut, sie lächeln jeden an, der aussteigt, und als ich ihre orange leuchtenden Warnwesten sehe, auf denen »Refugees Welcome« steht, weiß ich auch, warum. Ich freue mich aber trotzdem. Ich bin gut drauf. Hier startet meine Reise so richtig und es ist doch schön, von Fremden angelächelt zu werden. Außerdem: Angenommen, ich WÄRE ein Flüchtling, was ich mir natürlich nicht wirklich vorstellen kann, aber nehmen wir mal an, ich könnte es und ich wäre es: Dann wäre ich vermutlich froh, so nett empfangen zu werden. Ich freue mich also, nicht für Menschen, die fliehen müssen, aber darüber, wie sie hier empfangen werden. Während ich noch auf dem Gedanken rumkaue, gehe ich in die Unterführung. Von meiner Recherche weiß ich, dass es einen Bus gibt, der direkt zu meinem Hotel fährt. Den muss ich finden. Und da ich das Begriffspaar »Bus Station« ausgeschildert sehe, scheine ich meinem Ziel doch ziemlich nah zu sein.

An der Rückseite des Amsterdamer Bahnhofs fahre ich mit der Rolltreppe hoch und lande direkt an einem Busbahnhof mit mehreren Abfahrstationen. Den Rucksack auf dem Rücken, den Rollkoffer immer in den eigenen Hacken, studiere ich die diversen Abfahrtspläne. Verzweifelt suche ich nach der Nummer meines Busses und summe dabei Destiny’s Childs »Get on the Bus«, ein Song, mit dem ich meine Begeisterung für die Produktionen von Timbaland entdeckte, welche ihr jähes Ende im zweiten, unfassbar langweiligen Album von Justin Timberlake fand.

Ich finde Busse, die einen ähnlichen Streckenverlauf haben wie meiner, aber keiner von denen landet vor meinem Hotel. Mein Plan ist folgender: Ich gehe mal zur Vorderseite des Bahnhofs. Vielleicht fahren dort noch andere Busse.

Also, mit dem ganzen Kladderadätsch einmal quer durch den Bahnhof. In der Bahnhofshalle höre ich Musik. Da scheint eine Band zu spielen, vielleicht Straßenmusiker. Ich höre langsam auch das Publikum. Mal jubelnd, immer klatschend. Die scheinen echt gut Stimmung dort zu machen. Als ich in der Vorhalle angekommen bin, sehe ich ein Klavier, das anscheinend seinen festen Platz in der Vorhalle hat und an dem jeder spielen darf, der sich dazu berufen fühlt. Davor steht eine Frau und singt und drum herum stehen zufällige Passanten. Alle sind ganz mitgerissen von der singenden Frau, die den Eindruck macht, es ginge bei ihrer Performance um ihr Leben. Das feuert wiederum den Klavierspieler an, der sich kaum auf dem Schemel halten kann vor Euphorie. Die Akustik der Halle tut ihr Übriges. Das hier scheint ein spontanes Konzert zu sein, dem sich niemand entziehen mag. Außer mir. Also, ich muss. Schweren Herzens. Denn ich will endlich in mein Hotel, mein Gepäck loswerden und vielleicht noch etwas essen.

Als ich aus dem Bahnhof komme, werde ich erst einmal erschlagen von den Möglichkeiten: Es ist Donnerstagabend in einer Touristenhochburg. Überall strömen feierwütige Menschen herum. Schulklassen. Amerikanische Touristen. Ich bewege mich Richtung Hauptstraße und tatsächlich: Ich entdecke einen weiteren Busbahnhof. Fröhlich laufe ich darauf zu. Und die Zufälle nehmen kein Ende: Der Bus, den ich suche, steht gerade angeschrieben auf der Digitalanzeige. Aber es kommt noch besser (wobei »besser« hier eher ein Euphemismus ist): Der Bus rollt gerade an. Ich laufe aber entgegen der Richtung des Bussteigs, getrennt durch ein Geländer. Ich muss die ganze Länge der Haltestelle hochrennen und dann noch einmal zurück, um den Bus zu erreichen, da ich den Koffer auf keinen Fall über das Geländer gehievt bekomme. Der Bus hält, eine Traube von Menschen versammelt sich um die vordere Tür und ich sprinte, voll beladen, um mitfahren zu können.

Ich steige als Letzter ein, aber ich steige ein. Da der Bus ziemlich voll ist, muss ich mit meinem Koffer im Gelenkschlauch stehen, dem ziehharmonikaähnlichen Übergang, der die beiden Busteile miteinander verbindet und der sich in jeder Kurve dreht. Superätzend mit dickem Gepäck. Aber heute ist einer der seltenen Tage, an denen mir das total latte ist. Ich fahre mit dem Bus durch Amsterdam – besser kann man doch gar nirgendwo ankommen. Ich bin happy. Was mag noch alles passieren in den nächsten Wochen? Die Welt … o.k., Europa, liegt mir zu Füßen. Das wird gut, richtig gut!

Der Bus fährt wirklich, wirklich lange. Wir gondeln durch die ganze Stadt, bis ins Randgebiet. Man bemerkt auch langsam, wie viel ungeiler die Gegend wird. Mehr Hochhäuser, mehr Lidls, weniger Restaurants. Ach was, denk ich mir, dämliche Vorurteile. Und dann muss, kann und darf ich endlich aussteigen.

Der Bus fährt vor meiner Nase davon, fast, als hätte er es plötzlich eilig. Ich blicke auf eine Kreuzung. Quer vor mir eine breite Straße, in der Mitte Straßenbahngleise und eine Busspur. Links ein Kaufhaus. Rechts ein Haus, das schwer nach sozialem Wohnungsbau aussieht. Wie ein großer dunkler, dicker Balken liegt der Komplex mit den vielen Fenstern auf einem Unterbau, in dem unter anderem ein Restaurant untergebracht ist. Beim näheren Hinsehen entdecke ich, dass es sich um ein Febo-Restaurant handelt – ein Automatenrestaurant!

Zur Erklärung: Wenn ich in Holland bin, dann muss ich unbedingt in ein Automatenrestaurant. Ich liebe diese Art superpraktischer Ernährung. Eigentlich handelt es sich auch nicht um Automaten, sondern um eine besonders effiziente Form des Fast Foods: In der Küche werden die verschiedenen frittierten Snacks zubereitet und dann in Kästen gegeben, die sie warm halten. Der Kunde wirft von außen den Betrag für den Snack ein, öffnet das Fensterchen und nimmt sich die herrliche Speise heraus. Da gibt es frittierten Käse, frittiertes Ragout, frittiertes Huhn in Erdnusssauce und alles, was man sonst noch so frittieren kann. Es ist der Ungesundes-Essen-Himmel.

Das Automatenrestaurant, das ich da gerade entdeckt habe, löscht in dem Moment, als ich es als solches erkenne, das Licht. Das geht ja gut los hier. Die erste Sache, über die ich mich auf dieser Reise wirklich freue, macht vor meinen Augen dicht. Alles klar, Karma. Challenge accepted.

Ich überquere die Straße und laufe um das Automatenrestaurant herum. An dieser Stelle sollte irgendwo mein Hotel sein. Zumindest laut Plan. Auf der Rückseite des Restaurants ist eine ganz normale Wohnstraße, mit Treppenaufgängen, die man auf keinen Fall benutzen möchte. Ich gehe wieder zur hellen Straße und dem dunklen Restauranteingang zurück. Ich bin mir sicher, dass das Hotel hier irgendwo sein muss. Und urplötzlich verwandelt sich ein vages Bauchgefühl in die harte Keule der Realität: Der unwirtliche Wohnbalken, der auf dem Restaurant liegt, ist: das Hotel.

Die Eingangshalle ist sehr großzügig, aber auf eine denkbar seltsame Art. Ich weiß gar nicht, woher die Seltsamkeit kommt, aber es gibt ganz viel Platz, zwei große Automaten für die Verpflegung der Gäste, die Softdrinks, Bier, Schokoriegel und so weiter anbieten, aber natürlich auch Kondome, Rauchutensilien, Ladekabel und Adapterstecker. Man scheint hier für alles gewappnet zu sein. Eine schwere Treppe führt in den ersten Stock und anscheinend hat die jemand im Supersonderangebot erstanden, vielleicht bei eBay, denn: Auf dem ersten Plateau hat sie eine Abzweigung und führt sowohl geradeaus als auch nach rechts oben. Man kann sich entscheiden. Also, theoretisch. Denn während der Weg nach rechts oben einen wirklich in die nächste Etage führt, endet die Treppe geradeaus nach zwei Stufen an der Wand. Diese Treppe führt ins Nichts und mit ziemlicher Sicherheit hat sie schon immer in dieses Nichts geführt. Das kann man natürlich auch philosophisch begreifen, aber wenn man den wegen Bauarbeiten gesperrten Frühstücksraum im Erdgeschoss gesehen hat, der sicher mal umgebaut werden sollte, jetzt aber brach halb fertig daliegt, bezweifelt man doch stark die Mahnmal-Intention der Treppe ohne Ziel. Wahrscheinlich weiß am Ende niemand mehr, warum sie hier ist. So ein bisschen Lynch-Style. Es hat halt nie jemand gefragt, also war das auch nie ein Problem. Aber wage es bloß nicht, nach ihr zu fragen. Dann öffnet sich dort bestimmt ein Portal in eine andere Dimension. Andererseits: Da scheine ich schon längst gelandet zu sein.

Überall laufen junge Menschen rum. Im Fahrstuhl, in der Vorhalle, auf der Treppe – einfach überall. Und wer kann es ihnen verdenken: Dieses Hotel ist nahezu unschlagbar günstig. Ich hab es auch nach dem Preis ausgewählt. Mir ist nur eines wichtig: Eigenes Zimmer, eigenes Bad. Das sind meine Bedingungen. Ansonsten kann es auch gerne günstig sein. Dann erst kümmere ich mich um die Lage. Gut, die hab ich diesmal wirklich schmerzhaft vernachlässigt. So viel steht fest. Ganz so weit weg vom Schuss möchte ich eigentlich nicht wohnen. Aber hier scheint es okay zu sein. Ich bin wohl auch ganz gut … ähm … angebunden über Busse und die Straßenbahn. Der Check-in geht schnell und das Personal ist superfreundlich. Ich bekomme noch einen Stadtplan in die Hand gedrückt, auf dem mir typischerweise mit Kugelschreiber meine jetzige Position eingekreist wird (ab vom Schuss, wer hätte es gedacht?). Dann nehme ich mein Zeug, besteige den Fahrstuhl und fahre in den ersten Stock – zu meinem Zimmer.

Im etwas engen und klapprigen Lift dann die nächste Überraschung:...

Erscheint lt. Verlag 13.10.2016
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber
Reisen Reiseberichte
Schlagworte Achtzigerjahre • Europa • Ferienorte • gästeliste geisterbahn • Holland • Interrail • Italien • Kindheit • nbe • Nilz Bokelberg Erfahrung • Offline • Podcast • Reisen • Zugreise
ISBN-10 3-462-31622-2 / 3462316222
ISBN-13 978-3-462-31622-3 / 9783462316223
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