Die Ortschaftsverfassung in Baden-Württemberg -  Luisa Pauge

Die Ortschaftsverfassung in Baden-Württemberg (eBook)

Leitfaden für Ortschaftsräte und Ortsvorsteher

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
113 Seiten
Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG
978-3-415-07548-1 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
22,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Der bewährte Leitfaden bietet Ortschaftsräten und Ortsvorstehern einen vollständigen Überblick über die Ortschaftsverfassung. Er enthält konkrete Anwendungshinweise zu allen in der Praxis relevanten Fragestellungen. Die Aufgaben und Zuständigkeiten, die Rechtsstellung und die Pflichten des Ortschaftsrats sowie des Ortsvorstehers sind ausführlich dargestellt. Die Änderungen im Zuge der CovidPandemie wurden eingearbeitet. Der Ratsschreiber hat im Zuge der Grundbuchamtsreform einen neuen Tätigkeitsbereich erhalten. Angepasst wurden schließlich die steuerfreien Beträge der Entschädigung für die ehrenamtliche Tätigkeit. In einem gesonderten Abschnitt erläutert die Autorin Schritt für Schritt die Vorbereitung und den Ablauf der Sitzungen des Ortschaftsrats. Im Anhang ist das Muster einer Geschäftsordnung für den Ortschaftsrat abgedruckt.

Teil I.Die Bedeutung der Ortschaftsverfassung als besondere Verwaltungsform in der Gemeinde


1.Allgemeines


Schlusspunkte der seit dem Jahre 1968 zunächst freiwillig und auch mithilfe des „Goldenen Zügels“ durchgeführten Gemeindereform waren die am 03. und 04.07.1974 mit knapper Mehrheit vom Landtag von Baden-Württemberg beschlossenen Gemeindereformschlussgesetze. Neben vielen kleinen und leistungsschwächeren Gemeinden, wegen derer die Gemeindegebietsreform zunächst mit dem Ziel eingeleitet worden war, stärkere Verwaltungseinheiten auch im ländlichen Bereich zu schaffen, verloren auch große und leistungsfähige Gemeinden, die aus damaliger Sicht ohne Zweifel in der Lage waren, selbstständig lebensfähig und gestaltungsfähig zu sein, ihre Selbstständigkeit. Es rumorte damals vor allem in den Gemeinden, in denen sich die Bürger mehrheitlich gegen eine Eingliederung oder gegen den Zusammenschluss mit anderen Gemeinden ausgesprochen und die gewählten Gemeindevertreter oder aber der Staatsgerichtshof anders entschieden haben. In diesen Gemeinden erlahmte das bürgerschaftliche Engagement zum Nachteil der gesamten Kommune. Das hat in diesen Gemeinden eine positive Entwicklung stark gehemmt. Mit den Ortsteilvertretungen nach den Regeln der Ortschaftsverfassung Baden-Württemberg, die am 16.07.1970 eingeführt wurde, wollte der Gesetzgeber solchen Problemen entgegenwirken.

1.1Die kommunale Gebietskarte vor und nach der Reform


Vor Einleitung und Abschluss der Gemeindereform gab es in Baden-Württemberg noch 3379 Städte und Gemeinden mit in vielen Jahrhunderten gewachsenen Traditionen und Vielgestaltigkeiten, sowie zwei unbewohnte gemeindefreie Gebiete („Gutsbezirk Münsingen“, „Landkreis Reutlingen“ und der „Gemeindefreie Grundbesitz Rheinau“ im Ortenaukreis). Am 01.01.1975 gab es lediglich noch 1111 Kommunen. Aktuell gibt es 1101 selbstständig gebliebene Städte und Gemeinden. Davon sind 911 Kommunen Teil der noch bestehenden 270 Verwaltungsgemeinschaften (davon 156 „Vereinbarte Verwaltungsgemeinschaften“ mit einer erfüllenden Gemeinde und 114 Gemeindeverwaltungsverbände). Ein nicht unwesentlicher Teil der eigentlichen Aufgabenerfüllung wird für die so selbstständig gebliebenen Gemeinden vom Personal der jeweiligen Verwaltungsgemeinschaft erbracht.

Teilweise wurde (und wird) die Einschätzung vertreten, dass die im Zuge der Gemeindereform gesetzlich eingeführten Verwaltungsgemeinschaften im Gegensatz zu den sogenannten Altverwaltungsgemeinschaften wenig (Gemeindeverwaltungsverbände) deutlicher effektiv geblieben seien. Deshalb wird diese besondere Verwaltungsreform vereinzelt infrage gestellt – ähnlich wie die Nachbarschaftsverbände in den Ballungsräumen, denen lediglich Planungsaufgaben zur gemeinsamen Gebietsentwicklung übertragen worden waren. Begründet wird diese Kritik damit, dass dort, wo notwendig, eine interkommunale Zusammenarbeit nach dem Gesetz über kommunale Zusammenarbeit (GKZ) vom 16.09.1974 (GBl. S. 408 mit Änderungen) wesentlich effektiver wäre. Eine Befürwortung solcher Auflösungstendenzen hätte jedoch Folgewirkungen auch auf aufgelöste Städte und Gemeinden haben müssen.

Ähnliche Auflösungsaktivitäten gab es bei Gemeinden als Mitglieder der 114 Gemeindeverwaltungsverbände (Altverwaltungsgemeinschaften) nie. In diesen „Alt-Verwaltungsgemeinschaften“ mit umfassender Aufgabenzuständigkeit blieben 200 z. T. auch kleinste Dörfer kommunalpolitisch selbstständig. Die laufenden Geschäfte erledigt in aller Regel das Personal des Gemeindeverwaltungsverbands. Der oft ehrenamtliche Bürgermeister befindet jedoch zusammen mit dem Gemeinderat seiner selbstständig gebliebenen Gemeinde über sämtliche Schwerpunkte der kommunalen Weiterentwicklung und über die zu tätigenden Investitionen in der Gemeinde. Die Qualität dieser Zuständigkeit entspricht den Grundsätzen interkommunaler Zusammenarbeit nach dem Gesetz über kommunale Zusammenarbeit und ist daher deutlich höher, als die Aufgabenzuständigkeiten von Ortsvorsteher und Ortschaftsrat in den aufgelösten Gemeinden, denen häufig „nur“ beratende Funktionen zugestanden wurden.

Klar ist: In den vergangenen 50 Jahren – seit der Neuordnung des Zweckverbandswesens durch das Baden-Württembergische Zweckverbandsgesetz von 1963 und seinem Nachfolger, dem Gesetz über Kommunale Zusammenarbeit (GKZ) – ist in Baden-Württemberg eine Vielzahl von Zweckverbänden und anderen interkommunalen Kooperationen entstanden. Dazu zählen insbesondere auch die Gemeindeverwaltungsverbände (GVV) und vereinbarten Verwaltungsgemeinschaften, die 1968 mit dem Gesetz zur Stärkung der Verwaltungskraft kleinerer Gemeinden durch das Land Baden-Württemberg forciert wurden. Und es zeichnet sich klar ab, dass die Bedeutung der interkommunalen Zusammenarbeit in den kommenden Jahren noch weiter zunehmen wird.

Zwar sind die Gründe für die wachsende Bedeutung der interkommunalen Zusammenarbeit durchaus vielschichtig und insbesondere stark durch die besondere Situation vor Ort geprägt. Viele Städte und Gemeinden sehen sich angesichts des immensen Fachkräftemangels, des demografischen Wandels und in Zeiten knapper werdender Finanzmittel aber mit der Herausforderung konfrontiert, wie sie die Leistungen der kommunalen Daseinsvorsorge weiter verlässlich erbringen können. Letzteres gilt in besonderem Maße für Städte und Gemeinden in ländlich geprägten Regionen. Mit Blick auf die steigenden Herausforderungen und Aufgaben und vor allem unter Berücksichtigung der zunehmenden Komplexität kommunaler Aufgaben ist es daher umso wichtiger, die interkommunale Zusammenarbeit vor Ort weiter auszubauen und zu unterstützen: Maßnahmen interkommunaler Zusammenarbeit können ein Weg sein, um auf der einen Seite die kommunale Eigenständigkeit und örtliche Identität zu wahren, gleichzeitig aber die Leistungen insbesondere der kommunalen Daseinsvorsorge der Städte und Gemeinden für die Bevölkerung vor Ort langfristig zu sichern. Vor diesem Hintergrund ist wahrzunehmen, dass derzeit auch in zahlreichen GVV überlegt wird, wie die Zusammenarbeit der Mitgliedsgemeinden gerade in dieser „Verbandsform“ weiter intensiviert werden kann. Denn die Aufgabenbereiche, die für eine Interkommunale Zusammenarbeit infrage kommen, sind vielfältig.

Verwaltungsstruktur-Reformgesetz – Staatliche Untere Verwaltungsbehörde

Den aktuell 95 Großen Kreisstädten sind nach § 16 Landesverwaltungsgesetz Aufgaben als staatliche untere Verwaltungsbehörde übertragen. Dazu zählen Zuständigkeiten im Ausländer- und Baurecht oder die Aufgaben als Straßenverkehrsbehörde. Solche Zuständigkeiten sind im ländlichen Raum auch auf insgesamt 38 leistungsfähige Verwaltungsgemeinschaften übertragen. Diese bürgernahe Aufgabenerledigung nützt den Verwaltungsgemeinschaften angehörenden und damit selbstständig gebliebenen Gemeinden substanziell.

1.2Ortschaftsräte als Ausdruck örtlicher demokratischer Substanz


Mit der Reduzierung der Zahl der Gemeinden nahm auch die Anzahl der Gemeinderatssitze deutlich ab. 1974 wurde vom damaligen Verbandsdirektor des Gemeindetags Baden-Württemberg, Kurt Heppner, dieser Verlust an demokratischer Substanz wie folgt kommentiert: „Statt 33 000 Männer und Frauen in den Gemeinderäten unseres Landes werden wir von 1975 an nur noch 15 000 haben.“ Weniger Mitsprache ist weniger Demokratie. Man müsse deshalb nach neuen Möglichkeiten bürgerschaftlicher Mitarbeit suchen, damit die vielen bisher ehrenamtlich tätigen Menschen nicht in die Anonymität zurückgestoßen werden, so die damalige Schlussfolgerung. Die Bereitschaft der politisch aktiven und engagierten Bürger sollte als wertvollstes Kapital erhalten und entsprechend gefördert werden.

Ein wesentlicher Beitrag dafür war in Baden-Württemberg die Einführung und weitere Stärkung der Ortschaftsverfassung. Diese demokratisch legitimierten Mitwirkungsrechte für ehemals selbstständige Gemeinden haben sich bewährt.

Aktuell gibt es in den 1101 Städten und Gemeinden 18.674 Gemeinderätinnen und Gemeinderäte, rund 1300 Ortsvorsteherinnen und Ortsvorsteher und rund 16 000 Ortschaftsrätinnen und Ortschaftsräte, die sich als Repräsentanten für ihre ehemals selbstständige Gemeinde und heutige Ortschaft ehrenamtlich engagieren.

Bürgerschaftliche Mitwirkung

Kaum ein anderes Gesetz wurde so oft geändert wie die Gemeindeordnung. Mit sogenannten „Demokratisierungs-Novellen“ wurden insbesondere die Minderheitenrechte in den kommunalen Gremien gestärkt.

Im Zuge der Änderung der Gemeindeordnung vom 28.10.2015 verfolgte die Landesregierung das erklärte Ziel, die bürgerschaftlichen Mitwirkungsrechte zu stärken. So wurden der Personenkreis der möglichen Antragsteller erweitert und die Quoren für Einwohnerantrag, Einwohnerversammlung und Bürgerentscheid abgesenkt. Damit wollte der Gesetzgeber anerkennen, dass über die gewählten Vertreter der kommunalen Gremien hinaus Bürgerinnen und Bürger basisorientiert in verschiedensten Arbeitskreisen zusammenarbeiten, Vorschläge zu allen Fragen der kommunalen Daseinsvorsorge erarbeiten und den kommunalen Organen zur Entscheidung vorlegen können.

Wie nicht zuletzt auch die Evaluation der Gemeindeordnung im Jahr 2020 veranschaulicht hat, werden informelle Methoden der Bürgerbeteiligung von den kreisangehörigen Städten und Gemeinden in Baden-Württemberg allerdings schon lange gelebt und selbstverständlich praktiziert. Dazu zählen beispielsweise Formate wie die Bürgerinformation in Einwohnerversammlungen und Einwohnerfragestunden, aber...

Erscheint lt. Verlag 23.5.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Recht / Steuern Öffentliches Recht
ISBN-10 3-415-07548-6 / 3415075486
ISBN-13 978-3-415-07548-1 / 9783415075481
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 3,8 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich

von Dieter Krimphove; Markus Weck

eBook Download (2023)
Kohlhammer Verlag
22,99
Eine gesellschaftspolitische und volkswirtschaftliche Analyse

von Michael Schäfer

eBook Download (2024)
Springer Fachmedien Wiesbaden (Verlag)
46,99

von Dieter Krimphove; Markus Weck

eBook Download (2023)
Kohlhammer Verlag
22,99