Handbuch Äußere Sicherheit (eBook)
274 Seiten
Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG
978-3-415-07592-4 (ISBN)
Al Qaida
Al Qaida (übersetzt: „die Basis“, „das Fundament“) ist ein weltweit operierendes dschihadistisches Netzwerk unterschiedlicher regionaler dschihadistischer Ableger. Erste globale Bekanntheit erlangte Al Qaida mit dem Anschlag auf das World Trade Center 1993. Der Bombenanschlag am 26. Februar 1993 tötete sechs Personen und verletzte mehr als 1000 Menschen. Dieser Anschlag war der erste islamistische Terroranschlag auf dem Territorium der USA. Spätestens die dschihadistischen Anschläge am 11. September 2001 in New York und Washington D. C. verdeutlichten der Welt, vor allem der „westlichen Welt“, das terroristische Bedrohungspotenzial, das von der Al Qaida ausgeht. Die beiden Anschläge der Al Qaida auf die US-Botschaften in Nairobi, Kenia, und Daressalam, Tansania, am 7. August 1998 – mit 257 Toten und mehr als 5000 Verletzten – und der Anschlag auf das US-Kriegsschiff USS Cole im jemenitischen Hafen von Aden am 12. Oktober 2000 – ein mit Sprengstoff beladenes Schlauchboot riss ein metergroßes Loch in den Rumpf des Schiffs, 17 US-Soldaten wurden getötet – hatten bereits Jahre zuvor den Sicherheitsbehörden der USA und englischsprachigen Politikwissenschaftlern das Bedrohungspotenzial der Al Qaida verdeutlicht. Spätestens seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 ist die Al Qaida ein Global Player in den Bereichen der Inneren und Äußeren Sicherheit zahlreicher Staaten (Goertz 2022a, S. 174).
Die Al Qaida als dschihadistische Organisation hat ihre Wurzeln in der ersten islamistischen Bewegung, der 1928 in Ägypten gegründeten Muslimbruderschaft. Aus der ägyptischen Muslimbruderschaft entstanden regionale Dschihad-Organisationen, wie beispielsweise die Hamas in Israel/Palästina und der „Islamische Dschihad“ in Ägypten. Zwei Prediger der Muslimbruderschaft mit einer universitären islamisch-theologischen Ausbildung, Dr. Abdullah Azzam und Mohammed Qutb – der Bruder des noch bekannteren Islamisten der ersten Stunde, Sayyid Qutb – hatten seit den 1970er-Jahren Lehrstühle an der König-Abdul-Aziz-Universität in Jiddah, Saudi-Arabien. An der gleichen Universität studierte Osama bin Laden und wie viele seiner Kommilitonen trat auch er der Muslimbruderschaft bei. In den Personen Abdullah Azzam und Mohammed Qutb fand bin Laden Mentoren und Vorbilder. Diese drei Personen stellen eine personelle Brücke von Saudi-Arabien zum Afghanistankrieg der 1980er-Jahre gegen sowjetische Truppen dar. Die Organisation, die Strategien und Taktiken des „afghanischen Dschihad“ der 1980er-Jahre war das Vorbild für die Al Qaida des 20. Jahrhunderts. Zahlreiche weitere regionale Kleinkriege des 20. und frühen 21. Jahrhunderts mit Beteiligung internationaler Dschihadisten wurden von dieser nach dem Vorbild Afghanistans unterwandert und internationalisiert: Bosnien, Tschetschenien, Südostasien, Somalia, ab 2003 der Irak und seit 2011 Syrien (Goertz 2022b, S. 19). Während des Afghanistankrieges, im Krieg gegen sowjetische Truppen, gründete Osama bin Laden den afghanischen Ableger der Al Qaida, der damals nur wenige Hundert Mitglieder hatte. Nach dem Abzug der Sowjettruppen aus Afghanistan bestand das strategische Ziel der Al Qaida darin, militante Islamistenorganisationen in Staaten mit muslimischer Bevölkerung weltweit zu unterstützen bzw. zu beeinflussen (Meier/Kamp/Meyer zum Felde 2021, S. 30).
Das Bundesamt für Verfassungsschutz analysiert aktuell, dass die von Osama bin Laden gegründete Al Qaida ein islamistisches Regime zumindest in den mehrheitlich von Muslimen bewohnten Ländern und darauf aufbauend eine globale Ausdehnung anstrebt. Ihr Kampf gilt sowohl dem „äußeren Feind“ (dem westlichen Einfluss, insbesondere den USA und Israel) als auch dem „inneren Feind“ (sog. unislamischen Regierungen im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika). Al Qaida versteht sich dabei als Avantgarde einer internationalen dschihadistischen Bewegung. Das weltweite Netzwerk von Regionalorganisationen und klandestinen Unterstützerstrukturen besteht – trotz internationalen militärischen und nachrichtendienstlichen Gegenmaßnahmen – seit Jahren fort. Al Qaida und der „Islamische Staat“ konkurrieren um den Einfluss und die Deutungshoheit bei Dschihadisten weltweit (BMI 2021, S. 232; Goertz 2022a, S. 176).
Die Al Qaida und der „Islamische Staat“ waren und sind die dschihadistischen Großorganisationen, die sowohl in arabischen, asiatischen und afrikanischen Staaten als auch in der demokratischen, westlichen Welt operieren und über Tausende Unterstützer verfügen. Die Al Qaida entwickelte sich nach dem 11. September 2001 als Reaktion auf die staatlichen Gegenmaßnahmen von einer hierarchisch geführten Organisation zu einem System aus Zellen und Einzeltätern. Der „Islamische Staat“ entwickelte sich wiederum aus einer Nachfolge-Organisation der Al Qaida zunächst zu einer dschihadistischen Organisation, dann zu einer Guerilla mit paramilitärischen Fähigkeiten im Irak – danach ebenfalls in Syrien – und existierte ab Juni 2014 als Neo-Kalifat und Quasi-Staat. Die militärischen Niederlagen seit 2016 und verstärkt im Jahr 2017, verbunden mit dem Verlust strategischer Städte, bedeuten allerdings keineswegs das Ende des „Islamischen Staats“ als dschihadistischer Großorganisation, sondern haben im Umkehrschluss eine Intensivierung der terroristischen Strategien und Taktiken sowohl in der „islamischen“ als auch in der westlichen Welt zur Folge. Auch auf der Ebene eines Neo-Kalifats ist mittelfristig keinesfalls ausgeschlossen, dass der IS weiterhin über Territorien und Menschen regieren wird (Goertz 2022a, S. 176–177).
Das Internet-Magazin der Al Qaida ist INSPIRE. Erschienen sind dort u. a.:
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- INSPIRE Issue No. 1 „The Schools of Jihad“
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- INSPIRE Issue No. 2 „The Open Fronts and the Individual Initiative“
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- INSPIRE Issue No. 4 „The Military Theory of Open Fronts“
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- INSPIRE Issue No. 5 „Individual Terrorism Jihad and the Global Islamic Resistance Units“
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- INSPIRE Issue No. 6 „Practical Steps for Partaking in Individual Jihad“
Dort wird auf einer taktisch-operativen Ebene eine Dezentralisierung und Individualisierung des Dschihad als neuem Dschihad propagiert (Goertz 2021, S. 37).
In Afghanistan feierte das Bündnis der Taliban und der Al Qaida mit dem Rückzug der NATO und anderer Truppen im August 2021 und der zweiten Machtübernahme der Taliban in Afghanistan einen epochalen Sieg (Steinberg 2022, S. 29). Die Taliban und die Al Qaida sind jedoch mit dem afghanischen Ableger des IS, „Provinz Khorasan“, verfeindet. Dieser verübte in den Jahren 2021 und 2022 immer wieder groß angelegte Anschläge mit sehr vielen Toten und Verletzten. Im Nordwesten Syriens übernahm die ehemals mit Al Qaida verbündete Organisation Hai’at Tahrir Al Sham (HTS) 2021 die Kontrolle über Teile der Provinz Idlib und Aleppo.
Aus der (zweiten) Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im August 2021 ergaben sich nach Auffassung der deutschen Sicherheitsbehörden bisher keine direkten Auswirkungen auf die dschihadistische Szene in Deutschland im Sinne einer konkreten Planung dschihadistischer Anschläge. Die Machtübernahme durch die Taliban fand jedoch Eingang in die Propaganda islamistischer sowie dschihadistischer Gruppierungen. Sollten dschihadistische Organisationen, Gruppen und Zellen – allen voran Al Qaida – die Möglichkeit erhalten, in Afghanistan terroristische Aktivitäten gegen westliche Staaten zu planen, werde dies mittel- bis langfristig auch die Gefährdungssituation in Europa beeinflussen, so das Bundesamt für Verfassungsschutz aktuell (BMI 2022, S. 187).
Anfang des Jahres 2022 meldete sich der damalige Al Qaida-Anführer Aiman al-Zawahiri im Rahmen einer Videoreihe zu Wort, in der er unter anderem die „antidschihadistische ideologische Kampagne der arabischen Staaten“ kritisierte. In jener Videoreihe rief er alle islamistischen Gruppierungen, auch den „Islamischen Staat“, dazu auf, sich unter dem Banner des Dschihad und der Scharia zu vereinen. Am 31. Juli 2022 wurde Al-Zawahiri durch einen Drohnenangriff der CIA in Kabul getötet (BMI 2023, S. 199).
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- Bundesnachrichtendienst
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- Central Intelligence Agency (CIA)
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- „Islamischer Staat“ (IS)
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- Mossad
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- NATO
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- USA
Quellen
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- Bundesministerium für Inneres und Heimat (2023): Verfassungsschutzbericht 2022. Berlin (BMI 2023).
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- Bundesministerium für Inneres und Heimat (2022): Verfassungsschutzbericht 2021. Berlin (BMI 2022).
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- Bundesministerium für Inneres, Bau und Heimat (2021): Verfassungsschutzbericht 2020. Berlin (BMI 2021).
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- Goertz, Stefan (2022a): Extremismus und Sicherheitspolitik. Studienkurs für die Polizei und die Verfassungsschutzbehörden. Wiesbaden
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- Goertz, Stefan (2022b): Al Qaida. Innere Sicherheit von A bis Z. Die wichtigsten Begriffe für Studium und Ausbildung. Stuttgart, S. 18–22.
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- Goertz, Stefan (2021): Der neue Terrorismus. Neue Akteure, Strategien, Taktiken und Mittel. 2. Auflage. Wiesbaden.
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- Meier, Ernst-Christoph/Kamp, Karl-Heinz/Meyer zum Felde, Rainer (2021): Wörterbuch zur Sicherheitspolitik. Abrüstung und Rüstungskontrolle. Hamburg, S. 30–31.
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- Steinberg, Guido (2022): Transnationaler Terrorismus. In: Informationen zur politischen Bildung. Internationale...
Erscheint lt. Verlag | 16.4.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Recht / Steuern ► Öffentliches Recht |
ISBN-10 | 3-415-07592-3 / 3415075923 |
ISBN-13 | 978-3-415-07592-4 / 9783415075924 |
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