Das Abstandsflächenrecht in Bayern -  Franz Dirnberger

Das Abstandsflächenrecht in Bayern (eBook)

Systematische Darstellung mit detaillierten Abbildungen
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
156 Seiten
Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG
978-3-415-07564-1 (ISBN)
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Umfassende Darstellung In Art. 6 der Bayerischen Bauordnung (BayBO) sind die Abstandsflächen und Abstände von Gebäuden und Anlagen mit gebäudegleicher Wirkung geregelt. Die Vorschrift wird in diesem Leitfaden detailliert und mit zahlreichen Abbildungen erläutert. Das erste Kapitel enthält eine grundlagenorientierte Einführung, das letzte Kapitel geht auf Abweichungen von den Abstandsflächenvorschriften nach Art. 63 BayBO ein. Auf aktuellem Stand Die 4. Auflage berücksichtigt insbesondere die Bauordnungsnovelle 2021. Sie hat die Vorschriften des Abstandsflächenrechts grundlegend verändert und beinhaltet u.a. die nahezu vollständige Übernahme des Modells der Musterbauordnung (MBO). Die Sonderregelung für Städte mit über 250.000 Einwohnern, für die weiterhin das alte Recht gilt, wird dabei ebenso erläutert wie die neu ins Gesetz aufgenommene abstandsflächenrechtliche Privilegierung von Maßnahmen zum Zweck der Energieeinsparung. Darüber hinaus geht der Autor ausführlich auf die umfangreiche jüngere Rechtsprechung zum Abstandsflächenrecht ein. Inklusive Formular und Vorschriftentext Das amtliche Formular zur Abstandsflächenübernahme und der Wortlaut des Art. 6 BayBO sind mit abgedruckt. Besonders empfehlenswert für alle am Bau Beteiligten, Bauherren, Planer, Sachverständige, Baubehörden, Nachbarn.

A.Einführung


I.Eine – äußerst – kurze Geschichte der Abstandsflächen


1

Seit die Menschen bauen, stellen sie Regeln dafür auf. Spuren baurechtlicher und sogar bauordnungsrechtlicher Vorschriften finden sich bereits in der möglicherweise ältesten Gesetzessammlung der Menschheit, nämlich dem Codex Hammurapi, der um das Jahr 1700 v. Chr. entstanden ist. Dort sind die – allerdings vergleichsweise drastischen – Folgen geschildert, mit denen ein Baumeister – heute würde man ihn wohl Unternehmer im Sinne des Art. 52 BayBO nennen – konfrontiert wurde, wenn er seine Aufgabe nicht ordentlich erledigt hatte:

§ 229

Wenn ein Baumeister einem Bürger ein Haus baut, aber seine Arbeit nicht auf solide Weise ausführt, sodass das Haus, das er gebaut hat, einstürzt und er den Tod des Eigentümers des Hauses herbeiführt, so wird dieser Baumeister getötet.

§ 230

Wenn er den Tod eines Sohnes des Eigentümers des Hauses herbeiführt, so soll man einen Sohn des Baumeisters töten.

2

Regelungen über die Abstandsflächen kennt der Codex Hammurapi zugegebenermaßen noch nicht. Über die Gründe mag man spekulieren. Dieser Rechtsbereich taucht erst gut tausend Jahre später in der Geschichte auf, nämlich in den römischen Zwölftafelgesetzen aus dem 5. Jahrhundert v. Chr.. Die zwölf Tafeln sind zwar offenbar nicht lang nach ihrer Herstellung bei einem Überfall der Gallier 387 v. Chr. wieder zerstört worden; ihre Regelungen sind uns aber zumindest fragmentarisch über Zitate römischer Schriftsteller überliefert. Sie blieben im Prinzip während der gesamten römischen Zeit in Geltung und haben teilweise auch Eingang in unser Rechtssystem gefunden.

3

Zu den Abstandsflächen kann man unter anderem – es gibt daneben Spezialvorschriften für Mauern oder für Abstandsflächen zu Leichenbrandstätten – folgende Bestimmung lesen:

TABULA VII, 1

XII tabularum interpretes ambitum parietis circuitum esse describunt (Varr., de ling. lat. 5, 22); … Ambitus … dicitur circuitus aedificiorum patens … pedes duos et semissem (Festus P. 5); … Sestertius duos asses et semissem (valet), … lex … XII tabularum argumento est, in qua duo pedes et semis „sestertius pes“ vocatur (Maecianus, assis distr. 46).[1]

4

Dies bedeutet nichts anderes, als dass im alten Rom eine Abstandsfläche von 2 ½ Fuß gefordert wurde, was in etwa einer Tiefe von 75 cm entspricht. Im Vergleich zu heutigem Standard – in Bayern immer noch grundsätzlich 0,4 H, mindestens 3 m – erscheint dies wenig. Man darf allerdings nicht vergessen, dass römische Wohnhäuser regelmäßig im Atriumstil errichtet wurden und immerhin von der Privilegierung des durch die Novelle 2008 eingefügten Art. 6 Abs. 3 Nr. 2 BayBO für fremder Sicht entzogene Gartenhöfe hätten profitieren können.

5

Der geneigte Leser muss jetzt nicht befürchten, im Folgenden eine Darstellung der Geschichte des Abstandsflächenrechts bis in die Neuzeit ertragen zu müssen; die historische Reminiszenz sollte lediglich die Wichtigkeit unterstreichen, die dieses Rechtsgebiet seit je besitzt. Wir lassen also rund 2400 Jahre unkommentiert und stoßen auf die neue Musterbauordnung, die seit 1999 auf bayerische Initiative und unter bayerischer Federführung überarbeitet und von der Bauministerkonferenz der Länder (ARGEBAU) im November 2002 einstimmig beschlossen worden ist. Die Überarbeitung der Musterbauordnung war deshalb erforderlich geworden, weil sich gerade in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts die Länderbauordnungen namentlich im Verfahrensbereich auseinanderentwickelt hatten und eine Wiedervereinheitlichung dringend notwendig erschien. Erklärtes Ziel der Musterbauordnung war es dabei, im Bereich des materiellen Rechts einen einheitlichen Standard zu schaffen, der allerdings das jeweils niedrigste Niveau der real existierenden Bauordnungen aufnehmen sollte.

6

Die Musterbauordnung (MBO) hat in Ansehung der bereits seinerzeit in Hessen, in Rheinland-Pfalz und im Saarland geltenden Regelungen die Regelabstandsflächentiefe auf 0,4 H zurückgeführt und damit das Abstandsflächenrecht auf ausschließlich bauordnungsrechtliche Zielsetzungen beschränkt. Zugleich entfiel eine Vielzahl von – auch deshalb – überflüssigen Detailregelungen. Da die Bestimmungen über die Abstandsflächen nicht mehr zum Prüfumfang des vereinfachten Verfahrens gehört, mussten alle Ausnahmen gestrichen werden, bei denen die Bauaufsichtsbehörde eine Ermessensentscheidung zu treffen hatte. Schließlich musste aus eben diesem Grund die Vorschrift so einfach wie möglich ausgestaltet und vor allem von interpretationsbedürftigen unbestimmten Rechtsbegriffen entschlackt werden. Im Jahre 2012 wurde § 6 MBO nochmals geändert und vor allem – nach bayerischem Vorbild – das Verhältnis von Abstandsflächenrecht zum Planungsrecht zugunsten des Planungsrechts verschoben.[2]

7

Die anfangs der 2000er-Jahre gefasste Absicht, das Abstandsflächenrecht der Musterbauordnung auch in Bayern einzuführen, stieß auf heftigen Widerstand insbesondere der kommunalen Spitzenverbände. Sie befürchteten, dass die Vorschrift zu einer baulichen Verdichtung führen würde, die nur über erheblichen bauleitplanerischen Aufwand in geordnete Bahnen gelenkt werden könnte. Dieser Kritik hat sich der Gesetzgeber seinerzeit schließlich gebeugt und im Rahmen der großen Novellierung der Bauordnung im Jahre 2008 die grundsätzliche Tiefe 1 H nebst 16-m-Privileg beibehalten.

8

Gut zehn Jahre später wurde ein neuer Anlauf zur Übernahme der Musterbauordnung in das bayerische Bauordnungsrecht – und nunmehr erfolgreich – unternommen. Mit der vom Landtag beschlossenen Bauordnungsnovelle 2020 (Gesetz zur Vereinfachung baurechtlicher Regelungen und zur Beschleunigung sowie Förderung des Wohnungsbaus)[3] hat der Gesetzgeber die Vorschriften der MBO weitgehend in das bayerische Landesrecht überführt und so die Vorschriften des Abstandsflächenrechts den Regelungen aller anderen Bundesländer angepasst. Eine Ausnahme davon sieht das Gesetz allerdings gemäß Art. 6 Abs. 5a BayBO für Städte mit mehr als 250.000 Einwohnern vor, die im Prinzip das alte System behalten, es sei denn, sie führen das neue System über eine örtliche Bauvorschrift nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 6 b BayBO herbei. Nur in München und Augsburg gilt also zumindest im Grundsatz ein anderes Abstandsflächenrecht als im übrigen Bayern und im Rest von Deutschland; denn Nürnberg hatte das neue Abstandsflächenrecht flächendeckend schon über eine Satzung eingeführt gehabt.

Es ist an dieser Stelle müßig, die rechtspolitischen Argumente nochmals auszutauschen, die für die Beibehaltung des alten Systems gesprochen hätten (und 2008 auch dazu geführt haben), sowie die Gründe, die für eine Neuordnung der Abstandsflächen im Sinne der MBO streiten, ein weiteres Mal darzustellen. Fraglos sind die neuen Vorschriften – insbesondere wegen des Wegfalls des 16-m-Privilegs und der Anrechnungsregelungen für Giebelflächen – in der Anwendung erheblich einfacher. Und durch die grundsätzliche Verkürzung der Gebäudeabstände werden flächensparendes Bauen und die Verdichtung bereits bebauter Areale erleichtert, also letztlich auch der Wohnungsbau vorangebracht. Warum diese Argumente aber beispielsweise in Augsburg anders zu bewerten sind als in Regensburg, Erlangen oder auch kleineren und mittleren Städten, bleibt das Geheimnis des Gesetzgebers. Schwieriger wird es jedenfalls für die Gemeinden, innerorts Freiflächen, die übrigens auch für das Kleinklima von entscheidender Bedeutung sind, zu erhalten.

Wesentlich für die Novelle des Abstandsflächenrechts 2020 sind zwei Neuerungen:

Die Regelabstandsflächentiefen werden gegenüber dem früheren Rechtszustand deutlich verringert. Die Tiefe beträgt nunmehr 0,4 H, in Gewerbe- und Industriegebieten 0,2 H; die Mindestabstandsflächentiefe von 3 m bleibt erhalten. Das Schmalseitenprivileg entfällt – konsequent – ersatzlos.
Die bisherige – sehr komplizierte – Anrechnungsregel für Giebelflächen wird gestrichen. Die Giebelflächen werden als Außenwandteil behandelt. Die Form der Abstandsfläche vor der Giebelseite eines Gebäudes ist damit nicht mehr notwendig rechteckig, sondern entspricht in ihrer Form (wegen Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO gestaucht) der Form des Giebels.

II.Zwecksetzungen der Abstandsflächen


9

Abstandsflächen sollten und sollen einer Vielzahl von Zwecken dienen. Zunächst wird durch Abstände zwischen Gebäuden dafür gesorgt, dass die darin befindlichen Räume ausreichend belichtet, besonnt und belüftet werden. Diese ursprüngliche, insbesondere durch Erwägungen des Gesundheitsschutzes begründete Zielsetzung von Abstandsflächen mag den modernen Erkenntnissen nicht mehr in vollem Umfang entsprechen. Vor allem der hygienische Aspekt der Abstandsflächen ist sicherlich in den Hintergrund gerückt. Gleichwohl haben genügend Tageslicht, Besonnung und Belüftung erhebliche Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden und somit auch auf die Gesundheit der in den Gebäuden wohnenden und arbeitenden Menschen.[4] Der – etwas überkommene – Begriff der Besonnung hat im Übrigen keine über den Begriff der Belichtung hinausgehende eigenständige Bedeutung.[5]

10

Diese Überlegung führt im Übrigen zu einem weiteren Zweck der Abstandsflächen,...

Erscheint lt. Verlag 9.4.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Recht / Steuern Öffentliches Recht
ISBN-10 3-415-07564-8 / 3415075648
ISBN-13 978-3-415-07564-1 / 9783415075641
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