In guten und in bösen Tagen (eBook)

Meine Ehe zwischen Liebe und Gewalt
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
272 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99352-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

In guten und in bösen Tagen -  Kelly Sundberg
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Wie geht man damit um, wenn die Gewalt langsam in eine Beziehung kriecht und sie dann mit ganzer Macht beherrscht? Warum bleiben Frauen allzu oft bei ihren gewalttätigen Männern? Wie kommt es zu der Spirale aus Liebe und Gewalt - und wie kann man sie durchbrechen? Kelly Sundberg wurde selbst von ihrem Mann Caleb geschlagen; trotzdem liebte sie ihn aufrichtig und schwieg viel zu lange über ihr Leid. Nun will sie mit ihrer Geschichte Antworten auf diese Fragen geben. Schonungslos ehrlich, berührend und aufrüttelnd berichtet sie von ihrer Ehe zwischen Glück und Angst, zwischen Liebe und Gewalt, erzählt, was der Entschluss, Caleb zu verlassen, auslöste, und zeigt, dass die Problematik von häuslicher Gewalt viel komplexer ist, als wir ahnen.

Kelly Sundberg studierte Literaturwissenschaft und kreatives Schreiben, lehrt an der Ohio University und tritt in Amerika als Aktivistin gegen häusliche Gewalt auf. Ihr Essay »It will look like a sunset«, in dem sie offen über ihre eigenen Erfahrungen mit häuslicher Gewalt spricht und auf dem dieses Buch basiert, hat großes Aufsehen erregt.

Kelly Sundberg studierte Literaturwissenschaft und kreatives Schreiben, lehrt an der Ohio University und tritt in Amerika als Aktivistin gegen häusliche Gewalt auf. Ihr Essay "It will look like a sunset", in dem sie offen über ihre eigenen Erfahrungen mit häuslicher Gewalt spricht und auf dem dieses Buch basiert, hat großes Aufsehen erregt.

Prolog


In einer Stadt auf einem Hügel, in einem Staat voll abgesägter Berge, in dem sich matschige Straßen an verdreckten Flüssen entlangschlängelten, metallische Ablagerungen im Wasser glänzten wie stählerne Regenbogen und das gedämpfte Sonnenlicht durch schattige Bäume fiel, lebte einmal ein Archivar. Sein Job war das Erinnern.

Mein Job war das Vergessen.

Auf seinem Handy hatte mein Mann Caleb, der Archivar, eine Sammlung von Selbstporträts. Jedes sah gleich aus, nur seine Kleidung, seine Gesichtsbehaarung oder der Hintergrund wechselten. Auf einem Bild stand er im karierten Hemd vor unserem Bücherregal, seine unnachgiebigen Augen blickten fest in die Kamera, und sein langer, aber säuberlich gestutzter Bart verdeckte seine finstere Miene. Auf einem anderen Bild saß er auf dem Sofa vor dem Wohnzimmerfenster. Er trug ein blaues Kapuzenshirt, und sein Gesicht war glatt rasiert, aber der Blick war der gleiche. Unnachgiebig. Undurchdringlich.

Abends kuschelten wir uns auf dem Sofa aneinander, ich legte ihm den Kopf auf die Schulter, und wir zogen uns eine Decke über die Beine. Er scrollte Dutzende von diesen Fotos

durch. »Wozu machst du die alle?«, fragte ich ihn.

»Ich stelle mir vor, das wird mein Autorenfoto«, sagte er. »Da möchte ich ernst aussehen.«

Ich fand sein Verhalten seltsam, aber er hatte oft solche unerklärlichen Anwandlungen. Ich lachte, griff mir das Telefon und scrollte die Bilder alle durch. »Sehen eher aus wie Verbrecherfotos«, meinte ich und warf ihm das Handy wieder auf den Schoß.

Später erzählte er mir die Wahrheit. Er machte die Fotos als Dokumentation. Er machte sie, um sein Elend zu dokumentieren. Und seine Schande.

 

In Morgantown, der College-Stadt in West Virginia, in der wir lebten, gab es ein zwölfstöckiges Studentenwohnheim namens »Summit Hall«: ein steriler Kasten aus Metall und Fenstern. In diesem Kasten lebten achtzehn- bis zweiundzwanzigjährige Kids. In aufeinandergestapelten Zimmern nahmen sie Drogen, verloren ihre Jungfräulichkeit, lernten für ihre Prüfungen, weinten aus Heimweh nach ihren Müttern, schliefen an den langen Tagen und feierten die kurzen Nächte durch. Es war ein beherrschtes Chaos aus Hochstimmung, Experimentierfreudigkeit, Freude und Verlust.

Unter all diesen Zimmern, im ersten Stock, lag ein Apartment – ein schöner Käfig – mit polierten Parkettböden, Chromhängelampen und Ledermöbeln. Das Apartment war für eine Familie gedacht, die »auf dem Gelände wohnenden Fakultätsbetreuer«, oder, wie ich uns gerne nannte, »Studi-Mom und Dad«. In diesem Apartment wohnte ich seit vier Monaten mit Caleb, der seit acht Jahren mein Mann war, und unserem siebenjährigen Sohn, Reed. In diesem Apartment schliefen mein Mann und ich miteinander, ganz leise, damit uns die Mädchen im Stockwerk über uns nicht hörten. Hier brachte ich unseren kleinen Sohn ins Bett, deckte ihn gut zu und sagte: »Ich liebe dich, mein kleiner Räuber.« Er murmelte »Ich lieb dich auch« und schloss die Augen vor der dunklen Nacht.

Ich machte seine Zimmertür zu und ging ins Nebenzimmer zu Caleb. Dann lehnte ich mich an seinen Brustkorb und sagte: »Ich liebe dich auch.« Er schaute auf mich herunter, lächelte und küsste mich.

Unser Sohn war sehr stolz darauf, in einem Studentenwohnheim zu leben. Keiner von seinen Freunden durfte in ein Gebäude voller College-Studenten marschieren, die allesamt einen Narren an ihm gefressen hatten. Jeder, der unseren Sohn kennenlernte – ein goldiger, intelligenter und lustiger Junge mit Superhelden-Fixierung –, verliebte sich in ihn, und die College-Studenten waren keine Ausnahme. Auf seiner Geburtstagsfeier wurde er mit Geschenken überschüttet: Pokémon-Karten von den achtzehnjährigen Jungs, die selbst noch auf Pokémon standen, und Brettspiele von den Mädchen, die alle zu uns kommen und mit ihm spielen wollten.

Wenn er in der Schule ein Bild von seinem Zuhause malen sollte, malte er ein Bild vom Studentenwohnheim, obwohl wir den Großteil seiner Kindheit in einem kleinen Haus am anderen Ende der Stadt verbracht hatten. Er malte ein großes Rechteck, das er mit lauter quadratischen Fenstern ausfüllte. Vor dem Gebäude standen Reed, Caleb, unsere zwei Hunde und ich. Ganz unten auf das Blatt schrieb er: »Willkommen in Summit Hall!« Auf dem Bild lächeln wir alle, sogar die Hunde.

 

Am Tag von Reeds Geburtstagsparty heftete ich ein blaues Band an sein Kostüm, auf dem »GEBURTSTAGSKIND!« stand. Ich dekorierte die Wohnung mit Luftschlangen, Konfetti und einer zirkusartigen Popcorn-Maschine. Ich stellte rot-weiß-gestreifte Popcorn-Behälter daneben, die genauso aussahen wie die, die man im Kino bekommt, backte ein Dutzend Cupcakes, füllte Schalen mit allen möglichen Süßigkeiten und verteilte Hinweise im Studentenwohnheim für eine riesige Schnitzeljagd durchs ganze Gebäude.

Am Morgen kam ich irgendwie nicht richtig in Schwung, obwohl ich diese ganzen Erledigungen noch auf der Liste hatte. Irgendwie ahnte ich, dass es ein schlechter Tag werden würde. Ich zog mich langsam an und hätte am liebsten gar nicht die Sicherheit meines Schlafzimmers verlassen, aber ich konnte ja nicht dort bleiben. Am Vorabend hatten wir die Wohnung geputzt, nur das große Bad musste ich noch machen. Ich goss mir eine Tasse Kaffee ein, dann ging ich ins Bad und begann rasch die Ablagen abzuschrubben. Caleb stellte sich in die Tür. Schaute mich an. Ich schaute ihn nicht an. Schrubbte einfach weiter.

»Kannst du mir wohl die Toilettenbürste aus dem anderen Bad holen?«, fragte ich, ohne aufzublicken.

Er ging, kam mit der Toilettenbürste zurück, kniete sich neben die Toilette und fing an zu schrubben, wobei er die Bürste in wütenden Bewegungen vor und zurück bewegte.

»Du brauchst das nicht zu machen«, sagte ich. »Lass sie einfach da, ich mach das dann schon.«

Er nahm die Bürste und knallte sie an die Wand, das Wasser aus der Toilette spritzte über den ganzen Boden. Ich zuckte zusammen. Die Hunde, die uns normalerweise von Zimmer zu Zimmer folgten, schlichen hinaus und ins Kinderzimmer. Caleb wandte sich zu mir und schrie: »Ich wusste, dass du das machen würdest! Diese Wohnung ist doch sauber genug. Für dich ist es einfach nie genug!«

Ich legte den Schwamm aus der Hand und rannte hinaus. Ich wusste, was jetzt kam. Meine Therapeutin hatte mir geraten, »die Situation zu verlassen«, wenn er sich so verhielt. Ich nahm meine Schlüssel und mein Handy, aber er kam mir nachgerannt, riss mir das Telefon aus der Hand und schmetterte es an die Wand, sodass es zerbrach. Es war eines von vielen Handys, die er zerbrochen hat. Die Schlüssel hatte ich immer noch in der Hand. Ich schaute zur Tür. Er sah es. Wenn ich es zur Tür hinaus schaffte, konnte ich rennen. Das Wohnheim war über die Ferien geschlossen, aber drei von den Aushilfskräften, die auch im Haus wohnten, waren bis Mittag am Empfang. Vor ihnen würde er mich niemals schlagen.

Wieder schaute ich zur Tür und versuchte, um ihn herumzugehen. Caleb kam mir zuvor, vertrat mir den Weg und breitete die Arme aus. Dann tat ich es. Ich duckte mich unter seinem Arm durch, riss die Tür auf und rannte so schnell ich konnte, hinaus in die Sicherheit.

Allerdings folgte er mir. Er folgte mir, obwohl die Assistenten da waren. Sie standen am Empfang und lächelten, als sie mich sahen, aber dann erstarrten ihre Gesichter. Ich rannte vorbei, und Caleb jagte mich. »Komm zurück!«, schrie er. »Komm zurück, du blöde Schlampe!«

Ich rief den Aushilfen zu: »Ruft die Polizei!«, und dann dachte ich, »Oh Gott, hab ich das gerade wirklich gesagt? Hab ich das wirklich gesagt?«

Sie starrten mich an. »Im Ernst?«, fragte ein junger Mann und streckte zögernd die Hand nach dem Telefon aus. Er konnte nicht recht einschätzen, ob das Ganze ein schlechter Witz war, aber ich hatte keine Zeit mehr, ihm zu antworten, denn ich rannte bereits auf die Eingangshalle zu. Caleb verfolgte mich auf Strümpfen. Wir schafften es bis zur Straße, aber dort blieben wir stehen. Uns wurde beiden bewusst, dass wir jetzt ein Publikum hatten.

Ich sah, dass Caleb mir nun nichts mehr tun würde. Er ließ die Schultern hängen und schaute sich um.

»Jetzt ist es aus und vorbei«, sagte er.

Ich geriet in Panik. »Ich bring das wieder in Ordnung«, sagte ich. »Ich bring das wieder in Ordnung.«

Wir gingen zurück ins Haus, diesmal in den Keller, durch eine andere Tür. Ich weinte: »Ich bring das in Ordnung« und lief die Treppe hoch.

Ich ging zitternd zu den Aushilfen hoch, um mit ihnen zu reden, und begann zu schluchzen.

»Es tut mir leid«, sagte ich. »Er nimmt Medikamente gegen seine Stimmungsschwankungen, und er verträgt sie nicht so gut. Nebenwirkungen.« Das stimmte sogar. »Bitte sagt es niemandem. Ich weiß, ich hab nicht das Recht, euch um so etwas zu bitten, aber bitte erzählt es niemandem.«

Eine von den jungen Frauen nahm mich zärtlich in den Arm. »Natürlich nicht«, sagte sie.

Der junge Mann schaute zu unserem Apartment. »Ist Reed da drin?«, fragte er.

»Ja«, sagte ich.

»Soll ich hochgehen und mich zu ihm setzen?«, fragte er.

»Ja, bitte«, sagte ich.

Ich schloss ihm die Wohnung auf und ging dann wieder hinunter, um Caleb zu suchen. Er stand bei den Getränkeautomaten. Er sah so winzig aus, so verletzlich. Ich konnte nicht glauben, was ich ihm angetan hatte. Ich hatte sein Leben ruiniert. Jetzt würde er garantiert seinen Job verlieren.

»Ich hab es in Ordnung gebracht«, sagte ich. Dann nahm ich ihn in den Arm. Er begann zu weinen und legte mir den Kopf auf die Schulter. Der Stoff meines T-Shirts war innerhalb von Sekunden durchnässt. Er hatte sich mir...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2019
Übersetzer Wibke Kuhn
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Partnerschaft / Sexualität
Recht / Steuern Allgemeines / Lexika
Schlagworte Angst • Bedrohung • Befreiung • Biografie • Buch • Bücher • Ehehölle • Erfahrungen • Gewalt gegen Frauen • Gewalt in der Ehe • Gewalttätiger Partner • Häusliche Gewalt • Hilferuf • Liebe • mein Mann schlägt mich • Memoir • Missbrauch • Misshandlung • Mutter • Opfer • Partnerschaft • Schläge • Starke Frau • starke Frauenfigur • Täter • toxische Beziehung • Wahre GEschichte • Wut
ISBN-10 3-492-99352-4 / 3492993524
ISBN-13 978-3-492-99352-4 / 9783492993524
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