EKG im Kindes- und Jugendalter (eBook)
272 Seiten
Georg Thieme Verlag KG
978-3-13-245812-3 (ISBN)
2 Elektrische Herzachse
M. Gass
2.1 Elektrokardiografische Ableitungen
Heute werden in der Routine die bipolaren Extremitätenableitungen nach Einthoven sowie die unipolaren Extremitätenableitungen nach Goldberger abgeleitet. Bei den Brustwandableitungen hat sich die unipolare Ableitung nach Wilson durchgesetzt. Die bipolare Brustwandableitung nach Nehb sowie die korrigierte orthogonale Ableitung nach Frank werden heute kaum noch benutzt und sind speziellen Fragestellungen vorbehalten.
Mit den genannten Ableitungen lassen sich die Vektoren der elektrischen Erregung im Herzen auf die Frontalebene sowie die Horizontalebene projizieren und in den unterschiedlichen Ableitungen als Potenzialdifferenzen darstellen. Die Extremitätenableitungen bilden den Vektor in der Frontalebene ab, die Brustwandableitungen die Horizontalebene.
Bei den bipolaren Ableitungen nach Einthoven werden die Potenzialdifferenzen zwischen einer Anode und einer Kathode gemessen.
Bei den unipolaren Ableitungen nach Goldberger und Wilson wird die differente Elektrode gegen eine indifferente Sammelelektrode geschaltet, die aus den über hochohmige Widerstände zusammengeschalteten Extremitätenelektroden besteht.
2.1.1 Extremitätenableitungen
2.1.1.1 Bipolare Extremitätenableitungen nach Einthoven
Die Ableitung I wird vom rechten Arm zum linken Arm erfasst. Dabei befinden sich der Minuspol am rechten Arm und der Pluspol am linken Arm ( ▶ Abb. 2.1).
Die Ableitung II wird vom rechten Arm zum linken Bein geschaltet, mit dem Minuspol am rechten Arm und dem Pluspol am linken Bein.
Die Ableitung III erfolgt vom linken Arm als Minuspol zum linken Bein als Pluspol.
Schematisierte Darstellung der Extremitätenableitungen mit elektrischer Polung nach Einthoven.
Abb. 2.1
Die Farbkodierung der EKG-Steckkontakte ist international wie folgt festgelegt:
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rechter Arm: ROT ↘
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linker Arm: GELB → „Ampel“
-
linkes Bein: GRÜN ↗
-
rechtes Bein: SCHWARZ (Erdung)
2.1.1.2 Unipolare Extremitätenableitungen nach Goldberger
Die unipolaren Ableitungen nach Goldberger ergänzen die Einthoven-Extremitätenableitungen in der Frontalebene. Um die hochohmigen Widerstände einer eigenen Indifferenzelektrode zu sparen, werden hierbei die jeweils nicht exponierten Extremitätenelektroden als Indifferenzelektrode zusammengelegt. Die abgeleiteten Potenziale werden so verstärkt und als aVR, aVL und aVF bezeichnet; dabei steht aV für augmented Voltage.
-
aVR entspricht einer differenten Elektrode am rechten Arm. Die indifferente Sammelelektrode wird vom linken Arm und vom linken Bein gebildet ( ▶ Abb. 2.2).
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aVL entspricht einer differenten Elektrode am linken Arm. Die indifferente Sammelelektrode wird vom rechten Arm und vom linken Bein gebildet.
-
aVF entspricht einer differenten Elektrode am linken Bein. Die indifferente Sammelelektrode liegt zwischen linkem und rechtem Arm.
Die Einthoven- und Goldberger-Ableitungen lassen sich im sog. Cabrera-Kreis gemeinsam darstellen ( ▶ Abb. 2.3).
Schaltung der Ableitungen nach Goldberger.
Abb. 2.2
Cabrera-Kreis.
Abb. 2.3 Cabrera-Sektorenkreis zur Bestimmung des Lagetyps. Eingezeichnet sind die den einzelnen Sektoren entsprechenden Lagetypen vom überdrehten Rechts- bis zum überdrehten Linkstyp mit den typischen EKG-Mustern in den Standardableitungen I, II und III.
2.1.2 Brustwandableitungen
2.1.2.1 Unipolare Brustwandableitungen nach Wilson
Mit den Brustwandableitungen werden die Vektoren in horizontaler Richtung erfasst. Es handelt sich um unipolare Ableitungen, bei denen die 3 Extremitätenableitungen zu einer Sammelindifferenzelektrode zusammengefasst werden. Die differenten Elektroden werden dann auf der Brustwand wie folgt platziert ( ▶ Abb. 2.4):
-
V1: 4. Interkostalraum (ICR), rechter Sternalrand
-
V2: 4. ICR, linker Sternalrand
-
V3: zwischen V2 und V4
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V4: 5. ICR, Medioklavikularlinie
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V5: 5. ICR, vordere Axillarlinie
-
V6: 5. ICR, mittlere Axillarlinie
Bei weiblichen Jugendlichen werden die Ableitungen V4–V6 auf die Mamma und nicht unterhalb platziert. Bei entsprechenden Fragestellungen wie z. B. Dextrokardie oder Situs inversus können zusätzliche Ableitungen nach rechts erfolgen. Dabei entspricht V3r der Ableitung V3 nach rechtspräkordial und V4r der Ableitung V4.
Brustwandableitungen nach Wilson.
Abb. 2.4 Gekennzeichnet sind die Ableitungspunkte nach links (Lävokardie) sowie die Ableitungsstellen nach rechts bei Dextrokardie (ICR=Interkostalraum, MCL=Medioklavikularlinie).
2.2 Vektorielle Interpretation der elektrischen Erregungsausbreitung
Grundlage der vektoriellen Interpretation der Erregungsausbreitung im Oberflächen-EKG ist der elektrische Vektor der Einzelmuskelzelle. Die Zelle verhält sich während der Erregung als Dipol. Der elektrische Vektor zeigt dabei vom elektrisch negativen zum elektrisch positiven Anteil der Zelle. Während des Ruhezustands und während der vollständigen Erregung der Zelle besteht kein elektrischer Vektor entlang der Zellachse. Bei der Depolarisation weist der Einzelzellvektor in die positive Richtung, bei der Repolarisation in die negative ( ▶ Abb. 2.5).
Schematische Darstellung des dipolaren Vektors einer Myokardzelle.
Abb. 2.5 Depolarisation und Repolarisation als Grundlage der vektoriellen Betrachtung der elektrischen Erregungsausbreitung des Herzens.
2.2.1 P-Wellen-Vektor
2.2.1.1 Normale Lageanatomie des Herzens
Die elektrische Aktivität des Sinusknotens ist im Oberflächen-EKG nicht darstellbar. Bei normaler Lage und Anatomie des Herzens entspricht der Summationsvektor der Vorhöfe im Sinusrhythmus in etwa dem QRS-Hauptvektor; er ist von kranial nach kaudal gerichtet. Dabei weist der Vektor des rechten Vorhofanteils vom Sinusknoten aus überwiegend nach unten und gering nach rechts. Der Teilvektor des linken Vorhofs ist nach links hinten gerichtet (positive P-Wellen in aVF).
2.2.1.2 Hypertrophie und Dilatation
Bei Hypertrophie oder Dilatation des rechten Vorhofs verläuft die Depolarisation der Vorhöfe nach rechts und unten, was zu einer spitz positiven P-Welle in den Ableitungen II, III und aVF (Frontalebene) sowie in den Ableitungen V1 und V2 (Horizontalebene) führt. Bei Vergrößerung des linken Vorhofs wird der Vorhofsummationsvektor nach links dorsal verschoben. Das Resultat ist ein terminal negativer P-Wellen-Anteil in V1.
2.2.1.3 Atriale Arrhythmien
Bei Arrhythmien mit ektopen atrialen Automatiezentren, die anstelle des Sinusknotens die Vorhoferregung übernehmen, ändert sich der Vorhofsummationsvektor in Abhängigkeit vom Ursprung der Erregung. So weist z. B. bei einem ektopen Zentrum im unteren linken Vorhof der P-Summationsvektor von links nach rechts sowie von kaudal nach kranial. Die P-Welle ist in den Ableitungen I und aVF negativ. Bei retrograder Erregung der Vorhöfe von der Basis des rechten Vorhofs oder vom AV-Knoten aus kehrt sich die normale Erregungsausbreitung um und verläuft in kaudokranialer Richtung. Dies spiegelt sich in negativen P-Wellen in den inferior ausgerichteten Ableitungen II, III und aVF wieder ( ▶ Abb. 2.6).
P-Wellen-Vektor in Abhängigkeit vom Ursprung der Vorhoferregung.
Abb. 2.6
2.2.2 Q-Vektor
Der Q-Vektor gibt überwiegend die vom linken Tawara-Schenkel kommende Erregung des Interventrikularseptums und der linken Papillarmuskel wieder. Wegen der frühzeitigen Abspaltung des linken Tawara-Schenkels kommt es zu einer primären Erregung des Ventrikelseptums von links nach rechts. Dabei steht der Q-Vektor im rechten Winkel zum QRS-Hauptvektor.
2.2.3 R-Zacke
Im Anschluss an die Erregung des Interventrikularseptums werden die Kammern überwiegend von der Herzspitze und den Seitenwänden aus erregt. Das Erregungsmaximum entspricht dem Hauptvektor der „elektrischen Herzachse“ und im...
Erscheint lt. Verlag | 6.11.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie |
ISBN-10 | 3-13-245812-0 / 3132458120 |
ISBN-13 | 978-3-13-245812-3 / 9783132458123 |
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