Risikoadjustierung und individualisierte Medizin (eBook)
248 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-043292-5 (ISBN)
Franz-Josef Fischer ist Niederlassungsleiter Deutschland und Vorsitzender des Verwaltungsrates bei MEDSTAT S.A. Luxemburg. MEDSTAT S.A. wurde 2011 als Tochtergesellschaft einer internationalen Beratungsgesellschaft mit US-amerikanischen Wurzeln in Luxemburg gegründet, um für Gesundheitseinrichtungen und Sozialversicherungen in Europa sowohl inhaltlich wie auch kulturell noch besser präsent sein zu können. Mit Beiträgen von: Franz-Joseph Fischer, Luka Bareis, Utz E. Bartels, Philipp Bornfleth, A. De Wever, Carmen Diker, Nils Dreier, Björn-Ola Fechner, Gerd Gigerenzer, Robin Heber, Helmut Hildebrandt, Ulrich Hoffrage, Jan Kirchhoff, Dirk Knüppel, Anna Levsen, Giulia Mraz, Katrin Rothkopf, Kirsten Steinhausen, Heidrun Sturm, Tim Tenelsen und Ulrich Ziegelmayer.
Franz-Josef Fischer ist Niederlassungsleiter Deutschland und Vorsitzender des Verwaltungsrates bei MEDSTAT S.A. Luxemburg. MEDSTAT S.A. wurde 2011 als Tochtergesellschaft einer internationalen Beratungsgesellschaft mit US-amerikanischen Wurzeln in Luxemburg gegründet, um für Gesundheitseinrichtungen und Sozialversicherungen in Europa sowohl inhaltlich wie auch kulturell noch besser präsent sein zu können. Mit Beiträgen von: Franz-Joseph Fischer, Luka Bareis, Utz E. Bartels, Philipp Bornfleth, A. De Wever, Carmen Diker, Nils Dreier, Björn-Ola Fechner, Gerd Gigerenzer, Robin Heber, Helmut Hildebrandt, Ulrich Hoffrage, Jan Kirchhoff, Dirk Knüppel, Anna Levsen, Giulia Mraz, Katrin Rothkopf, Kirsten Steinhausen, Heidrun Sturm, Tim Tenelsen und Ulrich Ziegelmayer.
Vorwort des Herausgebers
Mit der aktuellen Neuordnung der Krankenhausvergütung in Deutschland wird beispielhaft erkennbar, wie gesundheitspolitische Initiativen und Problemlösungen künftig auf gänzlich veränderte sozioökonomische und demographische Rahmenbedingungen treffen, wobei ein erheblich steigender Informationsbedarf mit einer Thematisierung von wachsender Unsicherheit und bisher eher unterschätzter Komplexität von Entscheidungen einhergeht. Will man neben einer pauschalen Vergütung von stationären Leistungen nun auch den Aufwand für eine an den Morbiditätsrisiken einer Region ausgerichteten Klinikvorhaltung festmachen, so kann eine Vergütung des stationären Sektors nicht länger weitgehend allein auf der Basis der geleisteten Prozeduren weitergeführt werden. Auch die Schließung von »unwirtschaftlichen« Standorten kann unter Risikoaspekten eine wesentlich größere Gefahr für den Versorgungsanspruch einer Region darstellen als ein ökonomischer Verlust der betreffenden Klinik. Letzterer lässt sich durch Anpassung der Vergütungen kompensieren; eine massive Ausdünnung der Klinikstandorte kann mit dem grundgesetzlich verankerten Anspruch auf die »Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse« (Art. 72 GG) mit weitgehend vergleichbarer Lebensqualität in allen ländlichen und urbanen Regionen kollidieren und auch wirtschaftliche Entwicklungsprobleme für ganze Regionen heraufbeschwören. Daher ist die Krankenhausplanung bewusst in die Zuständigkeit der Länder gelegt worden; die Planungen selbst werden künftig aber noch stärker risikoadjustiert erfolgen müssen. Die DRG-Debatte um eine primär ökonomisch gewünschte Fixkostendegression durch Konzentration von Standorten führt hier ohne Betrachtung aller Versorgungsrisiken inkl. eines realistisch erreichbaren Zugangs zur Notfallversorgung nicht weiter.
Eine ähnliche Herausforderung besteht im Bereich der Verlagerung von bisher stationär auf künftig ambulant zu erbringende medizinische Versorgungsleistungen. Für diejenigen, die glauben, die Verlagerung – mehr oder weniger – allein und pauschal auf der Basis der Komplexität der betreffenden Prozeduren entscheiden zu können, droht eine herbe Ernüchterung, wenn erkennbar wird, welche erhebliche Bedeutung die zusätzliche risikobezogene Betrachtung der Morbiditätssituation des individuellen Patienten hat. Kostenträger werden wohl kaum eine ambulante Behandlung durchsetzen können, wenn die patientenindividuelle Risikobeschreibung u. a. auf einen ASA-Score der Ausprägung »4« hinausläuft, auch wenn die in Frage stehende Prozedur allgemein ein sehr überschaubares Risiko hat. Ungeachtet einer deutlichen Verbesserung der IT-Infrastruktur und Datenbereitstellung wird ein sektoral getrenntes System in diesem Kontext immer einem Belegarztsystem unterlegen sein, das deutlich weniger Probleme hat, alle zur Entscheidungsfindung des Arztes unter diversen Risikobedingungen benötigten Informationen zum Aufnahmezeitpunkt tatsächlich bereitzustellen und damit den diagnostischen »Hilfsfaktor« Zeit kompensieren zu können.
Je flexibler Mediziner auf Entscheidungsvorgaben individuell reagieren müssen, desto größer ist der Bedarf an validen und handlungsleitenden risikorelevanten Informationen und entsprechend validen Risikobewertungsoptionen. Auch eine stärker personalisierte Medizin wird daher nur gelingen, wenn wesentlich mehr Informationen über einen Patienten mit erheblich verbesserter Geschwindigkeit und mit validen, international anerkannten Messinstrumenten an den Punkt der Entscheidung gebracht werden können. Dies betrifft im Besonderen auch die Verfügbarkeit aller notwendigen diagnostischen Informationen und möglichst in Echtzeit arbeitende Informationssysteme für die ärztlichen Entscheider.
Die Messung von Verbesserungen im medizinischen Qualitätsmanagement, die Frage nach der Verlagerung stationärer Behandlungen in ein ambulantes Umfeld, die Bewertung einer Klinik hinsichtlich ihrer strategischen Systemrelevanz und der zu Grunde liegenden »Morbiditätslast«, aber auch die Gewinnung belastbarer Daten aus Feldstudien in Ergänzung zur Zulassungssituation eines Arzneimittels sind nur einige Beispiele für Themen, in denen die Adjustierung der medizinischen Risiken, insbesondere nach Mortalitäts- und Komplikationserwartung, Voraussetzung für eine valide und reliable Ergebnisdarstellung ist. Nur was gemessen und auch skaliert werden kann, kann auch verbessert werden. So einfach diese Aussage erscheint, so komplex sind die Fallstricke hinsichtlich einer objektiven Evaluation der getroffenen Aussagen. Das Ende einer allgemein akzeptierten Behauptungskultur im Gesundheitsmanagement ist dort schnell erreicht, wo lediglich Kennzahlen ohne eine zu Grunde liegende Betrachtung der Besonderheiten und Risikofaktoren einer Population kommuniziert werden.
Die Qualität medizinischer Leistungen und Interventionen ist nicht nur für Patienten und Mitglieder eines Sozialversicherungssystems, sondern auch für die handelnden Mediziner, die Pflegeberufe, Interessenverbände im Gesundheitswesen sowie für industrielle Anbieter von Arzneimitteln, diagnostischen Methoden und innovativen Medizinprodukten von stetig wachsender Bedeutung. Insbesondere die Politik muss sich in den nächsten Jahren Herausforderungen im Thema Leistungsumbau (Klinikschließungen und -umwidmungen, Aufbau ambulanter Gesundheitszentren etc.) in ihrer Verantwortung stellen und dies schon sehr zeitnah, da die geburtenstarken Jahrgänge in Deutschland vermehrt in Altersstufen mit einer erhöhten Leistungsinanspruchnahme hineinwachsen. Die Vermittlung und Bewertung von Risiken erfordert dabei nicht nur ein wachsendes Verständnis für statistische Aussagen und deren Limitationen, sondern auch eine neue Kultur einer partizipativen Darstellung ebensolcher Risiken, da zu erwarten ist, dass von Seiten der Patienten und der interessierten Öffentlichkeit Aussagen zur medizinischen Behandlungsqualität und Bewertung von Klinikleistungen nicht mehr länger kritiklos hingenommen werden. Die Ungewissheit in diesen Entscheidungen zu vermindern, ist das Ziel von statistischen Verfahren, zu deren Validierung insbesondere eine bestmögliche Adjustierung der Bezugsgröße gehört, um belastbare, vergleichende Bewertungen überhaupt erst zu ermöglichen. In der Medizin ist es – anders als in den Naturwissenschaften, die das Privileg eines Experimentes unter Ceteribus-Paribus-Bedingungen wahrnehmen können – kaum möglich, ein Urteil in absoluter Gewissheit ohne jegliche Unsicherheit und Risikoeinschätzung zu fällen.
Die möglichst exakte prädiktive Adjustierung medizinischer Risiken ist aber nicht nur für Aussagen in Qualitäts-Benchmarks und in der verbundenen Kommunikation mit der Fach- und Laienöffentlichkeit (u. a. Public Reporting) eine unbedingte Voraussetzung für eine möglichst hohe Reliabilität und Validität medizinisch relevanter Bewertungen, sondern ermöglicht auch im Rahmen von digitalen Versorgungsangeboten auf Basis einer elektronischen Patientenakte den Einstieg in eine weiter individualisierte Behandlungsführung. Damit wird eine wesentlich höhere Wertschöpfung bei fortgesetzt knappen Ressourcen im öffentlichen Gesundheitswesen möglich. Durch eine verbesserte Verknüpfung von evidenzbasierten diagnostischen und therapeutischen Informationen und der Beachtung einer tatsächlichen Relevanz für eine effektive Behandlungsführung innerhalb spezifischer Patientengruppen werden sowohl ressourcenschonende Ansätze unterstützt als auch die weitere Evaluation von Studienergebnissen, die eher unter maximaler Kontrolle des Umfeldes erlangt wurden, im Sinne eines Abgleiches mit sog. »Real-Life-Data« ermöglicht.
Im vorliegenden Band sollen sowohl die theoretische Fundierung und praktische Ausgestaltung von Modellen zur Risikoadjustierung vorgestellt als auch die praktische Umsetzung aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in anschaulichen Beispielen beschrieben werden. Dabei steht der Nutzen für Patienten und Allgemeinheit im Vordergrund. Verbunden damit ist aber auch der Appell des Umdenkens im Bereich von Klinikbewertungen und Ärzteportalen, die sich ihrer wachsenden Verantwortung für potenzielle Fehlurteile und deren Vermeidung in einer öffentlichen Kommunikation stärker bewusst werden müssen. Einer oftmals noch zu beobachtenden nicht »geerdeten« Behauptungskultur im Kontext medizinischer Leistungsbewertungen und Kapazitätsplanungen (Beispiel: »Kleine Kliniken sind eher schlechte Leistungserbringer«) steht damit der richtige Umgang mit Zahlen und Risiken gegenüber. Vieles ist durch neue Verfahren der Studienbewertung und weitergehende Methoden zum größtmöglichen Ausschluss des Zufalls in...
Erscheint lt. Verlag | 11.9.2024 |
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Co-Autor | Luka Bareis, Utz E. Bartels, Philipp Bornfleth, A. De Wever, Carmen Diker, Nils Dreier, Björn-Ola Fechner, Gerd Gigerenzer, Robin Heber, Helmut Hildebrandt, Ulrich Hoffrage, Jan Kirchhoff, Dirk Knüppel, Anna Levsen, Giulia Mraz, Kathrin Rothkopf, Kirsten Steinhausen, Heidrun Sturm, Tim Tenelsen, Ulrich Ziegelmayer |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Allgemeines / Lexika |
Schlagworte | Klinik • Klinik-Management • Krankenhaus • Krankenhaus-Management |
ISBN-10 | 3-17-043292-3 / 3170432923 |
ISBN-13 | 978-3-17-043292-5 / 9783170432925 |
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