Der Liebe nah - Abschied nehmen und trauern -  Rébecca Kunz

Der Liebe nah - Abschied nehmen und trauern (eBook)

Erfahrungen und Erkenntnisse von Fachleuten und Betroffenen
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
256 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-043987-0 (ISBN)
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Der Verlustschmerz gilt als der größtmögliche seelische Schmerz des Menschen. In diesem Buch erzählen 25 Frauen und Männer offen und in berührender Weise, wie sie den Tod eines nahestehenden Menschen erlebt und verarbeitet haben. Wie waren die genauen Umstände? Wie gestaltete sich ggf. eine Begleitung während des Sterbeprozesses? Wie sind diese Menschen mit dem Verlust umgegangen? Was hat ihnen im Trauerprozess geholfen und was nicht? Wir erfahren in diesen tiefgehenden Trauerporträts viel Schmerzliches und manchmal auch Traumatisches. Gleichzeitig jedoch auch viel Inniges, Liebevolles und Lichtes. Zusätzlich zu den Trauerporträts beleuchten u.a. drei Interviews mit Fachleuten verschiedene Perspektiven zu den Themen Abschied nehmen und Trauer. Menschen, die andere in ihren Trauerprozessen begleiten oder ihre eigene Trauerbiografie erforschen möchten, werden inspiriert und fündig - ein Hoffnung machendes Buch über ein anspruchsvolles Thema, welches uns alle betrifft.

Rébecca Kunz ist Biologin und Therapeutin. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Bewusstseinsforschung und Gesundheitsthemen und ist als Seminarleiterin sowie in eigener Praxis bei Bern in der Schweiz tätig.

Rébecca Kunz ist Biologin und Therapeutin. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Bewusstseinsforschung und Gesundheitsthemen und ist als Seminarleiterin sowie in eigener Praxis bei Bern in der Schweiz tätig.

1 Bindung, Trauerprozess und Trauer


Zusammenfassung Kapitel 1

Menschen sind soziale Wesen und verbinden sich naturgemäß mit einigen anderen Menschen sehr tief. Der Verlust eines solchen geliebten Menschen verursacht zuerst einmal große innere Aufruhr. Dieser hohe Stresspegel betäubt anfänglich meist sowohl den Verlustschmerz als auch die Angst vor einer Zukunft ohne diesen Menschen.

Wir können nicht verhindern, dass sich das Leben manchmal schmerzhaft zeigt. Nicht nur körperliche, sondern auch seelische Schmerzen können äußerst weh tun. Der Verlustschmerz gilt als der größte seelische Schmerz. Er ist im Trauerprozess dominant, und es gilt, ihn anzuerkennen und zu würdigen.

Wenn wir den Verlustschmerz vom Basisgefühl Trauer unterscheiden, kann das den Trauerprozess insgesamt positiv beeinflussen. Gefühlte Trauer hilft, einen Verlust allmählich anzunehmen. Die Schmerzen werden weniger.

Trauer ist das Gefühl mit dem größten Tiefgang. Trauer kann uns anderen gegenüber öffnen, jedoch auch uns selbst gegenüber. Trauer hilft, den Verlust zu akzeptieren, uns nicht mehr gegen ihn zu wehren. So können wir uns allmählich für etwas Größeres öffnen. Auf diese Weise kann uns die Trauer mit ihrer Transformationskraft zeigen, dass eine Verbindung zu einem geliebten Menschen in einer ganz neuen, freieren Art auch über den Tod hinaus bestehen bleibt.

1.1 Ans Herz gewachsen


Wir sind soziale Wesen und leben seit jeher in Gemeinschaften, das gibt uns größtmöglichen Schutz und Sicherheit. Zudem lässt uns diese Zugehörigkeit Dinge tun, die wir allein nicht wagen oder schaffen würden. Wir lernen mit- und voneinander, sind kooperativ und helfen uns gegenseitig. Kurz: Wir sind in vielerlei Hinsicht aufeinander angewiesen und verbunden.
Es war zu Urzeiten für ein Individuum der sichere Untergang, wenn es aus der Gemeinschaft ausgestoßen wurde oder verloren ging. Unsere Gene funktionieren noch praktisch gleich wie in der Steinzeit, und der Drang, uns zu verbinden und dazuzugehören, ist tief in unserem Stammhirn angelegt. Umgekehrt schützen und retten wir, wenn wir die Wahl haben, in einer Gefahrensituation zuerst unsere Nächsten. Wie zu Urzeiten erhöht die Verbindung mit anderen Menschen auch heute noch unsere innere Sicherheit und auch heute noch macht uns ein drohender Bindungsverlust sehr viel Angst. Wir wollen die Menschen, mit denen wir eng verbunden sind und die wir lieben, nicht verlieren.

Im Mutterleib sind wir körperlich mit unserer Mutter eng verbunden. Bei der Geburt stellt die Natur alles zur Verfügung, damit diese Verbindung zur Mutter und die der Mutter zu uns weiter anhält. Das ist hormonell gesteuert. Unsere Mutter oder eine andere nahe Bezugsperson, die Zugang zu ihren eigenen Gefühlen und Bedürfnissen hat, kann sich selbst und somit auch uns als Säugling regulieren, denn das können wir aufgrund unseres noch unreifen Hirns noch nicht selbst. Die Mutter geht auch fein abgestimmt auf unsere Bedürfnisse ein. Gefühlte Sicherheit und eine Beheimatung in unserem Körper sind eng daran gekoppelt, ob unser ausgedrücktes Unwohlsein richtig interpretiert wird und unsere unterschiedlichen Bedürfnisse angemessen befriedigt werden. Eine sichere Bindung ist die Folge. Unser Nervensystem reift und wir können im Laufe der Jahre unsere innere Erregung, die bei Gefahr, Unwohlsein oder bei Gefühlen wie z. B. Wut entsteht, immer besser selbst regulieren. Außer wir haben übermäßig Stress – dann brauchen wir uns gegenseitig auch als Erwachsene noch immer zur gegenseitigen Regulation. Das ergibt Sinn.

Vertrauensvolle Kontakte können wir schon im ersten Lebensjahr auch mit ein paar wenigen anderen Menschen erleben. In einer prekären Situation wenden wir uns jedoch für unsere Regulation immer an die Bezugspersonen, mit denen wir am engsten verbunden und die am feinfühligsten sind. Eltern, die kaum Zugang zu ihrem eigenen Körper haben, können uns, und das ist die Kehrseite, wenig Sicherheit und Körperwohlgefühl vermitteln (1).

In der Obhut von nahestehenden, ausgeglichenen und wohlwollenden Bezugspersonen fühlen wir uns sicher und aufgehoben. Mit dieser gesicherten Basis wächst unsere Neugier auf das Leben. Wir entwickeln ein Streben nach Autonomie und erweitern neugierig unseren Radius. Unsere entgegengesetzten Bedürfnisse nach Sicherheit einerseits und Autonomie andererseits sind somit im Gleichgewicht. In dieser Balance können wir uns gemäß unseren Begabungen entfalten. Tiefe, sichere und vertrauensvolle Bindungen geben uns den Boden, auf dem unser Leben gründet.
Wichtig: Das hier Beschriebene ist das Ideal. Es gibt auch ein Gut genug an Fürsorge und elterlicher Feinabstimmung, jedoch auch ein Zuwenig.

Als Kind bauen wir zunächst mit einigen wenigen Bezugspersonen eine vertrauensvolle Bindung auf. Später wählen wir zunehmend selbst, mit wem wir uns tiefer verbinden möchten. Im besten Falle sind das Menschen, die uns guttun, emotional verlässlich sind und uns in unserem Wachstum und unserer Entwicklung stimulieren. So können wir in Einklang mit unseren Grundbedürfnissen aufwachsen und später gemäß dem eigenen Potenzial unsere Begabungen in die Welt tragen. Wir verbinden uns, wie gesagt im Idealfall, mit Menschen aus unserer Familie sowie mit Menschen, mit denen wir uns befreunden. Wir wachsen einander ans Herz und spüren, dass wir diese engen, vertrauten Herzensverbindungen brauchen. Diese brauchen wir ausnahmslos alle. Wir brauchen nicht hunderte, jedoch ein paar wenige Menschen, mit denen wir eng verbunden sind. Das sind unsere Nächsten; mit ihnen teilen wir ganz Persönliches, wir lassen uns gegenseitig an Beglückendem und an Schwierigem teilhaben. Wir vertrauen ihnen und sie vertrauen uns. Wir dürfen so sein, wie wir sind, auch wenn es uns nicht gut geht. Außerhalb des Kreises mit den allernächsten Menschen sind da weitere Freundinnen und Freunde, mit denen wir Nähe erleben. Dazu kommen gute Bekannte, die wir mögen und mit denen wir gemeinsame Hobbys oder konstruktive Arbeitsbeziehungen pflegen. Der Kontakt mit letzteren kann durchaus auch herzlich sein, jedoch sind wir etwas weniger vertraut mit ihnen, und die Kontakte sind eher situationsgebunden. Auch wenn jemand aus dem Kreis unserer Bekannten stirbt, schmerzt uns das. Der Schmerz ist jedoch weniger heftig und die Schmerzphase kürzer, als wenn wir einen Menschen aus unserem inneren oder sogar dem innersten Bindungsradius verlieren.

Nähe mit anderen zu erleben ist seelische Nahrung. Nicht jeder Mensch braucht gleich viel davon, und in unterschiedlichen Stimmungen oder Lebenssituationen ist der Kontaktwunsch und das physische Bedürfnis nach Nähe verschieden. Wichtig für uns alle ist jedoch die Nähe zu uns selbst. So können wir auch mit anderen nährende Nähe, also Intimität, erleben, ohne uns selbst dabei zu verlieren.

Im Kontakt zu einem Menschen, der uns ans Herz gewachsen ist, fühlen wir uns geborgen. Nach einem tiefen Gespräch, einem vertraulichen Austausch sind wir tief genährt. Diese Nahrung und das gegenseitige Vertrauen brauchen wir, damit wir erfüllt leben, uns entwickeln und reifen können. Das heißt nicht, dass wir dabei immer einer Meinung sein müssen mit einem Menschen unseres Vertrauens, sondern wir sind offen und neugierig für neue Sichtweisen über das Du und das Ich. Ganz gemäß der bekannten Aussage des Philosophen Martin Buber, dass der Mensch am Du zum Ich wird.

Das jedenfalls gelingt bevorzugt, wenn wir als Kind sicher gebunden waren und somit ein tragfähiges Fundament in uns tragen. Leider sind etwa 45 % der Menschen in unseren Breitengraden als Kind nicht sicher gebunden. Bei Erwachsenen beträgt der Anteil mit unsicherer Bindung noch immer über 40 % (2). Es liegt auf der Hand: Ein als Kind sicher gebundener Mensch entwickelt einen sicheren Bindungsstil, ein unsicher gebundener Mensch weniger. Die Unsicherheit kann sich verschieden zeigen und ist graduell unterschiedlich. Wie viel oder wie wenig Bindungssicherheit wir als Kind erlebt haben, beeinflusst unsere privaten und beruflichen Beziehungen und, auch wenn ich mich hier wiederhole, ganz wichtig: Sie beeinflusst die Beziehung zu uns selbst! Gerade in einem Trauerprozess kann das von Bedeutung sein. In ▸ Kapitel 3.3 gehe ich näher darauf ein.

Neurologisch gesehen, erlebt unser Hirn im Zusammensein mit eng verbundenen Menschen, die uns Sicherheit, Wohlgefühl und nicht zuletzt Inspiration geben, immer wieder Kohärenz oder Ausgeglichenheit. Manchmal zeigt sich das Leben von der stürmischen Seite und der Alltag läuft sozusagen aus dem Ruder. In solchen Situationen lassen wir unser übererregtes Nervensystem bevorzugt von Menschen unseres Vertrauens beruhigen. Oder umgekehrt: Wir beruhigen sie, die Menschen unseres Vertrauens, wenn sie es brauchen. Das Zauberwort dazu heißt Co-Regulation. Die innerlich weniger erregte Person bietet der übererregten Person ihre innere Ruhe und Ausgeglichenheit an. Das hilft. Das kann zum Beispiel in schlichtem Zuhören oder in einer stillen Umarmung geschehen. Biologisch gesehen wird dabei unser...

Erscheint lt. Verlag 22.11.2023
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Allgemeines / Lexika
Schlagworte Bindung • Psychologie • Spiritualität • Sterben • Trauer • Verlusterfahrungen
ISBN-10 3-17-043987-1 / 3170439871
ISBN-13 978-3-17-043987-0 / 9783170439870
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