Allokation im Gesundheitswesen (eBook)

Lösungsstrategien für eine gerechte Verteilung
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
189 Seiten
UTB (Verlag)
978-3-8463-6009-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Allokation im Gesundheitswesen -  Thomas Stockhausen
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Knappe Mittel richtig verteilen Wie lassen sich Bedarf und Ressourcen miteinander in Einklang bringen und welche Grundsätze müssen bei der Allokation gelten? Thomas Stockhausen wendet sich genau diesen Fragen zu: Er geht auf die ökonomischen Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen ein und skizziert, welche Grundsätze der Gerechtigkeit hier gelten. Vorhandene Allokationsprobleme diskutiert er und behandelt beispielsweise aktuelle Fragen der Triage und der Allokation in der Intensivmedizin. Das Buch richtet sich an Studierende der Gesundheits- und Pflegewissenschaften sowie der Medizin. Es ist ebenso für Praktiker:innen geeignet, die etwa in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen arbeiten oder sich mit gesundheitspolitischen Fragen beschäftigen.

Dr. med. Thomas Stockhausen ist Chirurg, Orthopäde sowie Unfallchirurg und lehrt im Fachbereich 'Gesundheitsökonomie' an der Business School Wiesbaden - Hochschule RheinMain.

Dr. med. Thomas Stockhausen ist Chirurg, Orthopäde sowie Unfallchirurg und lehrt im Fachbereich "Gesundheitsökonomie" an der Business School Wiesbaden – Hochschule RheinMain.

Geleitwort
Prolog
1 Ökonomie
1.1 Ethik und Moral
1.2 Versprechen
1.3 Philosophische Aspekte
1.4 Ungleichheit
1.5 Fürsorge
1.6 Solidarität
1.7 Verteilung
1.8 Pandemie
2 Gerechtigkeit
2.1 Grenzsituationen
2.2 Prinzipienethik
2.3 Trolley-Phänomen
3 Autonomie
3.1 Toleranz
3.2 Fake News
3.3 Aufklärung
3.4 Normen
4 Allokationsproblem
4.1 Knappheit
4.2 Versicherung
4.3 Gesundheitsmarkt
4.4 Impfstoffentwicklung
4.5 Effizienz
4.6 Zweitmeinungsverfahren
4.7 Rationierung
4.8 Rationalisierung
5 Priorisierung
5.1 Erfolgsaussicht
5.2 Rechtsfolge
5.3 Scores
5.4 Transplantation
5.5 Impfung
6 Triage
6.1 Taktische Lage
6.2 Triage
6.3 Genfer Konvention
7 Notfallmedizin
7.1 Massenanfall von Verletzten
7.2 Chancengleichheit
7.3 Notstand
7.4 Nutzen
8 Intensivmedizin
8.1 Kontextfaktoren
8.2 Werte
8.3 Dialog
8.4 Konflikte
8.5 Versorgungsstruktur
9 Rehabilitation
9.1 Sozialmedizinischer Kontext
9.2 Voraussetzungen
9.3 Gesundheitsökonomische Aspekte
9.4 Gesellschaftliche Bedeutung
10 Geriatrie
10.1 Ausgangslage
10.2 Alter
10.3 Gebrechlichkeit
10.4 Versorgungsstruktur
10.5 Ageism
11 Perspektiven
11.1 Ressourcenverteilung
11.2 Morbidität
11.3 Resilienz
11.4 Abwägung
Epilog
Register

1.8 Pandemie


Wissen | Historischer Kontext

 

Wir befinden uns im 14. Jahrhundert der Alten Welt, also jener Zeit, bevor Amerika entdeckt wurde und Europa, Asien und Afrika als Welt zu beschreiben waren. Das Pestbakterium (Yersinia pestis), war zunächst eine Erkrankung der Nagetiere, die sich teilweise auf den Menschen übertrug. Anfangs geschah dies in der Abgeschiedenheit in den Dörfern Himalayas. Dies änderte sich mit der Anbindung an die Seidenstraße. Das Bakterium verbreitete sich sowohl über die Handelswege als auch über die Seewege und gelangte dann im Mittelalter nach Europa. Dabei war die Geschwindigkeit dennoch gering, da sich die Menschen insgesamt nicht so sehr bewegten: sie betrug etwa 2–10 Kilometer pro Tag und breitete sich eher wellenförmig aus. Über die Handelswege verbreitete es sich in alle Abzweigungen und kaum ein Dorf wurde verschont und nagte sich in der schwachen Bevölkerung fest. Die Folgen waren dramatisch. Für Europa wird eine Sterberate von 25 Millionen Menschen eingeschätzt, etwa 50–60 % der seinerzeitigen Bevölkerung. Dem „Schwarzen Tod“ hatte man nicht viel entgegenzusetzen. Faul riechende Winde aus Asien oder Dämpfe aus dem Erdinnern wurden nach der Miasmenlehre als ursächlich angenommen. Auch wurde eine ungünstige Konstellation von Saturn, Jupiter und Mars postuliert. Aderlass, ätherische und aromatische Substanzen waren die therapeutischen Methoden der Zeit.

Gesellschaftlich vollzog sich eine Distanz, selbst die nächsten Angehörigen waren zur Gefahr geworden, wie Giovanni Boccaccio (1313–1375) in seinem Werk Decamerone literarisch beschrieb. Es wurde als Gottesstrafe angesehen und war Nährboden für zahlreiche Verschwörungstheorien. Religiöse und spirituelle Bewegungen entstanden und Prozessionen versuchten die Menschheit von der Geißel zu befreien. Der Pestheilige St. Rochus fand große Verehrung. Da der Tod so nahe war, unterblieb Arbeit im Handwerk und auf dem Feld, was die Verelendung und den Mangel unterstützte. Kirchliche und weltliche Macht verloren an Autorität, der Schuldige war schnell ausgemacht. Judenprogrome wurden ausgeführt; die Brunnen- und Quellenvergifter waren angeklagt, die Katastrophe herbeigeführt zu haben. Adelige wie Klerus griffen je nach eigener Couleur ambivalent ein. Während das Unrecht erkannt wurde, nutzten andere diese Strömungen aus, um die eigenen Interessen von Macht zu verfolgen.

Das postpandemische Zeitalter der Pest war gekennzeichnet durch eine veränderte Nutzbarmachung des Landes, der Aufgabe der Leibeigenschaft und der Mechanisierung manueller Arbeiten. Die Erfindung des Buchdruckes führte zu einer Verbreitung von Wissen und zu einer besseren Bildung. Es folgten später die Aufarbeitung der Antike, der geistigen intellektuellen Befreiung und Neuschaffung eigenen Wissens, was über die Renaissance und den Barock langfristig in die Zeit der Aufklärung führte. Der Handel gewann in der postpandemischen Phase immer mehr an Bedeutung, insbesondere mit dem fernen und mittleren Orient. Vor allem Italien erlangte einen unendlichen Reichtum.

Die Gesellschaft erkennt, dass durch eigenes Handeln und Wirken das Leben verändert werden kann. Die von Gott gegebene Ordnung gibt es nicht mehr, sie erscheint veränderbar. Neue Ideen entwickeln sich aus dem Reichtum des antiken Nachlasses, was wiederentdeckt und neu interpretiert wird. Der Mensch wird zum Maß aller Dinge mit persönlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten.

SARS-CoV-2 bewegt sich in einem komplexen Mobilitätsnetzwerken, da spielt die Geografie keine Rolle mehr. Wer gestern in Hongkong war, ist heute in München und morgen in Los Angeles. Entstammte die sich entwickelnde Pandemie erst aus China, so kam das Virus über Italien nach Europa und auch zügig nach Nordamerika. Sodann erreichte es Südamerika und Indien als auch Russland. Afrika und Australien sind vergleichsweise wenig betroffene Weltregionen. Während in industrialisierten Regionen die Sterberaten erheblich anstiegen, blieb Afrika wohl verschont, wenngleich in den großen Städten des Kontinentes ein großes Gedränge besteht. Armut und eingeschränkte Hygienebedingungen liegen unzweifelhaft vor. Gründe werden angegeben in einer frühen Bereitschaft zu Einschränkung der Mobilität, dies aus Erfahrungen mit Ebola-Virus und Lassa-Fieber zurückgreifend.

Trotzdem muss es andere Faktoren geben, da die Mobilitätseinschränkungen nur begrenzt aufrechtzuerhalten sind. Die meisten Menschen leben im informellen Sektor, Märkte sind beengt und grundlegende gesellschaftliche Hygienemaßnahmen wie die Trinkwasserversorgung und die Abwasserentsorgung mittels Kanalisation existieren auch in den Großstädten nicht flächendeckend. Der Altersdurchschnitt mit 20 Jahren ist auf dem afrikanischen Kontinent deutlich jünger als in den industrialisierten Zonen der Welt. Bei einer Erkrankung, von der Alte und gebrechliche Menschen das höhere Risiko haben, zu sterben, ist dies von Bedeutung. Es wird aber auch die Mikrobiotastruktur auf dem Boden einer erhöhten Biodiversidität diskutiert. Das Immunsystem ist nicht nur durch die Genetik bestimmt. Es unterliegt auch Umwelteinflüssen, wie die Exposition gegenüber Mikroorganismen und Parasiten. Das stärkt die Immunantwort und insbesondere chronische Erkrankungen, wie sie in westlichen Kulturen zu beobachten sind, treten weniger häufig auf. Das könnte den Verlauf der Infektionskrankheit deutlich abmildern. Es sind aber die anderen Folgen zu bedenken, die auf den afrikanischen Kontinent treffen. Die Haupteinnahmequelle von Tourismus und Handeln gehen verloren, was zu niedrigeren Einnahmen und zu niedrigeren Bruttoinlandsprodukten führt. Im Oktober 2020 wurde im Unterausschuss für Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln berichtet, dass man nach Jahrzehnten kontinuierlichen Wachstums die erste ernstzunehmende Rezension erfahre. Die wirtschaftlichen Folgen überwiegen die gesundheitlichen bei Weitem. Armut und Hungersnot verschlimmern sich und führen so zu einer erhöhten Sterberate. Die sozioökonomische Ungleichheit verschärft sich und ist Nährboden für Unruhen. Politisch haben insgesamt autoritäre Tendenzen zugenommen. Wo Korruption bereits ein strukturelles Problem war, hat dies in der Pandemie weiter zugenommen. Es gebe keine genuinen Corona-Konflikte, bestehende Konflikte verschärfen sich.

Die COVID-19-Pandemie trifft die Gesellschaft der Postmoderne. Ausgehend von der angewandten Logik der Wissenschaften werden soziale und historische Aspekte der Wissenschaftsphilosophie integriert und zur inkongruenten Pluralität geführt. Die kürzeste Formel für die Postmoderne erbrachte Paul Feyerabend (1924–1994) mit „Anything goes“. Erfahrungen und Erkenntnisse, die von der Modernisierung selbst produziert und Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung haben, werden hinsichtlich Tradition und Institution in Frage gestellt. Es zeigt sich eine gesellschaftliche und eine damit verbundene individuelle Verunsicherung. Leitplanken und Leitfiguren existieren nicht mehr. Es kommt zu einem Abschied von der Eindeutigkeit in allen gesellschaftlichen und künstlerischen Bereichen. Die Differenz von Arbeit und Privatleben ebnen sich ein und vermischen sich: Arbeiten und Leben greifen ineinander. Es geht nicht um die Beliebigkeit methodischer Regeln, es wird nach dem Sinn der Regel gefragt. Es ist sinnvoll sich an die Regel zu halten, bei einer roten Ampel eines Fußgängerüberweges zu warten. Wenn aber auf der anderen Seite etwas Schlimmes passiert, dann ist diese Beliebigkeit gerechtfertigt auf die andere Straßenseite zu rennen und Hilfe zu geben, wenn von der Seite weit und breit kein Auto kommt. Das ist aber nicht postmodern.

Wissen | Tragik der Postmodernen

 

Wenn die eingleisig-eindeutige Ausrichtung der Forschung durch die (eine) wissenschaftliche Methode modern ist, dann ist diese Aufforderung zur Beliebigkeit sicher postmodern. Dies betrifft den Zweifel an der Aussage, dessen Ausräumung zu einem Wissenszuwachs führt. Die Wissenschaft erfindet im Laufe ihrer Entwicklung immer mehr sich widersprechender Alternativen. Die Welt zeigt sich auf die unterschiedlichsten Weisen, je nach Zugang zu ihr. Die Postmoderne ist kein Buch, sondern eine Collage. Es gibt keine großen Erzählungen mehr, es verbleibt das Kontroverse, die Postmoderne ist in sich selbst kontrovers. Es gibt eine unreduzierbare Vielfalt, die alle wichtig sind.

Der Mensch sucht den Platz in der modernen Welt. Diese Welt ist zu komplex, um sie ganz erfassen zu können und somit findet der Mensch keinen Platz in dieser Welt. Unterschiedliche Gesellschaftssysteme konkurrieren miteinander. Alte Traditionen werden thematisiert. Es gibt keine Helden der Zeit, es gibt nur den Menschen, der keinen Platz für sich in der Welt findet. Die Linearität geht verloren, Realität und Fiktion vermischen sich in einer globalisierten Welt. Hinzu tritt die Digitale Revolution mit erheblichen Veränderungen der Wirtschafts- und Arbeitswelt. Nach der neolithischen Revolution und der industriellen Revolution vollzieht sich ein gesamtgesellschaftlicher Wandel innerhalb weniger Jahrzehnte im globalen Kontext.

Wie ein Brennglas zeigte die COVID-19-Pandemie Schwachstellen der Entwicklung auf, die es zu korrigieren gilt, um den kommenden Anforderungen gerecht zu werden. Der Versuch, das komplexe Thema der Verteilung begrenzter medizinischer Ressourcen gerecht und fair zu verteilen und gesundheitsökonomisch...

Erscheint lt. Verlag 16.10.2023
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Allgemeines / Lexika
Schlagworte AOK • Bedarf • Bundeszuschuss • Corona • Ethische Fragen • Fake News • Genfer Konvention • Gerechtigkeit • Gesetzliche Krankenversicherung • Gesundheit • Gesundheitsmanagement • Gesundheitsmarkt • Gesundheitsministerium • Gesundheitsökonomie • Gesundheitspolitik • Gesundheitssystem • Gesundheitswissenschaften • Impfstoffentwicklung • Infodemie • Intensivmedizin • Jens Spahn • Karl Lauterbach • Knappheit • Krankenhäuser • Krankenkassen • Lehrbuch • Maskenskandal • Medizin • Medizinpraxis • Mittel • Morbidität • Notfallmedizin • Ökonomie • Pandemie • Pflegeeinrichtungen • Pflegekassen • Priorisierung • Private Krankenversicherung • Rehabilitation • Resilienz • Ressourcen • Studium Gesundheitswesen • Taktische Medizin • Transplantation • Triage • Zukunftsperspektiven
ISBN-10 3-8463-6009-0 / 3846360090
ISBN-13 978-3-8463-6009-5 / 9783846360095
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