Die verzauberte Familie (eBook)

Ein tiefenpsychologischer Zeichentest
eBook Download: EPUB
2023 | 6. Auflage
320 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61811-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die verzauberte Familie -  Marta Kos,  Gerd Biermann
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Kindliche Zeichnungen reflektieren häufig die Spannungen, die das Kind in seiner Familie erlebt. Werden Kinder aufgefordert, ihre Familie zu zeichnen, so kann dies helfen, Familienkonstellationen, Bindungen und Störungen zu erkennen. Mit entwicklungspsychologischem Wissen angewandt, ist 'Die verzauberte Familie' ein projektiver Test, der die Hintergründe kindlicher Störungen aufdecken kann. Damit ist er ein wichtiger Bestandteil der Psychodiagnostik des Kindes.

Gerd Biermann (1914-2006), Kinderarzt und Psychotherapeut, war ein Pionier der psychoanalytischen Kinderpsychotherapie.Martha Kos (1919-1989) war als klinische Psychologin, Kindertherapeutin und Lehranalytikerin tätig.

Gerd Biermann (1914-2006), Kinderarzt und Psychotherapeut, war ein Pionier der psychoanalytischen Kinderpsychotherapie.Martha Kos (1919-1989) war als klinische Psychologin, Kindertherapeutin und Lehranalytikerin tätig.

III. Diagnostik

Obwohl seit Jahrzehnten in zahlreichen Erziehungsberatungsstellen (EB- Stellen) und Kliniken Kinder und Jugendliche mit neurotischen und einfachen Verhaltensstörungen vorgestellt und mit den differenzierten Methoden der klinischen Medizin wie der Psychodiagnostik beurteilt werden, fehlt es immer noch an einem einheitlichen, von Psychiatern und Psychotherapeuten anerkannten Diagnosenschema; Symptomenkataloge sind bislang nur ein oft unzureichender Ersatz. Das erschwert eine nachfolgende katamnestische Beurteilung des Behandlungsergebnisses neurotischer Störungen im Kindes- und Jugendalter.

Divergierende Anschauungen der Schulpsychiatrie wie der analytisch orientierten Psychotherapie über die Genese kindlicher Verhaltensstörungen wie allgemein der Neurosen hinderten bislang ein übereinstimmendes Verständnis.

Hinzu kommt, daß die Struktur einer Haltung bzw. Fehlhaltung, im Verlauf der Kinderentwicklung nur in der Minderzahl schon so eindeutig zu erkennen ist, daß sie sich in bestimmte Schemata einteilen läßt. Die Entwicklung zu den relativ klar gegliederten Charakterneurosen des Erwachsenen ist beim Kinde oft erst in unbestimmten, flüchtigen Ansätzen zu erkennen; es sei nur an die Varianz kindlicher Angsterlebnisse erinnert!

Doch bleiben die großen Lebensabschnitte und -krisen von Kind und Jugendlichem durch die Gesetze bestimmt, welche S. Freud und die Psychoanalyse mit ihrem Entwurf der Libidoentwicklung aufgezeigt haben, der durch das Erik- sorc’sche Modell fruchtbar erweitert wurde. Anna Freud hat in einem metapsychologischen Entwicklungsbild die Trieb- und Ich(Uber-Ich)-Entwicklung von Kind und Jugendlichem auf dem Boden der Phasenlehre dargestellt. Es hat sich über seine Aufgabe als Denkmodell auch in der praktischen Arbeit des Erziehungsberaters und Kindertherapeuten bewährt.

Wir haben deshalb auch beide — Phasenlehre und Entwicklungsbild — bei der Auswertung unserer Untersuchungen, zum Aufbau eines Diagnosenschemas, verwandt, indem wir den Ablauf der normalen Entwicklung des Kindes von der oralen, analen und phallischen (ödipalen) Phase bis zur Latenzzeit und Pubertät (bzw. Adoleszenz) verfolgten und jeweils psychische Störungen unserer Patienten diesen zu korrelieren suchten. Sie lassen gerade bei psychosomatischen Reaktionen und Erkrankungen des Kindes typische phasenspezifische Abhängigkeiten erkennen.

Diagnose-Schema

I. Orale Phase

Orale Fixierung / Orale Aggression

Mutter-Kind-Symbiose / Trennungsängste / Infantile Regression Intentionale Störung / Frühverwahrlosung / Verwöhnungs-Verwahrlosung / (anaklitische) Depression / Autismus / Deprivation Schlafstörungen / Jactatio / Rocking / Onanie

Eß-Störungen / Erbrechen / Nabelkoliken / Ulcus / Fettsucht Ekzem

II. Anale Phase

Hemmungen / Sprachstörungen / Mutismus / Kontaktstörungen Tic / psychomotorische Unruhe / Zwänge Enuresis / Enkopresis / Obstipation / Colitis

Asthma bronchiale

III. Phallische Phase

Ödipus-Konflikt (Kastrationsangst, Penisneid)

Hysterie / Aggressivität / Eifersucht

Angstneurose / Tierphobie

Affektstörungen / acetonämisches Erbrechen / Pavor nocturnus / Somnambulismus

IV. Latenzphase

Lernstörungen / Legasthenie / Schulphobie / Schulstören / Schulschwänzen Angstneurose / vegetative Dystonie

Syndrom der Bindungslosigkeit (Lügen, Stehlen, Streunen)

V. Pubertät

Identitätskrise / Suchtverhalten / Suizidversuch / Psychose

Pubertätsmagersucht

Perversionen

Acceleration / vegetative Dystonie (Herzneurose, nerv. Atmungssyndrom) Verwahrlosung / Kriminalität

VI. Primär organische Schäden

Cerebrale Unreife (Entwicklungsrückstand, Debilität)

Cerebralschaden (prae-, peri-, postnatal)

Cerebraler Prozess (Encephalitis, Hirntumor, Epilepsie)

Endokrine Störungen (Zwergwuchs, Riesenwuchs, Hermaphroditismus u. a.)

Mißbildungen

chronische Krankheiten

VII. Soziale Neurosen Trinkerfamilien, broken home

Schizophrene Familien / Kindsmißhandlungsmilieu Scheidungsmilieu / Flüchtlingsmilieu / Ausländerfamilien Zwillingsmilieu

Aktualtraumen (Unfall, Krankenhaus, Sexualtrauma)

So sehr man bestrebt ist, die Anfänge einer derartigen Störung bis zu sogen, psychosomatischen Reaktionsmustern (Hoff und Ringel) in frühester Kindheit zurückzuverfolgen, gelingt dieses bei lediglich diagnostischen Bemühungen — mit der Erhebung der biographischen Anamnese wie psychologischen Testuntersuchungen — nur in der Minderzahl. Es sollte daher die Einordnung diagnostischer Kriterien einer neurotischen bzw. psychosomatischen Störung möglichst in dem Phasenabschnitt erfolgen, in welchem die Fehlreaktion offenkundig wurde und in organspezifischer Korrelation Krankheitswert erhielt. Somit werden die Obstipation, wie die Enkopresis der analen Phase zugeordnet, auch wenn vielleicht bei diesen Kindern schon in der oralen Phase Störungen des Mutter-Kind-Verhältnisses nachzuweisen sind. Das gilt ebenso für die in Kloakenfunktion gleicherweise mit der Enkopresis auftretende Enuresis — als nicht bewältigter sozialer Krise des Kindes in der analen Phase.

1. Orale Phase

Zum gestörten Antriebserleben der oralen Phase gehören die unmittelbar an die Erfahrungserlebnisse der Mundwelt, der »Urhöhle« (René Spitz) gebundenen Empfindungsqualitäten der oralen Fixierung (des Saugens, Daumenlut- schens u. a.), wie im späteren Säuglingsalter der oralen Aggression (primär des mit dem Zahngewinn verbundenen Kauens und Beißens).

Dominierend bleibt in diesem Reifungsabschnitt die enge, lebenserhaltende Dyade von Kind und Mutter, mit der nachfolgenden neurotischen Störung einer Mutter-Kind-Symbiose und Trennungsängsten einerseits, sowie bei fehlender bzw. versagender Mutter intentionale Störungen, Frühverwahrlosung, anaklitische Depression andererseits.

Bei einer engen psychosomatischen Verflechtung in der sogen, »coenaestheti- schen Organisation« (René Spitz) des jungen Säuglings können schon in dieser Frühphase lebensbedrohliche psychosomatische Krisen, der Tod im vegetativen Kollaps (sogen. Ribble/sches Koma) bzw. eines schweren Brechdurchfalles eintreten.

Im Bereich oraler Abhängigkeiten des Verdauungstraktes dominieren entsprechende Störungen, von der Anorexie bzw. dem Säuglingserbrechen über die Nabelkoliken (im Bild der Dreimonatskolik) bis zum Ulcus, dessen Erstma- nifestierung immer häufiger ins Kindesalter vorverlegt wird.

Aber auch bei bestimmten Stoffwechselstörungen bestehen wichtige frühe orale Fixierungen. So hat Hilde Bruch das Fehlverhalten von Müttern adipöser Kinder geschildert, die schon im frühen Säuglingsalter ihre Kinder, bei deren unterschiedlichsten Bedürfnissen jeweils nur mit dem einen Mechanismus, nämlich der Nahrungszufuhr, stillten, d. h. ruhigstellten.

Kontaktstörungen, bis zum Extrem des frühkindlichen Autismus, finden ihr psychosomatisches Korrelat im Säuglingekzem. Stets läßt sich hier ein gestörter Zärtlichkeitsaustausch zwischen Mutter und Kind nachweisen (René Spitz, 210).

2. Anale Phase

Die Phase der Analität führt nach Lösung früher symbiotischen Beziehungen über die soziale Krise der Sauberkeitsgewöhnung zur ersten Auseinandersetzung des Kindes mit der Autorität.

Das gestörte Antriebserleben der analen Phase löst allgemein Hemmungen wie speziell Sprachstörungen (Stottern, Stammeln), weitere Störungen der Motorik, wie Tics und Zwänge, als Abwehrmechanismen aus. Ihr Korrelat im psychosomatischen Bereich sind — neben der Enuresis — die Enkopresis, Obstipation und Colitis (ulcerosa bzw. mucosa). Hierhin rechnet auch das Asthma bronchiale, welches zu diesem Zeitpunkt oft ein erstes Mal manifest wird. Auf den Zusammenhang eines Asthmas mit der mißlungenen Sauberkeitsgewöhnung wurde wiederholt hingewiesen (5). Ein erstes Trotzverhalten der Kinder wird nunmehr deutlich.

3. Phallische Phase

Die phallische Phase stellt einen ersten Höhepunkt der kindlichen Sexualentwicklung dar. Sie ist gleichzeitig durch die ödipalen Beziehungen zu den Eltern geprägt. Kastrationsangst und Penisneid stehen häufig im Hintergrund kindlicher Verhaltensstörungen auf dieser Entwicklungsstufe. Doch lassen sich Angstneurosen, auch auf noch ungelöste symbiotische Mutter-Kind-Beziehun- gen, in Form von Trennungsängsten zurückführen. Das gilt besonders für die Krankenhauseinweisung eines Kleinkindes.

Auf der Basis unbewältigter ödipaler Konflikte werden nunmehr hysterische Verhaltensstörungen fixiert.

Andere Kinder setzen sich aggressiv, im Trotzverhalten gegenüber elterlicher Autorität, zur Wehr. Bewußter werden nun auch Eifersuchtskonflikte gegenüber dem Nächstgeborenen...

Erscheint lt. Verlag 4.9.2023
Co-Autor Günter Haub
Zusatzinfo 127 Abb.
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie
Geisteswissenschaften Psychologie Familien- / Systemische Therapie
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Psychiatrie / Psychotherapie
Schlagworte Familie • Psychodiagnostik • Test • Tiefenpsychologie
ISBN-10 3-497-61811-X / 349761811X
ISBN-13 978-3-497-61811-8 / 9783497618118
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