Ich träumte von einer Bestie (eBook)

Roman | Packende Unterhaltung der SPIEGEL-Bestsellerautorin | Französische Legende um die Bestie von Gévaudan neu erzählt | Mutige weibliche Heldin | Ahnenforschung

*****

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
352 Seiten
Harpercollins (Verlag)
978-3-7499-0551-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ich träumte von einer Bestie -  Nina Blazon
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Fleurs Welt ist das Internet. Dieser Ort bietet ihr im Gegensatz zur realen Welt Geborgenheit. Als Fleur die Wohnung ihrer verhassten französischen Großmutter erbt, wird sie mit ihrer ungeklärten Familiengeschichte konfrontiert. Auf den Spuren ihrer Ahnen reist Fleur nach Frankreich in die Auvergne. Dort stößt sie auf ein dunkles Geheimnis, das bis in die Zeit der Aufklärung zurückreicht. Dabei blickt sie auch einer Bestie ins Gesicht, die das Schicksal ihrer Familie seit Generationen überschattet. Nach dieser Begegnung wird Fleur für immer eine andere sein.



<p>Nina Blazon, geboren 1969, studierte Slawistik und Germanistik in Würzburg und lehrte einige Jahre als Dozentin an den Universitäten in Tübingen und Saarbrücken. Anschließend absolvierte sie ein Redaktionsvolontariat und schrieb unter anderem für die Süddeutsche und die Stuttgarter Zeitung. Die Autorin lebt in Stuttgart, wo sie auch als freie Journalistin und Trainerin für kreatives und therapeutisches Schreiben arbeitet. Nina Blazon ist Autorin zahlreicher Jugendromane, die mehrfach auf der SPIEGEL-Bestsellerliste standen. Zu ihren großen Erfolgen zählen »Faunblut«, »Totenbraut« und »Der Winter der schwarzen Rosen«. Ihr Roman »Liebten wir« wurde von der Presse hymnisch besprochen.</p>

Tag und Nacht


Der Jäger hat schöne Hände. Sie sind glatt und makellos, kein einziges Haar wächst auf den Handrücken. So schmal und feingliedrig, wie sie sind, könnten sie vielleicht sogar die Hände einer Frau sein. Meine Augen haben sich an die Nacht gewöhnt, im Mondlicht erkenne ich jedes Detail. Ich sehe das Eisen des Gewehrlaufs wie dunkles Wasser glänzen und sogar die Silberintarsien in Form von drei Lilien im Holz über dem Abzugsbügel – blank poliert und ebenso mondhell wie die Hände. Nur das Gesicht des Jägers bleibt auch diesmal verborgen. Zu tief kauert er im Mitternachtsschatten einer Tanne. Lediglich ein Innehalten verrät, dass er mich entdeckt hat. Es ist nur eine Verschiebung in den Schatten, die Pause im Atmen, die ich aus der Stille des Waldes deutlich heraushöre, eine Verdichtung der Atmosphäre, in der die Gefahr als Gänsehaut auf meinem Körper fühlbar wird. Ich weiß nicht, warum meine Sinne all das wahrnehmen können, schließlich bin ich kein Tier. Ich bin einfach nur ich.

Unter der Tanne verrät die Ahnung eines Raschelns eine vorsichtige Gewichtsverlagerung. Ich halte den Atem an, spüre die Hitze von Adrenalin in die Muskeln schießen. Der Puls pocht in meinen Armen und in den Fingern, die sich in Moos und Totholz krallen. Über die Lichtung hinweg starrt der Jäger mich an. Ich spüre es. Weiß es. Und höre den Schuss, während ich mich schon herumwerfe und in die Richtung fliehe, aus der ich gekommen bin. Ich warte auf den Schmerz, der mich straucheln und stürzen lässt, doch die erste Kugel hat mich verfehlt. Während ich fliehe, frage ich mich, warum ich mich auf Händen und Füßen durch das Unterholz kämpfe. Ich bin viel schneller, wenn ich mich aufrichte und renne. Es ist Unrecht, flüstert es in mir. Ich bin doch kein Jagdwild. Aber der Mann mit den schönen Händen wird mich jagen, solange noch Atem in mir ist. Der zweite Schuss lässt einen Tannenast bersten. Splitter und Nadeln regnen auf meine nackten Schultern. Harzduft und der beißende Rauchfleischgeruch von verbranntem Schießpulver hüllen mich ein, als ich wieder auf alle viere falle. Und während sich Schritte nähern, starre ich keuchend vor Entsetzen auf meine Hände. Denn es sind nicht länger meine Hände. Sie sind kompakt und fingerlos, dicht mit Fell bedeckt. Wie die Pfoten eines Tieres.

*

»Iris«, flüstert jemand an meinem Ohr. »Iris, wach auf!«

Eine Berührung an meiner Schulter lässt mich heftig zusammenzucken, dann verblasst der Wald zu einer Wand mit weißer Raufasertapete, an der ein zerkratztes Snowboard lehnt. Es riecht nach kalter Pizza und neben mir liegt Simon, auf seinen Ellenbogen aufgestützt, im schmalen Gesicht eine Kissenfalte, die sich quer über seine Wange zieht. Ich bin noch in seiner Wohnung?, denke ich benommen. Und warum ist es hier so hell? Auf dem Regal über dem Bett springen die Ziffern auf dem Radiowecker auf Punkt sieben Uhr. Erschrocken will ich hochfahren, doch auf der Stelle wird mir schwindelig, glühende Mücken verengen mein Sichtfeld und so sacke ich wieder in die Kissen zurück, zittrig und atemlos, als wäre ich immer noch auf der Flucht.

»Hey, langsam.« Simon streicht mir über den Arm. »Das muss ja ein schlimmer Albtraum gewesen sein.«

Ich muss mich räuspern, um sprechen zu können. Immer noch rast mein Herz. »Keine Ahnung, ob es ein Albtraum war.«

»Willst du mir im Ernst erzählen, dass du nichts mehr davon weißt?« Er mustert mich so aufmerksam, dass ich unwillkürlich die Decke bis zum Kinn hochziehe. »Du hast gewimmert und so wild gezuckt, als wäre jemand hinter dir her«, fügt Simon hinzu. »Ehrlich gesagt, wirkst du immer noch, als hättest du ein Gespenst gesehen.«

»Kann schon sein«, murmle ich. »Ich erinnere mich nie an meine Träume.« Ich weiß nicht, ob er mir glaubt. Doch für berechtigte Zweifel kennen wir einander noch nicht genug, also wird mein Lover für heute mit dieser Ausrede leben müssen. Mein Lover. Die Bezeichnung habe nicht ich mir ausgedacht. Meine Mitbewohnerin Renate nennt ihn so, seit ich mich zum zweiten Mal mit ihm verabredet hatte.

Er sieht mich immer noch zweifelnd an. Hastig weiche ich seinem Blick aus und reibe mir die Nacht aus dem Gesicht. »Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe.«

»Keine Sorge. Das hast du nicht. Der Hund tigert bereits seit einer Stunde hellwach in der Wohnung herum.«

Und so lange liegst du schon wach neben mir und beobachtest mich, während ich schlafe?

Verstohlen prüfe ich, ob ich mein Top noch trage. Dabei gibt es keinen Grund, nervös zu werden. Schließlich bin ich freiwillig hier. Gestern hatten wir uns in einem kleinen Szeneclub in Simons Viertel verabredet. Wenig Licht, viel Theke, pulsierende Bässe, die im Zwerchfell zu spüren waren. Tanzen, bis wir kaum noch Atem für unsere Küsse hatten. Blicke und Berührungen, die dazu führten, dass ich Simons Einladung zu ihm nach Hause nur zu gerne gefolgt bin.

Doch hier im Morgengrauen fühle ich mich nun wirklich wie in einem Albtraum, und zwar in einem von der Sorte, in dem man sich plötzlich ohne Kleidung auf einem öffentlichen Marktplatz wiederfindet. Wie konnte ich hier nur einschlafen?

Simons vollgestelltes Schlafzimmer wirkt nun fremd und so verblasst wie eine alte Fotografie. Unter dem Fenster reihen sich seine Architekturmodelle, die er auf Instagram perfekt ausgeleuchtet in Szene setzt. Im spärlichen Kerzenlicht hatten die Miniaturgebäude heute Nacht wie verwunschene Feenhäuser gewirkt. Ohne diesen Weichzeichner erkennt man deutlich die Strukturen von Styropor und die Staubschicht auf den Moosgummi-Rasenflächen der Vorgärten. Mein sandfarbener Blazer und die helle Seidenbluse liegen vor der Modellsammlung, als hätte Gullivers Braut sie vor einer Siedlung einfach auf dem Boden zurückgelassen – zusammen mit überdimensionierten Pizzakartons und einer halb vollen Flasche Rotwein. Simons Glas ist leer, der Wein, den er mir eingeschenkt hat, dagegen völlig unberührt. Ich trinke nie, wenn ich noch fahren will.

Simon mustert mich immer noch so intensiv, dass ich mich trotz der hochgezogenen Decke nackt fühle. Ja, ich weiß schon, warum ich niemals bei einem Mann übernachte. Es gibt nichts Intimeres als Tageslicht – vor allem, wenn zwei Menschen einander bisher noch nie bei Tag begegnet sind. In der sachlichen Helligkeit des Morgens fallen unter Simons Augen Schatten und tiefere Linien um den Mund auf. Hier sieht man ihm an, dass er siebenunddreißig ist. Und ehrlich gesagt, gefällt er mir so besser als in der Rolle des jungenhaften Idealisten, die er bei unseren Treffen spielt. Was das Tageslicht ihm gerade von mir enthüllt, kann ich nur vermuten. Falscher Ort, denke ich. Falsche Zeit. Zu früh. Und schon gar nicht beim dritten Date. Nervös zupfe ich den langen Pony und das fransig geschnittene Seitenhaar zurecht. »Lass doch«, sagt Simon sanft. »Es steht dir gut, wenn die Haare nicht so viel von dir verbergen.«

Er streicht mir ein paar glatte Strähnen hinter das Ohr und betrachtet mein Gesicht. »Ich … habe dich gestern nicht danach gefragt. Aber hast du dich mal verbrannt?«

»Ja. Vor Ewigkeiten.« So beiläufig wie möglich setze ich mich auf und kämme das Haar mit den Fingern nach vorne, bis es wieder fällt, wie es soll: Stirn, Wangen und Hals bis zu den Schlüsselbeinen umspielend.

»Das muss eine krasse Verbrennung gewesen sein«, setzt Simon vorsichtig hinzu. »Hattest du einen … Unfall oder so?«

Ich halte seinem Blick stand, obwohl mein Herz bis zum Hals schlägt. Wären wir verliebt, wäre das hier der Moment, an den wir uns später erinnern würden. Weißt du noch? An unserem ersten gemeinsamen Morgen? Du hast lange gezögert, aber dann hast du es mir doch erzählt.

Doch genau das ist mein Problem mit Tageslicht. In der Nacht zählt nur die Gegenwart, aber der Tag fordert Vergangenheiten ein. Und Nähe beginnt erst dort, wo wir aufhören, nur Timelines und zurechtgelegte Storys zu teilen, und damit anfangen, uns unsere Geschichten zu erzählen. Die wahren Geschichten, nicht nur die Vorzeigeschatten. Und in den Sekunden, in denen das Schweigen immer länger wird, sehne ich mich tatsächlich danach. Doch wenn ich eines weiß, dann das: Manchmal endet Nähe, wo Wahrheit anfängt.

»Sorry, habe ich etwas Falsches gesagt?«, bricht Simon die Stille.

»Nein, alles gut. Ich … rede nur nicht oft darüber.«

Sein Blick zuckt sofort zum Stehkragen meines Oberteils. Die elastische Spitze bedeckt zur Hälfte meinen Hals. Simon beginnt offenbar nach einem Muster zu suchen, nach der Matrix, die meine Zurückhaltung erklärt. Ich weiß sehr wohl, welchem Bild ich nach außen hin entspreche. In jedem Hollywoodfilm gibt es eine auf mich zugeschnittene Rolle. Die Braunhaarige, deren Pony sogar die Augenbrauen verdeckt. Eine Unscheinbare in hochgeschlossener Bluse, die meist als beste Freundin der Heldin auftritt. Jemand, der die Kunst beherrscht, mit dem Hintergrund zu verschmelzen. Bisher war ich für Simon die Frau, die lieber zuhört als spricht und es nicht mag, wenn im Schlafzimmer Licht brennt. Ein stilles Wasser, das ihn dennoch überrascht hat – mit lakonischem Humor, ihrer Art zu tanzen und zu küssen und vielleicht auch mit der Tatsache, dass sie schon gestern mit zu ihm gegangen ist. Nun fragt er sich, warum ich mein Top heute Nacht auch dann anbehalten habe, als die Teelichter schon verloschen waren. Verbergen sich unter dem Stoff möglicherweise weitere Narben?

Simon schluckt. Es ist ihm anzusehen, wie...

Erscheint lt. Verlag 26.9.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Allgemeinmedizin
Studium 2. Studienabschnitt (Klinik) Humangenetik
Schlagworte Ahnenfaktor • Ahnenforschung • Ambras-Syndrom • Außenseiter • Auvergne • Belletristik für Frauen • Bestie • Bestie des Gévaudan • Das wörterbuch des windes • Datenforensik • Dating • Der wilde Mann von Teneriffa • Eltern • Erbe • Familiengeheimnis • Familiengeschichte Roman • Familienroman • Frankreich • Gehobene Unterhaltung • Generationen • Gevaudan • Gévaudan • Großmutter • Hypertrichose • Jean-Joseph d’Apcher • Legende • Liebesgeschichte • liebten wir • Löwenmädchen • Märchen • Margeride • Peter Teuschel • Petrus Gonsalvus • Rotkäppchen • Sofawölfe • Stiefbruder • Stiefvater • Upmarket • vererbtes Gedächtnis • Wald • Wälder • Wolf • Wölfe • Wolf-Hund-Mischlinge • Wolfsmensch
ISBN-10 3-7499-0551-7 / 3749905517
ISBN-13 978-3-7499-0551-5 / 9783749905515
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