Buddhistische Basics für Psychotherapeuten (eBook)
296 Seiten
Schattauer (Verlag)
978-3-608-11685-4 (ISBN)
Ulrike Anderssen-Reuster, Dr. med., Ärztin für Psychosomatische Medizin, Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse. MBSR- und MBCT-Lehrerin, Psychoanalytische Säuglings-Kleinkind-Eltern-Psychotherapie, Dozentin und Supervisorin.
Ulrike Anderssen-Reuster, Dr. med., Ärztin für Psychosomatische Medizin, Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse. MBSR- und MBCT-Lehrerin, Psychoanalytische Säuglings-Kleinkind-Eltern-Psychotherapie, Dozentin und Supervisorin. Prof. (em.) für Religionswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Buddhist Studies Program, Hon.-Prof. für Religionsästhetik an der Katholischen Universität Linz, Direktor der Palliativ-Spirituellen Akademie Domicilium in Weyarn, Autor zahlreicher Werke zum Buddhismus, Zen- und Yogalehrer.
Einleitung
Psychotherapie ist im Wandel. Psychotherapeuten sind es auch. Nichts bleibt, wie es ist, auch wenn uns das gelegentlich Unbehagen bereitet. Diese Sätze scheinen trivial. Nicht aber die Frage, was daraus für die konkrete Lebensgestaltung folgt und was es für die psychotherapeutische Praxis bedeutet: Warum bin ich, wie ich bin? Geprägt von der Vergangenheit, vom kulturellen wie individuellen Gedächtnis zutiefst konditioniert – oder gar determiniert? Unfrei und vorbestimmt – oder dem Zufall ausgesetzt? Es sind Augenblicke, die, aneinandergereiht, das Leben ausmachen, und ein einziger Augenblick kann das Leben radikal verändern, zum Guten wie zur Katastrophe. Jedes Ereignis hat aber Ursachen und Wirkungen, die wiederum die Ursachen verändern. Und gibt es das: den Wink des Schicksals? Oder geschieht alles ohne erkennbaren Sinn? Wie können Psychotherapeuten dazu beitragen, diesbezüglich Licht in so viel Dunkel zu bringen, das uns nicht nur umgibt, sondern durchaus auch in uns selbst wahrzunehmen ist?
Menschen tendieren dazu, das Erleben in der Gegenwart im Licht der Erfahrungen der Vergangenheit zu interpretieren oder mit Erwartungen auf Zukünftiges zu befrachten. So wird das Wachsein in der Gegenwart versäumt, und es fehlt an Präsenz. Vergangenheit und Zukunft wirken in unserem Geist in die Gegenwart hinein, doch alles Erleben, das daraus folgt, wird bestimmt vom Zustand unseres Bewusstseins. Haben wir Möglichkeiten, diese Zustände zu beeinflussen, zu verändern? Denn dann, und nur dann, könnten wir auch unser Erleben, unsere Gefühle, unsere Euphorie und Depression, kurz unsere Interpretation unserer selbst und unserer Welt gestalten, um freier zu werden von bedrückenden Vergangenheiten und Zukunftserwartungen.
Es ist das Anliegen des Buches zu erforschen, wie innere Befreiung gelingen kann und ob eine moderne, wissenschaftlich fundierte und interkulturell inspirierte Psychotherapie zu einer Praxis beitragen kann, die Lösungen anbietet, die mehr sind als Symptombehandlungen. Können wir uns Ziele setzen, die Schritte zu mehr Freiheit und Erfahrung von Schönheit, zu mehr Toleranz und Verbundenheit, vielleicht auch zur Wahrheit ermöglichen? Und das trotz unserer psychischen Belastungen durch Ängste, durch Traumata, durch Verunsicherung? Schritte, die sich dann auch hilfreich auf unsere Mitwelt auswirken?
Lebe deinen Traum! Was aber, wenn die Träume Albträume sind, Ängste und apokalyptische Untergangsphantasien? Menschliches Handeln, auch wenn es von besten Absichten gelenkt ist, geht mit Folgen einher, die mitunter weder erwünscht noch beabsichtigt sind. Pandemien, ökologische Krisen und soziale Verwerfungen gehören dazu, denn sie sind Folgeerscheinungen unseres menschlichen Zusammenlebens. Individuelle wie auch soziale Krisen erzeugen meist Leiden; sie sind jedoch auch Antrieb der Veränderung und des Wandels. Sie fordern uns heraus und können dadurch Kräfte freisetzen, die eine veränderte Lebensweise ermöglichen, zum Beispiel eine achtsame Umgangsweise mit der begrenzten Zeit und den Ressourcen der Natur. Ein solcher Wandlungsprozess kann uns dazu zwingen, den bisherigen Lebensstil infrage zu stellen und die Komfortzone gegenwärtiger Sicherheiten und Selbstverständlichkeiten zu verlassen. Das betrifft unsere geistige Innenwelt ebenso wie unsere Um- und Mitwelt.
Soziale Umbrüche und kultureller Wandel mit teils dramatischen Folgen kennzeichnen die Geschichte der Menschheit. Philosophische Weisheitstraditionen und Religionen haben sich dabei die Frage gestellt, wie das Leben trotzdem gelingen kann, wie die Herausforderungen klärend und formend kreatives Potential freisetzen können. Wie kann man – trotz Unsicherheit und Angst – psychisch stabil und belastbar bleiben und die Verantwortung für das eigene Leben, seine Nachkommen, seine Schüler sowie seine Patienten in einer guten Weise wahrnehmen? Wie kann man im eigenen Bewusstsein und im persönlich gestalteten Leben zur Balance der widerstreitenden Kräfte gelangen? Immerhin war auch für antike Philosophen und religiöse Reformer klar, dass ihr Denken und ihre Handlungsempfehlungen einen Zweck hatten: die Therapie, also die Heilung von Verletzungen und Krankheiten, von Unwissenheit, lähmendem Gefühlschaos und Vertrauensverlust, die einem guten Leben im Wege stehen.
Auch der Buddhismus hat sich in einer Zeit des Umbruchs und der Veränderung entwickelt und ein System geformt, das das menschliche Leiden als Ausgangspunkt für einen individuellen und sozialen Transformationsprozess gesetzt hat. Leiden bezeichnet dabei die Frustration daran, dass die Dinge nicht so sind, wie wir sie gerne hätten. Diese Unzufriedenheit kann abgewehrt, verleugnet und mit egozentrischem Agieren kompensiert werden, was die sozialen Verwerfungen nur noch verschärft. Es gelingt aber nicht, die »Welt da draußen« von sich fernzuhalten, denn die äußeren sozialen und ökologischen Folgen einer falschen Lebensführung bleiben nicht äußerlich und die inneren psychischen Folgen bleiben nicht innerlich. Außenwelt und Innenwelt bilden sich gegenseitig ineinander ab und prägen unser gemeinsames Leben und Erleben.
Die buddhistische Antwort auf diese Herausforderungen ist eine Lebenskunst, die manches zusammenführt, das in unserer Kultur üblicherweise auseinandergehalten wurde: rationale Erkenntnis, das Bemühen um eine sozial ausgewogene Lebensführung sowie introspektive meditative Vertiefung. Das Hauptanliegen der buddhistischen Lehre ist es, dem Leiden nüchtern zu begegnen, menschliches Leben zur Reife zu bringen und eine Dynamik der Freiheit zu eröffnen, in der die Begrenzungen der Zeitlichkeit in einem grenzenlosen Bewusstseinsraum aufgehoben sind. Der Buddhismus verzichtet auf das Postulat eines Schöpfer-Gottes, er richtet all seine Energie vielmehr darauf, die Potentiale des Bewusstseins auszuschöpfen. Seine Kausalitätslehre orientiert sich an einem logisch einsichtigen Bedingungsgefüge von Ursache und Wirkung, das individuell beeinflussbar ist. Dogmatische Wahrheiten stehen nicht im Zentrum, sondern überprüfbare Erkenntnis und meditative Praxis.
Wir nähern uns dem Buddhismus aus einer psychotherapeutischen Perspektive und verfolgen das Ziel, seine Erkenntnisse in den Dienst der Heilung psychischen Leidens zu stellen, das allerdings immer mit gesellschaftlichen Konstellationen verknüpft ist. Es geht um ein gutes oder zumindest ein besseres Leben. Dabei stehen anwendungsorientierte und praktische Aspekte im Vordergrund und keine historisch-systematischen Fragestellungen. Dies gilt auch für die Übersetzungen der Texte, die natürlich verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zulassen. Um zur Überwindung des Leidens konkret beizutragen, hat sich die Lehre des Buddhismus den Bedürfnissen und Prägungen der Menschen immer wieder neu angepasst. So scheint es uns erlaubt, den großen Schatz der Weisheiten und geschickten Mittel auch für die klinische Praxis zu übersetzen. Obgleich der Bezugsrahmen theoretisch anspruchsvoll ist, kann die Praxis im klinischen Kontext gut anwendbar sein. Die Lehre ist kein Selbstzweck, sie soll – unserem Verständnis nach – dazu dienen, Orientierung und praktische Hilfestellungen für Menschen mit verschiedenen Nöten zu bieten. Glaubensbasierte Aspekte spielen dabei keine Rolle. Man muss also weder Buddhist sein noch werden, um von dieser »Religion ohne Gott« zu profitieren.
Im Umgang mit alten Texten sowie deren Übersetzungen zeigt sich, dass Sprache immer im Fluss ist. Die Übertragungen und Auslegungen sind jeweils abhängig von den eigenen expliziten und impliziten Voraussetzungen des Verstehens. Auch die Sprache, die wir gebrauchen, ist davon betroffen und kann unterschiedlich empfunden werden; dies gilt beispielsweise auch für die aktuelle Debatte zur genderkorrekten Sprache. Wir erleben dabei, dass alte Regeln hinterfragt werden, neue Gepflogenheiten aber noch nicht eingespielt sind. Wir lassen uns leiten von dem, was wir selbst als sprachlich stimmig empfinden. Selbstverständlich wollen wir dadurch niemanden sprachlich ausgrenzen und hoffen, dass sich das im Text inhaltlich zeigt.
Wir beschränken uns bei der Vermittlung der buddhistischen Basics auf die wesentlichen Grundlagen, die von allen Schulen anerkannt werden. Die ersten Kapitel dienen dieser Übersicht. Im mittleren Teil wird ein Überblick über die bisherige Auseinandersetzung verschiedener psychotherapeutischer Strömungen mit dem Buddhismus sowie zur aktuellen ...
Erscheint lt. Verlag | 19.3.2022 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete |
Schlagworte | Achtsamkeit • Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR) • Autogenes Training • Buddha • buddhistische Methoden Psychotherapie • Buddhistische Psychologie • DBT • Humanistische Psychotherapie • Lebenskunst • Meditation • Meditationsforschung • Mind and Life Dialogue • Mitgefühlsbasierte Psychotherapie • Psychoanalyse und Buddhismus • Religiosität und Psychotherapie • Spiritualität • Spiritualität und Psychotherapie • Zen |
ISBN-10 | 3-608-11685-0 / 3608116850 |
ISBN-13 | 978-3-608-11685-4 / 9783608116854 |
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