Augenärztliche Differenzialdiagnose (eBook)
404 Seiten
Georg Thieme Verlag KG
978-3-13-242236-0 (ISBN)
1 Akute Visusminderung
M. M. Nentwich
Die zentrale Sehschärfe (Visus) stellt neben der peripheren, der Orientierung dienenden Wahrnehmung (Gesichtsfeld) die wesentliche Funktion des Sehsinns dar. Unter der zentralen Sehschärfe versteht man die Fähigkeit des Auges, ggf. mit Korrektur durch Brillengläser oder Kontaktlinsen, zwei Sehobjekte noch als getrennt wahrzunehmen. Eine akute Visusminderung geht somit mit einem akuten Verlust – schmerzlos oder schmerzhaft – der zentralen Sehschärfe einher und stellt für die betroffenen Patienten ein beängstigendes Ereignis dar.
Die Ursache für eine akute Visusminderung kann im Bereich der optischen Medien (z.B. Glaskörperblutung), der Netzhaut (z.B. Zentralarterienverschluss), des N. opticus (z.B. anteriore ischämische Optikusneuropathie, AION) oder der Sehbahn (z.B. vaskulärer Insult) liegen.
Bei der differenzialdiagnostischen Einordnung einer akuten Visusminderung ist neben dem zeitlichen Verlauf, der Lateralität, dem Ausmaß der Beeinträchtigung und einer möglicherweise charakteristischen Gesichtsfeldeinschränkung die Frage nach dem Vorliegen oder Fehlen von Schmerzen hilfreich, was einmal mehr die Wichtigkeit einer adäquaten Anamneseerhebung verdeutlicht.
Bei Patienten mit akuter Visusminderung muss zudem zwischen kurzzeitigem (< 24 h) und andauerndem Visusverlust unterschieden werden. Einem vorübergehenden Verlust der zentralen Sehschärfe (uni- oder bilateral) können einerseits eher harmlose (z.B. Migraine ophthalmique), andererseits aber auch (lebens-)bedrohliche Ursachen (z.B. zerebrale Ischämie) zugrunde liegen. Hier besteht die Aufgabe des behandelnden Augenarztes darin, mittels geeigneter Untersuchungsverfahren mögliche Ursachen zu identifizieren oder auszuschließen, um dem Patienten anschließend eine zielgerichtete Therapie anbieten zu können. Bei andauerndem Visusverlust gilt es, im Rahmen der augenärztlichen Untersuchung die für den Verlust der Sehschärfe verantwortliche Ursache im Bereich der optischen Medien, der Netzhaut, des N. opticus oder der Sehbahn zu identifizieren ( ▶ Abb. 1.1, ▶ Tab. 1.1 ).
Wichtige Differenzialdiagnosen einer Visusminderung.
Abb. 1.1
Differenzialdiagnose | Lateralität | Akutheit | Schmerzhaftigkeit |
| unilateral | unmittelbarer Visusverlust | schmerzlos |
| rascher Visusverlust |
| schmerzhaft |
| bilateral | schmerzlos |
| Schmerzen möglich |
| uni- oder bilateral | allmählicher Visusverlust über Wochen, Monate oder Jahre | schmerzlos |
1.1 Vorübergehende Visusminderung
1.1.1 Amaurosis fugax
Unter dem Begriff Amaurosis fugax werden vorübergehende uni- oder bilaterale Minderungen der Sehschärfe zusammengefasst. Die Ursachen hierfür können gutartig oder schwerwiegend sein. Aufgrund der kurzen Dauer der Sehstörung stellen sich die meisten Patienten erst dann beim Augenarzt vor, wenn die Symptome wieder abgeklungen sind. Die Anamnese liefert daher wesentliche Hinweise für die Diagnosefindung. Hierbei sollte der Untersucher die Patienten bitten, ihre Sehstörung genau zu beschreiben und insbesondere nach auslösenden Faktoren, Lateralität (einseitig/beidseitig) und Dauer der Beschwerden fragen.
Ein vorübergehender einseitiger Visusverlust lässt die ursächliche Störung vor dem Chiasma opticum vermuten (d.h. im Bereich des Bulbus oder des N. opticus oder der für die Durchblutung zuständigen A. carotis). Ein vorübergehender beidseitiger Visusverlust lässt andererseits an einen weiter posterior liegenden Prozess im Chiasma opticum oder dahinter denken.
Sehstörungen aufgrund von kleinen Embolien (vaskuläre Genese der Amaurosis fugax) vergehen zumeist nach wenigen Minuten, während eine Aura bei Migraine ophthalmique bis zu einer halben Stunde andauern kann.
Eine Durchblutungsstörung ist die häufigste Ursache einer vorübergehenden einseitigen Minderung der zentralen Sehschärfe. Ischämische Ursachen können Embolien – vor allem von atherosklerotischen Plaques im Bereich der A. carotis – oder eine Riesenzellarteriitis oder auch Vasospasmen aufgrund einer retinalen Migräne sein.
Ein binokularer Visusverlust lässt die Störung posterior des Chiasma opticum verorten. Mögliche Ursachen sind Migräne, TIA (transitorische ischämische Attacke) oder Durchblutungsstörungen im Bereich des visuellen Kortex.
Die Patienten können unscharfes oder „nebeliges“ Sehen bis hin zu einem vollständigen Verlust der Sehschärfe beklagen. Ebenso kann das komplette Gesichtsfeld betroffen sein oder nur Teile davon. Während Skotome eher für eine vaskuläre Genese sprechen, lassen positive visuelle Phänomene wie Flimmerskotome an eine Migraine ophthalmique oder auch an zerebrale Durchblutungsstörungen denken.
Ganz wesentlich ist es, bei Patienten über 50 Jahren eine arteriitische AION (aAION) sicher auszuschließen (gezielte Anamnese, Blutsenkungsgeschwindigkeit, ggf. CRP), um durch eine rechtzeitige Therapie eine Mitbeteiligung des Partnerauges zu verhindern.
Der ophthalmoskopische Befund zum Zeitpunkt der Untersuchung liefert weitere Hinweise. Ein Papillenödem lässt eine Entzündung oder Ischämie im Bereich des N. opticus vermuten. Hilfreich ist auch, die retinalen Arteriolen nach möglichen kleineren Emboli zu untersuchen ▶ [7].
1.2 Länger andauernde Visusminderung
1.2.1 Optische Medien
1.2.1.1 Hornhaut
Eine Keratitis ist ebenso wie Hornhautfremdkörper oder Epitheldefekte aufgrund der damit verbundenen Irritation der Augenoberfläche, der Irregularität des Tränenfilms und des begleitenden Tränens der Augen eine mögliche Ursache einer Sehbeeinträchtigung. Ein Hornhautödem kann sich einerseits bei Schädigung des Hornhautendothels (z.B. Fuchs-Endotheldystrophie) langsam über die Zeit entwickeln und dann bei reizlosem Auge vor allem...
Erscheint lt. Verlag | 12.1.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete |
Schlagworte | Augenheilkunde • Differenzialdiagnose • Glaukom • Ophtalmologie • ophthalmologischen Differenzialdiagnostik • Orbitatumoren • Uveitis |
ISBN-10 | 3-13-242236-3 / 3132422363 |
ISBN-13 | 978-3-13-242236-0 / 9783132422360 |
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