Fuß- und Sprunggelenkchirurgie (eBook)

Das Kursbuch

Stefan Rammelt (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2021 | 2. vollständig überarbeitete Auflage
Thieme (Verlag)
978-3-13-241985-8 (ISBN)

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Fuß- und Sprunggelenkchirurgie -
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<p><strong>Die Fußfunktionalität sicher erhalten und wiederherstellen</strong></p> <p>Die Fuß- und Sprunggelenkchirurgie stellt höchste Ansprüche an den Operateur. Das überarbeitete Werk vermittelt Ihnen das gesamte Wissen, um in der Akuttraumatologie und der rekonstruktiven orthopädischen Chirurgie die Funktionalität des Fußes zu erhalten oder wiederherzustellen.</p> <ul> <li>Gesammelte Fachexpertise: von Arthrodesetechniken bis hin zu operativen Zugangswegen </li> <li>Optimierte Didaktik: wichtige OP-Techniken mit Schritt-für-Schritt-Anleitungen, Hinweise auf Komplikationen und Fehlermöglichkeiten </li> <li>Ideal für die Aus- und Weiterbildung: nach den 8 Kursmodulen der D.A.F. gegliedert</li> </ul> <p>Jederzeit zugreifen: Der Inhalt des Buches steht Ihnen ohne weitere Kosten digital in der Wissensplattform eRef zur Verfügung (Zugangscode im Buch). Mit der kostenlosen eRef App haben Sie zahlreiche Inhalte auch offline immer griffbereit.</p>

1 Klinische Anatomie und operative Zugangswege


1.1 Phylogenese und Formvarianten des Fußes


Stefan Rammelt, Timm J. Filler

1.1.1 Phylogenetische Entwicklung des Fußes


Die untere Extremität und insbesondere der Fuß haben im Verlauf der Evolution der Landlebewesen eine bemerkenswerte Entwicklung durchgemacht. Bereits in der präkambrischen Ediacara-Periode vor rund 550 Millionen Jahren gab es Lebewesen, die sich an paarigen beinähnlichen Fortsätzen am Meeresboden bewegten und gewissermaßen die ältesten überkommenen „Fußspuren“ hinterließen ▶ [3]. Die frühesten Fußabdrücke eines amphibischen Tetrapoden stammen aus dem mittleren Devon vor 395 Millionen Jahren. Diese wurden im Steinbruch von Zachełmie in Polen gefunden und weisen bereits deutliche Unterschiede in der Morphologie von vorderer und hinterer Extremität auf ▶ [14]. Nachdem bei den frühen Tetrapoden noch eine Polydactylie von 7- bis 8-strahligen Extremitäten vorherrschte, hat sich das Muster fünfstrahliger Füße (und Hände) am Übergang zum Karbon vor reichlich 350 Millionen Jahren ausgeprägt und mit erheblichen Variationen bis zur heutigen Zeit erhalten ▶ [5], ▶ [6], ▶ [22]. Aus der fünfstrahligen hinteren Amphibienextremität hat sich zunächst der Greiffuß der Prähominiden und erst im Übergang vom Pliozän zur Neuzeit der für den aufrechten Gang der habituellen Bipeden notwendige Standfuß entwickelt. Die frühesten Fußabdrücke von bipeden Hominiden (Australopithecus afarensis) sind in der Vulkanasche in Laetoli (Tansania) seit etwa 3,7 Millionen Jahren erhalten. Aus dem frühen Pleistozän stammend wurden in Kenia 1,5 Millionen Jahre alte Fußabdrücke des Homo erectus gefunden. Auch in Europa waren Hominiden der Art Homo antecessor bereits vor etwa einer Million Jahren auf zwei Beinen unterwegs, wie Fußspuren am Strand von Happisburgh (England) nahelegen, welche bereits eine charakteristische Fußwölbung aufweisen ▶ [1].

Merke

Der Fuß ist phylogenetisch (stammesgeschichtlich) der jüngste Skelettabschnitt des Menschen. Unsere nächsten Verwandten, die Hominiden, bewegen sich funktionell betrachtet nicht auf vier Füßen, sondern eher auf vier Händen, bei denen die Greiffunktion für die arboricole Lebensweise essenziell ist.

Nur beim Fuß hat sich daraus eine Stützfunktion für den dauernden aufrechten Gang entwickelt; er hat daher anders als die Hand wesentliche Umbauprozesse durchlaufen. Demnach ist der menschliche Fuß nach dem Gehirn das typisch menschliche Merkmal, gleichzeitig aber auch in der Evolution jung und variationsreich. Die nicht entwickelte Stützfunktion hat der Hand stattdessen eine weitere Spezialisierung auf die Greiffunktion ermöglicht, sodass kein anderes Säugetier eine dermaßen aufgeteilte Stütz- und Greiffunktion zwischen den Extremitäten aufweist. Der Fuß erhält so eine besondere Rolle, vergleichende anatomische Untersuchungen sind daher schwierig und werden oft von kontroversen Diskussionen begleitet ▶ [11]. Umgekehrt ist es bedeutsam, die anatomischen Herleitungen der Strukturen zu berücksichtigen, um sich am vorläufigen Stand der Evolution und den daraus resultierenden Pathologien orientieren zu können.

Ein augenfälliger Unterschied zwischen Hominiden- und Menschenfuß ist die aktive Abspreizbarkeit des ersten Strahles („hallukale Divergenz“, ▶ Abb. 1.1) als wesentliches Merkmal der Greiffunktion des prähominiden Fußes, wie bei dem 3,2 Millionen Jahre alten Skelett von Lucy, einem Weibchen der Vormenschenart Australopithecus afarensis, noch zu beobachten ist. Eine vermehrte Beweglichkeit und schräg stehende Achse bzw. Ebene des 1. Tarsometatarsalgelenks beim Menschen wird von einigen Wissenschaftlern als funktionell ungünstiges Relikt aus dieser Periode angesehen ▶ [9], ▶ [12]. Das Fundstück eines hominiden fossilen Fußes mit einem Alter von 1,75 Millionen Jahren – also noch vor dem Auftreten des Neandertalers entstanden – aus der Olduwai-Schlucht in Tansania weist bereits eine Gelenkfläche zwischen den Basen der Ossa metatarsalia I et II ohne hallukale Divergenz auf ▶ [27].

Abb. 1.1 Greiffuß des Schimpansen (Pan troglodytes) mit ausgeprägter hallukaler Divergenz (aus der Sammlung des Anatomischen Instituts der Universität Greifswald). Tibia und Fibula hingegen zeigen bereits ähnliche Größenverhältnisse wie beim Menschen, was auf eine ähnliche Gewichtung bei der Lastaufnahme hinweist.

Durch die Anlagerung des ersten Strahls aus der Opposition in den parallelen Verlauf der anderen Strahlen verlagerte sich der Drehpunkt evolutionär nach vorn in das 1. Metatarsophalangealgelenk, das ein fragiles Gleichgewicht der Muskel- und Sehnenkräfte ausbalanciert. Schon bei geringen Fehlstellungen oder Instabilitäten ist in dieser Region der ursprüngliche Ab- und Adduktionsort daher fehlbelastet und das Gleichgewicht irreversibel gestört, wie beim häufigen Krankheitsbild des Hallux valgus.

Ein weiterer wichtiger Entwicklungsschritt ist die Aufrichtung des Calcaneus und die Anhebung des Talus mit Ausbildung des Sustentaculum tali. Vergleichende phylogenetische Studien zur Anatomie des Fersenbeins an verschiedenen Primaten zeigen, dass beim Gorilla die subtalare Gelenkfläche um 70–73° geneigt, die des Neandertalers mit etwa 80° weniger geneigt ist und die des heutigen Menschen sogar um knapp 10° nach medial ansteigend verläuft, sodass das Sustentaculum tali etwas oberhalb der posterioren Gelenkfacette steht.

Die noch länger zurückliegende phylogenetische Entwicklung vom Amphibien- zum Säugetierfuß und somit vom Kriech- zum Schreittier ging einher mit der Ausbildung des Tuber calcanei und Tarsaltunnels sowie der Verlagerung des Gastrocnemius-Ansatzes ▶ [21] und der Überschichtung des Calcaneus mit dem Talus ▶ [12]. Durch die Einwärtsdrehung der Füße kam es zu einer Verlagerung der extrinsischen Fußmuskeln, was die z. T. irregulär erscheinenden Verlaufs- und Innervierungsmuster erklärt. In dieser Phase kam es auch zur Neugruppierung und Verschmelzung der Fußwurzelknochen unter Beibehaltung einer fünfstrahligen Anlage, welche sich auch z. T. in der ontogenetischen (vorgeburtlichen) Entwicklung wiederfindet (s. Kap. ▶ 6.1.1) und regelmäßig auftretende überzählige Fußknochen erklärt ▶ [18]. Die Homologien der Hände und Füße zwischen den verschiedenen Spezies sind seit dem 19. Jahrhundert Gegenstand intensiver Forschung und Spekulationen. Steiner ▶ [23] untersuchte intensiv die Baupläne des Gliedmaßenskeletts bei Schwanzlurchen (Urodelen) und primitiven Landwirbeltieren (Stegocephalen) im Vergleich zu dem der Säugetiere ( ▶ Abb. 1.2).

Bei der Betrachtung des Amphibienfußes fällt zunächst eine Gleichstellung zwischen Tibia und Fibula auf, während sich die Lastverteilung bei den Primaten zunehmend auf die Tibia verschiebt. Als erste tarsale Knochen schließen sich das Os tibiale – als mutmaßliches phylogenetisches Rudiment (Os tibiale externum) bei immerhin etwa 10 % der Menschen vorhanden – und das Os fibulare an, aus welchem sich der Calcaneus entwickelt. Zwischen beiden liegt das Os intermedium tarsi. Nach distal schließen sich vier Ossa centralia an. Der Talus entsteht nach Meinung vieler vergleichender Anatomen aus der Verschmelzung eines oder zweier proximaler Ossa centralia mit dem Os intermedium, was das häufige Auftreten eines Os trigonum am Hinterrand desselben oder die etwas seltenere Zweiteilung (Talus bipartitus) erklären könnte. Das Os naviculare entsteht demnach aus der Fusion von 2–3 distalen Ossa centralia, was sich auch beim Menschen in den drei Facetten der Ossa cuneiformia widerspiegeln könnte. Die gelegentlich beobachtete Zweiteilung (Os naviculare bipartitum) und andere akzessorische Knochen am Os naviculare könnten somit phylogenetische Rudimente sein. Interessanterweise wurde jedoch noch nie eine Dreiteilung des Os naviculare beobachtet. Die Ossa tarsalia des Amphibienfußes werden im Verlauf der Entwicklung zu den Ossa cuneiformia I–III, das Os tarsale IV zum Os cuboideum. Das Os tarsale V verschmilzt entweder mit dem Os tarsale IV zum Os cuboideum oder mit dem Os metatarsale V und bildet dessen prominente Tuberositas. Das selten auftretende Os Vesalianum an dieser Stelle könnte ein Rudiment des 5. Tarsalknochens sein.

Abb. 1.2 Vergleich des Carpus (links) und Tarsus (rechts) beim Säugetier mit rudimentären Knochenelementen der Amphibien (Os tibiale [externum], Os tarsale V [Os Vesalianum], Prähallux [rudimentärer Strahl]). Die Verschmelzung tarsaler Knochen wie der Ossa centralia distalia zum Os naviculare, der Ossa centralia proximalia mit dem Os intermedium zum Astragalus (= Talus) und dem Os fibulare sowie Os pisiforme zum Calcaneus ist erkennbar. Aus dieser Darstellung wird auch die wesentlich größere evolutionäre Veränderung des Fußskelettaufbaus verglichen mit dem der Hand deutlich.

([23])

Verschiedene Skelettvarianten medial des ersten Strahls („Prähallux“), lateral des fünften Strahls („Postminimus“)...

Erscheint lt. Verlag 2.11.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete
Schlagworte Arthrodesetechniken • D.A.F. • Deutsche Assoziation für Fuß und Sprunggelenk e.V. • Fußchirurgie • Orthopädie • Rheumatologie • Sprunggelenkchirurgie
ISBN-10 3-13-241985-0 / 3132419850
ISBN-13 978-3-13-241985-8 / 9783132419858
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