Nervensystem in der Osteopathie (eBook)
312 Seiten
Georg Thieme Verlag KG
978-3-13-243290-1 (ISBN)
2 Zentrales Nervensystem
Das ZNS – bestehend aus Gehirn und Rückenmark – ist deutlich besser gegen Verletzungen geschützt als das PNS. Das Gehirn wird von dem knöchernen Schädel umgeben, das Rückenmark von der knöchernen Wirbelsäule.
2.1 Rückenmark und Rückenmarksegmente
Viele übereinanderliegende Wirbel bilden mit ihrem Wirbelloch (Foramen vertebrale) den sog. Wirbelkanal. Die Lage und Einteilung der Rückenmarksegemente in Bezug auf den Wirbelkanal zeigt ▶ Abb. 2.1.
Abb. 2.1 Lage und Einteilung der Rückenmarksegemente in Bezug auf den Wirbelkanal. Ansicht von rechts.
(Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2011, Abb. A, S. 82)
Der Wirbelkanal besitzt in den verschiedenen Abschnitten der Wirbelsäule unterschiedliche Formen und Durchmesser. Diese ergeben sich zum einen aus den unterschiedlichen Bewegungsausmaßen der einzelnen Regionen, zum anderen aus den verschiedenen Diametern des Rückenmarks ( ▶ Abb. 2.2):
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Der Wirbelkanal im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) ist besonders großlumig. Dies erklärt sich u.a. aus dem Umstand, dass im Bereich der HWS noch alle Bahnen zum kompakten Rückenmark zählen.
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Zur Brustwirbelsäule (BWS) hin wird der Wirbelkanal schmaler.
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Im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) wird er wieder breiter oder bleibt zumindest gleich.
Abb. 2.2 Durchmesser des Wirbelkanals.
Das Rückenmark selbst verbreitert sich ebenfalls im Bereich der HWS und LWS in Form sog. Intumeszenzien („Anschwellungen“). Die Intumestentia cervicalis reicht von C1–Th1, die Intumestentia lumbalis von Th10–L2. Die Intumeszenzien entstehen durch den vermehrten Austritt von Bahnen aufgrund der Versorgung der Extremitäten. An den Stellen, an denen Bahnen austreten, sind sie mehr oder weniger von Myelin umhüllt, was den größeren Platzbedarf erklärt.
Die große Beweglichkeit der Extremitäten verlangt der HWS und LWS mehr Mobilität ab, als es bei der BWS der Fall ist (Kap. ▶ 4.4.4). Auch das Nervensystem muss in diesen Regionen deutlich beweglicher sein.
Osteopathische Bedeutung
Wirbel- und Bandscheibenläsionen und die häufig damit verbundene Bewegungseinschränkung des Nervensystems wirken sich im Bereich der HWS und LWS stärker aus, als dies in der BWS der Fall wäre. Der Behandler sollte bei Läsionen eines Nervs unbedingt die entsprechenden Wirbelsegmente auf Läsionen kontrollieren und ggf. aufgefundende Blockaden der Wirbel beseitigen, um eine Gleitfähigkeit des Nervs überhaupt erst wieder zu ermöglichen.
Das Gehirn geht im Bereich des Foramen magnum in das kompakte Rückenmark über. Den Übergang zwischen Gehirn und Rückenmark (Medulla spinalis) nennt man verlängertes Mark oder Medulla oblongata. Das verlängerte Mark befindet sich ungefähr in Höhe der Okziput-Atlas-Axis-Region (OAA-Region). Aufgrund des dort befindlichen Kreislaufzentrums und der Lage einiger Hirnnervenkerne kommt dieser Region besondere Aufmerksamkeit zu.
2.1.1 Veränderungen während des Wachstums
Das Rückenmark belegt beim erwachsenen Menschen nicht die gesamte Länge des Wirbelkanals. Beim Säugling hingegen entspricht die Länge des Wirbelkanals noch annähernd der des Rückenmarks ( ▶ Abb. 2.3). Der Grund dafür ist, dass in den ersten Lebensjahren die knöcherne Wirbelsäule schneller wächst als das Rückenmark. Dies führt zu einem scheinbaren Anstieg des Rückenmarks im Canalis vertebralis, dem Ascensus medulae spinalis.
Abb. 2.3 Alters- und konstitutionsabhängige Projektion des Rückenmarks und des Durasacks auf die Wirbelsäule. Ansicht von ventral.
(Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Kopf, Hals und Neuroanatomie. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2012, Abb. D, S. 409)
Das kompakte Rückenmark endet im Mittel auf Höhe des Diskus L1/L2 mit dem sog. Conus medullaris. Ab dieser Höhe befinden sich im Wirbelkanal nur noch Endfäden, die man in der Gesamtheit als Cauda equina bezeichnet ( ▶ Abb. 2.4). Daraus ergibt sich, dass nur in wenigen Höhen der Austritt des Spinalnervs aus dem Rückenmark horizontal laufen kann, um sein zugehöriges Foramen intervertebrale zu erreichen. Beispielsweise liegt das Rückenmark von S1 ungefähr auf Höhe Th9/Th10. Die Wurzel von S1 muss also ein gutes Stück im Wirbelkanal nach kaudal verlaufen, um das 1. sakrale Foramen zu erreichen ( ▶ [13], S. 42).
Osteopathische Bedeutung
Aufgrund des Verlaufs der Nervenfasern führt eine Diskushernie (Bandscheibenvorfall) nicht zur Beeinträchtigung der kranial von ihr liegenden Nervenwurzel: So schädigt z.B. eine laterale Hernie zwischen L4 und L5 den 5., jedoch nicht den 4. Lumbalnerv; eine laterale Hernie zwischen L5 und S1 den 1. Sakralnerv, nicht den 5. Lumbalnerv ( ▶ [19], S. 149).
Abb. 2.4 Cauda equina im Wirbelkanal. Ansicht von dorsal.
(Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Kopf, Hals und Neuroanatomie. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2012, Abb. C, S. 409)
2.1.2 Aufbau eines Rückenmarksegments
Ein Rückenmarksegment gliedert sich in eine weiße und graue Substanz ( ▶ Abb. 2.5). Die weiße Substanz entsteht durch auf- und absteigende Bahnen, welche mehr oder weniger myelinisiert sind und deshalb heller erscheinen. Die eigentlichen Nervenzellen liegen in der grauen Substanz und bilden ein Hinterhorn, Vorderhorn und Seitenhorn.
Abb. 2.5 Adultes Rückenmark.
Abb. 2.5a
(Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2011, Abb. Dc, S. 73)
Abb. 2.5b
(Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2011, Abb. Dc, S. 73)
Abb. 2.5c
(Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2011, Abb. Dc, S. 73)
Im Vorderhorn befinden sich die motorischen, im Hinterhorn die sensiblen Neuronen, welche Afferenzen aus der Peripherie aufnehmen. Das Seitenhorn entsteht durch die sympathischen oder parasympathischen (viszeromotorischen) Neuronen. Demnach ist ein Seitenhorn nur in Rückenmarksabschnitten zu finden, in denen es Teile des vegetativen Nervensystems gibt (Kap. ▶ 3).
Osteopathische Bedeutung
Gerade das Vorderhorn liegt sehr nahe an Bandscheibe und Wirbelkörper und wäre bei vielen Erkrankungen (Bandscheibenvorfälle, Wirbelkörpereinbrüche etc.) besonders gefährdet. Die Realität zeigt aber, dass genau das Gegenteil der Fall ist: Viel häufiger ist die Sensibilität betroffen (Kap. ▶ 2.3).
2.2 Aufbau des Spinalnervs (N. spinalis)
Der...
Erscheint lt. Verlag | 7.10.2020 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Naturheilkunde |
Physiotherapie / Ergotherapie ► Behandlungstechniken ► Osteopathie | |
Schlagworte | Behandlung • Diagnostik • Mobilisation • Osteopathie • osteopathische Zusammenhänge • Palpation • Periphere Nerven • Ursache-Folge-Ketten |
ISBN-10 | 3-13-243290-3 / 3132432903 |
ISBN-13 | 978-3-13-243290-1 / 9783132432901 |
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Größe: 44,2 MB
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