Personzentrierte Familientherapie und -beratung (eBook)
183 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61051-8 (ISBN)
Ulrike Hollick, Dipl.-Psych., Weimar (Lahn), ist Psycholog. Psychotherapeutin in freier Praxis und Dozentin an der Univ. Marburg sowie Supervisorin und Ausbilderin u. a. für Personzentr. Familientherapie / -beratung. Maria Lieb, Psychosoziale Beratung (M. A.), Sozialpädagogin (B. A.), Oberhausen, Ausbilderin für Personzentr. Beratung / Familientherapie (GwG), System. Familientherapeutin, Supervisorin, ist in eigener Praxis tätig. Andreas Renger, Dipl.-Psych., Bonn, ist Psycholog. Psychotherapeut in freier Praxis, Leiter einer Familien- / Lebensberatungsstelle, Supervisor, Lehrtherapeut für Gesprächspsychotherapie u. Personzentr. Beratung. Dr. phil. Torsten Ziebertz, Oberhausen, Erziehungswissenschaftler, Ausbilder für Personzentr. Beratung / Familientherapie (GwG), System. Familientherapeut, Supervisor, führt ein Institut für Weiterbildung / Supervision / Organisationentwicklung.
Ulrike Hollick, Dipl.-Psych., Weimar (Lahn), ist Psycholog. Psychotherapeutin in freier Praxis und Dozentin an der Univ. Marburg sowie Supervisorin und Ausbilderin u. a. für Personzentr. Familientherapie / -beratung. Maria Lieb, Psychosoziale Beratung (M. A.), Sozialpädagogin (B. A.), Oberhausen, Ausbilderin für Personzentr. Beratung / Familientherapie (GwG), System. Familientherapeutin, Supervisorin, ist in eigener Praxis tätig. Andreas Renger, Dipl.-Psych., Bonn, ist Psycholog. Psychotherapeut in freier Praxis, Leiter einer Familien- / Lebensberatungsstelle, Supervisor, Lehrtherapeut für Gesprächspsychotherapie u. Personzentr. Beratung. Dr. phil. Torsten Ziebertz, Oberhausen, Erziehungswissenschaftler, Ausbilder für Personzentr. Beratung / Familientherapie (GwG), System. Familientherapeut, Supervisor, führt ein Institut für Weiterbildung / Supervision / Organisationentwicklung.
4 Theorie der Personzentrierten Familientherapie und -beratung
Torsten Ziebertz
Sowohl im deutsch- als auch englischsprachigen Raum gab es bislang keine umfassende personzentrierte Theorie der Familie. Die Theoriebildung zur Familie ist, vor allem in Deutschland, überwiegend systemisch geprägt. Freilich haben die Systemtheorien bzw. die verschiedenen Ansätze der systemischen Familientherapie hierzu wichtige Erkenntnisse geliefert.
In diesem Kapitel sollen nach einer Darstellung allgemeiner Familientheorien und dem personzentriert geprägten „Familiären Rückkopplungsmodell“ die grundlegendsten theoretischen Begriffe von Rogers (Aktualisierungstendenz, Selbstkonzept und Inkongruenz) auf Familien erweitert werden. Dabei ist es uns wichtig, eine möglichst theorie-kohärente Ableitung zu erreichen und nicht personzentrierte mit systemischer Theorie zu vermischen. So beschreiben wir die „Familienaktualisierungstendenz“, das „Selbst-, Paar- und Familienkonzept“ und die „Familiäre Inkongruenz“.
Am Schluss dieses Kapitels werden bereits bestehende Konzepte beschrieben, die sich hervorragend zu einer theoretischen Fortentwicklung der PZFT eignen.
4.1 Allgemeine Familientheorien
Torsten Ziebertz
Ein psychologisches Verständnis von Familie geht vom Erleben und Verhalten einer Familie bzw. ihrer Mitglieder aus.
DEFINITION
Schneewind (2010) sieht Familien dementsprechend als intime Beziehungssysteme von biologisch, sozial oder rechtlich verbundenen Menschen über mindestens zwei Generationen an.
Diese Definition umschließt auch Familienformen wie Patchworkfamilien, Pflege- und Adoptivfamilien, Ein-Eltern-Familien, Living-Apart-Together-Familien (Eltern, die sich als Paar definieren, aber bewusst nicht zusammenleben) usw.
Die Familiensystemtheorie befasst sich mit den Annahmen der Systemtheorie in Bezug auf das spezielle System „Familie“. Diese Annahmen werden im Folgenden dargestellt (in Anlehnung an Schneewind 2010, 101 ff.):
Ganzheitlichkeit. Die Familie kann als eine ganzheitliche Einheit betrachtet werden, in der die einzelnen Familienmitglieder durch Interaktionen und Kommunikationen miteinander in Beziehung sind. Dadurch ist die Familie mehr als die Summe ihrer aus Personen bestehenden Teile.
Zielorientierung. Familien richten ihr Leben nach (expliziten oder impliziten) Zielen aus, die dem System und / oder dem Einzelnen Sinn, Stabilität und Bedürfnisbefriedigung verleihen. Diese Ziele sind sehr familienindividuell, richten sich dabei aber doch nach typischen Familienphasen und deren Entwicklungsaufgaben.
Regelhaftigkeit. Die Kommunikationen und Interaktionen der Familienmitglieder folgen bestimmten expliziten oder impliziten Regeln, die das Verhalten des Einzelnen und im Weiteren das ganze Systemverhalten bestimmen. Diese Regeln erleichtern zum Einen das tägliche Miteinander, können auf der anderen Seite aber auch einschränken oder gar dysfunktionale Formen annehmen.
Die Regelstruktur kann durch längere Beobachtungen einer Familie erschlossen werden.
Zirkuläre Kausalität. Dies meint den wechselseitigen Prozess der Beeinflussung mehrerer Personen. Im Gegensatz zur linearen Kausalität, also dem einfachen „Ursache-Wirkungs-Prinzip“, stellt die zirkuläre Kausalität den wechselseitigen Interaktionskreislauf mit seinen stabilisierenden Faktoren in den Mittelpunkt.
Rückkopplung. In einem Familiensystem meint Rückkopplung den Prozess, den ein Verhalten eines Mitgliedes A auf die anderen Familienmitglieder ausübt, und in deren Verhalten wieder auf A zurückgekoppelt wird (siehe ausführlicher Kap. 4.2).
Homöostase. Hiermit ist die Aufrechterhaltung und Ausbalancierung des Kräftegleichgewichts in einer Familie gemeint. Eine Familie ist bestrebt, einen homöostatischen, also ausgeglichenen und stabilen Zustand zu erlangen. Besonders nach Krisen und Veränderungen ist dies in Familien zu beobachten.
Wandel erster und zweiter Ordnung. Damit verbunden ist die Frage, welcher Art die Veränderung einer Familie ist.
Watzlawick und Kollegen (2001, 30f.) sprechen in diesem Zusammenhang von Wandel erster und zweiter Ordnung.
Mit Wandel erster Ordnung meinen sie den Wandel von einem Zustand hin zu einem anderen Zustand innerhalb des sich nicht verändernden Systems Familie.
Wandel zweiter Ordnung meint dagegen einen Wandel, der das ganze System Familie selbst ändert.
Grenzen. Ein bedeutendes Merkmal des Systems Familie ist das der Abgrenzung, und zwar nach außen und innen. Durch die Grenze nach außen wird das System überhaupt erst als System erkennbar. Diese Grenze ist „operational geschlossen“, d. h. sie ist offen genug, um einen Austausch mit anderen Systemen zu erlauben. Die Grenzen nach innen grenzen die Subsysteme voneinander ab, z. B. das Eltern-Subsystem vom Kinder-Subsystem.
Offenheit vs. Geschlossenheit. Dies meint den Grad der Offenheit, bzw. Geschlossenheit der familiären Grenzen.
Selbstorganisation. Ein weiteres Merkmal lebender Systeme ist die Selbstorganisation im Sinne der Herstellung eines internen Ordnungszustandes. Zentraler Punkt dabei ist, dass der Ordnungszustand des Systems nicht von außen herbeigeführt wird, sondern von seinen Elementen in einem selbsttätigen Wechselspiel von Stabilität und Veränderung (Haken 2007). Die am weitesten ausgeführte Selbstorganisationstheorie ist die „Synergetik“ von Hermann Haken (1990).
Internes Erfahrungsmodell. Unter dem internen Erfahrungsmodell versteht Schneewind das Innerste einer Person. Gemeint ist damit die subjektive Repräsentation, die eine Person von sich, ihrer Umwelt und den Beziehungen zu einem bestimmten Zeitpunkt hat. Überträgt man das Konzept des internen Erfahrungsmodells auf die Familiensystemtheorie, so besagt dies, dass die Familie nicht nur von außen, d. h. durch die Registrierung familiärer Interaktionsmuster erfassbar ist, sondern auch von innen durch die familienspezifischen internen Erfahrungsmodelle jedes Familienmitgliedes (Schneewind 2010, 105f.).
Hier wird eine große Nähe zum personzentrierten Begriff des „Selbstkonzeptes“ deutlich, bzw. der familienspezifischen Erweiterung des „Familienkonzeptes“ (Kap. 4.2 und 4.3.2).
Weitere familientheoretische Ansätze sind die sogenannten „Familienentwicklungstheorien“ (z. B. Schneewind 2010; Carter / McGoldrick 2006), die sich mit den normativen Phasen im Familienlebenszyklus und den dazugehörigen Entwicklungsaufgaben der Familien(-mitglieder) beschäftigen.
4.2 Das Familiäre Rückkopplungsmodell
Torsten Ziebertz
Das „Familiäre Rückkopplungsmodell“ von Torsten Ziebertz (2008, 2017) beschreibt die zirkulären Rückkopplungen innerhalb und außerhalb einer Familie auf den unterschiedlichen Systemebenen (s. Abb. 1).
Abb. 1: Das Familiäre Rückkopplungsmodell
Die Grafik des Familiären Rückkopplungsmodells zeigt im Inneren die Kernfamilie mit den Eltern A und B und den Kindern C und D. Im nächsten Kreis findet sich das soziale Umfeld der Familie (Ursprungsfamilien der Eltern, Freunde, Schulkameraden, Arbeitskollegen etc.). Im äußersten Kreis steht der „Globe“ (Cohn / Farau 1984): Politisches System, Gesellschaft, Kultur, biologische und materielle Umwelt.
Als grundlegende, nicht mehr zu reduzierende Größe in einem Familiensystem steht unserer Auffassung nach das Individuum mit seinem individuellen Selbstkonzept.
Das Selbstkonzept bildet sich aus und verändert sich nach außen hin, in Form einer gegenseitig rückgekoppelten Interaktion mit der Umwelt. Dieser externe Input des sozialen Umfeldes und des Globes wird vom und im Individuum, dem kleinsten informationsverarbeitenden Subsystem, wahrgenommen und u.U. ins Selbstkonzept integriert (Pavel 1989, 235). Hierbei ist zu beachten, dass die zirkuläre Beeinflussung des Globe auf das Individuum größer ist als anders herum. Ebenso sind die Einflussmöglichkeiten der Eltern auf die Familie größer als die der Kinder. Satir (2003) bezeichnete aus diesem Blickwinkel heraus die Eltern als die „Architekten“ der Familie. Durch sie bilden die Kinder ihre emotional-kognitiven Prozesse zur Informationsverarbeitung und Handlungsorganisation aus, letzten Endes ihr Selbstkonzept (Schmidtchen 1996, 29).
Als ein Teil des personzentrierten Selbstkonzeptes bildet der Einzelne ein individuelles Familienkonzept aus (Schmidtchen 2001, 177). Dieses enthält die bewussten Wertgehalte, Vorstellungen, Regeln, Glaubenssätze und Ideale des Individuums über familiäre Kommunikation und Interaktion im Allgemeinen. Das individuelle Familienkonzept formt sich zu einem großen Teil in der Kindheit durch Erziehung und Sozialisation in der Ursprungsfamilie.
Ähnlich wie sich im Erwachsenenalter das Selbstkonzept verändert, verändert sich weiterführend auch das individuelle Familienkonzept (Kap. 4.3.2 und 4.3.3).
Dort, wo die individuellen Familienkonzepte der einzelnen Familienmitglieder kongruent sind, wo sie sich also überlappen, entsteht das gemeinsame Familienkonzept (Schmidtchen 2001).
Diese Schnittmenge enthält die gemeinsamen...
Erscheint lt. Verlag | 1.10.2018 |
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Reihe/Serie | Personzentrierte Beratung & Therapie |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Allgemeine Psychologie |
Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Familien- / Systemische Therapie | |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Carl Rogers • Familientherapie • GwG • Personbezogen • Rollen |
ISBN-10 | 3-497-61051-8 / 3497610518 |
ISBN-13 | 978-3-497-61051-8 / 9783497610518 |
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